Gerhard Richter. Panorama

Von Friedhelm Denkeler,

Neue Nationalgalerie Berlin 12. Februar bis 13. Mai 2012

"Die kleine Riesin nach Gerhard Richter", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Die kleine Riesin nach Gerhard Richter«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Am 9. Februar 2012 feiert Gerhard Richter seinen 80. Geburtstag. Zu diesem Anlass richtet die Nationalgalerie gemeinsam mit der Tate Modern in London und dem Centre Pompidou in Paris eine umfassende Retrospektive seines Ãuvres aus.

Etwa 150 Gemälde aus allen Schaffensphasen des umfangreichen Werkes vermitteln in einer pointierten Auswahl, die in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler entstand, einen Einblick in das thematisch wie stilistisch facettenreiche Schaffen.

Kanonisch gewordene Bilder, wie das der die Treppe herabsteigenden Ema (1966) und der sich vom Betrachter abwendenden Betty (1988), werden mit selten oder noch nie gezeigten Arbeiten kombiniert – zentrale Beispiele einer Schaffensphase oder Werkgruppe werden mit Einzelgängern und Vorweggriffen auf Späteres in Bezug gesetzt.

In einer weitestgehend chronologisch strukturierten Ausstellungsdramaturgie wird das Zwiegespräch zwischen Abstraktion und Figuration als ein sich über alle Jahrzehnte fortsetzender Dialog deutlich werden, ein Dialog, der sich bereits im allerersten Gemälde aus Richters Werkkatalog, dem ebenfalls gezeigten Werk Tisch von 1962 ankündigt.

Die von Gerhard Richter vielseitig vorangetriebene Befragung des Mediums der Malerei führt – und auch dies will die Ausstellung zeigen – auf konsequente Weise zu ihrer Übertretung.

Das Bild als Fläche, als Fenster, als Durchblick und Blickfeld leiten hinüber zu Richters Auseinandersetzung mit Spiegeln und Glasscheiben, in der die Frage nach der Möglichkeit von Repräsentation kulminiert. An diesem Punkt entsteht eine Korrespondenz ganz eigener Art: Richters Glasscheiben und gläserne Stellwände, wie auch seine in täuschendem Illusionismus gemalten Wolken und Fensterbilder treten in einen beziehungsreichen und charmanten Dialog mit Mies van der Rohes auf Durchlässigkeit angelegten Architektur des Gebäudes der Neuen Nationalgalerie.

Eigens für die Berliner Ausstellung verwirklicht Gerhard Richter erstmals die Version I seiner abstrakten, aleatorischen Arbeit 4900 Farben, die, über 200 Meter hinweg, die gesamte Ausstellung umrahmen werden. [Quelle: Presseerklärung]. Siehe auch mein Post Ich kaufe keine Photos!  

Rolf Eden – Der ungekrönte Discokönig von West-Berlin

Von Friedhelm Denkeler,

»Leben mit Eden« – »Er brachte das Licht nach Berlin«

"Größe 38 am Kurfürstendamm (für Rolf Eden)", Foto © Friedhelm Denkeler 2009
»Größe 38 am Kurfürstendamm (für Rolf Eden)«, Foto © Friedhelm Denkeler 2009

Einer der ersten Clubs, den ich 1968, gerade in Berlin angekommen, besuchte, lag am Kurfürstendamm Nr. 202: das »Big Eden«. Der Ruf dieser legendären Diskothek begründete sich allein auf seinen Besitzer Rolf Eden, den einzigen Playboy Berlins, der Schöne, Reiche und Prominente in den großen Kellerraum lockte.

Mit der Wendezeit, neuen Musiktrends und der Verlagerung der Partyszene in den Ostteil der Stadt (Tresor, Bunker), begann der Niedergang des Clubs, den Rolf Eden 2002 endgültig verkaufte.

Das Big Eden war nicht sein einziges Etablissement. Es begann mit dem Old-Eden, dann folgten der New-Eden und zwei weitere Clubs, die heute alle nicht mehr existieren. Der ungekrönte Discokönig Berlins ist mit seinen 81 Jahren noch immer Playboy, mittlerweile verdient er aber sein Geld mit Mietshäusern.

Im aktuellen Dokumentarfilm von Peter Dörfler »The Big Eden« werden die Fotos seiner »Wall of F.« wieder lebendig. Dörfler lässt den 1930 in Berlin geborenen Eden sein Leben erzählen, das ihn 1933 nach Palästina und über Paris 1957 wieder nach Berlin führte. Seine Frauen und Gespielinnen, Kinder und Freunde treten gleichfalls vor die Kamera.

Insbesondere sind immer wieder Super-8-Aufnahmen, die Eden oder seine Begleiter auf den zahlreichen Reisen selbst gedreht haben, als Zeitdokument zu sehen. Ich wusste gar nicht, dass lange vor YouTube und Facebook Rolf Eden der Erfinder des Video-Tagebuchs war. Der Film zeigt einen freundlichen älteren Herrn, der seine Eitelkeit unumwunden zugibt, einen großzügigen Egomanen und lebenslang Pubertierenden. Irgendwie rührend. Ein Film zum Jahresanfang, jenseits aller Tristesse des Lebens, den man ungeachtet aller gesellschaftlichen Kritik, mit einem breiten Grinsen verfolgt.

Man hat niemals Zeit

Von Friedhelm Denkeler,

»Man hat niemals Zeit, es richtig zu machen, aber immer Zeit, es noch einmal zu machen«, Volksmund, Foto/Grafik © Friedhelm Denkeler 2003
»Man hat niemals Zeit, es richtig zu machen, aber immer Zeit, es noch einmal zu machen«, Volksmund, Foto/Grafik © Friedhelm Denkeler 2003
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Forever In Blue Jeans!

Von Friedhelm Denkeler,

Geld gibt den Ton an, doch es singt und tanzt nicht

In diesem Jahr feierten sieben Rocklegenden ihren 70. Geburtstag: Bob Dylan, Neil Diamond, Art Garfunkel, Chubby Checker, David Crosby, Charlie Watts und Eric Burdon. Eric Burdon Am Anfang war es tierisch …, Bob Dylan Wie ein Rollender Stein, der kein Moos ansetzt …, Chubby Checker Vom Rock ‘n’ Roll zum Twist – Let’s twist again, David Crosby If I Could Only Remember My Name … David Crosby und Art Garfunkel Spion im Gabardine-Anzug und Kamera in der Fliege habe ich bereits vorgestellt. Heute soll es um Neil Diamond gehen.

Money talks / But it don’t sing and dance / And it don’t walk / And long as I can have you here with me / I’d much rather be / Forever in blue jeans

"Second Hand Model", Foto © Friedhelm Denkeler 2007
»Second Hand Model«, aus dem gleichnamigen POrtfolio und Künstlerbuch, Foto © Friedhelm Denkeler 2007

Seinen ersten selbst geschriebenen Songtext I’m a Believer von 1967, der zum Welterfolg wurde, ließ Neil Diamond von den Monkees interpretieren. Diese Single wurde auch ihre erfolgreichste und stand sechs Wochen auf Platz 1 in Deutschland. Diamonds erster persönlicher Nummer-1-Hit war 1970 Cracklin‘ Rosie, dann folgte ein Jahr später I Am… I Said und 1972 Song Sung Blue.

