Berichte aus Berlin von Friedhelm Denkeler zu Photographie und Kunst
Friedhelm Denkeler
Seit 1968 lebt und arbeitet Friedhelm Denkeler in Berlin. Neben seiner Technischen Ausbildung an der Beuth-Hochschule Berlin hat er an der »Werkstatt für Photographie« in Berlin-Kreuzberg und als Privat-Schüler von Michael Schmidt seine Fotografische Ausbildung erhalten. Seit 1978 stellt er freie fotografische Arbeiten in Form von Portfolios und Künstlerbüchern her.
Die in der Presse hoch gelobte Ausstellung Martin Kippenberger: sehr gut | very good im Hamburger Bahnhof stand auf dem Programm. Heute zeige ich vorab ein Foto, das mit Hilfe einer Bodeninstallation von Kippenberger entstanden ist. Diese unbetitelte Arbeit von Martin Kippenberger entstand 1976 in Berlin. Er schuf sie für die befreundete Mode-Designerin Claudia Skoda. Aus 1.300 Schwarzweiß-Kopien von Fotografien entstand eine Collage für den Boden in Skodas Kreuzberger Loft. Der Boden wurde anschließend versiegelt und diente als Laufsteg bei Modeschauen.
Die Collage besteht aus Alltagsszenen der Kreuzberger Modewelt, aus Stadtansichten, Detailaufnahmen von Skodas Strickkleidern, Model-Porträts, Fußboden-Kacheln und durch das Autofenster aufgenommenen Straßenszenen. Skoda verließ 1982 das Loft; die neuen Mieter deckten die Collage mit Bodenplatten ab und sie geriet in Vergessenheit. Während der Sanierung des Hauses konnte die Arbeit 2003 gerettet werden. 1.087 Fotografien wurden restauriert und auf Aluminiumplatten aufgezogen. Entsprechend der ursprünglichen Absicht kann man auch im Hamburger Bahnhof das Werk betreten – allerdings mit Filzpantoffeln.
Kunst wird ja sowieso immer erst im Nachhinein betrachtet… Ich würde sagen, 20 Jahre ist der Zeitraum. […] Was dann die Leute noch von mir erzählen oder nicht erzählen werden, entscheidet. Ob ich gute Laune verbreitet habe oder nicht. Und ich arbeite daran, dass die Leute sagen können: Kippenberger war gute Laune! [Martin Kippenberger]
Horst Hinder – ein Künstler wider Willen. Ausstellung in der Wandelgalerie des „Berlin Marriott Hotel“
Das Berlin Marriott Hotel am Potsdamer Platz zeigt in seiner Wandelgalerie für die nächsten zwei Monate fotografische Arbeiten von Horst Hinder. Hinder, der seit über 25 Jahren in Berlin lebt und arbeitet, hat die Stadt fotografisch auseinander genommen und Quadrat für Quadrat wieder neu zusammengesetzt (siehe Die Quadratur der Stadt und 3 × Berlin – Fotografische Arbeiten im Bayer-Haus). Direkt neben der Wandelgalerie schließt sich die Wandelbar an; sie machte ihrem Namen bei der Vernissage alle Ehre und wandelte sich nach den Eröffnungsreden in ein kulinarisches Eldorado.
Der Philosoph und Schriftsteller Reinhard Knodt stellte vor über 70 geladenen Gästen seine Betrachtungen zu den Arbeiten von Horst Hinder vor, die ich im Folgenden wiedergeben möchte.
Philosophen und Galerieredner
Philosophen unterscheiden sich grundlegend von Kunstwissenschaftlern, die sich ansonsten gern als Galerieredner betätigen. Der Kunstwissenschaftler, sei er Kunsttheoretiker oder Historiker weist vom aktuellen Ausstellungsgegenstand weg auf andere Werke. Er könnte im vorliegenden Fall etwa darauf hinweisen, dass Gerhard Richter in den 90er Jahren auch schon Arbeiten wie die von Horst Hinder gezeigt hat. Vielleicht erläutert er dann auch Unterschiede oder stellt Beziehungen zu anderen weiteren Stationen der Fotografie- oder Malereitradition her. Er denkt also vom Kunstwerk weg hin auf eine Tradition, die das Publikum zu kennen hat und an der er sein Urteil bildet.
Der Philosoph macht einen entgegengesetzten Versuch. Er lenkt den Blick vom Alltäglichen, bzw. von traditionellen Sicht- und Urteilsweisen oder auch historischen Erfahrungen hin auf das Phänomen der vor seinen Augen stehenden Arbeiten. Er vergleicht nicht. Er wird eher zu bestimmen suchen, was diese Arbeiten „als Kunst“ sind oder sein wollen. Insofern ist er auch eher der Freund des Künstlers und weniger sein Kunstrichter. Er ist im Idealfall der kongenial agierende Begriffsfinder, der davon ausgeht, dass ein Kunstwerk unvergleichlich ist und in diesem Sinne auch eher auf ein Prinzip oder auf eine Wahrheit hinweist als etwa Anlass zu einer Platzbestimmung in der Tradition oder einer Qualitätshierarchie zu sein. In diesem Sinne nähere ich mich der Sache gewissermaßen von außen – nehmen wir zunächst die Titel.
Die Titel der Bilder
Die Arbeiten Horst Hinders haben bemerkenswerte Titel. Sie heißen „3 mal 3“, „5 mal 5“, „10 x 10“, usw. Man kann sich anhand der Titel sozusagen ausrechnen, wie viele Bildfelder eine Arbeit hat, und das sind dann manchmal auch beachtlich viele, in einem Fall immerhin über 2800. Die Bilder unterscheiden sich auch nicht durch ihre Titel. „3 x 3“ gibt es zehnmal. „4 x 4“ zweimal, usw. Daneben existieren noch drei eher spielerische Varianten. Eine heißt „Der junge Herr Bergmann“, also Bilder der Bergmannstrasse, die tatsächlich zusammen schemenhaft den Eindruck eines jungen Mannes erkennen lassen, die aber auch „7 mal 7“ heißen könnten.
Diese abstrakten Bezeichnungen stellen eine Art semantische Verweigerung dar. Sagen wir, es ist die Verweigerung des Themas. „Ich habe keine Botschaft“ sagte mir Horst Hinder auch, als ich vor einigen Tagen versuchsweise in diese Richtung fragte. Es ist klar, ein Titel wie „3 mal 3“ leitet nicht gerade zu einer vorschnell befriedigenden Interpretation.
Korrespondenz – Zwischen Willkür und Notwendigkeit
Die Arbeiten bestehen aus quadratisch montierten Details alltäglicher Fotografien der Stadt Berlin. Sie ordnen sich nicht willkürlich, sondern nach bestimmten Präferenzen, Valeurs, Strukturen und Themen, wobei ein zwischen Muster und Bildausschnitt changierendes Ineinander konkreter, also bild-inhaltlicher und abstrakter, bzw. formaler Eindrücke entsteht. Interessant ist, dass es kein greifbares Gesetz oder Prinzip gibt, nach dem sich eines dieser Quadrate an ein anderes fügt, obwohl sie sich jedes Mal, wie jeder zugeben wird, gut „fügen“.
Vielleicht ist es richtig, hier von „ästhetischen Korrespondenzen“ zu sprechen. Korrespondenzen sind genau jene Verbindungen, die einerseits nicht zwingend andererseits auch nicht wahllos sind. Man könnte von atmosphärischem „Arrangement“ sprechen – eine schöpferische, geschmackliche Zusammenstellung auf bestimmte Eindrücke und Wirkung hin. Ein gutes Beispiel für das Wort „Korrespondenz“ gibt übrigens die Pariser Metro. Dort sind die Fahrtrichtungen nicht wie hier in Berlin durch die Endstation bezeichnet, sondern durch die Correspondances, als die Stationen, zu denen man mit dieser oder jener Linie kommt und die aufgelistet unter den Linien stehen. Wer häufig die U-Bahn nutzt, weiß, dass man dabei von einem Ort im Netz zum anderen nicht nur auf eine Weise gelangen kann. Man kann vielmehr verschiedene Routen kombinieren um zum Ziel zu kommen. Man muss sich dabei nicht sklavisch an ein Schema halten. Andererseits darf man aber auch nicht zu willkürlich verfahren, sonst kommt man nie an.
Dies lässt sich übertragen. Horst Hinders Auswahl der einzelnen Bildquadrate erscheint „zwingend“ nur in einem ästhetischen Sinn, der von der Gesamtwirkung aus bestimmt werden könnte. Ansonsten – also nur aufgrund der Linien oder Farben der Einzelquadrate ließe sich kaum darauf schließen, warum dieser oder jener Bildrand genau an jenen stoßen sollte und nicht an einen anderen.
Die Ergebnisse dieser arrangierenden Arbeitsweise unterscheiden sich. Manche der kreierten Tafeln erinnern an den analytischen Kubismus. Nr. (9) könnte geradezu Feininger zum Vorbild haben, wenn es ein Gemälde wäre. In einigen anderen soll augenscheinlich die grafische Dimension der Architektur dieser Stadt besonders verstärkt und ins Licht gehoben werden; in einem weiteren Fall sehen wir vier Quadrate, die eher nostalgische Straßenszenen darstellen, durch regnerische Scheiben, die aber durch einen Rahmen zwölf weiterer Quadrate „gerahmt“ sind, welche nur Mauerdetails darstellen. Das Ganze ist ein Zusammenhang, d.h. die vier inneren Quadrate fallen gegen den Rahmen nicht besonders auf. Nur im zweiten Hinsehen bemerkt man, was hier konzipiert wurde.
Verbindungen, die nicht beliebig, aber auch nicht notwendig sind und dennoch einen bedeutsamen Zusammenhang herstellen, bezeichne ich schon seit einiger Zeit versuchsweise als „ästhetische Korrespondenzen“ (Vgl. Reinhard Knodt, Ästhetische Korrespondenzen, Reclam Stuttgart 1993). Wenn man will, ist jede Verbindung eine „Korrespondenz“, die nicht durch Kausalität, durch Parallelität, Kontrast oder Ähnlichkeit allein veranlasst ist, die aber auch nicht willkürlich ist.
Korrespondenzbeziehungen sind gewissermaßen etwas zwischen diesen Polen der semantischen Nichtigkeit und Triftigkeit. Nicht ganz willkürlich, aber auch nicht wirklich notwendig – im Ganzen aber zwingend, so dass oft eine Kleinigkeit, die anders ist, stören würde. Korrespondenzen sind Beziehungen, die uns nie ganz zufriedenstellen, die aber auch nie aufhören uns zu neuem Einsatz zu reizen. In einem erweiterten Sinne könnte man von so etwas wie von einem Gespräch oder von der Liebe zwischen den Dingen reden, so wie ja auch eine Liebesbeziehung nichts Zwingendes aber eben auch nichts völlig Beliebiges hat.
