Are You Ready Boots? Start Walkin’!

Von Friedhelm Denkeler,

Der Sommerhit aus dem Jahr 1966 – Nancy Sinatras »These Boots Are Made For Walkin’«.

"Badesteg am Wörther-See", Foto © Friedhelm Denkeler 1966
»Badesteg am Wörther-See«, Foto © Friedhelm Denkeler 1966

Wo bleibt der Sommerhit 2011? Nirgendwo kann ich ihn hören oder entdecken. Im letzten Jahr war es We No Speak Americano von Yolanda Be Cool & DCUP (siehe Der Sommer kann kommen). Gut, dann werde ich einmal 45 Jahre zurückblicken und schauen, was ich dort finde: „These Boots Are Made For Walkin'“ von Nancy Sinatra war im Sommer 1966 am Wörther-See einer meiner Lieblingssongs in den Bars und Diskotheken.

Nancy Sinatra (* 1940 in Jersey City, New Jersey) ist die Tochter des Sängers Frank Sinatra. Ihre musikalische Karriere begann 1961 unter den Fittichen ihres Vaters – mit mäßigem Erfolg. Dieser stellte sich erst mit der Single „These Boots Are Made For Walkin'“ ein. Er entwickelte sich zum Welthit und in den USA und in Deutschland stand er auf Platz 1 der Charts. Es ist ihr bekanntester Song geblieben. Nancy Sinatra: »These Boots Are Made For Walkin«.

1966 erschien unter der Regie von Lee Hazlewood ihr erstes Album Boots. Neben den Kompositionen von Hazlewood enthält das Werk auch Coverversionen, wie Day Tripper von den Beatles und It Ain’t Me Babe von Bob Dylan. 1967 sang Nancy im Duett mit ihrem Vater den Song Somethin’ Stupid. Für beide Sinatras war es ein großer Erfolg. Übrigens, 2001 haben Robbie Williams und Nicole Kidman Somethin’ Stupid neu interpretiert. Für den James-Bond-Film Man lebt nur zweimal mit Sean Connery sang Nancy Sinatra 1967 den Titelsong You Only Live Twice.

Nancy Sinatra spielte als Schauspielerin in verschiedenen Filmen mit. Ich kann mich aber nur an den Film Die wilden Engel von Roger Corman aus dem Jahr 1966 erinnern, insbesondere an die Eröffnungsszene des Films Wild Angels mit dem Song Blues Theme von Davie Allan and the Arrows. Nach der Wiederaufführung des Films im Jahr 2003 soll Nancy gesagt haben: »Mit diesem Film begann meine hoffnungsvolle Filmkarriere und endete zugleich.«

You keep saying you’ve got something for me.
something you call love, but confess.
You’ve been messin‘ where you shouldn’t have been a messin‘
and now someone else is gettin‘ all your best.

Und es gibt noch zwei weitere Songs von Nancy Sinatra: Ein Sommer-Song, den sie zusammen mit Lee Hazlewood sang und den ich erst 2007 durch einen Film wieder entdeckte und zum anderen den Titelsong eines Films von Quentin Tarantino von 2003. Dazu demnächst mehr.

Mittiges zur Mitte des Monats: Ein festgefressener Stuhl

Von Friedhelm Denkeler,

Aus dem Portfolio »Mittig«, Buga-Park, Potsdam, Foto © Friedhelm Denkeler 2002
Aus dem Portfolio »Mittig«, Buga-Park, Potsdam, Foto © Friedhelm Denkeler 2002

Zur Mitte des Monats mache ich heute einmal Werbung in eigener Sache. Zwischen 2002 und 2008 ist eine Reihe von Fotos entstanden, die ich 2008 zur Serie Mittig zusammengefasst habe. Die gesamte Serie besteht aus 152 Farbprints im Format 21×29 cm auf Fotopapier im Passepartout 30×40 cm. Die Bilder sind auch als gedrucktes Künstlerbuch mit 96 Seiten im Format 16 x 21 cm erschienen. Auf meiner Website LICHTBILDER ist eine Auswahl von 25 Fotos zu sehen. Den Begriff »mittig« verwenden hauptsächlich Ingenieure für zentrisch. Ein Zitat, über das sich vor allem Geisteswissenschaftler besonders freuen werden:

Wenn der Regler nicht mittig ist, muss die Prozentzahl ganz unten korrigiert werden, da sonst der Stuhl evtl. in einen Endbereich kommt und sich dort festfressen kann. [aus »Der Force Profiler«]

Melancholische und magische Momente des Lebens

Von Friedhelm Denkeler,

»Sibylle Bergemann – Polaroids« in der C|O-Galerie im Postfuhramt in Berlin bis zum 4. September 2011

Mich interessiert der Rand der Welt, nicht die Mitte. Das Nichtaustauschbare ist für mich von Belang. Wenn etwas nicht ganz stimmt in den Gesichtern oder Landschaften. [Sibylle Bergemann]

"Keine Angst vor rot, blau, gelb", Polaroid SX-70, Foto © Friedhelm Denkeler 1987
»Keine Angst vor rot, blau, gelb«, Polaroid SX-70, Foto © Friedhelm Denkeler 1987

Dieses Zitat der Fotografin Sibylle Bergemann (Selbstporträt) gibt den persönlichen Anspruch an ihre künstlerischen Arbeiten wieder: Sie zeichnet in ihren Bildern die Melancholie und die magischen Momente des Alltäglichen auf. Das Polaroid-Material, insbesondere der SX-70-Film, kam ihr dabei entgegen: Die Bilder weisen oft einen Farbstich und einen leichten Schleier auf und man spürt die Patina der Originale, eben Polaroids. Es sind schöne Bilder, die aussehen als seien sie spontan entstanden, denen aber stets kompositorische Überlegungen vorausgingen. Sibylle Bergemann ist mit der Modefotografie groß geworden und das hat ihr Auge geprägt.

Der Tagesspiegel schreibt zu Bergemanns Bildern: »Unscharf sind auch etliche Polaroids – oft die schönsten – mit denen die Fotografin, diese so zurückhaltende wie unverwechselbare Ausnahme-Erscheinung der deutschen Fotografie, dem Betrachter noch einmal persönlich entgegentritt. Die Momentaufnahmen aus allen Schaffensperioden sind zum Teil Begleiterscheinungen ihrer Modefotografie, zum Teil Notate von Reisen und Reportagen, oft auch private Augenblicke, in der legendären Wohnung von Sibylle Bergemann und Arno Fischer am Schiffbauerdamm oder im stillen brandenburgischen Landhaus, im Garten, am Feldrand oder nur der Blick aus dem Fenster. Getragen von einem Grundton des Schwebend-Verträumten, sind es Einblicke in ein Märchenland, das vor der Haustür liegt oder im Nachbarsgarten, schon zur Entstehungszeit nicht ganz von dieser Welt, heute mehr denn je.«

Das Sofortbild an sich scheint zur Zeit ein kleines Revival zu erleben: Helmut Newtons Polaroids sind aktuell im Museum für Fotografie zu sehen (siehe Das Unvollkommene am Perfekten), letztes Jahr zeigte Julian Schnabel seine Polaroids in Düsseldorf, in Siegen werden ab dem kommenden Sonntag im Museum für Gegenwartkunst die vergrößerten Polaroid-Fotos von Cy Twombly ausgestellt, in Wien ist die historische Polaroid-Sammlung im Museum »WestLicht« zu sehen und jetzt Sibylle Bergemann bei C/O.