1976 erreichte sein Album Beautiful Noise (mit der ausgekoppelten gleichnamigen Single) auch in Deutschland die Spitze der Album-Charts.

Zum Film Die Möwe Jonathan (Jonathan Livingston Seagull) lieferte er 1973 die Filmmusik. Trotz der tollen Naturaufnahmen floppte der Film, aber die Filmmusik wurde weltberühmt. Er erhielt dafür 1974 den höchsten Musikpreis, den Grammy.

In alle Songs, die sich in meinem Rock-Archiv von Neil Diamond befinden, habe ich noch einmal hineingehört, aber Forever In Blue Jeans aus dem Jahr 1978 bleibt mein Lieblingssong, dicht gefolgt von I Am … I Said und Song Sung Blue, die alle eine melancholische Grundlage haben. Neil Diamond: »Forever In Blue Jeans«

In diesem Video aus dem Jahr 2010 ist Neil Diamond in der BBC-Musik-Sendung Later with Jools Holland mit Forever In Blue Jeans zu sehen. In der letzten Szene sieht man übrigens Paul McCartney, der neben Elvis Costello ebenfalls in der Sendung auftrat. Diese Kultsendung ist in Deutschland auf ZDF.Kultur zu sehen (z.B. 2. bis 6. Januar 2012, jeweils 18.50, in Berlin leider nicht über DVB-T und DVB-C, aber im Netz finden wir’s).

Pünktlich zu seinem 70. Geburtstag wurde Diamond auch in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. Für immer Blue Jeans! Mein heutiges Foto stammt aus dem 2007 entstandenen Portfolio Second Hand Model.

Ein Natur-Container aus Eibenbüschen

Von Friedhelm Denkeler,

Preis der Nationalgalerie für junge Kunst im Hamburger Bahnhof bis zum 8. Januar 2012

"Grüner Container", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Grüner Container«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Bereits auf dem Weg in den Hamburger Bahnhof fällt er auf – der grüne Müll-Container der in Berlin lebenden Schwedin Klara Lidén. Neben Kitty Kraus, Andro Wekua und Cyprien Gaillard war sie eine der vier Kandidaten für den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst 2011. Alle vier Künstler zeigen im Museum Skulpturen, Filme und Installationen. Malerei sucht man allerdings vergebens.

Die 1979 geboren Klara Lidén hat ihren Natur-Container mit einer Außenhaut aus Eibenbüschen zurechtgeschnitten. Im Inneren wachsen Unkrautpflanzen aus dem städtischen Umfeld – das soll den Gegensatz zwischen Urbanität und unkontrollierter Natur, sowie zwischen Reglementierung und Chaos verdeutlichen. Ihre zweite Arbeit ist noch irritierender: Ein etwa dreiminütiges Video zeigt in den Ausstellungsräumen die Künstlerin, mit dem Rücken zum Betrachter, an ihrem Schreibtisch sitzend. Plötzlich steht sie auf, tritt an den Papierkorb heran und verschwindet darin.

Den Preis in Höhe von 50.000 EURO, der alle zwei Jahre vom Verein der Freunde der Nationalgalerie an in Deutschland lebende bildende Künstler unter 40 Jahren verliehen wird, gewann dieses Jahr Cyprien Gaillard.

Der Urvater der Paparazzi-Fotografie – Ron Galella

Von Friedhelm Denkeler,

 C/O-Galerie Berlin bis zum 26. Februar 2012: Paparazzo Extraordinaire!

Wenn jemand sagt: »Keine Fotos!« – dann versuch ich, keine mehr zu machen. Aber bevor er das sagt, mache ich so viele, ich kann. Das ist das Spiel. [Ron Galella]

"Keine Fotos!", Foto © Friedhelm Denkeler 1998
»Keine Fotos!«, Foto © Friedhelm Denkeler 1998

Unter dieser Maxime hat das Vorbild aller Paparazzi, der 1931 in New York geborene Ron Galella, sein ganzes Leben lang Prominente aufgespürt und fotografiert: Marlene Dietrich, Frank Sinatra, Jacqueline Kennedy, Liz Taylor, Marlon Brando, Robert Redford, Elizabeth Taylor, Andy Warhol, Grace Jones, Michael Jackson, Kate Moss, Bruce Springsteen, Elvis Presley, Cher, Mick Jagger – um nur einige zu nennen.

Ron Galella ist kein Paparazzo der Jetzt-Zeit, der aus dem Hubschrauber heraus das Leben von Celebrities mit Teleobjektiv heranzoomt oder sich hinter Hecken postiert. Er lebt in der Welt der Prominenz, vor allem der 1970er- und 1980er-Jahre, deshalb ist wirklich Privates nicht zu sehen. Give and Take lautet der unausgesprochene Vertrag zwischen dem Fotografen und Prominenten und die Grenze zwischen Authentizität und Inszenierung ist fließend. Galella lässt seine Opfer möglichst gut aussehen.

Aus dieser Masse der anonymen Fotografen gibt es ja ganz wenige, die überhaupt den Weg schaffen an die Öffentlichkeit, und wir haben uns für die Ausstellung entschlossen, weil das ja jemand ist, der über 40 Jahre fotografiert hat und seinem Genre treu geblieben ist. Und diese Stringenz, also sich so lang mit dem Thema Paparazzi-Fotografie auseinanderzusetzen in der westlichen Welt, also das ist ja hauptsächlich New York und Europa, wo er fotografiert, ist das, wo ich schon finde, dass da eine ganz bestimmte Handschrift dahintersteckt, die einen begeistern kann. [Felix Hoffmann, Kurator der Ausstellung]

Ron Galellas rund 140 Schwarz/Weiß-Fotografien sind nicht komponiert, sie sind ›geschossen‹, sie wollen auch keine Kunst sein. Viele der Abgelichteten erscheinen portraitiert dargestellt, aber ohne die Anmutung, wirklich ein Portrait zu sein. Dadurch wirken die Bilder etwas stereotyp und langweilig, wenn man das „Prominent sein“ einmal außer Acht lässt – also nicht uneingeschränkt empfehlenswert, es sei denn, man ist ein Prominenten-Junkie. Gleichzeitig stellt C/O allerdings Gundula Schulze Eldowy mit den Fotos ihrer „Frühen Jahre“ aus und allein deshalb lohnt sich der Besuch. Dazu demnächst mehr. www.rongalella.comwww.co-berlin.info

Stiller Widerstand – Russischer Piktorialismus 1900-1930

Von Friedhelm Denkeler,

Piktorialistische Fotografie in Russland wird neu betrachtet

Anfang des 20. Jahrhunderts litten viele Künstler in Russland unter den Verfolgungen und Repressalien der Kommunisten, so auch die Piktorialisten wie Alexander Grinberg, Juri Jerjomin, Nikolai Andreev und Nikolaj Swischtschow-Paola. Ende der 1920er Jahre begann nicht nur in Politik und Gesellschaft, sondern auch in der Fotografie die Suche nach dem »Feind« und den Piktorialisten sagte man eine Vorliebe für bürgerliche Werte nach.