Es ist nicht leicht, von „einer“ Korrespondenz zu reden, da bei jedem versuchsweise klar isolierbarem Phänomen ganz offenbar nach wie vor immer vieles zugleich „mitspielt“. Wohl aber kann man doch davon ausgehen, dass es die Korrespondenz gibt, also eine letztlich schöpferische „lebendige“ Beziehung zwischen den Dingen, den Menschen und natürlich auch zwischen Dingen und Menschen, die durch Wissenschaft, nicht eingeholt werden kann. Diese Beziehung ist von Horst Hinder zu Recht dadurch bezeichnet, dass er keine Themen nennt, die er abbildet, sondern dass er „drei mal drei“ sagt oder „vier mal vier“, wenn er also auf die Mathematik des Miteinander anspielt, weswegen er aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich ein Künstler ist, auch wenn er es immer wieder gern bestreitet.
Fazit
Die Arbeiten Hinders leben im Wesentlichen durch die ästhetischen Korrespondenzen, die die Fotoquadrate aufbauen. Seine Arbeiten haben keine banale Botschaft und er schützt sich auch vor einsinniger Interpretation. Sie sind vielmehr das Spiel zwischen Notwendigkeit und Möglichkeit selbst und bleiben daher auch im Auge des Betrachters vielfältig interpretierbar; eine Schwebe, die uns in den Bann zieht und die – nebenbei gesagt – auch besser in dieses Hotel passen würde als die Reproduktionen von Kennedy oder Marilyn Monroe, die hier ansonsten noch auf den Gängen hängen.
Der milde Gouda-Hase – Naturalismus oder Realismus?
Pünktlich zum ostersonntäglichen Frühstück schneit es mal wieder und der diesjährige Osterhase verbleibt sicherheitshalber in seiner Blisterverpackung.
Ein Tipp an meine Leser: Machen Sie doch einen Osterspaziergang in den Berliner Gropius-Bau. Noch bis einschließlich morgen ist dort die Ausstellung Michael Schmidt – Lebensmittel zu sehen. »Eine der zehn wichtigsten Ausstellungen dieses Jahres« urteilte der Deutschlandfunk anlässlich der Lebensmittel-Ausstellung im Museum Morsbroich 2012. Weiter heißt es: »Wenn man jetzt aber diesen Realismus, den er da pflegt, mal im Brechtschen Sinne deutet, der ja gesagt hat, Realismus ist nicht, wie die wirklichen Dinge sind – das wäre Naturalismus -, sondern wie die Dinge wirklich sind, dann trifft das auf Michael Schmidt zu.«
Ob der Gouda-Hase nun als essbarer Käse oder als reine Oster-Dekoration betrachtet wird, entscheiden wir zu gegebener Zeit. Frohe Ostern!
Von präzise gehängten Gurken, Fischköpfen, Wellpappen und Hackfleisch. Michael Schmidt in der Lebensmitte(l) im Gropius-Bau bis zum 01. 04.2013
Mein erster Eindruck von Michael Schmidts Zyklus »Lebensmittel« während der Vernissage am 11. Januar 2013 war zwiespältig: Will Schmidt den Besucher »hinters Licht führen« oder zeigt er uns den »Höhepunkt seines fotografischen Schaffens«? Erste Zweifel kamen im ersten Raum auf (sechs große Räume werden mit den Lebensmitteln bespielt):
Wir sehen fünf Fotos (54×80 cm) einsam an den vier Wänden hängen, davon zweimal Gurken im Karton (fast identisch), ein totes Schwein, ein abgeerntetes Feld und ein Bild auf dem außer Grau nichts erkennbar ist. Hm? Im zweiten Raum sehen wir dann sechs Fotos, 4 davon zeigen Menschen beim Ernten (von hinten). So geht es weiter bis zum sechsten Raum, in dem in einem wahren Crescendo dann 73 Bilder hängen, davon 44 in einem Tableau.
Durch den zweiten Besuch am Wochenende wurde Schmidts monumentale Arbeit, die zwischen 2006 und 2010 auf 30 Reisen in 70 europäische Betriebe der Lebensmittelindustrie entstanden ist, klarer. Nach seinen früheren Arbeiten Berlin-Wedding (1978), Waffenruhe (1987), Ein-heit (1996), Frauen (2000) und Irgendwo (2005), liegt nun die Arbeit Lebensmittel (2012) mit 177 Aufnahmen vor (davon sind 134 im Gropius-Bau zu sehen).
Schmidt scheint mit seinem neuesten Werk auf dem Höhepunkt seines Schaffens angekommen zu sein. Dabei spielt die Hängung, die Komposition im Gropius-Bau eine wichtige Rolle: Raum für Raum werden die Bilder, in Reihen gruppiert, dichter gehängt. Dabei tauchen verschiedene Motive, oft nur in geringen Abweichungen, mehrmals auf. Und zum ersten Mal hat Schmidt auch einige, meist monochrome Farbfotos, unter die Schwarzweiß-Aufnahmen gemischt. Sehr viele Bilder sind durch Nahaufnahmen, oft unscharf, entstanden. Dieses Abweichen von der konventionellen Fotografie hat schon ein leicht subversives Element, das dann beim flüchtigen Betrachten zu Irritationen führen kann.
Hackfleisch, Tomatenstiegen, abgeerntete Lauchzwiebelfelder, Vorhänge aus Spagetti, Kühe, Fischpumpen, endlose Anbaugebiete, eingeschweißte Hüftsteaks, Wellpappe, Verpackung (auf einer steht die Überschrift dieses Artikels), Schweine, Gewächshäuser, Maschinen, Förderbänder, abgetrennte Fischköpfe, Waschstraßen, Monokulturen, Etiketten und normierte Äpfel sehen wir vordergründig auf den Aufnahmen. Das Ganze ist aber als Gesamtkunstwerk zu sehen; es geht nicht um Einzelbilder, die oft eher belanglos sind, sondern um die Wechselwirkung zwischen den einzelnen Bildern, die eine neue, verdichtete Ebene erzeugt.
Schmidt zeigt keine drastischen Bilder und provoziert nicht mit Ekel bei der Herstellung der Lebensmittel. Die Herkunft der Bilder lässt auch keine Rückschlüsse auf Länder oder Fabriken zu und der Mensch kommt nur als Rückenfigur vor. Das kann man als Verlust von Verantwortung in der Lebensmittelproduktion sehen. Aber dieser politische Aspekt ist nicht das Anliegen von Michael Schmidt. Wenn, dann entsteht er im Kopf des Betrachters. Unabhängig vom Sujet wirkt bei mir in dieser Ausstellung die äußerst präzise Hängung als Gesamtkunstwerk, als ein Bild mit dem Titel Lebensmittel nach. Meine Begleitung, sonst nicht unbedingt ein Schmidt-Fan, zeigte sich jedenfalls beeindruckt.
In dem zur Ausstellung gehörendem Künstlerbuch, das von Schmidt selbst gestaltet wurde, ist diese Verdichtung naturgemäß nicht so einfach zu realisieren. Hier kommt es darauf an, die Doppel- und die Folgeseiten entsprechend zu gestalten. Dieses Konzept hat Schmidt bereits 1987 mit Waffenruhe, umgesetzt: Auch hier gab es das Künstlerbuch und die Präsentation auf der Wand. In der Ausstellung nimmt man die Bilder stärker gleichzeitig war, im Buch entsteht die Dramaturgie durch das Ansehen der Bilder hintereinander. Die Ausstellung geht deutlich über das Buch hinaus und man sollte sie sich deshalb unbedingt noch in dieser Woche ansehen: Am 1. April 2013 endet sie. www.gropiusbau.de
Finissage am 21. März 2013, 18 Uhr, im Bayer-Haus am Kurfürstendamm. Verlängerung der Ausstellung bis Ende Mai 2013.
So hatten sich die drei ausstellenden Fotografen bei der Planung den Finissage-Termin nicht vorgestellt. Statt zum Frühlingsanfang wird er nun mitten im tiefsten Winter und bei eisigem Ostwind stattfinden. Zum Trost wird die Ausstellung bis Ende Mai 2013 verlängert und am 21. März um 18 Uhr werden wir noch einmal durch die Ausstellung 3 × Berlin – Fotografische Arbeiten – Drei Ausstellungen auf vier Etagen mit Arbeiten von Horst Hinder, Berlin – zerlegt und collagiert, Friedhelm Denkeler Im Wedding, 1977, und Ralf Hasford Sitzenlassen in Berlin führen. Es wird einen Einblick in die verschiedenen Arbeitsweisen geben und bis 19 Uhr bleibt Zeit zum diskutieren. Danach sehen wir weiter!
Die Kunsthistorikerin Dr. Simone Kindler stellt im Katalog die drei Arbeiten ausführlich vor:
Berlin – zerlegt und collagiert
Horst Hinder, dessen Bilder in der dritten Etage ausgestellt sind, ist ein Fotograf, der mit großer Präzision seine Berlin-Aufnahmen am Computer in Kleinarbeit aus unzähligen quadratischen Bildausschnitten zu Collagen zusammenmontiert. An der linken Wand sind vier Arbeiten Horst Hinders ausgestellt, die wieder streng dem quadratischen Bildformat folgen. Zwei Bilder stammen aus der Serie „5×5“ und sind 2009 entstanden. Sie zeigen anonyme Häuserfassaden, neu zusammengesetzt, neu arrangiert und damit abstrahiert. In Bild „Nr. 04“ führt Horst Hinder die Abstraktion derart weit, dass das Bild malerische Qualitäten erhält. Die einzelnen Quadrate scheinen miteinander zu verschmelzen. So ist eine Form von Landschaftsmalerei aus Stein und Beton entstanden. Aber es gibt auch Brüche: durch eine Fensterfront oder ein Stück Brückenpfeiler. Dem gegenüber steht sozusagen im Bild „Nr. 05“ die Motivwahl der einzelnen Quadrate. Denn hier hat er nun Quadrate unterschiedlichster Fensterfronten zusammengesetzt und damit den Charakter einer technoiden Großstadtarchitektur evoziert. Ein Brückenübergang, eine Wendeltreppe oder eine Gaslaterne brechen jedoch auch an dieser Stelle den homogenen Eindruck auf.