Aufschlüsse über einen Menschen finde ich in den Dingen, mit denen er sich umgibt. Der Mensch ist da, auch wenn er auf dem Foto nicht zu sehen ist. [Sibylle Bergemann]

Kleider machen Leute – und manchmal auch Kunst

Von Friedhelm Denkeler,

Visions & Fashion – Bilder der Mode 1980 bis 2010 im Kulturforum am Potsdamer Platz in Berlin

"Selbst (Paolo Simonazzi: 'Time Passages')", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Selbst mit Paolo Simonazzi: »Time Passages‘, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

In Berlin dreht sich zur Zeit nicht nur auf der Fashion Week alles um die Mode, sondern auch in der Kunst. In den Sonder-Ausstellungshallen im Kulturforum am Potsdamer Platz gibt es noch bis zum 9.10.2011 eine feine und sehr sorgfältig zusammengestellte Ausstellung zu sehen: Visions & Fashion – Bilder der Mode 1980 bis 2010. Die meisten Arbeiten stammen aus der Sammlung Modebild – Lipperheidesche Kostümbibliothek‚, die 1899 als Schenkung an die Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, übereignet wurde.

Die künstlerische Interpretation von Mode in Fotografie und Illustration wird anhand von rund 200 Originalen international bekannter Fotografen, Grafiker und freier Künstler, darunter Helmut Newton, Tony Viramontes, Sarah Moon, Michel Comte, Eric Traoré, Lorenzo Mattotti, François Berthoud, Cem Bora, Gregor Hohenberg, Martin Mago, Carola Seppeler, François Cadière und Christin Losta vorgestellt. Das spannungsreiche Verhältnis zwischen Mode und ihrem Abbild wird anhand dieser Arbeiten über den Zeitraum der letzten 30 Jahre aufgezeigt.

In der oberen Sonderausstellungshalle, so finde ich, sind die interessanteren Arbeiten, in 40 Werkgruppen eingeteilt, zu sehen. »Die Zusammenstellung erfolgte in bewusst selektiver und kuratorischer Auswahl mit einem Augenmerk auf Ungewöhnlichem, auf bislang Ungesehenem sowie auf Bildern, die dem kollektiven Bildgedächtnis schon wieder entglitten sind“ so die Kuratoren.

Im unteren Raum wird die Vielfalt der medial verbreiteten Modebilder mit ihren visuellen Codes anhand unterschiedlichster Objektgattungen dargestellt: von der exklusiven Modezeitschrift Visionaire über Plakatserien (Benetton, Comme des Garçons) und Lookbooks bis hin zu Medienstationen mit ausgewählten Imagefilmen und Internetseiten« [aus der Pressemitteilung].

Mein Foto zeigt einen Ausschnitt aus der Arbeit von Paolo Simonazzi. In seiner Werkgruppe Time Passages stellt er Objekte der heutigen Haute Couture historischen Gemälden gegenüber, in denen Kleider als Statussymbole ebenfalls eine Rolle spielen. Die Ausstellung lädt zu einem zweiten Besuch ein. www.smb.museum, siehe auch Das Unvollkommene am Perfekten.

Das Unvollkommene am Perfekten

Von Friedhelm Denkeler,

»Helmut Newton – Polaroids« im Museum für Fotografie in Berlin

"Tina 2", Polaroid SX-70, Foto © Friedhelm Denkeler 1990
»Tina 2«, Polaroid SX-70, Foto © Friedhelm Denkeler 1990

Nach längerer Pause gibt es zum Wochenende wieder einen Artikel: Nein, ich war nicht auf der Berliner Fashion Week oder bei Bread & Butter unterwegs, sondern habe mich anlässlich der zwei aktuellen Ausstellungen mit Polaroids von Helmut Newton und Sybille Bergemann in Berlin mit den eigenen Polaroid-Fotos, die in den 1980er-Jahren entstanden sind, beschäftigt. Eine Auswahl von 92 Fotos, Polaroids SX-70, ist mittlerweile eingescannt und ein Buch in Vorbereitung (siehe Portfolio Polaroid SX-70-Art)

Mein Zitat des Monats und die beiden Ausstellungen mit Polaroid-Fotos passen zur Modewoche in Berlin: Helmut Newton und Sybille Bergemann haben sich mit Mode beschäftigt. Zunächst zu Newton. Die Helmut Newton Stiftung im Museum für Fotografie, Berlin, zeigt noch bis zum 20. November 2011, aus Tausenden von Bildern ausgewählt, 300 Fotos. Zwei Polaroids habe ich herausgesucht: Shooting für die Zeitschrift Paris Match, Monte Carlo, 1985 und für den Stern, St. Tropez 1987.

Für Newton (1920 – 2004) waren die Sofortbilder mit handschriftlichen Ergänzungen eher Skizzen und Schnappschüsse aus seinen Mode-Shootings und dienten der Überprüfung der Bildkomposition und der konkreten Lichtverhältnisse. Diese Vorstudien seiner danach entstandenen perfekten Fotos zeigen eher das Unvollkommene: oft sind sie farbstichig, unscharf, überbelichtet oder verkratzt, aber sie weisen die Patina der Originale auf, eben Polaroids.

In der Ausstellung hängen allerdings nicht die originalen Sofort-Bilder, sondern großformatige, einschließlich des weißen Polaroid-Randes, aufgezogene Prints auf Alu-Dibond als Bildträger. Das charmant Unvollkommene, das Polaroid-Fotos ausmacht, ist aber im Großen und Ganzen erhalten geblieben. Eine Auswahl der „kleinen“ Unikate wird in zwei Vitrinen ausgestellt und lässt sich mit den aufgezogenen Prints gut vergleichen.

Als Newtons Polaroids 1992 erstmals in der Publikation „Pola Woman“ im Schirmer/Mosel Verlag vorgestellt wurden, reagierte die Presse eher verhalten bis ablehnend, heute werden sie auf den großen Kunstauktionen mit einem Preis von bis zu 25.000 Euro gehandelt.

»Auf den Probefotos kann man Eva Herzigova, Nadja Auermann, Monica Belluci und den anderen langbeinigen Superfrauen dabei zuschauen, wie sie zusammen mit dem Fotografen quasi ihre Fingerübungen vor dem eigentlichen Shooting absolvieren: In luxuriös-dekadentem Ambiente, angetan mit High-Heels, ansonsten meist spärlich bis gar nicht bekleidet, präsentieren sie in gewohnt provokantem Newton-Stil selbstbewusst ihre schönen Körper – manchmal mit ironischem Augenzwinkern und manchmal in ihrer Qualität kaum vom späteren Foto zu unterscheiden.« [FOCUS Online].

»Provokation gehört seit jeher zur Arbeitsweise Newtons, der auch in seinen Auftragswerken stets an die Grenze des Gewohnten führte. Durch seine provokanten und gleichzeitig höchst ästhetischen Motive hat er einen immensen Einfluss auf die Mode- und Aktfotografie ausgeübt, der bis heute ikonografisch nachwirkt.« [Handelsblatt].

Siehe auch meine Ausstellungsankündigung Helmut Newton – Polaroids am14. Juni 2011.

Was ist Mode?

Von Friedhelm Denkeler,

»Mode ist, was man selber trägt. Was unmodern ist, tragen die anderen«, Foto © Friedhelm Denkeler 2010
»Mode ist, was man selber trägt. Was unmodern ist, tragen die anderen«, Foto © Friedhelm Denkeler 2010
Anmerkung zur Kategorie »«

In dieser Kategorie erscheint am ersten Tag eines Monat öfter ein bildlich umgesetzter Post mit einem Zitat. Das kann eine Photographie mit einem Spruch sein oder ein Bild, das grafisch mit dem Zitat des Monats gestaltet wurde.

Eine Übersicht über alle Artikel der Kategorie finden Sie unter »«.