"Erich Meinert im russischen Winter", ca. 1943, Archiv © F. Denkeler
»Erich Meinert im russischen Winter«, ca. 1943, Archiv © Friedhelm Denkeler

Ihre Werke fügten sich zwar in den internationalen künstlerischen Kontext ein und erhielten Gold- und Silbermedaillen auf den größten internationalen Foto-Ausstellungen und -salons in Europa, den USA und Japan, eben auch weil sie ihrer künstlerischen Richtung treu blieben, aber gegen Ende der 1930er Jahre setzte sich in Russland endgültig die von oben verordnete Ästhetik des sozialistischen Realismus durch.

Der Piktorialismus blieb eine stille Art von Widerstand, denn auf den Bildern sieht man romantische Landschaften, mystische Orte und individuelle Schönheiten. Trotzdem erhielten die Künstler keine Aufträge mehr, verloren ihre Arbeitserlaubnis, mussten ihre Heimatstadt verlassen oder landeten im Gulag wie Alexander Grinberg. Grinbergs weibliche Akte passten einfach nicht zum Bild der arbeitsamen russischen Frau.

Die Werke blieben über ein halbes Jahrhundert unbeachtet, wurden nie gezeigt oder gingen verloren. Erst jetzt beginnt eine kunsthistorische Aufarbeitung des Piktoralismus. Der Martin-Gropius-Bau zeigt momentan einen Querschnitt der Meister dieser Fotografie mit rund 160 Werken.

Die Piktorialisten strebten nach einer Annäherung an die Malerei und setzten weichzeichnende Objektive und eine besondere, oftmals sehr komplizierte Abzugstechnik ein. Im Gegensatz zu den Dokumentaristen suchten sie, wie auch die Malerei, nach einem gefühlvollen Klang ihrer Werke, der seinen Ausdruck in den individuellen Deutungen und Zielen des Künstlers fand.

Die Ausstellung Stiller Widerstand. Russischer Piktorialismus 1900 – 1930 findet im Rahmen des 20jährigen Bestehens der Städtepartnerschaft Berlin-Moskau statt und setzt dem Russischen Piktorialismus ein bemerkenswertes Denkmal. Die Moskauer Tage in Berlin sind nur noch bis zum 18. Dezember 2011 zu sehen. Der Eintritt ist übrigens frei und wohl deshalb gibt es auch keine mehrstündige Wartezeit. www.martin-gropius-bau.deVideo zur Ausstellung von kunst+film

Die Kunst ist Dienst am Volk, doch das Volk wird an der Nase herumgeführt. Ich aber will das Volk zur Kunst hinführen und nicht mit der Kunst in die Irre führen. Wurde ich zu früh oder zu spät geboren? Kunst und Politik müssen getrennt werden … [Alexander Rodtschenko, Tagebuch 12. Februar 1943]

Weder Gott, noch Gemetzel

Von Friedhelm Denkeler,

Roman Polanskis »Gott des Gemetzels« im Kino

Ich glaube an den Gott des Gemetzels, dessen Gesetze seit Anbeginn der Zeit unverändert gelten. [Alan Cowan/Christoph Waltz]

"Der Gott des Gemetzels", Delphi, Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Der Gott des Gemetzels«, Delphi, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Weder Gott, noch Gemetzel möchten sie sehen, so die Antwort auf meine Frage nach einem gemeinsamen Besuch des neuen Polanski-Films. Aber der Hinweis auf Polanskis Verfilmung des gleichnamigen Theaterstückes von Yasmina Rezas beruhigte die Gemüter.

Also – zwei Paare sehen sich an einem kalten Herbsttag zwei Paare auf der Leinwand an: Nancy Cowan (Kate Winslet) und Alan Cowan (Christoph Waltz), sowie Penelope Longstreet (Jodie Foster) und Michael Longstreet (John C. Reilly), die sich selbst beweisen möchten, dass zivilisierte Menschen keine Kriege miteinander führen müssen. Es kommt dann aber doch ganz anders.

Mit diesem Film hat Polanski das viel gespielte Theaterstück von Yasmina Rezas »Der Gott des Gemetzels« in Szene gesetzt. Anlass des Streits der beiden Paare, ist die Auseinandersetzung ihrer Kinder, bei der ein Sohn einen Zahn verloren hat. Am Anfang gehen sie betont freundlich miteinander um, bald aber bröckelt die Fassade immer mehr und die Dialoge gehen in offenen Hass über.

Penelope Longstreet, eine selbsternannte Weltretterin, lässt ihre moralische Überlegenheit jeden spüren, ein Gutmensch eben. Ihr Mann Michael, ein Eisenwarenhändler und vermeintlicher Hamstermörder, der immer versucht schlichtend einzugreifen, rastet am Ende einfach nur aus. Nancy Cowan, die Brokerin, versenkt das Handy ihres ständig telefonierenden Mannes Allan, eines Anwalts in den Diensten finsterer Pharmakonzerne, in der Vase mit einem Strauß gelber Tulpen.

Klug und pointiert, entlarvend und abgründig, vor allem aber kurz und bündig – in nur 78 Minuten – liegen die Errungenschaften des zivilisierten Umgangs in Trümmern. Die Regeln des Miteinanders, die den Mensch als soziales Wesen auszeichnen, gelten nicht mehr. Der Gott des Gemetzels hat die Macht an sich gerissen – auch wenn auf diesem Schlachtfeld nicht ein Tropfen Blut fließt. Das Bemerkenswerte an der Eskalation: Die Frontlinie verläuft nicht nur zwischen den beiden Paaren. Das Quartett mischt seine Karten im Minutentakt neu. [Jörg Albrecht im Deutschlandfunk]

Das Stück spielt die gesamte Zeit in der Wohnung der Longstreets, nur die Eingangsszene zeigt den Streit der beiden Kinder draußen im Park und zum Schluss sehen wir die Kinder wieder gemeinsam im Park spielen, selbst der ausgesetzte Hamster genießt mittlerweile die freie Natur. Ein »Theaterstück« mit vier sehr guten Spielern, aber ein zwiespältiger Eindruck bleibt: Vielleicht ist das Stück auf der Bühne doch besser aufgehoben. Unser weiterer Abend verlief übrigens friedlich. Trailer Gott des Gemetzels

Wie ein Maler und ein Müller die Welt anhielten

Von Friedhelm Denkeler,

Vom Gemälde zum bewegten Bild – Lech Majewskis »Die Mühle und das Kreuz«

Eingekerkert sind die Menschen in der Zwangsherrschaft ihrer Zeit, immer den Tod vor Augen und sinnloses Leiden und dabei die Gewissheit, dass kein Gott sei. [Süddeutsche Zeitung]

In dem weltberühmten Gemälde Die Kreuztragung Christi aus dem Jahr 1564 erzählt Pieter Bruegel viele Geschichten mit über Hunderten von Figuren rund um Jesus Weg zum Kreuz. Bruegel versetzte die Szenerie in seine zeitgenössische Gegenwart: Jerusalem wurde zu einer Stadt in Flandern. Er malte nicht nur eine religiöse Szene wie der Titel suggeriert, sondern prangerte die Lebensumstände unter der damaligen spanischen Herrschaft mit all den willkürlichen Grausamkeiten der Inquisition an.

