In den Ateliers der Pariser Künstler der 1920er Jahre
In meinem letzten Post habe ich bereits einleitend über die Photo-Ausstellung Brassaï – Im Atelier und auf der Straße berichtet. Heute möchte ich zunächst auf den Teil Brassaï – Im Atelier im Museum Berggruen, am Charlottenburger Standort der Nationalgalerie, näher eingehen. Hier hat man die einmalige Gelegenheit Brassaïs Photographien von Künstler-Freunden wie Picasso, Matisse, Giacometti, Laurens und Braque, gemeinsam mit ihren Werken und Arbeitsplätzen zu sehen.
Die Kuratoren haben Brassaïs Photographien geschickt zwischen die Gemälde und Skulpturen der Sammlung Berggruen eingestreut und verteilt über alle drei Stockwerke gehängt. Neben den Portraits von Brassaï lassen sich so die Werke der Sammlung wieder neu entdecken. Wunderbar das Portrait von Matisse mit seinem Modell aus dem Jahr 1939 (siehe oberes Bild): Auf der einen Seite die posierende Nackte und auf der anderen Seite, wie ein Arzt (oder wie Siegmund Freud) im weißen Kittel, der schüchterne Künstler – und als Spiegelung der neuzeitliche Photograph. Oder das Photo, auf dem Georges Braque im Jahr 1949 eine Kuh beschwört (siehe unteres Bild). Im Museum Berggruen kehren Brassaïs Photos zu den Werken ihrer Künstler zurück.
Brassaï war zunächst mit der Kunst, für die er eigens nach Paris gekommen war, nicht zufrieden. Er schrieb nach Hause: »Nun, die Kunst ist tot. […] Nicht nur in ihrer schöpferischen Kraft, sondern auch in den Augen und in den Seelen derjenigen, die sie wahrnehmen und brauchen.«
Die Kuratoren schreiben »Tatsächlich schien das Kunstleben Anfang der 1920er Jahre in der französischen Hauptstadt zu erlahmen. Die historischen Avantgarden hatten sich überlebt und der Surrealismus, dessen erstes Manifest 1924 erschien, steckte noch in seiner literarischen Anfangsphase. Umso attraktiver wurde für Brassaï das gesellschaftliche Leben – sei es in mondänen Kreisen, zu denen er über eine Freundin Zugang erhielt, sei es in Nachtclubs, Bordellen und auf der Straße.«
Aber bereits ein Jahr später konnte er seinen Eltern berichten »Meine Kunst ist vielleicht noch unsichtbar, aber sie existiert«. Und was ihm anfangs lediglich zum Broterwerb diente, geriet ihm zur Kunst. So wurde er zu einem Vorreiter der künstlerischen Photographie, er wurde Das Auge von Paris, wie ihn Henry Miller später nannte.
Viele dieser Fotografien wurden in der surrealistischen Zeitschrift „Minotaure“ publiziert; sie wusste den künstlerischen Charakter vermeintlich rein dokumentarischer Aufnahmen besonders zu würdigen, entsprach es doch dem Credo des Chefredakteurs und Hauptes der surrealistischen Bewegung André Breton in besonderem Maße, das Surreale nicht außerhalb, sondern in der Realität selbst zu finden und darzustellen. [Pressemitteilung]
Ich habe hundert Gesichter, um mich zu verstecken, und jeder kennt eine andere Maske von mir. Brassaï
Einige Daten zu Brassaï
1899 in der ungarischen Stadt Brassó (heute Brasov, Rumänien) als Guyla Halász geboren; 1920 Berlin, studiert an der Kunstakademie in Charlottenburg, hat Kontakt zu László Moholy-Nagy, Wassily Kandinsky und Oskar Kokoschka; zieht 1924 nach Paris, Lebensunterhalt mit journalistischen Arbeiten, illustriert mit Fotografien; nimmt 1929 das Pseudonym Brassaï (dt. aus Brassó) an und beginnt, selbst zu fotografieren: Auf seinen Streifzügen durch Paris entsteht die berühmte Arbeit Paris bei Nacht und erste Aufnahmen von Graffiti; fotografiert 1932 Alberto Giacometti, Pablo Picasso und deren Werke für die surrealistische Zeitschrift Minotaure; 1933 ergeben über die „Minotaure“ Kontakte zu André Breton, Salvador Dalí, Henri Laurens, Georges Braque, Henri Matisse, die er in ihren Ateliers fotografiert; ab 1937 arbeitet Brassaï für die amerikanische Zeitschrift Harper’s Bazaar; 1960er–1984: In Europa und den USA finden Ausstellungen zu Brassaïs Werk statt; 1984 stirbt Brassaï in Beaulieu-sur-Mer an der Côte d’Azur und wird auf dem Friedhof Montparnasse beerdigt.