André Kertész – Retrospektive im Martin-Gropius-Bau

Von Friedhelm Denkeler,

Komponierte, poetische Fotografien des Malers mit der Kamera

"André Kertész im Gropius-Bau", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»André Kertész im Gropius-Bau«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Letzten Freitag wurde im Martin-Gropius-Bau eine große Ausstellung mit über 300 Fotografien von André Kertész (1894 bis 1985) eröffnet.

Neben der Brassaï-Ausstellung (siehe meine Artikel Brassaï – Im Atelier und auf der Straße ist in Berlin somit ein weiterer Fotograf zu bewundern, der in Ungarn geboren wurde und im Paris der 1920er Jahre berühmt wurde.

Die Gäste der Vernissage folgten André Kertész wechselvollem Leben und durchliefen fünf große Lebensabschnitte, die gleichzeitig auch der Ausstellungseinteilung in fünf Kapitel entsprechen: Ungarn 1894 – 1925, Frankreich 1925 – 1936, Reportage und Illustration, USA 1936 – 1962 und Rückkehr und Neuanfang 1963 – 1985. Es sind fast ausschließlich Original-Abzüge (Vintage-Prints) zu sehen.

Der Tagesspiegel schreibt zu Kertész berühmtesten Foto, Die Gabel aus dem Jahr 1928: »Umgekehrt abgelegt auf einem Tellerrand, wirft sie einen Schatten, der Stiel und Zinken genau wiedergibt. Unzählige Male ist dieses Foto reproduziert worden, seit es 1929 erstmals zu sehen war, auf der legendären Ausstellung Film und Foto in Stuttgart. Die war auch in Berlin zu sehen, im Kunstgewerbemuseum, das heute Martin-Gropius-Bau heißt. Dorthin ist der Originalabzug jetzt zurückgekehrt.«

Dieses Foto  inspirierte übrigens Wolfgang Vollmer und Ulrich Tillmann 1985 zu ihrer Arbeit Laslo Mohas: »Die Gabel«, die  in den Meisterwerken der Fotokunst – Sammlung Tillmann und Vollmer neben weiteren herrlich ironisierenden Arbeiten zu sehen ist.

Meine Fotografie ist eigentlich ein visuelles Tagebuch. […] Für mich ist die Kamera ein Werkzeug, mit dem ich mein Leben ausdrücke und beschreibe, so wie Dichter oder Schriftsteller, wenn sie die Erfahrungen beschreiben, die sie in ihrem Leben gemacht haben. Es war eine Möglichkeit, die Dinge, die ich entdeckt hatte, zu projizieren.

Neue Realitäten. FotoGrafik von Warhol bis Havekost

Von Friedhelm Denkeler,

Neue Druckverfahren zwischen Druckgrafik und Fotoprint im Berliner Kupferstichkabinett

"Die kleine Riesin nach Gerhard Richter", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Die kleine Riesin nach Gerhard Richter«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Die Themenausstellung am Kulturforum Potsdamer Platz im Kupferstichkabinett, die 120 Werke von 40 Künstlern präsentiert, widmet sich dem künstlerischen Transfer fotografisch erstellter Bilder in das Medium der Druckgrafik von den 1960er Jahren bis zur Gegenwart. Die Anfänge liegen in der Ära der Pop Art.

Dabei stellt der Siebdruck eines der ersten Medien beim Umgang mit fotografischen Vorlagen dar. Wenig später dann machen Künstler wie Gerhard Richter und Sigmar Polke mit der Offsetlithografie ein weiteres ‚triviales’ Printmedium für künstlerische Editionen nutzbar. Parallel dazu werden weiterhin klassische Druckverfahren wie der Holzschnitt (Franz Gertsch), die Radierung (Peter Sorge) und die Lithografie (Jasper Johns) verwendet, um fotografische Bilder in eine neue Realität zu überführen.

Seit den 1990er Jahren kommen über die digitale Erstellung und Bearbeitung fotografischer Bilder neue Druckverfahren hinzu, die zu einer Aufweichung der Grenzen zwischen Druckgrafik und dem Fotoprint führen.

Die Adaptation fotografischer Bilder und deren Verfremdung sind inhaltlich vielschichtig: Es ergeben sich unterschiedliche Formen der Medienreflexion und der Analyse sozialer Wirklichkeiten. Angeregt wurde die Ausstellung durch eine bedeutende Schenkung von Editionen Sigmar Polkes durch Wolfgang Wittrock (Berlin) im Jahr 2007 an das Kupferstichkabinett. Die Ausstellung läuft bis noch bis zum 9. Oktober 2011. Quelle: Pressemitteilung.

Helmut Newton – Polaroids …

Von Friedhelm Denkeler,

… in der Helmut Newton Stiftung im Museum für Fotografie, Berlin, bis zum 20.11.2011

"Lady In Red", Polaroid SX-70, Foto © Friedhelm Denkeler 1990
»Lady In Red«, Polaroid SX-70, Foto © Friedhelm Denkeler 1990

Anhand von über 300 Fotografien wird erstmals ein repräsentativer Überblick über Newtons legendäre Polaroids gezeigt. Seit den 1970er Jahren hatte er diese Technik intensiv genutzt, insbesondere während der Shootings für seine Modeaufträge.

Dahinter stand, wie Newton es selbst einmal in einem Interview nannte, das ungeduldige Verlangen sofort wissen zu wollen, wie die Situation als Bild aussieht. Ein Polaroid entspricht in diesem Zusammenhang einer Ideenskizze und dient zugleich der Überprüfung der konkreten Lichtsituation und Bildkomposition.

Aufschlussreich sind Newtons handschriftliche Ergänzungen an den Bildrändern der Polaroids: Kommentare zum jeweiligen Modell, Auftraggeber oder Aufnahmeort. Diese Anmerkungen, die Unschärfen und Gebrauchsspuren finden sich auch auf den Vergrößerungen der Polaroids innerhalb der Ausstellung; sie zeugen von einem pragmatischen Umgang mit den ursprünglichen Arbeitsmaterialien, die inzwischen jedoch einen autonomen Wert besitzen.

Insbesondere die eigene, unvergleichliche Ästhetik der Polaroids, die die Farbigkeit und die Kontraste des fotografierten Gegenstandes unvorhersehbar verändert, macht die experimentelle Technik auch für den heutigen Betrachterblick interessant. Insofern kommt die Ausstellung einem Blick ins Skizzenbuch eines der einflussreichsten Fotografen des 20. Jahrhunderts gleich. Viele der ikonischen Aufnahmen, die bereits zuvor in den Ausstellungsräumen der Helmut Newton Stiftung gezeigt wurden, werden durch die jetzige Ausstellung in ihrer Entstehung präsent. [Quelle: Presseerklärung].

Hauseingang in Olbrichs Welt

Von Friedhelm Denkeler,

Josef Maria Olbrichs Architektur-Träume des Jugendstils in der Kunstbibliothek am Kulturforum am Potsdamer Platz

Seine Welt zeige der Künstler, die niemals war, noch jemals sein wird. [Olbrich]

"Ausstellungsankündigung an der Kunstbibliothek", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Ausstellungsankündigung an der Kunstbibliothek, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Vor genau 100 Jahren hat eine Stiftungskommission den zeichnerischen Nachlass des Architekten, Designers und Landschaftsplaners Josef Maria Olbrich (1867 – 1908) erworben. Der Kommission gehörten der Künstler Max Liebermann und der Direktor der Staatlichen Museen Berlin Wilhelm von Bode an. In den Besitz der Berliner Kunstbibliothek gelangte somit die bedeutende Sammlung von 2500 Zeichnungen, wobei in der Ausstellung lediglich 200 zu sehen sind.