"Stemmer Mühle", Foto © Friedhelm Denkeler 2001
»Stemmer Mühle«, aus dem Portfolio »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst«, Foto © Friedhelm Denkeler 2001

Der polnische Regisseur Lech Majewski hat das Bild nun zum Leben erweckt. Vor dem gemalten Hintergrund werden einzelne Figurengruppen lebendig. Zwischendurch erklärt Bruegel (Rutger Hauer) seinem Freund und Kunstsammler Nicholas Jonghelinck (Michael York) die Entwicklung und die Bedeutung des Bildes.

So wird dem Zuschauer das bäuerliche Leben in Flandern gezeigt; wir sehen den Leidensweg Christi und erfahren gleichzeitig die Gedanken und Gefühle seiner Mutter Maria (Charlotte Rampling). Der Dialog ist auf diese drei Hauptdarsteller beschränkt, von den restlichen Figuren sind nur undeutliche Laute zu vernehmen.

Majewskis Filmtechnik ist überraschend und beeindruckend. Sie besteht aus Aufnahmen von realen Landschaften, die denen im Gemälde ähneln und Aufnahmen von Schauspielern vor dem Blue Screen, die mit dem von Majewski gemalten Hintergrund, einer Kopie des Gemäldes, kombiniert werden.

Als Zuschauer tritt man immer wieder in das Bild ein und steigt wieder aus. Zum Schluss verwandelt sich der Film vom tableau vivant in das Originalgemälde im Kunsthistorischen Museum in Wien, direkt neben Bruegels Turmbau zu Babel.

Viele Gemälde zeigen Gott, wie er die Wolken zerteilt und auf die Welt herabsieht. In Bruegels Bild und Majewskis Film wird der Müller seinen Platz einnehmen. Er thront auf einem unwahrscheinlich hohen Felsen mit einer Mühle auf der Spitze. Der Wind bewegt die riesigen Flügel der Mühle, das Korn wird gemahlen, aber der Müller greift in das Weltgeschehen nicht ein. Nur einmal halten Bruegel und der Müller das Weltgeschehen an, so dass Bruegel seinem Auftrageber das Bild in aller Ruhe erläutern kann.

Da der Film doch eher etwas für Kunst- und Video-Liebhaber ist, wird er sicherlich nicht mehr lange zu sehen sein. Wir sahen ihn im Filmkunst 66, leider sind dort die Kinos und die Leinwände zu klein für diesen Film. Für das Fernsehen oder für eine DVD ist er überhaupt nicht geeignet. Es ist ein nicht wiedergutzumachendes Versäumnis, sich diesen Film jetzt nicht auf einer (größeren) Leinwand anzusehen.

Alle Symbolik bleibt geerdet, und jedes figürliche Detail wird durch Licht, Farben und Stofflichkeiten so sorgfältig herausgearbeitet, dass man nicht nur in das Bild, sondern in das Vermögen der Kunst selbst hineinzusinken glaubt. Mehr passiert eigentlich nicht, trotzdem glaubt man ein Wunder gesehen zu haben. [DIE WELT]

Der perfecte Nam June Paik

Von Friedhelm Denkeler,

»When too perfect lieber Gott böse«, Nam June Paik, Foto © Friedhelm Denkeler 2010
»When too perfect lieber Gott böse«, Nam June Paik, Foto © Friedhelm Denkeler 2010
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Spion im Gabardine-Anzug und Kamera in der Fliege

Von Friedhelm Denkeler,

Paul Simon und Art Garfunkel fahren im Greyhound über eine Bridge Over Troubled Water

In diesem Jahr feierten und feiern sieben Rocklegenden ihren 70. Geburtstag: Bob Dylan, Neil Diamond, Art Garfunkel, Chubby Checker, David Crosby, Charlie Watts und Eric Burdon. Eric Burdon Am Anfang war es tierisch …, Bob Dylan Wie ein Rollender Stein, der kein Moos ansetzt …, Chubby Checker  Vom Rock ‘n’ Roll zum Twist – Let’s twist again und David Crosby If I Could Only Remember My Name … David Crosby habe ich bereits vorgestellt. Heute soll es um Art Garfunkel vom Folk-Rock-Duo Simon und Garfunkel gehen.

Laughing on the bus, playing games with the faces. She said the man in the gabardine suit was a spy, I said be careful his bowtie is really a camera.

"Auffahrt zum Großglockner", Foto © Friedhelm Denkeler 1968
»Auffahrt zum Großglockner«, Foto © Friedhelm Denkeler 1968

1970 erschien das legendäre Album Bridge Over Troubled Water von Simon & Garfunkel, das sich auch in meiner Vinyl-Sammlung befindet. Die schmalzigen Songs wie El Condor Pasa, Cecilia, The Boxer, The Only Living Boy in New York oder By, By Love kann ich leider heute nicht mehr hören, und das liegt nicht daran, dass mein alter Plattenspieler im Keller steht. Also habe ich mich nach älteren Songs umgeschaut und dabei habe ich America entdeckt (!), dass 1968 auf ihrem Album Bookends erschienen ist: Simon and Garfunkel: »America«

»Thematisch erscheint der Track wie ein Roadsong von Chuck Barry aus der Perspektive von Jack Kerouac« so Stephen Patience in 1001 Songs. Einen Auftritt bei David Letterman, bei dem sie America singen, habe ich ebenfalls herausgesucht. Der Song selbst sowie Text und Musik von Paul Simon, sind weniger bekannt, aber auch hier bleibe ich dabei: Aus heutiger Sicht zu übertrieben gefühlvoll gesungen. Da erfreue ich mich lieber an David Bowie’s Version: David Bowie: »America (Concert For New York City)«

Diese denkwürdige, minimalistische Version von America, die David Bowie am 20. Oktober 2001 im Madison Square Garden in New York City als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September, im Schneidersitz sitzend und sich auf einem Spielzeug-Piano (Suzuki Omnichord) begleitend, gefällt mir dagegen sehr. Etwas Ähnliches habe ich noch nie gesehen und gehört.

Für die Single Mrs. Robinson und das Album The Graduate (Die Reifeprüfung mit Dustin Hoffmann, 1969), für Bridge Over Troubled Water (Single und Album 1971) und für ihr Lebenswerk (2003) erhielten Simon & Garfunkel jeweils einen Grammy. Natürlich sind sie auch in der Rock and Roll Hall of Fame vertreten. »All come to look for America!«. Biografie Simon & Garfunkel bei laut.de

If I Could Only Remember My Name … David Crosby

Von Friedhelm Denkeler,

Und ich dachte, ich hätte das Licht gefunden, aber es war nur mein eigener Schatten

In diesem Jahr feierten und feiern sieben Rocklegenden ihren 70. Geburtstag: Bob Dylan, Neil Diamond, Art Garfunkel, Chubby Checker, David Crosby, Charlie Watts und Eric Burdon. Eric Burdon Am Anfang war es tierisch …, Bob Dylan Wie ein Rollender Stein, der kein Moos ansetzt … und Chubby Checker  Vom Rock ‘n’ Roll zum Twist – Let’s twist again habe ich bereits vorgestellt. Heute soll es um David Crosby, das Gründungsmitglied der Byrds und von Crosby, Stills and Nash (and Young), gehen.