Gegenüberliegend an der rechten Wand hängt ein großes Berlin-Porträt, das in seinem Bildmaß, 300 x 60 Zentimeter, und seiner Kleinteiligkeit, 2880 Quadrate wurden aneinandergefügt, außergewöhnlich ist. Hinder hat hier kleinste Bildausschnitte aus Stadtansichten zu einer großformatigen Collage zusammengefügt. Bis auf wenige Ausnahmen lässt sich der Entstehungsort aus Betrachtersicht nicht ausmachen. Dennoch ist jedes einzelne Motiv dieser Tausende kleinen Quadrate aus Berlin. Er montiert derart eine neue Stadtansicht: Aus etwas Entfernung zum Bild ist eine Landschaftsdarstellung mit Perspektive, Horizont und blauem Himmel zu erkennen und darin verwoben der Schriftzug: BERLIN. Dieser hält das Bild programmatisch zusammen, scheint das Gewimmel, die Vielfältigkeit und die überbordende Vitalität der Stadt zu vereinen und damit diesen unzähligen Stadtausschnitten in ihrer Farbintensität einen Rahmen zu geben.
Im Wedding, 1977
Friedhelm Denkeler präsentiert in der vierten Etage des Bayer-Hauses seine fotografischen Stadtansichten aus dem Berliner Bezirk Wedding, nüchtern und objektiv, aber doch stets konkret verortet, sei es über ein Straßenschild oder schlicht den Bildtitel, der Bezug auf den fotografierten Ort nimmt. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind bereits in den späten 70er-Jahren entstanden. Zu dieser Zeit arbeitete Denkeler in der legendären Werkstatt für Photographie in Kreuzberg mit seinem Lehrer, dem Berliner Fotografen, Michael Schmidt. Die nun ausgestellten Fotografien produzierte Denkeler erstmals in den vergangenen zwei Jahren im Zuge der Digitalisierung seines umfangreichen Archivs und nun werden sie auch erstmals in dieser Ausstellung öffentlich gezeigt. Seine Motivwahl im Wedding war spontan und eine Auswahl erfolgte erst bei der jetzigen Produktion.
In der Wedding-Serie hat der Fotograf stimmungsvolle Stadtporträts eines nahezu fast verschwundenen Berlins eingefangen, die in ihrer Historizität aufgeladen sind mit nostalgischer Melancholie. Denkeler fokussiert dabei sowohl bekannte geschichtsträchtige Ort, wie die in der Arbeit „Bornholmer Brücke“, ehemals der bekannte Grenzübergang zwischen Ost- und Westberlin, oder den Zeitschriftenladen mit dem Schriftzug „Spandauer Volksblatt“, einer ehemals populären linksliberalen Berliner Tageszeitung, die heute in kleiner Form als Lokalausgabe der Berliner Woche einmal wöchentlich erscheint. Aber auch anonyme, nicht mehr existierende Häuserfronten sind, wie namenlose Porträts der Stadt, ausgestellt. Reduktion ist das bestimmende Stilmittel des Fotografen Denkeler, die Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind frei von Inszenierungen, sie zeigen einsame, nahezu menschenleere Plätze, Landschafts-, Straßen- und Häuseransichten. Es sind stimmungsvolle Dokumentationsaufnahmen eines Berlins, dessen morbider Charme durch die Nachkriegsarchitektur, die Kohlehandlungen („Der Mann mit dem Koks ist da“) und Lichtspielpaläste („Kristallpalast“) einen wichtigen Aspekt der Berliner Atmosphäre, des Wedding, ins Bewusstsein ruft. Denkeler ist weder ein sozialkritischer Dokumentarist noch ein neutraler Chronist. Und dennoch thematisieren seine Bilder die Berliner Historie auf eine Art, die den unwiederbringlichen Aspekt von Vergänglichkeit eindringlich vor Augen führt.
Ralf Hasford beschäftigen in seinen künstlerischen Arbeiten immer sozial-politische wie religiös-mythische Themen. Ein bestimmendes Motiv der gezeigten Arbeiten ist die Sitzbank, die seit 2005/06, künstlerisch gesehen, sein „ständiger Begleiter“ ist: in Paris, Venedig oder eben immer wieder in Berlin.
In dieser Ausstellung präsentiert Hasford einige dieser Berliner Bänke. Interessant ist der Ort, an dem sie steht, ihre Beschaffenheit, das verwendete Material, und ihre Qualität, ihr Sitzkomfort. Damit verbunden sind sozial-politische Fragen wie „Wo lasse ich jemanden sitzen“ respektive „nicht sitzen“ und ganz persönliche des „Sitzengelassen-Werdens“ wie die allgemeinen Frage „Bin ich hier überhaupt willkommen?“. Die fotografierten Sitzbänke stehen in Parks wie dem Lustgarten, in betriebsamen Straßenzügen wie der Kantstraße oder auf Friedhöfen wie in Schöneberg.
Die Bänke scheinen herausgehoben aus ihrer ursprünglichen Umgebung. Dennoch weist Hasford im Titel entweder durch Straßen- oder Bezirksnamen wie „Kantstraße exklusiv“ auf den jeweiligen Standort in Berlin hin. Der Künstler setzt sich intensiv mit dem einzelnen Motiv und damit dem einzelnen Werk auseinander, plant alles im Detail. Zuerst fotografiert Hasford das ausgewählte Motiv vor Ort, am Computer retuschiert er später alle für ihn uninteressanten Elemente aus den Bildern weg. Danach wird das bearbeitete Bild mittels digitaler Drucktechnik auf den Bildträger – vorkoloriertes Pappmaschee – aufgebracht. Hasford konzipiert bereits vorab, nachdem die Fotografie am Computer bearbeitet wurde, in welchen Farben die einzelnen Partien des Pappmaschees pigmentiert werden. Interessant ist zudem sein Umgang mit dem inneren Bildrahmen. Hasford umgibt einerseits das Motiv mit einem weißen Rahmen, um diesen andererseits gleichzeitig wiederholt zu überschreiten und zu durchbrechen, ein bewusstes Überschreiten selbstgesetzter Grenzen, das Dynamik im Bild erzeugt.
Durch Verfremdung und Akzentuierung fordert Hasford den Betrachter auf, individuell seinen eigenen Kontext zu den unterschiedlichen fotografierten Orten zu schaffen. Mitunter akzentuiert durch politische wie religiöse ikonografische Hinweise, wie bei den Bildern „Deutsche Teilung“ oder „Flucht bei Nacht“. Er spricht damit unter anderem ihm wichtige politische und historische Themen an, die mit der deutschen Geschichte verbunden sind.
Die Ausstellung wird bis Ende Mai 2013 verlängert und ist von Mo-Fr 8-19 Uhr im Bayer-Haus am Olivaer Platz, Kurfürstendamm 179, 10707 Berlin zu sehen.
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Ein rauchender Bergmann, ein Weddinger Hufschmied und eine Kutschenbank. Künstlerführung am 1. März 2013, 15 Uhr, in der Ausstellung im Bayer-Haus.
Am 1. März 2013 um 15 Uhr werden die drei Fotografen durch ihre Ausstellung 3 × Berlin – Fotografische Arbeiten – Drei Ausstellungen auf vier Etagen mit Arbeiten von Horst Hinder, Berlin – zerlegt und collagiert, Friedhelm Denkeler Im Wedding, 1977, und Ralf Hasford Sitzenlassen in Berlin führen, einen Einblick in ihre Arbeitsweise geben und mit den Anwesenden diskutieren. Die Ausstellung ist von Mo-Fr 8-19 Uhr im Bayer-Haus am Olivaer Platz, Kurfürstendamm 179, 10707 Berlin zu sehen.
Die Kunsthistorikerin Dr. Simone Kindler beschreibt die Ausstellung im Katalog zur Ausstellung so:
In den folgenden Wochen zeigen die drei Berliner Fotografen Horst Hinder, Friedhelm Denkeler und Ralf Hasford im Bayer-Haus drei unterschiedliche Blicke auf Berlin. Berlin ist vital, bunt und laut, aber auch nüchtern, grau und still. Obwohl die einzelnen künstlerischen Auseinandersetzungen mit Berlin große stilistische Unterschiede aufzeigen, vereint die Arbeiten unter anderem, dass die gezeigten Motive nicht die bekannten Postkartenhighlights Berlins sind, sondern zumeist unvertraute Orte, mit denen sich die Fotografen intensiv beschäftigt haben. Während Horst Hinder in seinen Collagen viele Aspekte des aktuellen Berlins vergegenwärtigt, zeigt Friedhelm Denkeler seine historischen Schwarz-Weiß-Fotografien aus dem Wedding der 70er-Jahre und präsentiert Ralf Hasford aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgehobene Berliner Sitzbänke aller Couleur. Farbige Fotografie-Collagen, Schwarz-Weiß-Fotografien und Pappmaschee-Fotografie-Collagen, sie alle interpretieren die Stadt Berlin auf ihre jeweils ganz individuelle Art.
In der zweiten Etage des Bayer-Hauses zeigen die drei Fotografen zu Beginn der Ausstellung gemeinsam ihre Bilder. Horst Hinder präsentiert an der linken Wand vier einzelne Arbeiten aus seinen Collageserien. Die quadratisch konzipierten Bilder „Berliner Pflaster Nr. 4“ und „Rauchender Bergmann“ sind jeweils zusammengefügt aus Einzelaufnahmen des Bodenpflasters in der hinteren Bergmannstraße in Kreuzberg. Beide Arbeiten thematisieren das Berliner Alltagsleben, die Menschen, die über das Pflaster gehen, fahren, ihre Zigarettenkippe fallen lassen und den Berliner Marathon, wie der dreilinige blaue Marathonstreifen belegt. Die beiden anderen Arbeiten „5×5“ (2009) und „10×10“ (2010) bilden vielfarbige Mosaike, in denen Linien und Flächen dominieren und die einzelnen Quadrate zu einer bewegt-dynamischen Farbfläche verschmelzen.
An der rechten Wand zeigt Friedhelm Denkeler vier Schwarz-Weiß-Fotografien aus seiner Serie „Im Wedding“, aufgenommen in den Jahren zwischen 1977 und 1978. Es sind Häuser und Orte wie der „Weddinger Hufschmied“ oder das „Humboldt-Eck“, die so nicht mehr existieren. Mittels der Schwarz-Weiß-Fotografie erhalten Denkelers Aufnahmen einen bewahrenden Charakter. Sie sind Dokumente einer vergangenen Zeit, die den Gang von Geschichte vor Augen führen und derart Vergänglichkeit thematisieren. Der Fotograf unterstützt dies durch eine möglichst reduzierte Aufnahmeart, er hält meist Distanz zum fotografierten Motiv und lässt damit Raum zwischen sich und dem aufgenommenen Objekt. Die Bilder verzichten auf dramatische oder anekdotische Inszenierung, was durch die Abwesenheit von Menschen unterstützt wird.