Die Ausstellung ist in die fünf Gruppen Anfänge in Wien, Wiener Seccession, Mathildenhöfe in Darmstadt, Bauten in Berlin und Kunsthandwerk eingeteilt, die auch gleichzeitig die einzelnen Stationen von Olbrichs Schaffensperiode aufzeigen. Bekannt wurde der Künstler vor allem durch sein Gebäude für die Wiener Seccession, seine Bauten für die Darmstädter Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe und seinen letzten Auftrag, das Warenhaus Leonhard Tietz in Düsseldorf.

Die einzelnen Blätter weisen eine einzigartige, farbenfrohe Schönheit wie in einem Bilderbuch auf, es fehlte nur noch, dass die Ausstellung mit Es war einmal … begann. Auf dem Blatt, das die Eingangssituation von Olbrichs eigenem Haus auf der Mathildenhöhe in Darmstadt zeigt, steht der Satz Hauseingang in meine Welt. Das kann man auch für die gesamte Ausstellung so sehen.

Brassaï – Geheime Kunst von Paris in anonymen Graffiti

Von Friedhelm Denkeler,

Brassaïs »Auf der Straße« und Dubuffets »Les murs« in Berlin

"Selbst mit einem Graffiti-Photo von Georg Brassai 1", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Selbst mit einem Graffiti-Photo von Georg Brassai 1, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Bevor das Museum Berggruen im September 2011 für Renovierungsarbeiten seine Pforten schließt, um voraussichtlich im Juni 2012 mit dem neuen Erweiterungsbau wieder zu eröffnen, stehen sich die beiden Häuser der Dependancen der Neuen Nationalgalerie räumlich und inhaltlich nahe wie nie zuvor: Beide sind Prachtbauten von Stüler, beide beherbergen private Sammlungen der Klassischen Moderne und jetzt führt ein Photograph beide noch näher zusammen: Brassaï.

Im Gegensatz zu Im Atelier im Museum Berggruen (siehe mein letzter Post Brassaï – Der Photograph mit den vielen Masken) sehen wir im Haus gegenüber in der Sammlung Scharf-Gerstenberg Brassaïs Auf der Straße, den zweiten Werkkomplex der Doppel-Ausstellung (bis zum 28. August 2011). Hier finden sich die eingeritzten Kritzeleien an Häuserwänden, die an archaische Höhlenmalereien erinnern. Für Brassaï zeigte sich in diesen Pariser Graffiti der Geist des Surrealismus.

Drei Löcher in der Wand – Auge, Auge, Mund – mit angedeuteten Haaren, Gesichtskonturen oder nur die Silhouette eines Tieres, einer weiblichen Figur, besitzen eine geradezu archaische Kraft, der Höhlenmalerei verwandt. Der Art-brut-Maler Jean Dubuffet hatte dies erkannt. Einige seiner Bilder, die im Marstall zusammen mit der Graffiti-Serie zu sehen sind, scheinen direkt von den Aufnahmen inspiriert. Der Fotograf hatte im Stadtbild entdeckt, was sich die Surrealisten mühsam erst erarbeiten mussten. [Der Tagesspiegel]

"Selbst mit einem Graffiti-Photo von Georg Brassai 2", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
„Selbst mit einem Graffiti-Photo von Georg Brassai 2“, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Im Obergeschoss ist das lithografische Werk Les murs von Jean Dubuffet aus dem Jahr 1945 zu sehen. Hier nimmt er explizit auf Brassaïs Graffiti-Photographien Bezug. Während die unbekannten Mauer-Künstler bei Brassaï ihr Bild direkt in die Mauer und den Putz ritzten, wird bei Dubuffet der Lithostein selbst zur Mauer-Oberfläche. Für Brassaï waren die Graffiti von anonymen Kreativen Spiegel unbewusster Sehnsüchte und verdrängter Obsessionen, nichts weniger als Bestandteile der Mythologie.

Der Surrealismus meiner Bilder war nichts anderes als die durch die spezielle Sichtweise ins Fantastische gewendete Realität. Es ging mir nur darum, die Realität auszudrücken, denn nichts ist surrealer. Wenn sie uns nicht mehr in Erstaunen versetzt, dann nur darum, weil die Gewohnheit sie für uns banal gemacht hat. Brassaï.

Brassaï hat die Graffiti im Stadtbild entdeckt und über Jahre fotografiert. Er hat sie nie betitelt oder datiert. Die in der Ausstellung gezeigten Graffiti stammen aus den 1930er bis 1950er Jahren und sind originale Silbergelatine-Abzüge aus seinem Pariser Nachlass. In der Ausstellung sehen wir die beiden Werkgruppen Begegnungen mit Künstlern und Graffiti. Hierzu ist auch ein Katalog für 33 € erschienen.

Brassaï – Der Photograph mit den vielen Masken

Von Friedhelm Denkeler,

In den Ateliers der Pariser Künstler der 1920er Jahre

"Spiegelung in Brassais 'Lydia Delectorskaya im Atelier von Henri Matisse in der Villa d'Alésia, Paris'", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Spiegelung in Brassais »Lydia Delectorskaya« im Atelier von Henri Matisse in der Villa d’Alésia, Paris, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

In meinem letzten Post habe ich bereits einleitend über die Photo-Ausstellung Brassaï – Im Atelier und auf der Straße berichtet. Heute möchte ich zunächst auf den Teil Brassaï – Im Atelier im Museum Berggruen, am Charlottenburger Standort der Nationalgalerie, näher eingehen. Hier hat man die einmalige Gelegenheit Brassaïs Photographien von Künstler-Freunden wie Picasso, Matisse, Giacometti, Laurens und Braque, gemeinsam mit ihren Werken und Arbeitsplätzen zu sehen.

Die Kuratoren haben Brassaïs Photographien geschickt zwischen die Gemälde und Skulpturen der Sammlung Berggruen eingestreut und verteilt über alle drei Stockwerke gehängt. Neben den Portraits von Brassaï lassen sich so die Werke der Sammlung wieder neu entdecken. Wunderbar das Portrait von Matisse mit seinem Modell aus dem Jahr 1939 (siehe oberes Bild): Auf der einen Seite die posierende Nackte und auf der anderen Seite, wie ein Arzt (oder wie Siegmund Freud) im weißen Kittel, der schüchterne Künstler – und als Spiegelung der neuzeitliche Photograph. Oder das Photo, auf dem Georges Braque im Jahr 1949 eine Kuh beschwört (siehe unteres Bild). Im Museum Berggruen kehren Brassaïs Photos zu den Werken ihrer Künstler zurück.

Brassaï war zunächst mit der Kunst, für die er eigens nach Paris gekommen war, nicht zufrieden. Er schrieb nach Hause: »Nun, die Kunst ist tot. […] Nicht nur in ihrer schöpferischen Kraft, sondern auch in den Augen und in den Seelen derjenigen, die sie wahrnehmen und brauchen.«

"Spiegelung in Brassais 'Georg Braque in Varenvelle', Foto © Friedhelm Denkeler 2011
„Spiegelung in Brassais ‚Georg Braque in Varenvelle‘, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Die Kuratoren schreiben »Tatsächlich schien das Kunstleben Anfang der 1920er Jahre in der französischen Hauptstadt zu erlahmen. Die historischen Avantgarden hatten sich überlebt und der Surrealismus, dessen erstes Manifest 1924 erschien, steckte noch in seiner literarischen Anfangsphase. Umso attraktiver wurde für Brassaï das gesellschaftliche Leben – sei es in mondänen Kreisen, zu denen er über eine Freundin Zugang erhielt, sei es in Nachtclubs, Bordellen und auf der Straße.«

Aber bereits ein Jahr später konnte er seinen Eltern berichten »Meine Kunst ist vielleicht noch unsichtbar, aber sie existiert«. Und was ihm anfangs lediglich zum Broterwerb diente, geriet ihm zur Kunst. So wurde er zu einem Vorreiter der künstlerischen Photographie, er wurde Das Auge von Paris, wie ihn Henry Miller später nannte.