And I thought I had found the light
To guide me through my nights and all this darkness
I was mistaken, it was only reflections of a shadow That I saw

"Selbst mit Rhus Typhina", Foto © Friedhelm Denkeler 2006
„Selbst mit Rhus Typhina“, Foto © Friedhelm Denkeler 2006

Von 1964 bis 1967 nahm David Crosby mit den Byrds fünf Alben auf, trennte sich aber nach Streitigkeiten von der Band und gründete mit Stephen Stills von Buffalo Springfield und Graham Nash von den Hollies die Supergroup Crosby, Stills & Nash. Später kam Neil Young hinzu. Ihr epochaler Woodstock-Auftritt im August 1969 wird für immer in Erinnerung bleiben.

Ab 1971 arbeiteten die Bandmitglieder auch an Soloprojekten. David Crosby suchte für seinen bereits drei Jahre alten Song Laughing vergeblich einen Produzenten. Daraufhin tat er sich mit West-Coast Musikern wie Neil Young, Graham Nash, Joni Mitchell, Grace Slick von Jefferson Airplane und Mitgliedern von Grateful Dead zusammen. Sie nahmen gemeinsam in der berühmten Perro-Session von 1971 in San Francisco Laughing auf.

Das »sanft dahinfließende West-Coast-Meisterwerk zum Wohlfühlen« (James Harrisson) wurde im selben Jahr ein Track auf Crosbys erstem Album: If I Could Only Remember My Name …. Ich habe zwei Versionen herausgesucht: David Crosby: Laughing (Original) + Crosby & Nash: Laughing (Live, Amsterdam Oktober 2011)

David Crosby ist zweimal in der Rock and Roll Hall of Fame in Cleveland (Ohio) vertreten: Sowohl als Mitglied der Byrds und als auch von Crosby, Stills & Nash wurde er geehrt. Seit 1986 werden jedes Jahr neue Künstler in diese Ruhmeshalle aufgenommen, frühestens allerdings 25 Jahre nach Erscheinen der ersten Schallplatte/CD. Seit 1995 ist das gleichnamige Museum für Besucher geöffnet. www.davidcrosby.com  

November in Krottorf

Von Friedhelm Denkeler,

"Rote Beeren an der Bode", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Rote Beeren an der Bode«, Krottorf, Harzvorland, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Seit sechs Jahren bin ich regelmäßig im November in Krottorf (siehe hier). Das Dorf liegt inmitten der Magdeburger Börde, zwischen der Landeshauptstadt Magdeburg und dem Harz und gehört zur Verwaltungsgemeinschaft Gröningen. Mitten durch Krottorf fließt die Bode, die im Brockengebiet ihre Quellen hat. Nachdem sie Quedlinburg, Oschersleben und Krottorf passiert hat, fließt sie nach 140 Kilometer bei Nienburg in die Saale.

So bot sich schon vor mehr als hundert Jahren an, an dieser Stelle eine Wassermühle zu errichten. 1896 wurde diese in das Elektricitätswerk Crottorf AG umgewandelt und nachdem die gesamte Anlage im Jahr 2000 von Grund auf saniert wurde, zog hier die e•on|Avacon AG-Akademie ein. Bedingt durch das Wasser und die zahlreichen Niederungen habe ich Krottorf bisher hauptsächlich im Nebel und in der Dämmerung erlebt. Das heutige Bild entstand auf einem Spaziergang zwischen den beiden Armen der Bode. Auf meiner Website LICHTBILDER finden Sie eine Auswahl von 24 Photos aus der Serie Krottorf, die im Jahr 2008 entstanden ist.

Wie auf Wolken gehen und liegen

Von Friedhelm Denkeler,

Tomás Saraceno’s »Cloud Cities« im Hamburger Bahnhof (bis 15. 01.2012)

"Historische Halle mit Cloud Cities", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Historische Halle mit Cloud Cities«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Die Historische Halle des Hamburger Bahnhofs wird nach den beiden letzten Ausstellungen Richard Longs Berlin Circle und Carsten Höllers Soma nun zum dritten Mal in Folge optimal bespielt – mit Ballonmodulen und Spinnennetzen des Argentiniers Tomás Saraceno. Der Künstler nennt seine Werke Biosphären, die man als Besucher teilweise betreten kann.

Inspirationsquellen waren für Saraceno die Leichtigkeit von Seifenblassen und die Flexibilität von Spinnennetzen. In den Modulen wachsen Tillandsien und Menschen kriechen ungeschickt umher, andere Module schimmern einfach nur bunt wie Seifenblasen. Ob die Installation zukunftsweisend ist oder für immer Utopie bleiben wird, werden wir sicherlich nicht mehr erleben.

"Schweben in der Biosphäre", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
„Schweben in der Biosphäre“, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

»Das gemeinsame Erleben, das man in der Ausstellung erfahren kann, ist sehr wichtig. Der größte Ballon mit einem Durchmesser von 22 Metern und ein etwas kleinerer sind begehbar, und wenn man in eine der Sphären eintritt, wird sofort spürbar, wie sensibel sie auf die Bewegungen reagiert. Zum einen gibt die Folie nach, zum anderen sind die Sphären nicht statisch, sondern rundherum mit Seilen fixiert, die quer durch den ganzen Raum gespannt sind.

Man muss das eigene Verhalten also ein bisschen anpassen. Und das gilt erst recht, wenn mehrere Leute zusammen sind: Wenn du versuchst zu stehen und ich mich stark bewege, dann fällst du um. Es ist zwar eine Installation im Museum, ein Kunstwerk, was auch immer.

Aber es löst vor allem einen Dialog aus: zwischen Leuten, dem Objekt, der Luft, der Schwerkraft. Zu Dingen also, zu denen wir sonst kein sehr kommunikatives Verhältnis haben, weil wir sie selbstverständlich finden.« [Financial Times: Der Mensch muss abheben, um die Natur zu retten]

Als Gegenmodell zu Saracenos Himmelskörpern kann man übrigens die Architektur-Skulptur Room with My Soul Left Out, Room That Does Not Care von Bruce Nauman ganz am Ende der Rieckhallen ansehen: Im Gegensatz zu Cloud Cities ein trostloses, kaltes Verließ unter der Erde. Bei den derzeitigen Temperaturen und dem November-Wetter zeigen sich in der Historischen Halle doch einige Lichtblicke mehr. Website Tomás Saraceno.

Mayer bittet zum Rapport

Von Friedhelm Denkeler,

»Datensicherungsmuster« von Jürgen Mayer H. in der Berlinischen Galerie

"Rapport", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Rapport«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Der Architekt und Künstler Jürgen Mayer H. hat den Boden und die Wände der zwei Stockwerke hohen Eingangshalle der Berlinischen Galerie mit einem schwarz-weiß gemusterten Teppich ausgestattet.