Ralf Hasford präsentiert mit der „Kutschenbank“ eine großformatige Arbeit (85 x 150 cm) aus dem Jahr 2006. Im Vordergrund ist deutlich die hervorgehobene gelbe Kutschbank zu sehen. Im Hintergrund erscheint das Deutsche Historische Museum mit dem berühmten Treppenturm des Pei-Baus. Hasford hat durch seine ausgefallene Montagetechnik das Museum aber nicht als Sightseeing-Highlight betont, sondern subtil das Thema Geschichte im Bild aufgegriffen. Zum einen durch die Kutsche als Reminiszenz an vergangene Fortbewegungsmittel und zum anderen durch das Deutsche Historische Museum als bekannten Ausstellungsort deutscher Geschichte. Zudem holt Hasford die Gegenwart – mit dem Fortbewegungsmittel unserer Tage – in der rechten unteren Ecke indirekt mit ins Bild: das Auto, denn zu sehen ist ein Autospiegel, in dem sich das Abbild des modernen Pei-Baus spiegelt.
Alle drei Berlin-Fotografen zeigen eine Stadt in Auseinandersetzung mit sich selbst, sie präsentieren weder Menschen noch deren Schicksale und Erlebnisse in Berlin, sondern alle drei Fotografen zeigen ihre Sicht auf Berlin als Stadt im Rekurs auf ihre aktuelle und vergangene Geschichte.
In 13 Tagen schließen sich die Pforten von C|O Berlin im Postfuhramt, so zeigt es heute die Count-Down-Uhr direkt über dem Eingang an (und auch auf der Website von C|O). Erst im Herbst öffnet die Galerie im Amerika-Haus wieder ihre Türen (siehe: Von der Mitte in den Westen).
Damit der Abschied leichter fällt hat der Künstler Robert Montgomery, direkt neben der imposanten Kuppel des Postfuhramtes an der Oranienburger Straße 35, eine Lichtskulptur mit dem Schriftzug All Palaces Are Temporary Palaces installiert.
Das trifft natürlich auf alle Paläste (und nicht nur diese) der Welt zu. Die Gebäude bleiben oft bestehen, aber mit dem Austausch des Inhalts, ändert sich die ursprüngliche Bedeutung. Wie wird es weitergehen?
Diese einfache Frage stellt sich Montgomery immer wieder und hier insbesondere im Angesicht des verfallenen Glanzes vom Postfuhramt. Sein leuchtender Text weist gleichzeitig auf vergleichbare Veränderungen im Stadtbild Berlins hin.
Robert Montgomery bezieht Stellung und setzt einem kühlen, entfremdenden Zeitgeist deutlich umrissene Visionen entgegen. [C|O].
Es ist eben nicht zu ändern: Unser Körper, unsere Wohnungen, unsere Flughäfen, unsere Museen – alles nur vorübergehende Orte … Ein Trost, eine Mahnung vielleicht, doch sicher auch Motivation, nach vorne zu schauen. [Tagesspiegel]
Zwanzig Jahre, nachdem der Film nicht fertiggestellt werden konnte, lief er heute Abend als Weltpremiere (außer Konkurrenz) auf der Berlinale. Jonathan Pryce, einer der damaligen Hauptdarsteller begleitete den mittlerweile 80-jährigen Regisseur George Sluizer in den Berlinale-Palast. River Phoenix, der während der Dreharbeiten verstarb, erwies sich auch posthum als ideale Besetzung für den, wie er sich selbst bezeichnete, Viertelindianer Boy.
Der Film wirkt, als wäre er in der Jetzt-Zeit gedreht. Nur gab es noch keine rettenden Handys. Die Berliner Zeitung schreibt dazu: »Aber das postapokalyptische Szenario des Films, der Zusammenstoß der weißen und indigenen Kultur, die Hilflosigkeit westlicher Arroganz wirken heute bedeutungsvoller, brisanter und aktueller als damals, als die Welt noch 20 Jahre jünger war.«
Für Sluizer muss es die Erfüllung eines Lebenstraums gewesen sein, diesen Film zu beenden. Von Krankheit geschwächt konnte er die Bühne nicht mehr betreten, sondern bedankte sich unten im Saal mit ergreifenden Worten für die Chance dieser Aufführung. Es gab stehenden Applaus.
Boy (River Phoenix), ein verwitweter junger Mann mit indianischen Wurzeln, lebt in einer durch Nukleartests verseuchten Wüste in den USA. Hier wartet er auf das Ende der Welt, umgeben von Voodoo-Puppen der Ureinwohner, die magische Kraft besitzen sollen.
In dieses Refugium brechen unerwartet Harry (Jonathan Pryce) und Buffy (Judy Davis) ein, die eine späte zweite Hochzeitsreise angetreten haben, um zu prüfen, ob ihre Ehe noch eine Zukunft hat. Als ihr Bentley streikt, bietet Boy seine Hilfe an. Doch dann beginnt er, die beiden wie Gefangene zu halten, weil er hofft, gemeinsam mit Buffy in eine bessere Welt hinüberwechseln zu können.
Nach dem plötzlichen Tod des Hauptdarstellers River Phoenix zehn Tage vor Abschluss der Dreharbeiten 1993 fiel das Filmmaterial zu Dark Blood an die Versicherung, die für den Drehabbruch aufkam. Jahre später konnte Regisseur George Sluizer das Material vor der endgültigen Vernichtung bewahren.
Im Januar 2012 begann er mit der Endfertigung seines Films, wobei er sich entschloss, die fehlenden Szenen im Off aus dem Drehbuch vorzulesen. Sein Film ist ein existenzialistischer Spätwestern von suggestiver Kraft, die nicht zuletzt von der Präsenz seiner am Rande des Todes balancierenden Hauptfigur ausgeht. [Quelle: Filmbeschreibung] www.berlinale.de
Einen Thriller über die Machenschaften der Pharmaindustrie gab es bisher auf der Berlinale nicht – zumindest im ersten Teil des Films schien es einer zu werden. Doch dann beginnt der Schwindel: Der beste bisher vorgetäuschte Selbstmord der Filmgeschichte mit Sicherheitsgurt und Airbag und ein vorgetäuschter Mord unter der Glücksdroge Ablixa, der wiederum ein echter ist.
Und wie war das noch gleich mit der Beziehung der Patientin zu ihrer Psychiaterin, die wiederum mit eigenen Pharma-Aktien Gewinn machen will? Der Mann der Patientin saß bereits wegen seiner Börsengeschäfte im Gefängnis und kam nach der Entlassung unter das Küchenmesser seiner Frau – ›gesponsert‹ von Ablixa oder von der Psychiaterin? Sollte dieser Text etwaige Nebenwirkungen haben, so ist das beabsichtigt. Fragen Sie dazu bitte den Regisseur.
Angstzustände, Schweißausbrüche, Herzklopfen machen Emily Taylor (Rooney Mara) das Leben zur Hölle. Dabei sollte sich die junge Frau eigentlich freuen, wird doch ihr geliebter Mann bald aus dem Gefängnis entlassen. Nach seiner Rückkehr verschlimmert sich ihr Gemütszustand jedoch zusehends. Die verschriebenen Psychopharmaka stabilisieren sie, führen aber zu geistigen Absenzen.
Eines Tages liegt ihr Ehemann brutal niedergestochen in der Wohnung. Die Blutspur führt zu Emily, die vorgibt, sich an nichts mehr erinnern zu können. Der aufstrebende Psychiater Dr. Jonathan Banks(Jude Law) nimmt sich ihres Falls an und untersucht dabei auch die Nebenwirkungen ihrer Medikamente.
Stets nutzt Steven Soderbergh das Genrekino, um politische Skandale oder gesellschaftliche Zustände zu beschreiben. In seinem Thriller Traffic (Berlinale 2001) zeigte er die Schattenseite der US-amerikanischen Drogenpolitik, nun untersucht er in einem Psychothriller die Machenschaften von Pharmakonzernen. Um die Wahrheit ans Licht zu bringen, muss sich sein Protagonist Banks nicht nur mit der zwielichtigen Psychiaterin Dr. Erica Siebert (Catherine Zeta-Jones) auseinandersetzen, sondern auch so manche bittere Pilleschlucken. [Quelle: Filmbeschreibung] www.berlinale.de
Ein wahrer Freund ist gleichsam ein zweites Selbst [Cicero, 44 v. Chr.]
Jafar Panahi erhielt 2006 den Silbernen Bären für seinen Film »Offside«. 2011 wurde er in die Jury der Berlinale berufen, sein Platz blieb leer. Er wurde vom Teheraner Regime zu einem 20-jährigen Berufs-, Sprech- und Reiseverbot und sechs Jahren Haft verurteilt (bis zum Ende der Berufung ist er unter Auflagen frei). Panahi gilt heute als einer der wichtigsten unabhängigen Filmemacher des Irans.
In seinem neuen Film »Parde«, den er eigentlich nicht drehen durfte, verarbeitet Panahi (zusammen mit dem Co-Regisseur Partovi, beide ›spielen‹ auch mit) seine aktuelle Situation, indem er mehrere Identitäten als Zweites Ich auftreten lässt:
Ein Drehbuch schreibender Mann (Kambozia Partovi), der alle Fenster mit schwarzem Stoff verhüllt, eine junge Frau (Maryam Moghadam) als Verkörperung des freien Denkens, die wieder Licht ins Haus lässt und abgehängte Bilder enthüllt (und später im Meer untergeht) und der Hund ›Boy‹ als Verfolgter des Mullah-Regimes, spielen die Hauptrollen.
Und plötzlich läuft Jafar Panahi persönlich durch das Bild; die Zuschauer klatschen spontan Beifall im Berlinale-Palast. So berichtet sein mutiger Film gleichzeitig sinnbildlich und konkret über die Gefangenschaft im eigenen Land und es ist gleichzeitig ein Werk über Mut und Hoffnung und Aufbegehren gegen die Unterdrückung.
Der Film gibt Panahi, unter Anwesenheit von Kulturstaatsminister Bernd Neumann, weltweit eine Stimme; mit einem Film den es eigentlich nicht geben dürfte und der hinter verschlossenen Vorhängen gedreht wurde.
Die Vielschichtigkeit der verschiedenen Ebenen hier wiederzugeben, würde den Rahmen sprengen. Der eigentliche Film findet im Kopf statt und was dies minimalistisch gedrehte Kammerspiel dort entfacht, ist enorm. Der bisher anspruchsvollste Film des Wettbewerbs.