Viele dieser Fotografien wurden in der surrealistischen Zeitschrift „Minotaure“ publiziert; sie wusste den künstlerischen Charakter vermeintlich rein dokumentarischer Aufnahmen besonders zu würdigen, entsprach es doch dem Credo des Chefredakteurs und Hauptes der surrealistischen Bewegung André Breton in besonderem Maße, das Surreale nicht außerhalb, sondern in der Realität selbst zu finden und darzustellen. [Pressemitteilung]

Ich habe hundert Gesichter, um mich zu verstecken, und jeder kennt eine andere Maske von mir. Brassaï

Einige Daten zu Brassaï

1899 in der ungarischen Stadt Brassó (heute Brasov, Rumänien) als Guyla Halász geboren; 1920  Berlin, studiert an der Kunstakademie in Charlottenburg, hat Kontakt zu László Moholy-Nagy, Wassily Kandinsky und Oskar Kokoschka; zieht 1924 nach Paris,  Lebensunterhalt mit journalistischen Arbeiten, illustriert mit Fotografien; nimmt 1929 das Pseudonym Brassaï (dt. aus Brassó) an und beginnt, selbst zu fotografieren: Auf seinen Streifzügen durch Paris entsteht die berühmte Arbeit Paris bei Nacht und erste Aufnahmen von Graffiti; fotografiert 1932 Alberto Giacometti, Pablo Picasso und deren Werke für die surrealistische Zeitschrift Minotaure; 1933 ergeben über die „Minotaure“ Kontakte zu André Breton, Salvador Dalí, Henri Laurens, Georges Braque, Henri Matisse, die er in ihren Ateliers fotografiert; ab 1937 arbeitet Brassaï für die amerikanische Zeitschrift Harper’s Bazaar; 1960er–1984: In Europa und den USA finden Ausstellungen zu Brassaïs Werk statt; 1984 stirbt Brassaï in Beaulieu-sur-Mer an der Côte d’Azur und wird auf dem Friedhof Montparnasse beerdigt.

Brassaï – Im Atelier und auf der Straße

Von Friedhelm Denkeler,

»Das Auge von Paris« in Berlin, im Museum Berggruen und in der Sammlung Scharf-Gerstenberg

"Still-Leben vor dem Museumscafé", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Still-Leben vor dem Museumscafé«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

In den Außenstandorten der Neuen Nationalgalerie in Berlin-Charlottenburg gibt es im Museum Berggruen (westlicher Stülerbau) und in der Sammlung Scharf-Gerstenberg (östlicher Stülerbau) eine interessante und informative Doppel-Ausstellung des ungarischen Photographen Brassaï zu sehen. Er gehört neben seinem Landsmann André Kertész und dem Franzosen Henri Cartier-Bresson zu den drei Großen der französischen Fotografie der 1930er Jahre.

Das Besondere an dieser Ausstellung ist, dass man in beiden Häusern Brassaïs Photographien im Zusammenhang mit den Werken anderer zeitgenössischer Künstler sehen kann: Im Museum Berggruen werden Brassaïs im Atelier entstandene Fotografien neben den Werken seiner Künstlerfreunde Picasso, Matisse, Giacometti, Laurens und Braque ausgestellt und in der Sammlung Scharf-Gerstenberg sind Brassaïs auf der Straße entstandene Fotografien anonymer Kratzbilder (Graffiti), zusammen mit den Werken Jean Dubuffets zu sehen.

Brassaïs erste Künstlerportraits und Graffiti-Fotografien entstanden in den 1930er Jahren und gehören – neben seinen Aufnahmen von Paris bei Nacht, deren Veröffentlichung ihn 1932 schlagartig berühmt machte – zu seinen wichtigsten Werkkomplexen. Was ihm anfangs lediglich zum Broterwerb diente, geriet später zur Kunst. „Das Auge von Paris“, wie Henry Miller ihn später nannte, wurde zu einem bedeutenden Vorreiter der künstlerischen Fotografie.

In den beiden nächsten Beiträgen werde ich über die Ausstellung ausführlicher berichten. www.neue-nationalgalerie.de

Die Sonne scheint nicht mehr für John Walker

Von Friedhelm Denkeler,

Walker Brothers: The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore

"The Sun Ain't Gonna Shine Anymore", Foto © Friedhelm Denkeler 1977
»The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore«, Foto © Friedhelm Denkeler 1977

Im letzten Monat starb im Alter von 67 Jahren John Walker, Gründungsmitglied und Frontmann der legendären Walker Brothers in seinem Haus in Los Angeles. Die Walker Brothers traten 1964 im Hollywood A Go-Go in Los Angeles erstmals gemeinsam auf.

Es war jene Zeit, in der die Beatles die USA unsicher machten und sich das kalifornische Trio, Scott Walker Engel (voc, b), Gary Walker Leeds (dr, voc), John Walker Maus (voc, g) im Februar 1965 in die Gegenrichtung auf die Reise nach London begaben, wo sie Mitte der 1960er Jahre eine der beliebtesten Bands Englands wurden.

1966 wurden sie mit ihrem einzigen Welt-Hit und bis heute bekanntesten Song The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore auch in Deutschland berühmt. In England erreichten sie Platz 1. Nach drei Alben trennte sich die Band im Mai 1967 zugunsten von Solokarrieren.

1975 kamen die drei noch einmal zusammen und produzierten drei weitere Alben, aber an ihre früheren Erfolge konnten sie nicht mehr anknüpfen. Ihr größter Hit passt zu meinem heutigen Artikel (leider) sehr gut: Walker Brothers: »The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore«. Er ist als Klassiker in die Geschichte der Rockmusik eingegangen und wird es immer bleiben.

Undine im Steinhuder Meer

Von Friedhelm Denkeler,

»Undine im Steinhuder Meer« von Hans-Jürgen Zimmermann: »Undines Traum« von Hans-Jürgen Zimmermann, Foto © Friedhelm Denkeler 1996
»Undine im Steinhuder Meer« von Hans-Jürgen Zimmermann: »Undines Traum«, Foto © Friedhelm Denkeler 1996

Es soll als sicher gelten, dass die Geschichte des jungfräulichen Wassergeistes Undine  am Steinhuder Meer ihren Ursprung hat. Der Verfasser der Erzählung Undine, Friedrich de la Motte Fouqué, war 1796 als Offizier in Bückeburg stationiert. Der Künstler der modernen Meerjungfrau Undine (auch Undene, lat. unda = Welle, oder auch französisch Ondine = Nixe) des Steinhuders Meeres in Form einer Edelstahlskulptur aus dem Jahr 1994 ist  Hans Jürgen Zimmermann. Nach dem Entwurf des Künstlers zu einem Bühnenbild der Ballettfassung von Undine in der Staatsoper von Hannover entstand die Skulptur.

BERLIN, Blicke

Von Friedhelm Denkeler,

Ein Fotopreis schreibt subjektive Stadtgeschichte 1990 bis 2010

Die heutige Eröffnung der Fotoausstellung im HAUS am KLEISTPARK  kann  ich leider nicht wahrnehmen, weil ich nicht in Berlin bin. Schade, denn die Hälfte der beteiligten Fotografen aus der alten West-Berliner Szene kenne ich gut und hätte gerne gesehen, womit sie sich aktuell beschäftigen.