Das Muster des Teppichs geht auf sogenannte Datensicherungs-Muster zurück. Mayer H. sammelt seit längerem diese Formen, die sich auf den Innenseiten der Briefumschläge von Behörden, Versicherungen und insbesondere Banken zum Schutz der vertraulichen Daten befinden.

Zusätzlich sind vom Künstler mittels Laser aus Kunststoff geschnittene Raum-Modelle zu sehen, mit denen er das Prinzip der Übertragung von zweidimensionalen Flächen in dreidimensionale Formen fortsetzt. Weitere Werke werden auf einem Monitor gezeigt.

Mayer H. ist einer der wenigen deutschen Architekten, der sich gleichzeitig als Künstler versteht. Die Werke des in Berlin arbeitenden Architekten sind bereits in ganz Europa zu sehen.

In Berlin hat das Paradigma der kritischen Rekonstruktion bisher eine Auftragsvergabe an ihn verhindert. Eine Ausnahme ist das neuerbaute Haus in der Johannisstraße (ein Fotografisches Fundstück werde ich nachliefern). Die Ausstellung Rapport. Experimentelle Raumstrukturen ist noch bis zum 9. April 2012 in der Berlinischen Galerie in Berlin zu sehen.

Rap|port, der; -[e]s, -e <franz.> (Bericht, dienstl. Meldung;
Textiltechnik Musterwiederholung bei Geweben) [Quelle: Der Duden]

Zur Zeit ist in der Berlinischen Galerie eine Neu-Präsentation der Sammlungsbestände Kunst von 1880 bis 1980 mit Werken aus den Bereichen Malerei, Grafik, Skulptur, Fotografie und Architektur, eingeteilt in die Kapitel Kunst um 1900, Expressionismus, Berlin Dada, die osteuropäische Avantgarde, Neue Sachlichkeit, Kunst im Nationalsozialismus, der Neuanfang nach 1945 und Nachkriegsarchitektur, Positionen der1970er Jahre zu sehen.

Über die beiden aktuellen fotografischen Ausstellungen Friedrich Seidenstücker (noch bis 6. Februar 2012) und Eva Besnyö (noch bis zum 27. Februar 2012) werde ich berichten. www.jmayerh.de

Hannover Calling!

Von Friedhelm Denkeler,

Stand der künstlerischen Fotografie seit den 1960er-Jahren. »Photography Calling!« im Sprengel-Museum Hannover bis zum 15.01.2012

"Fetisch", Foto © Friedhelm Denkeler 2003
»Fetisch«, Foto © Friedhelm Denkeler 2003

Photography Calling! zeigt mit Werken von 31 Fotografinnen und Fotografen auf über 2000 qm erstmals seit der großen Schau How You Look At It im Jahr 2000 eine umfassende Übersicht zum Stand der künstlerischen Fotografie seit den 1960er-Jahren.

Die Ausstellung wird vom Sprengel Museum Hannover in Kooperation mit der Niedersächsischen Sparkassenstiftung durchgeführt und stellt ausgehend von deren europaweit einzigartiger Sammlung von umfangreichen Werkgruppen ausgewählter amerikanischer und europäischer Fotografen die Frage nach der Geschichte und den Perspektiven des dokumentarischen Stils.

Mit Photography Calling! soll ein weiteres Signal gegeben werden, um Hannover als wichtigen Standort für künstlerische Fotografie im Norden zu etablieren.

Die Ausstellung findet ihre Ausgangspunkte in Werkgruppen von Robert Adams, Diane Arbus, Lewis Baltz, Bernd und Hilla Becher, William Eggleston, Lee Friedlander, John Gossage, Nicholas Nixon, Martin Parr und Michael Schmidt. Positionen wie die von Rineke Dijkstra, Paul Graham, Thomas Struth und Fotografinnen und Fotografen folgender Generationen, wie Jitka Hanzlová, Stephen Gill, Jochen Lempert, Elisabeth Neudörfl, Heidi Specker und Tobias Zielony, schreiben die fotografische Erzählung über die Welt mit den Mitteln einer streng dem Medium verpflichteten und doch zugleich höchst subjektiven Fotografie fort.

Max Baumann, Boris Mikhailov, Rita Ostrowskaja und Helga Paris und erweitern die Perspektive um Erfahrungen der biografisch prägenden Konfrontation mit unterschiedlichen politischen Systemen. Laura Bielau, Thomas Demand, Hans-Peter Feldmann, Andreas Gursky, Thomas Ruff, Wolfgang Tillmans und Jeff Wall verwenden Stilmittel des Dokumentarischen im Sinne einer modellhaften Auseinandersetzung mit Wahrnehmung. Viele der Arbeiten sind erstmals ausgestellt. [Quelle: Pressererklärung]

Der amerikanische Fotograf Walker Evans (1903–1975) hat den Begriff des dokumentarischen Stils 1971 geprägt. Als er zum Ende seines Lebens gefragt wurde, ob seine Fotografien Dokumente seien, antwortete er, die Polizei stelle fotografische Dokumente eines Tatorts her. Bei seinen Bildern aber handele es sich um Fotografien im dokumentarischen Stil.

Nicht das Dokument im wissenschaftlichen Sinn ist also Ziel der in dieser Richtung agierenden Fotografen, sondern die subjektive Sicht im Ausdruck des Dokumentarischen. Somit geht es bei den Werkgruppen der in der Sammlung vertretenen Autorinnen und Autoren nicht um eine klassische Form der Dokumentarfotografie, deren Ziel die fotografische Verdoppelung des Motivs ist, sondern darum, eine persönliche Sehweise zu formulieren, die auch das Verhältnis des Fotografen zur Welt zeigt.

Darüber hinaus verbindet die ausgewählten Fotografen ihr Interesse an einer gültigen Bildfindung. Ihre Werke dienen nicht vorrangig der Illustration gesellschaftlicher Themen. Vielmehr reflektieren ihre Arbeiten diese und beziehen ihren Stoff aus der Auseinandersetzung mit ihnen, sind aber als künstlerische Selbstäußerungen zu verstehen, die sich aus dem Dialog mit der realen Situation entwickeln.

In ihren Fotografien formulieren sie einen Glauben an das Kunstwerk als ästhetisches Objekt mit eigenen Gesetzmäßigkeiten. Dabei ist die Darstellung der Realität immer das Resultat des individuellen künstlerischen Vorgehens, die Wirklichkeit in den Bildern als eine Konstruktion von Authentizität, als Vorstellung von Welt zu verstehen. [aus: Thomas Weski: Sammlung unserer Wünsche]

Die Ausstellung wird kuratiert von Inka Schube, Kuratorin für Fotografie und Medienkunst, Sprengel Museum Hannover und Thomas Weski, Professor für Kulturen des Kuratorischen, Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig. Der Titel Photography Calling! erinnert an den Song London Calling! der Punkband The Clash aus dem Jahr 1979. www.sprengel-museum.de

Warum hat ein Stuhl vier Beine, wenn zwei ausreichen?