Sie werden gesucht: der Mann und sein Hund, den er eigentlich nicht besitzen darf, da das Tier nach islamischen Geboten als unrein gilt. Die junge Frau, die an einer verbotenen Party am Ufer des Kaspischen Meers teilgenommen hat. Sie verbarrikadieren sich in einer abgelegenen Villa mit verhängten Fenstern und beäugen einander misstrauisch.
Warum hat er sich den Schädel kahl rasiert? Woher weiß sie, dass er von der Polizei verfolgt wird? Beide sind sie Gefangene eines Hauses ohne Aussicht inmitten einer bedrohlichen Umgebung. Aus der Ferne hört man die Stimmen von Polizisten, aber auch das beruhigende Rauschen des Meeres. Einmal betrachten die beiden nachts den Sternenhimmel, bevor sie wieder hinter die Mauern zurückkehren.
Ob man es hier mit Outlaws in mehrfacher Hinsicht zu tun hat? Oder sind der Mann und die junge Frau Phantome, Kopfgeburten eines Filmemachers, der nicht mehr arbeiten darf? Jetzt betritt der Regisseur die Szene, die Vorhänge werden wieder aufgezogen. Die Wirklichkeit erhält Einzug, doch wird sie von der Fiktion immer wieder eingeholt. Eine absurde Situation: Zwei Drehbuchgestalten suchen und beobachten ihren Regisseur. [Quelle: Filmbeschreibung] www.berlinale.de
Ihre Dialoge über die Liebe und das Leben, über Gott und die Welt begannen vor 17 Jahren: In Before Sunrise (1995) lernten sich der Amerikaner Jesse und die Französin Céline im Zug nach Wien kennen. Sie flirteten, philosophierten und argumentierten, während eines nächtlichen Spaziergangs durch die Stadt. Im Morgengrauen gab es am Bahnsteig das Versprechen eines Wiedersehens.
Doch erst neun Jahre später kreuzten sich ihre Wege in Before Sunset (2004) erneut. Die beiden verbrachten einen Tag in Paris zusammen, tauschten sich über ihre unglücklichen Beziehungen aus und entdeckten dabei ihre Gefühle füreinander aufs Neue.In Before Midnight erfährt man nun, dass Jesse und Céline damals zusammen geblieben sind. Mit ihren Töchtern verbringen sie den Urlaub in Griechenland. Und noch immer ist die Welt der Gefühle ihr favorisiertes Thema. Mittlerweile aber steht die eigene Beziehung auf dem Prüfstand, denn der Alltagstrott hat seine Spuren hinterlassen.
Wieder haben die Schauspieler das Drehbuch gemeinsam mit ihrem Regisseur entwickelt, wieder macht sich in den Dialogen das Leben breit, und wieder ist der Ausgang ungewiss: Kann eine romantische Nacht im Hotel die Liebe retten? [Quelle: Filmbeschreibung]
Wird es einen vierten Teil geben? Diese Frage musste natürlich auch in der morgendlichen Pressekonferenz kommen. Darüber will Richard Linklater frühestens in sechs Jahren nachdenken: »Wer kennt schon die Zukunft?«. Aber zunächst zum außer Konkurrenz laufenden dritten Film der Trilogie, der dieses Mal »Before Midnight« heißt.
Wie in beiden vorausgehenden Teilen geht es weniger um eine Handlung, sondern um Dialoge über Liebe, Sex, Beruf und Partnerschaft. Jesse (Hawke) und Celine (Delpy) kennen sich in der Trilogie seit nunmehr 18 Jahren, haben inzwischen Zwillingsmädchen, sind aber nicht verheiratet.
Eigentlich sollte es ein romantischer Abend in einem Hotel werden, die Kinder sind bei Freunden gut versorgt und die Nacht kann beginnen. Schlag auf Schlag hingegen folgen Rede und Gegenrede, aus harmlosen Andeutungen werden leidenschaftliche Grundsatzdiskussionen und der Abend droht mit einem ernsthaften Zerwürfnis zu enden. Eine Tür fällt ins Schloss.
Aber es ist Sommer in Griechenland; es gibt ein kleines Hafencafé und der nächste Tag hat noch nicht begonnen. Verlieben, Liebe, Leben. Davon handeln die drei Filme. Ob die Bilder im Hafencafé die letzten sein werden, wird sich zeigen. Schade, um ein Paar, das so schön streiten kann.
Um 1760 war die Säkularisierung noch weit weg und Denis Diderots Roman »Die Nonne« eine Kampfansage an die Kirche. Auch als 1966 Jacques Rivette den Diderot-Stoff verfilmte und in Cannes zeigte, gab es einen Skandal.
Heutzutage ist man versucht zu sagen, was hat das alles mit uns zu tun? Angesichts der bekannt gewordenen, sexuellen Übergriffe, die im Schutzraum der Kirche stattfinden, scheint das Thema doch sehr aktuell zu sein. Muss man aber heute, wenn man Frauen zeigt, die gegen Autoritäten rebellieren, unbedingt auf den Diderot zurückgreifen?
Dennoch, der Film bietet eine unerwartete Schönheit: Die Kamera fängt eine wahre Ästhetik wie in der Malerei ein: Halbdunkle Landschaftsbilder, karge klösterlichen Zellen, das Kerzenlicht, zeitlose Stillleben (die Schale Obst, der Teller mit Gebäck) und die reinen, ungeschminkten Gesichter der Novizinnen unter ihrer Nonnenhaube. Das kann man, wie die FR schreibt, auch als »visuelle Propaganda des Verzichts« sehen. Fazit: Ein zu langer (106 Minuten) und zwiespältiger Film, dessen Ästhetik angesichts der dunklen Machenschaften dennoch überirdisch schön ist.
Suzanne Simonin erzählt in Briefen ihre Lebens- und Leidensgeschichte: Als junge Frau wird sie von den Eltern gegen ihren Willen in ein Kloster gebracht. Sie soll Ordensschwester werden, da für eine standesgemäße Heirat die nötigen finanziellen Mittel fehlen.
Obwohl sie von einer gütigen und verständnisvollen Oberin in den klösterlichen Alltag eingeführt wird, bleibt ihr Freiheitsdrang bestehen. Als die Oberin stirbt, sieht sich Suzanne mit den Repressalien, Demütigungen und Schikanen der neuen Äbtissin und ihrer Mitschwestern konfrontiert. Für lange Zeit wird Suzanne Bigotterie und religiösen Fanatismus am eigenen Leib erfahren.
Denis Diderots Roman wurde bereits mehrmals verfilmt. Jacques Rivette drehte 1966 mit Anna Karina und Liselotte Pulver eine gewagte und kirchenkritische Adaption, die zeitweise von der französischen Zensur verboten wurde. Guillaume Nicloux konzentriert sich auf das Schicksal einer jungen Frau und auf ihren Kampf gegen ein unerbittliches System, das den Einzelnen zermalmt. Sein Film löst sich zunehmend aus den konkreten Umständen und wird zum zeitlosen Drama. [Quelle: Filmbeschreibung]
Gloria ist wie ein Bossa Nova – Schmerz, Lust, Harmonie. [Sebastián Lelio]
Dieter Kosslick hat eine Berlinale der starken Frauen angekündigt. Heute lernten wir zwei von ihnen kennen: abends Suzanne Simonin (gespielt von Pauline Etienne) in »La Religieuse« und am Nachmittag Gloria (gespielt von Paulina García) in dem chilenischen Film »Gloria«.
Mit Gloria hält das normale Leben Einzug in den Wettbewerb der Berlinale. Die Hauptdarstellerin Paulina Garcia hätte nach bisherigem Stand einen Silbernen Bären als beste Darstellerin verdient. Der alltäglichen Leere mit so viel Mut und Lebenslust zu begegnen; dem alternden Körper mit Witz und Phantasie entgegen zu treten, all das ist herrlich lebensbejahend inszeniert und gespielt.
Die wunderbare Schlussszene allein reicht für einen Preis bereits schon aus: »Mit einer charmanten Kombination aus Unsicherheit, Mut und Lebenslust« (FR) tanzt die 58-jährige Gloria nach Umberto Tozzis »Gloria«. Dafür und für den gesamten Film erhielt sie den größten, diesjährigen Beifall im Berlinale-Palast (bisher gab es eher reinen Höflichkeitsapplaus). Auf der Pressekonferenz ging es ähnlich zu: Paulina García erhielt Standing Ovations. Fazit: Unbedingt ansehen – wenn sich ein deutscher Kinoverleih findet.
Gloria ist 58 Jahre alt und geschieden. Die Kinder sind aus dem Haus, doch so ganz allein will sie ihre Tage und Nächte nicht verbringen. Dem Alter und der Einsamkeit trotzend, tobt sie sich gern auf Single-Partys aus, immer wieder auf der Suche nach dem schnellen Glück, das jedoch regelmäßig von einem Gefühl der Enttäuschung und Leere abgelöst wird. Bis sie Rodolfo kennenlernt, den sieben Jahre älteren ehemaligen Marineoffizier, mit dem sie sich eine romantische Liebesbeziehung, ja sogar eine dauerhafte Partnerschaft vorstellen kann.
Die Begegnung mit ihm wird für Gloria zu einer ungeahnten Herausforderung. Nach und nach sieht sie sich auch mit den verdrängten Geheimnissen ihres Lebens konfrontiert. Sebastián Lelio verdichtet seinen dritten Spielfilm zu einer Tragikomödie der fragilen Hoffnungen und schmerzlichen Gewissheiten.
Das Porträt einer starken Frau, die in den Strudeln widerstreitender Gefühle schließlich doch ihre Kraft und Souveränität zu behaupten weiß, entfaltet sich vor dem Hintergrund aktueller politischer Entwicklungen in Chile und bezieht auch die düsteren Kapitel in der Geschichte des Landes während der letzten 40 Jahre mit ein. [Quelle: Filmbeschreibung]
Berlinale (V): Thomas Arslan: »Gold« mit Nina Hoss, Uwe Bohm
Das scheint die Berlinale der großen Dramen zu werden: Das polnische Homosexuellen-Drama angesichts der Kirche, das amerikanische Öko-Drama, das russische Bauern-Drama und heute Abend ein deutsches Einwanderungs-drama in Kanadas Nordwesten. Nicht, dass der Film »Gold« für den Goldenen Bären vorgesehen wäre; nein, die sieben Protagonisten sind auf dem Weg nach Dawson City, um Gold im Klondike River zu finden.