"Stillleben an der Elbe bei Schnackenburg", Foto © Friedhelm Denkeler 1980
»Stillleben an der Elbe bei Schnackenburg«, Foto © Friedhelm Denkeler 1980

Der Titel der Ausstellung BERLIN, Blicke  wurde in Anlehnung an den Buchtitel von Rolf Dieter Brinkmann Rom, Blicke gewählt. Mit diesem posthum 1979 bei Rowohlt erschienenen Collageband aus Tagebuchtexten und Fotos wurde die Diskussion über Stadtfotografie Anfang der 1980er Jahre nachhaltig angeregt. Eine Ausstellungs-Besprechung werde ich nachreichen, heute  muss der Einladungstext reichen:

»Es gibt Fotos, die sich in das Gedächtnis einschreiben – gerade weil sie nicht versuchen, etwas zu repräsentieren. Sie zeigen das Lebensgefühl einer bestimmten Zeit in Bildern von Stadträumen, Menschen, Architekturen und Dingen. Solche Fotos sind in dieser Ausstellung und einem begleitenden Fotobuch versammelt. Sie eröffnen den Besuchern neue Blicke auf Berlin und bieten ihnen die Chance, subjektive, poetische, kritische und fremdartige Wahrnehmungen zu machen.

Gezeigt werden Foto-Serien von Preisträgerinnen und Preisträgern eines Fotopreises in Schöneberg und Tempelhof, der seit 20 Jahren ausgeschrieben wird. Dieser in Berlins Bezirken einmalige Preis eröffnet eine sehr subjektive Sicht auf 20 Jahre Bezirks-Geschichte und spiegelt zugleich 20 Jahre Stadtfotografie in Berlin wider. Eine Fachjury – zusammengesetzt aus Experten von Fach- und Hochschulen, Kunstvereinen, Museen sowie aus Fotohistorikern und Journalisten – hat auf zwei Dinge geachtet: Erstens, dass in den prämierten Fotoserien etwas Allgemeines über das urbane Leben am Beispiel von Schöneberger und Tempelhofer Motiven zum Ausdruck kommt und zweitens, dass das Niveau der Arbeiten eigensinnig ist und zugleich auch die aktuellen Debatten zur Fotoästhetik und über das gewandelte Selbstverständnis der Fotografen als Künstler aufnimmt.

Die Themen haben die Foto-Künstlerinnen und -Künstler selbst gewählt und über längere Zeit als Projekte realisiert. Auf diese Weise ist eine Sammlung zusammengekommen, deren Spektrum von der klassischen Autoren- und Architekturfotografie bis zur konzeptuellen Fotografie reicht.«

Die beteiligten Fotografinnen und Fotografen sind: Karine Azoubib, Peter Bajer, Ute und Bernd Eickemeyer, Ludovic Fery, Fred Hüning, André Kirchner, Wolf Klein, Hans-Peter Klie, Natalie Kriwy, Karl-Ludwig Lange, Thomas Leuner, Winfried Mateyka, Michael Nager, Ildar Nazyrov, Jens Oliver Neumann, Lothar M. Peter, Nelly Rau-Häring, Florian Rexroth, Wolfgang Ritter, Orit Siman-Tov, Arnd Weider, Janina Wick. www.hausamkleistpark-berlin.de

Da kam ein Kater und fraß das Zicklein

Von Friedhelm Denkeler,

El Lissitzky und Frank Stella mit Chad Gadya in der Neuen Nationalgalerie

Chad Gadya (Ein Zicklein)

Der Vater kauft ein Zicklein für zwei Pfennig.
Da kam ein Kater und fraß das Zicklein,
da kam der Hund und fraß den Kater,
da kam der Stock und schlug den Hund,
da kam das Feuer und verbrannte den Stock,
da kam das Wasser und löschte das Feuer,
da kam der Ochse und trank das Wasser,
da kam der Metzger und schlachtete den Ochsen,
da kam der Todesengel und tötete den Metzger,
und zuletzt kam Gott und tötete den Todesengel.

Ausschnitt aus "El Lissitzky: Da kam der Hund und fraß den Kater, Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Ausschnitt aus El Lissitzky: »Da kam der Hund und fraß den Kater«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Als Zusatzpräsentation zu Frank Stellas The Michael Kohlhaas Curtain im Obergeschoss der Neuen Nationalgalerie (siehe mein gestriger Artikel) befindet sich im Untergeschoss die Ausstellung: El Lissitzky / Frank Stella: Chad Gadya.

Es handelt sich um zwei druckgrafische Folgen aus dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, die beide das Kinderlied Chad Gadya (Ein Zicklein) als Grundlage haben. Dieser erste Raum, der momentan von den beiden Künstlern bespielt wird, dient gleichzeitig als Einstieg in die Sammlungspräsentation Moderne Zeiten.

1919 schuf Lissitzky ein Heft mit Illustrationen zu dem jüdischen Kinderlied: »Chad Gadya«. Jedes Blatt illustriert einen Vers des Liedes (siehe oben), in dem eine Folge von Zerstörungen ihren unaufhaltsamen Verlauf nimmt. Jede vernichtende Tat verursacht die nächste Verheerung. Irgendwie erinnert das auch an die Geschichte von Michael Kohlhaas.

Im Mai 1981 sah Frank Stella bei einem Besuch im Tel Aviv diese Blätter. Sie inspirierten ihn zu einer eigenen druckgrafischen Serie Nach Lissitzkys Chad Gadya, an der er bis 1984 arbeitete. Für Stella markieren diese Grafiken einen Wendepunkt hin zum ausdrucksvollen Gestus und der barocken Vielfalt, von denen seine späteren Arbeiten gekennzeichnet sind.

Der Michael Kohlhaas-Vorhang des Frank Stella

Von Friedhelm Denkeler,

Wenn ein Künstler und ein Ingenieur gemeinsam Kunst produzieren …

"Stellas Michael Kohlhaas-Panorama", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Stellas Michael Kohlhaas-Panorama, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Der amerikanische Maler Frank Stella und der spanische Ingenieur Santiago Calatrava haben gemeinsam ein Kunstwerk geschaffen, das die Neue Nationalgalerie in Berlin, ein bisschen übersteigert vielleicht, als Weltpremiere vorstellt: The Michael Kohlhaas Curtain. Wie man auf meinem Photo sieht, hat das Werk im Obergeschoss einen hervorragenden Platz gefunden.

Im Zentrum der Halle steht das kraftvolle, leuchtende Monumentalbild von Frank Stella aus dem Jahr 2008. Als Malgrund diente ihm eine 40 Meter lange Lastwagenplane. Stella ist seit dem Studium mit der deutschen Kultur vertraut, deshalb wählte er als Grundlage für das Bild Heinrich von Kleists Geschichte des Michael Kohlhaas. Stella malt rein abstrakt, deshalb muss man schon sehr viel Phantasie besitzen, um eine Geschichte zu erkennen.

Santiago Calatrava hat für das Wandbild eine feingliedrige Architektur aus Stahl entworfen, die das Bild zu einem ringförmigen Panorama in luftiger Höhe werden lässt. Man kann es von beiden Seiten betrachten, also auch aus dem inneren Ring heraus. Michael Kohlhaas, der Rebell griff zur Selbstjustiz und ging daran zu Grunde − in Stella/Calatravas Werk gibt es, bedingt durch das Rund-Panorama, aber weder Anfang noch Ende.

Die Kuratoren schreiben: »Grelle Plastikfarben, dynamische Muster und Strukturen durchbrechen die rigide Strenge des Mies van der Rohe-Baus. Kunst, Literatur und Architektur verbinden sich zu einer energetisch ausstrahlenden Installation, die jenseits aller Kategorien steht.«

Berühmt wurde Frank Stella mit den »Shaped Paintings« − ausgeschnittenen malerischen Formen, mit denen er in den Raum vorstößt. Fast immer sind die Arbeiten literarisch oder philosophisch begründet. Calatrava nimmt stets eine Form, oft eine tierische oder organische, zum Ausgangspunkt seiner Arbeit. Er schafft gleichfalls als Architekt filigrane Brücken und Bogenbauten, so z.B. in Berlin die Kronprinzenbrücke im Regierungsviertel.