Von Friedhelm Denkeler,

»Warum vier Beine nehmen, wenn zwei ausreichen?«, Kurt Schwitters, Foto/Grafik © Friedhelm Denkeler 2010
»Warum vier Beine nehmen, wenn zwei ausreichen?«, Kurt Schwitters, Foto/Grafik © Friedhelm Denkeler 2010
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Warten auf den Big Bang – Lars von Triers »Melancholia« mit betörenden und verstörenden Bildern

Von Friedhelm Denkeler,

Ein Film, zwischen Roland Emmerich und Andrej Tarkowski, in dem die Welt still und leise und sehr schön untergeht

Lars von Triers "Melancholia", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Lars von Triers »Melancholia« im Delphi Filmpalast, Berlin, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Lars von Triers neuer Film beginnt mit einem fast zehnminütigen Prolog in neun schönen und abgründigen Bildern: Wir erblicken ein Schloss am Meer über dem drei Planeten, groß und hell wie der Mond, zu sehen sind; die Taxusbäume im Garten werfen einen doppelten Schatten, die Sonnenuhr zeigt verschiedene Zeiten an, über dem grünen Rasen schwebt ein kleiner Junge im Anzug zwischen zwei Frauen, eine Frau im Brautkleid versucht zu fliehen, aber dicke, meterlange Schlingwurzeln hemmen ihren Schritt.

In weiteren Stillleben zucken an Lichtleitungen und an den Händen der Frau Blitze in den Himmel; ein Pferd bricht zusammen, tote Vögel fallen vom Himmel und im letzten Bild des Prologs erscheint ein riesiger Planet, genannt Melancholia und kollidiert mit der Erde.

Alle Bilder sind mit einer extremen Zeitlupe gefilmt, sie verheißen Unheil und sind gleichzeitig betörend schön, die Bewegungen sind so langsam, dass man sie kaum wahrnimmt. Wagners Tristan und Isolde untermalen die Bilder.

Dieser Prolog nimmt im Grunde bereits die gesamte Geschichte des Films vorweg: Das Ende der Welt als Zusammenprall zweier Planeten. Die Erzählung besteht aus zwei Kapiteln: Justine (Kirsten Dunst) und Claire (Charlotte Gainsbourg). Justine spielt während der Hochzeitsfeier von Justine und Michael (Alexander Skarsgard), ein mit schwankender Handkamera gefilmtes absurdes Panoptikum aus Familienkrach und Feierlaune (herrlich biestig Charlotte Rampling als Mutter der Braut), während die Braut selbst, in Vorahnung des kommenden Unheils, langsam der Melancholie verfällt.

Im zweiten Kapitel Claire nähert sich der fremde Planet immer weiter der Erde und in der absurden Hoffnung, dass der große Zusammenprall ausbleibt, bereiten sich die Familien im Schloss am Meer, einige Tage nach der Hochzeit auf den alles entscheidenden Tag vor. Begleitet wird dieser Filmteil musikalisch von einem beunruhigenden, niederfrequenten Wummern.

Während bisher Justine im Mittelpunkt stand, so ist es nun ihre Schwester, die einer panischen Angst vor dem möglichen Weltuntergang verfällt. Justine hingegen wird immer gelassener. Sie schöpft aus der Gewissheit des Weltendes neue Kraft – in einer Szene ›sonnt‹ sie sich nackt im blauen Licht des Unheil bringenden Planeten (siehe hier).

Während die beiden Frauen den Untergang bewusst erleben, hat Claires Mann (Kiefer Sutherland), der analytisch denkende Wissenschaftler, das Ende für sich selbst vorweggenommen. Kirsten Dunst hat übrigens für ihre Darstellung der Justine in Cannes die Silberne Palme bekommen (im Vorjahr erhielt Charlotte Gainsbourg für ihre Rolle in Lars von Triers »Antichrist« den Preis für die beste weibliche Darstellerin).

Der Film ist virtuos, eine gewiefte Kombination von Genres und Motiven. Elemente des Katastrophenfilms sind vorhanden, auch dessen Mechanismen der Spannungserzeugung, die Ingmar-Bergmansche Neugier am Zerfall von Beziehungen und Selbstbildern fällt ins Auge, ein gewisses Interesse an Satire und Fantastik – all das von einer nervösen Dogma-Kamera beobachtet. Der Film ist größenwahnsinnig und kitschig, subtil und grausam. Also großartig. [DIE ZEIT]

Der frühe Vogel fängt den Wurm – und sieht das Hermelin

Von Friedhelm Denkeler,

Gesichter der Renaissance – Meisterwerke italienischer Portrait-Kunst

»Der frühe Vogel fängt den Wurm«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Bereits vor dem Beginn der großen Sonderausstellung in Berlin wurde um sie ein Hype erzeugt – auch wir ließen uns davon anstecken und besorgten uns rechtzeitig die Earlybird-Tickets. Und das war auch gut so, denn bereits zum Start der Ausstellung waren sie restlos ausverkauft.

Dank der Tickets konnten wir eine Stunde vor der offiziellen Öffnung des Bodemuseums, vorbei an der langen Schlange des Kassenhäuschens, die Ausstellung besuchen.

Zu diesem frühen Zeitpunkt war die Dame mit dem Hermelin, bewacht von finster dreinschauendem Aufsichtspersonal, noch ganz alleine ihrem Kabinett. Cecilia Gallerani (1473 – 1536), die 16jährige Geliebte des Herzogs von Mailand, konnten wir so in aller Ruhe bewundern.

Mit großer Sensibilität hat Leonardo da Vinci, zehn Jahre vor der berühmten Mona Lisa, sie mit ihrem Lieblingstier, dem Hermelin, gemalt. Nach Ansicht von Zoologen soll es sich allerdings um ein Frettchen handeln. Hermelin klingt aber viel schöner.

Es ist ein außergewöhnliches Porträt geworden: Mit weichem Licht sind die Züge der Celilia vor dem Dunkel des Hintergrundes dargestellt. Dabei scheint es, als wende sie sich über die Schulter einem Gegenüber außerhalb des Bildfeldes zu. Diesem gilt auch die Aufmerksamkeit des gespannten Hermelins auf ihrem Arm. Ist es der Ehemann oder der Liebhaber?

Mach Deine Gestalten immer so, dass der Kopf nicht auf dieselbe Seite gewendet ist wie die Brust, denn die Natur hat uns zu unserer Bequemlichkeit den Hals gegeben, der mit Leichtigkeit den verschiedenen Gelüsten des Auges folgen und sich in verschiedenen Richtungen drehen kann.

"Am Bodemuseum", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Am Bodemuseum«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Das schreibt Leonardo da Vinci in seinem Lehrbuch der Malerei. Sein Bildnis der Cecilia scheint die praktische Umsetzung dieses Grundsatzes zu sein. Das bedeutet auch, dass sie sich zu ihrem Liebhaber umwendet.

Die Gesichter der Renaissance entstanden in Kooperation der Staatlichen Museen Berlin mit dem Metropolitan Museum of Art, New York. Die Ausstellung mit mehr als 150 Hauptwerken der italienischen Portraitkunst des 15. Jahrhunderts läuft noch bis zum 20. November 2011.

Einen zweiten Besuch der Ausstellung (es soll dank verlängerter Öffnungszeiten noch Tickets für die Abendstunden geben) und einen weiteren Bericht habe ich geplant.