Thomas Arslan zeigte in seinen bisherigen Filmen das Leben junger Deutschtürken. Jetzt hat er seinen ersten historischen Film gedreht und dieses Mal sind die Deutschen die Migranten, die Einwanderer. Die Probleme stellen sich ihnen erst im Umgang mit der Natur. So spielt der Film überwiegend in den Wäldern, den Steppen und Bergen Kanadas und wenn sie Probleme mit Menschen haben, dann nur mit sich selbst und untereinander.
Ein Gemeinschaftsgefühl kommt in der Einwanderertruppe gar nicht erst auf. Das einzig verbindende Element ist der Wunsch nach Gold. Jeder ist für sich und redet wenig – genau wie im Western. Da passt die schweigsame und auf minimalistische Mimik beschränkte Nina Hoss bestens hinein. Natürliche Hindernisse stellen sich ihnen in den Weg, menschliche Schwächen erschweren das Weiterkommen. Die eigentlichen Bewohner der Region, die Bären, tauchen nicht auf, aber es gibt eine Bärenfalle und in diese tappt ausgerechnet der Journalist Gustav Müller, gespielt von Uwe Bohm, der außerordentlichen Spaß an seiner Rolle hat, hinein.
Arslan sieht seinen Film nicht unbedingt als reinen Western, es sind aber alle Elemente eines typischen Western vorhanden: Ein Mann hat ein dunkles Geheimnis (und wird von zwei Männern gejagt), einer ist der Verräter (ausgerechnet der Anführer), einmal geht ein schwarzer Mann (der Tod?) wortlos durch das Lager (aber von West nach Ost), die gesamte Gruppe besteht aus sieben Personen (»Die glorreichen Sieben«, »Die Sieben Samurai«), die herrliche Landschaft spielt eine große Rolle, nur Indianer waren wenige anzutreffen, die zudem noch friedfertig waren und gegen Geld den richtigen Weg wiesen.
Am Ende eines Westerns reitet in der Regel immer ein einsamer, übrig gebliebener Mann, gegen Westen in den Sonnenuntergang, heute Abend war es eine Frau: Nina Hoss als Emely Meyer. »Wir sind hier, um Filmen zu dienen, nicht um sie zu bewerten«, sagte der chinesische Regisseur Wong Kar Wai am Eröffnungstag der Berlinale, deshalb mein ehrliches Fazit: Mir hat der Film gefallen.
Kanada im Sommer 1898. Eine Gruppe deutscher Einwanderer macht sich mit Planwagen, Packpferden und wenigen Habseligkeiten auf den Weg in den hohen Norden. In Ashcroft, der letzten Bahnstation, brechen die sieben Teilnehmer auf. Mit ihrem Anführer, dem großspurigen Geschäftsmann Wilhelm Laser (Peter Kurth), wollen sie ihr Glück auf den neu entdeckten Goldfeldern in Dawson suchen.
Sie haben keine Vorstellung davon, welche Strapazen und Gefahren sie auf der 2500 Kilometer langen Reise erwarten. Unsicherheit, Kälte und Erschöpfung zerren an den Nerven der Männer und Frauen. Die Konflikte eskalieren. Immer tiefer führt sie der Weg in eine bedrohliche Wildnis.
Die Helden und Heldinnen des Berliner Regisseurs Thomas Arslan sind immer in Bewegung. Man lernt sie bei ihren Gängen durch ihren Alltag und durch ihr Leben näher kennen: den Gangster Trojan aus Im Schatten (Forum 2010) oder auch die aus der Türkei stammende junge Deniz aus Der schöne Tag (Forum 2001) und nun Emily. So gefährlich der Weg durch unerschlossenes Land ohne zuverlässige Karten auch ist – einer Sache ist sich Emily ganz sicher (Nina Hoss): Eine Rückkehr in ihr altes Leben kommt nicht in Frage. [Quelle: Filmbeschreibung] www.berlinale.de
Gus Van Sant: »Promised Land« mit Matt Damon und Frances McDormand
Die Berlinale ist für ihre politischen Filme bekannt: Nachdem wir am Nachmittag einen Film über Homosexualität und Katholische Kirche gesehen haben, konnten wir vor dem Film »Promised Land« am Roten Teppich live die Demonstration einer deutschen Umweltgruppe gegen das »Fracking« erleben. Passend dazu gibt es am Samstag im Tagesspiegel den Artikel »Schwarz-Gelb will Fracking«“ erlauben. Aktueller geht es kaum.
Im Film wandelt sich Steve (Matt Damon), der Manager des Global-Konzerns, vom Saulus (fast) zum Paulus. Zunächst glaubt er an eine saubere, bessere (und reichere) Welt, die er den Farmern verspricht, wenn sie ihr Land an den Konzern verpachten und somit das Fracking erlauben würden. Das Geschäft läuft ganz gut an. Einwände werden als Spinnerei abgetan.
Nur der angereiste Umweltaktivist Dustin (John Krasinski) versucht, plakativ Stimmung gegen den Global-Konzern zu machen. Steve verliebt sich mittlerweile in die Lehrerin Alice, die aus der Stadt auf den Hof ihres verstorbenen Vaters zurück gekehrt ist. Sie und ein ehemaliger Mitarbeiter des MIT bringen Steve zum Nachdenken.
Das Ganze ist gut gemachtes, amerikanisches Kino, in dem der Held im Endeffekt doch der eigentliche Patriot ist. Matt Damon spielt glaubwürdig die Rolle als wachsender Zweifler an seinen eigenen Aussagen: „Ich bin kein böser Junge“ versichert er mehrmals. Zweifel am Umwelt-Aktivisten kommen trotz seiner Bruce Springsteen Karaoke-Einlage in der örtlichen Kneipe auf. Und das Ende ist dann auch ziemlich überraschend. Mir hat der kurzweilige Film gut gefallen. Meiner Begleitung weniger. Politisch korrekt allein ist ihr für die Berlinale zu wenig.
Steve Butler scheint eine große Karriere vor sich zu haben. Das versprechen ihm wenigstens seine coolen Chefs im edlen New Yorker Büro. In Wahrheit soll er das Unmögliche versuchen und mit seiner Kollegin Sue die Bewohner einer typischen amerikanischen Kleinstadt dazu bringen, die Förderrechte für das Erdgas unter ihrem Farmland an eine große Energiefirma zu verkaufen.
Mit der neuartigen Methode des Fracking sollen durch das Aufbrechen von Schieferschichten bislang unerreichbare Reserven tief in der Erde erschlossen werden. Butler überredet die Provinz-bevölkerung zur Aufgabe ihrer längst unrentabel gewordenen Farmen und verspricht märchenhafte Kaufpreise. Die Risiken der Fördermethode, bei der unkontrolliert gefährliche Chemikalien in den Boden gepresst werden, verschweigt er.
Doch er trifft auf Widerstand in der Bevölkerung. Zudem stellt ein Umweltaktivist bald das ganze Projekt in Frage. Steve, der selbst auf dem Land groß geworden ist und die Wahrheit kennt, muss sich entscheiden, auf welcher Seite er steht. Ist er Agent der Profit-interessen des Konzerns oder kehrt er zu seinen Wurzeln zurück? Ein Politthriller über einen ökologischen Gegenwartskonflikt.[Quelle: Filmbeschreibung]
Heute Abend wird die Berlinale mit dem Kung-Fu-Epos »The Grandmaster« von Wong Kar Wai, der gleichzeitig der diesjährige Jurypräsident ist, eröffnet. Der Film läuft außer Konkurrenz. Karten für den Eröffnungsfilm gelangen naturgemäß nicht in den freien Verkauf. Aber zu Ehren des diesjährigen Jurypräsidenten und weil der Film alsbald im Kino zu sehen sein wird, habe ich die Filmmusik aus Wong Kar Wais Film »2046« aus dem Jahr 2004 herausgesucht: Shigeru Umebayashi: »2046 Main Theme«.
Das Stück gehört zu meinen Lieblings-Filmkompositionen. Bevor Shigeru Umebayashi Filmkomponist wurde, war er der Frontmann einer japanischen Rockband. Es existiert noch eine weitere Version dieses Titels »2046 Main Theme (Rumba Version)«. Außerhalb Asiens ist Umebayashi hauptsächlich durch seine Zusammenarbeit mit Wong Kar Wai bekannt geworden.
In dieser Kategorie erscheint am ersten Tag eines Monat öfter ein bildlich umgesetzter Post mit einem Zitat. Das kann eine Photographie mit einem Spruch sein oder ein Bild, das grafisch mit dem Zitat des Monats gestaltet wurde.
Eine Übersicht über alle Artikel der Kategorie finden Sie unter »Zitat des Monats«.
Von Westfalen nach Berlin – Eine Stadt und ihr Photograph
Karl-Ludwig Lange gehört zu den wichtigsten Vertretern der Stadt- und Autorenphotographie. In dem neuen Film von Benjamin Ochse »Karl-Ludwig Lange – Der Photograph« (Produktionsjahr 2011/2012) erzählt er von seiner Entdeckung der Photographie zu Schulzeiten, berichtet über seine Ausbildung bei der Deutschen Presse Agentur, sein erstes verkauftes Bild in der Berliner Galerie Nagel, schildert seine Ansichten zur Photographie, benennt seine Vorbilder und beschreibt seine persönliche Sichtweise über Schwarzweiß- und Farb-Photographie und den Unterschied zwischen Malerei und Photographie.
Der aus Minden/ Westfalen stammende Karl-Ludwig Lange zog mit 17 Jahren nach Berlin (West), erhielt dort eine Ausbildung zum Photographen und arbeitete als Assistent bei der dpa und im Studio Will McBride (München). 1973 entstanden Langes erste freie Arbeiten. Es folgten: Gasometer Schöneberg, 1981, Neugotik in Berlin, 1982 – 1984, Berlin-Wedding, 1983 – 1984, Rekonstruktion Martin-Gropius-Bau, 1981 – 1986 und Märkische Ziegeleien. Nach 1990 erhielt er diverse Stipendien und Preise. Lange ist berufenes Mitglied der DGPh. Zahlreiche Ausstellungen und die Veröffentlichung von Fotobüchern folgten.
Einige ausgewählte Einzelausstellungen sind zu nennen: 1975 Galerie Nagel Berlin, 1984 Schloss Charlottenburg, 1992 Lebendiges Museum Berlin-Wedding, 1995 Kulturamt Berlin-Friedrichshain, 1997 Galerie in der Brotfabrik Berlin, 1999 Neuer Berliner Kunstverein Berlin, 2005 Berliner Mauer-Dokumentationszentrum Berlin , 2009 Max Liebermann Haus Berlin, 2010 Deutscher Bundestag.