Die Ausstellung ist noch bis zum 14. August 2011 in der Neuen Nationalgalerie zu sehen. Den zweiten Teil der Ausstellung, Frank Stellas Mappenwerk aus den 1980er Jahren Illustrations after El Lissitzky’s Had Gadya, das gemeinsam mit den Vorbildern, den Lithografien von El Lissitzky im Untergeschoss der Neuen  Nationalgalerie präsentiert wird, werde ich übermorgen vorstellen.

Vom undurchdringlichen Dschungel zu den Maschinenräumen der Moderne

Von Friedhelm Denkeler,

Thomas Struth: Fotografien 1978 − 2010 in Düsseldorf

Wenn mir jemand sagt, du bist Fotograf, dann ist das nur die halbe Wahrheit!

»Im Felsenmeer«, Foto © Friedhelm Denkeler 2009
»Im Felsenmeer«, Hemer, Foto © Friedhelm Denkeler 2009

Die Welt, na ja zumindest Europa, ist zu Gast in Düsseldorf − beim Eurovision Song Contest, den die Liebhaber natürlich weiterhin Grand Prix nennen. Dieser war aber nicht das Ziel meines Kurzbesuches in Düsseldorf, sondern die große Retrospektive von Thomas Struth (*1954) in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen im K20 am Grabbeplatz. Viel gehört und in Kultursendungen gesehen hatte ich schon über die Schau, aber meine Erwartungen wurden mit den gemäldeartigen Großfotografien alle übertroffen.

Während bisher lediglich einzelne Werkgruppen vorgestellt worden sind, gibt es in Düsseldorf und somit erstmals in Europa, einen repräsentativen Überblick über das Gesamtschaffen Struths zu sehen. Beide Hallen, die sehr hohe und schwierig bespielbare Grabbehalle und die riesengroße Kleehalle, die entsprechend der gezeigten Werkgruppen unterteilt ist, sind mit diesen Arbeiten im Großformat vorzüglich gefüllt und großzügig werden die folgenden Werkgruppen gehängt:

In der Grabbehalle finden sich Struths 2,5 x 3,5 Meter (sic!) große Urwaldbilder mit dem Titel Paradise aus den Jahren 1998 bis 2007 und seine eher klein-formatigen (60×80 cm) früheren schwarz/weißen Stadtbilder aus Städten wie Düsseldorf, New York, Paris, Rom, Neapel, Tokio, Chicago oder Shanghai aus den Jahren 1978 bis 1986.

 "Jahrtausendblick", Foto © Friedhelm Denkeler 2009
»Jahrtausendblick«, Foto © Friedhelm Denkeler 2009

In der Kleehalle sind Struths Museums-Fotografien (1996 bis 2001) aus den berühmtesten Museen der Welt, vom  Pergamon-Museum über den Louvre bis zum Art Institute of Chicago, seine Familienportraits (1996 bis 2008), die Fotos von Kultstätten (1995 bis 2003), wie der El Capitan im Yosemite National Park, der Mailänder Dom oder der Times Square in New York zu sehen, ebenso die Werkgruppe Audiences, in der Struth das Museums-Publikum beim Betrachten der Bilder beobachtet und eine neue Werkgruppe Industrieansichten aus den Jahren 2007 bis 2009, die technologische Spitzenleistungen, wie das Kennedy Space Center oder ein Trockendock in Island, zum Inhalt haben.

Thomas Struth hat zunächst Kunst bei Gerhard Richter und dann Fotografie bei Bernd und Hilla Becher studiert (1973 bis 1980). Seine erste Ausstellung hatte er 1978 im P.S.1 in New York, 1992 war er auf der documenta IX in Kassel vertreten und stellte als erster lebender Künstler im Prado in Madrid aus. Die aktuelle Ausstellung, die noch bis zum 19. Juni 2011 in Düsseldorf läuft, war vorher in Zürich zu sehen und wandert weiter nach London und Porto.

Mit der Eintrittskarte erhalten die Besucher zugleich einen kostenlosen Kurzführer durch die Ausstellung, der einzelne Fotos von Struth und Gemälde aus der Sammlung gegenüberstellt und in Beziehung setzt. Thomas Struth lebt in Düsseldorf und Berlin und arbeitet mit einer Großbildkamera der Marke „Plaubel“. In zwei noch folgenden Artikeln werde ich ausgewählte Werkgruppen ausführlicher vorstellen.

Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ist nicht nur im K20 am Grabbeplatz beheimatet, sondern auch im weiter entfernt gelegenen ehemaligen Ständehaus, genannt K 21, in der Ständehausstraße. Zwischen dem K20 und K21 gibt es einen von Mercedes-Benz gesponserten, kostenlosen Busshuttle. Ich nahm die Gelegenheit war, mir im K21 auch noch Ausstellung Intensif-Station − 26 Künstlerräume im Schnelldurchgang anzusehen.

Und auch dieser Besuch war sehr lohnenswert. Bereits der Fahrer des Busshuttles, Herr Hellmann, wies während der Fahrt sachkundig und kompetent auf die Besonderheiten der Ausstellung hin. So hinterließen  die Mitarbeiter, die Ausstellungsgebäude, das Ausstellungsdesign und die editierten Materialien und Kataloge einen hervorragenden Gesamteindruck von der Institution Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Leider war mein Besuch im K21 angesichts der dargebotenen Kunst viel zu kurz, vielleicht ergibt sich diesen Sommer noch ein weiterer Besuch, die Ausstellung läuft noch bis zum 4. September 2011. www.kunstsammlung.de

Du bist Landschaft, Wasser, Wetter und dein Spiegelbild

Von Friedhelm Denkeler,

»Roni Horn – Photographien« in der Kunsthalle in Hamburg

"Blick in die Ausstellung mit Roni Horns 'You Are The Weather', 1994-1996", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Blick in die Ausstellung mit Roni Horns »You Are The Weather«, 1994-1996, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Zuerst sehen wir Doppelportraits aus Island, d.h. Aufnahmen von heißen Quellen und blubbernden Erdlöchern in Gegenüberstellung. Roni Horn zeigt mehrmals zwei oder mehrere motivgleiche Bilder, um die Prägung und Veränderung der Motive im Laufe der Zeit darzustellen. Mit diesen Aufnahmen kündigt sie bereits ihr nächstes wichtiges Thema an: Das Wasser.

In der Arbeit Some Thames (2000), zeigt sie 80 verschiedene Gesichter der Themse in London mit ihren jeweiligen Stimmungen auf der Oberfläche des Flusses, von aufwühlend bis spiegelglatt, von innerlich bewegt bis leuchtend im Morgenlicht. Anhand der Reflexionen erkennt man, ob der Himmel blau oder grau ist, ob die Themse an einer Stelle schnell und an jener langsam fließt.

In der Serie You are the Weather aus dem Jahr 1995 (siehe mein Photo) nimmt die Amerikanerin mehrfach das Gesicht einer jungen Frau beim Bad in den heißen Quellen Islands auf, nur ihr Gesicht ragt aus der Wasseroberfläche heraus. Vor dem Hintergrund des blauen Wassers sehen wir an die 100 Nahaufnahmen mit minimal veränderten Gesichtsausdrücken, die wiederum ähnlich der Themse verschiedene Stimmungen widerspiegeln.