Im Film werden während des Interviews Langes Photos aus den letzten 30 Jahren und Bilder anderer Photographen, auf die er sich inhaltlich im Gespräch bezieht, eingeblendet. Ausschnitte seiner Ausstellungseröffnungen und ein Besuch auf der Porta Westfalica (Kaiser-Wilhelm-Denkmal) in Minden runden das Portrait, das gleichzeitig eine Reise durch die Geschichte der Photographie ist, ab.
Den 53 Minuten langen Film »Karl-Ludwig Lange – Der Photograph« in Farbe/Schwarzweiß erhalten Sie online bei onlinefilm.de. Bei vimeo ist ein Trailer einsehbar. Die Website zum Film.
Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart in der Ausstellung »3 × Berlin – Fotografische Arbeiten« im Bayer-Haus
Gestern Abend wurde die Ausstellung 3 × Berlin – Fotografische Arbeiten mit den Werken von Horst Hinder, Ralf Hasford und Friedhelm Denkeler im Bayer-Haus am Kurfürstendamm eröffnet. Nach einer Einleitung von Horst Hinder machte der Philosoph und Schriftsteller Reinhard Knodt vor über 80 Gästen einige Anmerkungen zu den einzelnen Arbeiten. Knodt bezog sich nicht auf das Vordergründige, das man in den Bildern auf einen ersten Blick hin sieht, sondern versuchte das »Wahre Unsichtbare in der Kunst« [Kant], das sich erst nach und nach zeigt, darzustellen. Im Folgenden stelle ich seine Betrachtungen in Auszügen vor.
Zu Horst Hinder: »Berlin – zerlegt und collagiert«
Das Unsichtbare, aber grundlegend Wichtige in der Malerei, wie auch in der Fotografie, ist bekanntlich das Licht. Dass der Gesamteindruck eines Bildes sich aus kleinen Flächen oder sogar Punkten zusammensetzt, haben bereits die Impressionisten thematisiert (Monet, Renoir). Die mathematische Spitze dieser Auffassung stellt der Pointilismus dar (etwa Seurat) …
Nehmen wir die Fotografie, bzw. gehen jetzt einmal zu Horst Hinder über, dann fällt auf, dass er Hunderte von Einzelbildern zu größeren Einheiten zusammen-setzt, bzw. große Bildeinheiten und kleine, lichtpunktartige Fraktale ins Verhältnis bringt. Dieses Verfahren, könnte man strukturell mit einem Prinzip beschreiben, das René Descartes berühmt gemacht hat und das auch das leitende Prinzip der Moderne ist.
Descartes sagte: Wenn man ein komplexes Problem darstellen will (sagen wir Berlin), müsse man es in möglichst viele Teilprobleme zerlegen, diese Teilprobleme einzeln lösen und aus diesen Lösungen das Ganze wieder zusammensetzen. Die letzten dreihundert Jahre Europäische Geschichte leben von diesem Prinzip. Wir nennen es ‚Fortschritt‘ und wir hoffen, dass das Prinzip der Zerlegung und Zusammensetzung in Politik, Technik und auf anderen Ebenen eine Verbesserung der Verhältnisse ermöglicht.
Wir sind also bei aufkommenden Problemen sofort bereit, zu unterscheiden, zu zergliedern, Speziallösungen zu suchen aus denen unsere Welt dann, so hoffen wir, durch Vertrauen in die Zukunft sich verbessert. Jeder weiß, dass diese neuzeitliche Fortschrittshoffnung bzw. Zukunftssehnsucht uns heute gelegentlich fragwürdig vorkommt – man nennt dieses Phänomen Postmoderne. Horst Hinders Arbeitsweise spiegelt das … Daher würde ich Horst Hinder nach einem Schema, das ich jetzt vorschlage, als einen Künstler bezeichnen, der die Zukunftssehnsucht der Moderne ins Bild bringt – nicht symbolisch aber doch methodisch.
Bleiben wir beim Begriff der Sehnsucht und gehen zu Friedhelm Denkeler. Zwar möchte ich auch ihn als Sehnsüchtigen bezeichnen, seine Sehnsucht sollte man aber eher mit Nostalgie umschreiben, … also Heimweh, natürlich auch nach früheren Zeiten. Die Nostalgie wird in der fortschrittlichen Moderne etwas abfällig als Schwäche beurteilt. Gleichwohl ist sie eine starke Form der Sehnsucht, ja sogar eine wichtige Atmosphäre, ohne die es kaum Kunst oder Feste gäbe …
Das klingt banal, aber das sollte man nicht außer Acht lassen, wenn man sich mit nostalgischen Szenerien beschäftigt, selbst, wenn wir ahnen, dass wir manchen Dingen der Vergangenheit vielleicht zum Glück entkommen sind – was besonders für Berlin zutrifft. Auch die Technik der Schwarzweißaufnahme führt uns in die Vergangenheit … Die 35 Jahre alten Fotos Denkelers machen einen Aspekt deutlich, den man mit dem Anthropologen Roland Barthes als das »Palimpsest der Stadt« bezeichnen könnte.
Ein Palimpsest war im Mittelalter ein altes Pergament, das abgeschabt und neu beschrieben wurde. Die alten Buchstaben leuchteten manchmal noch durch die neuen, die Vergangenheit war gewissermaßen präsent, so wie das auf Berliner Häuserfronten, die noch nicht übertüncht und frisch renoviert waren. Denkelers Arbeiten spielen mit der Stadt als Palimpsest, auf dem sich Altes und Neues zugleich zeigt, wo der Kohlenhändler, der vor zwanzig Jahren seinen Laden dichtmachte und die alte Brot- und Feinbäckerei eben noch spürbar sind, obwohl wir heute dort längst gestrichene Fassaden … sehen. Nostalgie – die Sehnsucht nach der Vergangenheit im Reich der Zeichen.
Vielleicht sollte man noch anfügen, dass Denkeler natürlich kein naiver Nostalgiker ist. Einer, sagen wir mal Laura Ashley-Nostalgie, würde er sogar kräftig entgegenarbeiten. Seine Bilder haben nichts Bergendes oder Idyllisches, eher schon zeigen sie das oft Hilflose, das Ungeborgene, Dürftige oder Bedürftige der Vergangenheit. Seine Sache ist also nicht die Sehnsucht nach der Vergangenheit allein, sondern auch das Wissen darüber, dass man sich in Nostalgie nicht einrichten kann.
Ich komme zum dritten Künstler und damit auch zu einer dritten Art der Sehnsucht: Eine Bank, ist ein Gegenstand, der zum Sitzen einlädt. Sie winkt sozusagen von Ferne, sie lädt ein. Die Einladung hat gelegentlich sogar eine gewisse Dringlichkeit, je nach Bank und je nachdem ob sie dürftig ist oder prächtig, bequem oder hart. Parkbänke sprechen uns stark an, wahrscheinlich, weil wir als stets müde Stadtwanderer immer wieder auf sie zurückkommen müssen.
Die Bank lädt nun aber nicht nur zum Ausruhen ein, sondern eben auch zur Kontemplation. Wir kontemplieren nicht nur auf der Bank, sondern gewissermaßen schon angesichts der Bank. Sie ist nicht nur das Mittel, sondern auch das Bild der Ruhe und Kontemplation. Kontemplation ist das Verharren im Jetzt und wenn ich mein zugegeben einfaches Schema der Sehnsucht anwenden darf, würde ich jetzt also sagen, nachdem wir uns mit der Sehnsucht nach Zukunft und nach Vergangenheit beschäftigt haben, stehen wir bei der Bank gewissermaßen vor der Sehnsucht nach dem ‚Jetzt‘, nach Zeitlosigkeit, eine Sehnsucht, die übrigens der Berliner Philosoph Schopenhauer als die Sehnsucht ’nach dem Nichts‘ in die Diskussion brachte …
Der Meditations- und Liebesort des 19. Jh., der in dieser Ausstellung nun selbst zum meditativen Gegenstand geworden ist, nachdem ihn Ralf Hasford entdeckt hat, verkörpert also die Sehnsucht nach dem Jetzt, nach der Zeitlosigkeit. Und faktisch steht ja auch die Parkbank, die Gartenbank, oder die Friedhofsbank zwischen Vergangenheit und Zukunft im Jetzt.
Zusammenfassung
Damit bin ich am Ende. Ich behaupte, bei genauerem Nachdenken bemerkt man, die drei hier ausstellenden Künstler haben sich offenbar instinktiv zu einem gemeinsamen Thema zusammengefunden, welches oberflächlich »Berlin«, tatsächlich aber »Sehnsucht« lautet, wobei sich jeder auffällig deutlich mit einem der drei Zeitaspekte der Sehnsucht beschäftigt hat: Horst Hinder mit der modernen Sehnsucht nach Zukunft, bzw. Fortschritt im Puls von Zerstückelung und Zusammensetzung, Friedhelm Denkeler mit der Nostalgie, also der Sehnsucht nach der Vergangenheit, und Ralf Hasford schließlich mit der Sehnsucht nach dem Jetzt, dem Stehenbleiben der Zeit …
Inwieweit das alles zutrifft, müssen Sie entscheiden. Es könnte sein, dass die Formen der Sehnsucht nicht ganz so sauber nach Zukunft, Vergangenheit und jetzt getrennt sind, wie ich das behauptet habe. Zum Beispiel betont bildende Kunst überhaupt eher das ›Jetzt‹ als andere zeitliche Orientierungen. Andererseits würden wir dann aber von Bildern als Gegenständen sprechen und nicht mehr von dem was sie als Gegenstände ausdrücken … Möge sich erfüllen, wonach immer Sie sich sehnen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 21. März 2013, Mo-Fr 8-19 Uhr, im Bayer-Haus am Olivaer Platz, Kurfürstendamm 179, 10707 Berlin, zu sehen. www.reinhard-knodt.de
Drei Ausstellungen auf vier Etagen – im Bayer-Haus Berlin. Einladung zur Vernissage am 24. Januar 2013, 18 bis 21 Uhr
Die drei Berliner Künstler Horst Hinder, Ralf Hasford und Friedhelm Denkeler laden zur Ausstellungseröffnung am Donnerstag, 24. Januar 2013, 18 bis 21 Uhr, ins Bayer-Haus am Olivaer Platz, Kurfürstendamm 179, 10707 Berlin, ein. Sie stellen ihre Sicht auf das alte und neue Berlin mit ganz unterschiedlichen fotografischen Verfahren dar.
Horst Hinder stellt unter dem Titel Berlin – zerlegt und collagiert großformatige, farbige Collagen aus. Hinder hat die Stadt fotografisch auseinander genommen und Quadrat für Quadrat wieder neu zusammen-gesetzt. Ralf Hasford stellt sein Werk Sitzenlassen in Berlin aus. Ein mit Pigmenten vorkolorierter Papierpulp (Pappmaché) wurde nach der Trocknung in einem aufwendigen Verfahren mit einem fotorealistischen Druck versehen. Friedhelm Denkeler zeigt, in klassischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die 1977 und 1978 entstandenen Fotos aus dem Portfolio Im Wedding, die jetzt zum ersten Mal öffentlich zu sehen sind. Die Ausstellenden habe ich bereits hier in Kurzbiografien vorgestellt.
Um ca. 18.30 Uhr spricht Reinhard Knodt zur Ausstellung. »Künstler arbeiten im Zwischenreich von Profanität und Geheimnis. Sie hantieren mit scheinbar Banalem, mit Resten, mit alltäglichem Material. Sie bauen jedoch an einem Raum der Sehnsucht. Dieser kann in die Vergangenheit reichen, in die Zukunft weisen oder im Jetzt zur Kontemplation aufrufen. Warum wir fotografieren, warum künstlerische Arbeiten gelingen oder misslingen und warum sich Sammler mit »Kunst« umgeben, das sind Fragen, zu denen einige philosophische Anmerkungen nützlich erscheinen …«.
Reinhard Knodt (1951) ist Philosoph und Schriftsteller. Er ist als Universitätslehrer (UDK), Vortragsredner und Rundfunkautor tätig. Viele Essays zur Kultur- und Philosophiegeschichte. Literarische Arbeiten (Roman, Erzählung, Kurzprosa, zwei Oratorien), sowie zahlreiche Rundfunkarbeiten (Features, Hörspiele, Essays, Vorträge, experimentelle Formen). Literaturpreis der Bayerischen Akademie der schönen Künste. Kunstaktionen. Kunst- und Architekturkritik für Deutschlandradio Kultur. www.reinhard-knodt.de.
Meine Serie Im Wedding, die 1977/1978 entstanden ist, zeigt weniger eine Dokumentation des damaligen Wedding, sondern spiegelt Stimmungen. Insbesondere Fotos, die im Winter bei Schneetreiben aufgenommen wurden, fangen eine eigentümliche Atmosphäre, fern der Großstadt ein. Sie geben auch Zeugnis von den ersten Graffitis, wie Freiheit für die Agitdrucker oder den mit Kreide geschriebenen Hinweis an der Haustür, wann der Schornsteinfeger kommt. Die winterliche Panke, der historisch tiefe Benzinpreis von 91,9 Pfennigen und der geschlossene Laden Spandauer Volksblatt, der die endgültige Einstellung des Blattes im Jahr 1992 bereits vorweg zu nehmen scheint, sind weitere Themen im Winterkapitel der Serie.
Ab 25.01.2013 zeige ich in der Ausstellung 3 x Berlin – Fotografische Arbeiten – Drei Ausstellungen auf vier Etagen im Bayer-Haus am Kurfürstendamm eine Auswahl von 22 Fotos aus der Serie Im Wedding, davon acht Winterbilder. Die Fotos sind jetzt zum ersten Mal öffentlich zu sehen und Teil des Portfolios und Künstlerbuchs mit 159 Bildern (siehe hier). Auf meiner Website LICHTBILDER sind dreißig Bilder aus dem Fotobuch zu sehen. Die Ausstellungseröffnung findet am 24. Januar 2013, 18 – 21 Uhr, statt. Dazu morgen mehr.
Drei Ausstellungen auf vier Etagen im Bayer-Haus Berlin ab 25.01.2013: Horst Hinder »Berlin – zerlegt und collagiert«, Friedhelm Denkeler »Im Wedding«, 1977, und Ralf Hasford »Sitzenlassen in Berlin«
Im Bayer-Haus zeigen aktuell ab dem 25. Januar 2013 die drei Berliner Künstler Horst Hinder, Ralf Hasford und Friedhelm Denkeler unter dem Titel 3 x Berlin – Fotografische Arbeiten – Drei Ausstellungen auf vier Etagen mit ganz unterschiedlichen fotografischen Verfahren, ihre Sicht auf das alte und neue Berlin. Die Ausstellung wurde unter der Leitung von Horst Hinder von den Fotografen selbst konzipiert. Heute möchte ich die drei Ausstellenden mit ihren Kurzbiografien vorstellen.
Horst Hinder (*1961) lebt seit 1985 in Berlin. Nach dem Abitur in Hessen absolvierte er zunächst eine Lehre als Korbmacher und übte das Handwerk einige Jahre aus. Es folgte 1989-94 das Studium an der Hochschule der Künste Berlin und die berufliche Beschäftigung mit Fotografie und Grafik. Seit 1993 arbeitet er in seinem Grafikbüro und Atelier. Die Fotografischen Collagen entstehen seit 2008. »Horst Hinder hat die Stadt fotografisch auseinander genommen und Quadrat für Quadrat wieder neu zusammengesetzt«, »So entstehen persönliche Stadtlandschaften, die neue Blicke auf Berlin und die Geschichte der Stadt ermöglichen, geschaffen von einem aufmerksamen und feinnervigen Beobachter…«. www.horst-hinder.de
Friedhelm Denkeler (*1946) lebt und arbeitet seit 1968 in Berlin. Neben seiner Tätigkeit als Ingenieur hat er an der Werkstatt für Photographie in Berlin-Kreuzberg und als Schüler von Michael Schmidt seine Fotografische Ausbildung erhalten. Seit 1978 stellt er freie fotografische Arbeiten in Form von Portfolios und Autorenbüchern her. Denkelers Arbeiten waren in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen: Rudolf Kicken Galerie, Köln, the ffoto gallery, Cardiff, Wales, Fotogalleriet, Oslo, Castelli Graphics, New York, Jones/Troyer Gallery, Washington D.C., Galerie Fotohof, Salzburg, Centre de la photographie, Genf, Berlinische Galerie, Berlin, Neue Gesellschaft für bildende Kunst, Berlin, Yale University Art Galerie, New Haven. In den öffentlichen Sammlungen der Berlinischen Galerie, Bibliothèque nationale de France und Allan Chasanoff Photografic Collection im Museum of Fine Arts Houston, ist Denkeler vertreten. Seit 2002 zeigt er seine Arbeiten auf der Website “www.denkeler-foto.de” und betreibt seit 2010 den Foto-Blog “Journal – Berichte aus Berlin zu Photographie und Kunst”. www.denkeler-foto.de
Ralf Hasford (*1965) zu seiner Philosophie: »Ich arbeite mit Vorhandenem, destilliere politische und mythische Begebenheiten in meinen Werken. Aus alten Brüchen und verbrauchten Materialien entstehen so Werke zur Genusssteigerung«. Der Erhalt von Natur und Freiheit sind ihm eine Verpflichtung. Seine Werke sind seit 2005 an unterschiedlichen Orten in ständigen wie temporären Ausstellungen in Berlin und dem Bundesgebiet zu sehen. Eine immerwährende Neugier auf die Weiterentwicklung des Gesehenen treibt ihn in seinem Schaffen an. Dabei stellt er sich den scheinbaren Begrenzungen, die in Handwerk und Material ruhen, um diese zu überwinden und neue Formen zu erlangen. Mit Vorkoloriert schuf er sich eine eigene Technik, mit der er seine Werke erstellt. 2002 definierte Hasford den Begriff und entwickelte die Technik dann in unterschiedlichen Weisen weiter. Großformatige Bilder sowie raumgreifende Plastiken gehören dazu. »Liebe und gutes Essen begleiten mich dabei« sagt Hasford mit einem Lachen. Vorkoloriert voraus gingen Kommunikationsdesign, Interieurgestaltungen und Entwürfe für Lampen.
Drei Ausstellungen auf vier Etagen im Bayer-Haus am Kurfürstendamm: Ralf Hasford »Sitzenlassen in Berlin«, Horst Hinder »Berlin – zerlegt und collagiert« und Friedhelm Denkeler »Im Wedding, 1977«
Im Westen von Berlin ist ein neuer, einzigartiger Kultur-Cluster für fotografische Ausstellungen und Veranstaltungen im Entstehen begriffen: Die weltberühmte C|O-Galerie zieht in das Amerika-Haus am Bahnhof Zoo (siehe Von der Mitte in den Westen), fast direkt neben das Museum für Fotografie/die Newton Foundation, die Galerie Camera Work in der Kantstraße und die Universität der Künste in der Hardenbergstraße sind seit langem etabliert und am Kurfürstendamm gibt es den Photoplatz im Hotel Bogota. Seit kurzem entsteht ein weiterer Ort für Fotografie: die Galerie im Bayer-Haus am Kurfürstendamm.
Im Bayer-Haus zeigen aktuell ab dem 25. Januar 2013 die drei Berliner Künstler Horst Hinder, Ralf Hasford und Friedhelm Denkeler unter dem Titel 3 x Berlin – Fotografische Arbeiten – Drei Ausstellungen auf vier Etagen mit ganz unterschiedlichen fotografischen Verfahren, ihre Sicht auf das alte und neue Berlin. Die Ausstellung wurde unter der Leitung von Horst Hinder von den Fotografen selbst konzipiert.
Horst Hinder stellt unter dem Titel Berlin – zerlegt und collagiert großformatige, farbige Foto-Collagen aus. Hinder hat die Stadt fotografisch auseinander genommen und Quadrat für Quadrat wieder neu zusammengesetzt. Ralf Hasford stellt sein Werk Sitzenlassen in Berlin aus. Ein mit Pigmenten vorkolorierter Papierpulp (Pappmaché) wurde nach der Trocknung in einem aufwendigen Verfahren mit einem fotorealistischen Druck versehen. Friedhelm Denkeler zeigt, in klassischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die 1977 und 1978 entstandenen Fotos aus dem Portfolio Im Wedding, die jetzt zum ersten Mal öffentlich zu sehen sind.
Die Vernissage findet am Donnerstag, 24. Januar 2013, 18 – 21 Uhr, im Bayer-Haus am Olivaer Platz, Kurfürstendamm 179, 10707 Berlin, statt. Zur Begrüßung um ca. 18.30 Uhr spricht ein Vertreter der IVG Asset Management GmbH des Bayer-Hauses und der Philosoph Reinhard Knodt, der unter anderem für Deutschlandradio Kultur arbeitet, wird sich und die Gäste fragen, »warum wir Bilder malen, warum sie gelingen oder misslingen, warum sie uns ansprechen und warum sich Sammler mit Kunst umgeben«. Eine Künstlerführung wird es am Freitag, 1. März 2013, 15 Uhr, geben und die Finissage findet am Donnerstag, 21. März 2013, 18 Uhr, statt.