Die New Yorker Künstlerin Roni Horn (*1955) ist mit ihren Serien von Photographien, Zeichnungen, Objekten und Skulpturen international bekannt geworden. Sie lebt abwechselnd in New York und auf Island. Nach ihrer großen Einzelausstellung 2009 in der Tate Modern in London und im Whitney Museum in New York sind nun ihre Photographien, insgesamt elf Serien mit über 300 Arbeiten, erstmals in einer Einzelausstellung in Deutschland bis zum 15. August 2011 zu sehen.

DIE WELT fragt: »Ist Roni Horn, die eigentlich auf den Namen Rose getauft wurde und 1955 als Tochter jüdischer Eltern im New Yorker Schwarzenviertel Harlem geboren wurde, wirklich die große Poetin des Wassers und des Wetters, als die sie lange Zeit charakterisiert wurde? Oder ist sie nicht am allermeisten mit sich selbst beschäftigt und nutzt die gewaltige Landschaft Islands vor allem als Spiegel ihrer von Widersprüchen und Gegensätzen faszinierten Psyche? Diese Frage stellt sich zwangsläufig wer länger durch die Ausstellung geht, und kommt wahrscheinlich zu dem Ergebnis, dass auf Roni Horn beides zutrifft.« www.hamburger-kunsthalle.de

Schöne Unklarheiten und Irritationen in Malerei und Photographie

Von Friedhelm Denkeler,

»Unscharf. Nach Gerhard Richter« in der Hamburger Kunsthalle

Ja, kann man ein unscharfes Bild immer mit Vorteil durch ein scharfes ersetzen? Ist das unscharfe Bild nicht oft gerade das, was wir brauchen?
Ludwig Wittgenstein

"Hamburger Kunsthalle mit 'Kleiner Zyklop' von Bernhard Luginbühl, 1929", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Hamburger Kunsthalle mit »Kleiner Zyklop« von Bernhard Luginbühl, 1929″, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Die Besucher und die Räumlichkeiten — alles war im Hubertus-Wald-Forum der Hamburger Kunsthalle scharf zu sehen, nur die Kunstwerke waren unscharf. Hilfe, ich sehe unscharf! konnte ich nur noch ausrufen, in Anspielung auf den Schriftsteller Harry Block, der in Woody Allens Komödie Harry außer sich aus dem Jahr 1997, plötzlich in Unschärfe versinkt. Ohne die Filmstreifen und Fotografien mit ihren Weichzeichnungen und dem Out of Focus hätte die Unschärfe in der Malerei nicht die Bedeutung und Verbreitung gefunden, die sie scheinbar heute hat.

In der Gruppenschau Unscharf. Nach Gerhard Richter mit 110 Werken von 24 jüngeren Künstlern ist zu sehen, welche Auswirkungen das Vorbild Richter (siehe meine Ausstellungsbesprechung hier) bei einigen Künstlern bis heute in den Medien Malerei, Photographie, Installation und Video ausgelöst hat. Die meisten Künstler waren mir bisher nicht bekannt, außer Anna und Bernhard Blume, David Armstrong (siehe hier das Titelbild der Ausstellung), Ernst Volland (siehe hier) und natürlich Gerhard Richter, der auch hier mit 20 Werken vertreten ist.

"Selbst im 'Out of Focus. Part One. New York City' von Nicole Hollmann", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Selbst im »Out of Focus. Part One. New York City« von Nicole Hollmann“, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Zu sehen ist eine vielfältige Bilderwelt der Unschärfe, die faszinierend und verführerisch ist. Das ist aber auch das Problem — vielen Werken scheint es nur um die bildnerischen Effekte zu gehen. DER SPIEGEL urteilt in der ihm eigenen kryptischen Art: »Unschärfe als Methode und Unschärfe als Wirkung. Unschärfe ist das ästhetische Äquivalent zu Langstreckenflügen, Hybridantrieb und geschäumter Milch. Unschärfe wirkt besonders passend in einer Zeit, die von Gleichzeitigkeit geschüttelt, von der Allanwesenheit getrieben, von Netzwerken durchwachsen ist.«. Die Ausstellung ist noch bis zum 22. Mai 2011 in der Hamburger Kunsthalle zu sehen

Gerade Straße oder Umweg, das ist hier die Frage

Von Friedhelm Denkeler,

»Nicht auf der geraden Straße, sondern auf den Umwegen findet man das Leben«, gefunden in Bern, Foto © Friedhelm Denkeler 2010
»Nicht auf der geraden Straße, sondern auf den Umwegen findet man das Leben«, gefunden in Bern, Foto © Friedhelm Denkeler 2010
Anmerkung zur Kategorie »«

In dieser Kategorie erscheint am ersten Tag eines Monat öfter ein bildlich umgesetzter Post mit einem Zitat. Das kann eine Photographie mit einem Spruch sein oder ein Bild, das grafisch mit dem Zitat des Monats gestaltet wurde.

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Ich kaufe keine Photos!

Von Friedhelm Denkeler,

Gerhard Richter – Bilder einer Epoche im Bucerius Kunst Forum in Hamburg

"Gerhard Richters 'Familie Schmidt' unscharf fotografiert", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Gerhard Richters Familie Schmidt unscharf fotografiert«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Der Kölner Galerist Rudolf Zwirner hat, einer Anekdote nach, Ende der 1970er Jahre dem Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin das Werk Ema (Akt auf einer Treppe) von Gerhard Richter aus dem Jahr 1966 angeboten.

Die Antwort soll gewesen sein: Ich kaufe keine Photos. Auch wenn es nicht stimmen sollte, ist es doch ein wundervolles Bonmot, denn Richters großformatig gemalte Bilder sehen von weitem (oder in kleineren Abbildungen) auf den ersten Blick wie Photographien aus.

Und das kommt nicht von ungefähr. Richters Werke sind nach gefundenen, öffentlichen aus Zeitungen und Magazinen entnommenen und auch selbstgeschossenen Photos gemalt. Mit Hilfe eines Episkops überträgt er die Konturen auf Leinwand und stellt sie mit der ihm eigenen Wischtechnik, meist in monochromen gräulichen Farben, dar.

Einen sehr guten Überblick über Richters Foto-Bilder erhalten Sie auf seiner Website hier. Die gesamte Ausstellung im Bucerius Kunst Forum besteht aus rund 50 Leihgaben deutscher und internationaler Sammlungen und ist noch bis zum 15. Mai 2011 in Hamburg zu sehen.

Richters Gemälde aus den 1960er Jahren haben inzwischen Kunstgeschichte geschrieben und gelten aus der Sicht eines Zeugen als Zeitbezug der Epoche, in der sich das Banale und das Böse begegneten. Wir sehen auf den Gemälden schnelle Autos, Freizeitvergnügen, Personen der damaligen Politik und Kultur, persönliche Erinnerungen und Gebrauchsgegenstände des Alltags, aber auch die Beschäftigung mit dem Tod und der Nazi-Vergangenheit. Aber Richter ist kein politischer Künstler, sondern ein Kunstmaler und die Ergebnisse seiner Arbeit sind anziehend und sehenswert.

Ein eigener Raum ist im Kunstforum Richters Zyklus 18. Oktober 1977 aus dem Jahr 1988 gewidmet. Die Leihgabe des New Yorker Museum of Modern Art besteht aus 15 Werken, die den Deutschen Herbst, den Tod der RAF-Mitglieder Ensslin, Baader und Raspe, zum Inhalt haben. »Der politische Gehalt dieser Bilder, den Richter abstreitet, überrascht das Publikum. Sein Malerkollege Georg Baselitz findet die Stücke peinlich. Die politischen Lager wissen nicht genau, auf welcher Seite Richter eigentlich steht. Die Presse weiß auch nicht so recht, was sie davon halten soll und bezeichnet den Zyklus als unfassbar schön, krass und banal – und zwar alles auf einmal«, so der Bayrische Rundfunk.