Die Dame mit dem Hermelin (1489/90, 55×41 cm) ist allerdings nur bis zum 31. Oktober zu sehen. Da Vincis Gemälde gehört der Sammlung Czartoryski, Krakau. Berlin ist eine der vorläufig letzten Stationen im Ausland, die das Werk zeigen darf. Anschließend wird es für zehn Jahre in Polen verbleiben. In dieser Zahl und dieser Schönheit werden diese Gesichter sicher nie wieder zusammen kommen. Leonardo da Vinci: »Die Dame mit dem Hermelin«: Bild und Website.

Herbst im Kunstraum: Das Blatt verliert den Baum

Von Friedhelm Denkeler,

Gundula Schulze Eldowy im Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestages

Im Berliner Elisabeth-Lüders-Haus sind im Kunst-Raum unter dem Titel Verwandlungen. Fotografische Serien nach 1990 und im Mauer-Mahnmal mit einzelnen Werken aus der Serie Den Letzten beißen die Hunde bis zum 11. Januar 2012 Arbeiten von Gundula Schulze Eldowy zu sehen. Bekannt wurde die 1954 in Erfurt geborene Fotografin mit ihren sozialkritischen Fotografien, die ihren Ruf lange Zeit prägten, da alle noch in der DDR entstanden sind.

"Die doppelte Nofretete", Foto © Friedhelm Denkeler 2009
»Die doppelte Nofretete«, Foto © Friedhelm Denkeler 2009

Das veränderte sich mit der Maueröffnung 1989. Seitdem verbringt sie ihr Leben auf Reisen oder besser gesagt, sie lässt sich eine ganze Zeitlang woanders nieder, so dass in ihrer Biographie geschrieben steht: »Sie lebt in Berlin, Peru und auf Reisen«.

1985 begegnete sie in Ost-Berlin dem amerikanischen Fotografen Robert Frank, der sie förderte und 1990 nach New York einlud. Es folgten weitere Reisen in die USA (1990-1993), nach Italien (1991), nach Ägypten (1993–2000), nach Japan (1996/97), nach Moskau (1997), nach Istanbul (1997) und 2001 schließlich nach Peru, Bolivien und Ecuador.

Im Kunstraum wurde ich von den mannsgroßen Arbeiten von Gundula Schulze Eldowy überrascht: Es scheint, dass sie die Grenzen zwischen Malerei und Fotografie gekonnt vollzogen hat. In der Serie der Konstantinopel-Bilder überarbeitete sie Aufnahmen von Mosaiken und Fresken der byzantinischen Zeit an den jeweiligen Fehlstellen großflächig mit Blattgold und gibt den verblassten Heiligenbildern ihre eigentümliche Aura zurück. Allein wegen dieser Arbeit ist diese Ausstellung sehenswert.

Auf den in New York entstandenen Tafelbildern Spinning on my Heels überlagern sich in Mehrfach-Belichtungen New Yorker Straßenszenen und klassische Gemälde zu Bildern großstädtischen Lebens. Von den Moskauer Friedhöfen hat Schulze Eldowy die medaillongroßen und völlig verblassten Portraitfotos Verstorbener auf den Grabsteinen als Vorlage für ihre Serie Das Blatt verliert den Baum genommen. Die Arbeiten aus der Serie Der Wind füllt sich mit Wasser sind normal vergrößerte Aufnahmen, die zwischen 1977 und 1989 entstanden sind. Es handelt sich um wundervolle, stimmungsvolle Nebelbilder.

Im Mauer-Mahnmal selbst ist die Fotoserie Den Letzten beißen die Hunde zu sehen. Sie zeigt die Tage vor, während und nach dem Mauerfall. Im Dezember 2011 wird in der C/O-Galerie das Frühwerk von Gundula Schulze Eldowy, insbesondere ihre frühen Farbfotografien, zu sehen sein. Interview mit Gundula Schulze Eldowy: Teil 1, Teil 2, Teil 3.

Geselligkeit per Dienstplan

Von Friedhelm Denkeler,

»Ich verordne mir heute per Dienstplan Geselligkeit«, Harald Schmidt, Foto © Friedhelm Denkeler 2009
»Ich verordne mir heute per Dienstplan Geselligkeit«, Harald Schmidt, Foto © Friedhelm Denkeler 2009
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W. Eugene Smith – Fotografien. Eine Retrospektive

Von Friedhelm Denkeler,

Der Martin-Gropius-Bau Berlin zeigt die Werke des Life- und Magnum-Fotografen bis zum 27.November 2011

W. Eugene Smith, geboren 1918 in Wichita / Kansas und gestorben 1978 in Tucson / Arizona, hat sich seit den 1940er Jahren als politisch und sozial engagierter Fotojournalist in den USA einen Namen gemacht. Viele seiner Bildreportagen sind bei Life erschienen, dem wichtigen Magazin für Fotojournalismus, das 1936 in New York gegründet wurde. Smith sah in der Fotografie mehr als nur die Illustration zu einem Text und hat oft bei den Redakteuren mehr Mitsprache beim Gestalten eines Fotoessays eingefordert. Seinen beruflichen Einstieg fand er 1937 als Fotoreporter bei Newsweek.

1944 wurde er bei Life als Kriegskorrespondent angestellt und hielt die Schlacht von Saipan und die Landungen der Amerikaner auf den Inseln Iwojima und Okinawa fest. Im Zuge der Kämpfe veränderte sich der Stil seiner Aufnahmen: Statt enthusiastischer Darstellungen zeigte er das immense Leid der Zivilbevölkerung und entwickelte eine Bildperspektive, die den Betrachter emotional einbezog. Smith wurde am 22. Mai 1945 selbst schwer verletzt und musste bis 1947 mehrere Operationen über sich ergehen lassen.

"Im Gusswerk", Foto © Friedhelm Denkeler 2008
»Im Gusswerk«, Foto © Friedhelm Denkeler 2008

Den symbolischen Neubeginn verkörperte für ihn das erste Foto nach seiner Verwundung. A Walk to Paradise Garden zeigt seine beiden jüngeren Kinder beim Betreten einer sonnendurchfluteten Lichtung. »Während ich meinen Kindern ins Unterholz und zu der Gruppe höherer Bäume folgte – wie sie sich an jeder ihrer kleinen Entdeckungen erfreuen konnten! – und sie betrachtete, wusste ich auf einmal, dass ich trotz alledem, trotz aller Kriege und aller Niederlagen an diesem Tag, in diesem Augenblick ein Sonett auf das Leben und auf den Mut, es weiterzuleben, anstimmen wollte.« (1954)

Nach seiner Genesung arbeitete er erneut für Life. Besonders Dokumentationen, die das engagierte Wirken einfacher Menschen zeigten, beeindruckten die Leser. In The Country Doctor (erschienen 1948) begleitete er mehrere Wochen einen jungen Landarzt aus der Nähe von Denver bei seiner Arbeit. Sein Beitrag Nurse Midwife (erschienen 1951) über die schwarze Hebamme Maud Callen entstand vor dem Hintergrund von Rassendiskriminierung und des aktiven Wirkens des Ku-Klux-Klans im Süden der USA.

Mit der Reportage Spanish Village (erschienen 1951) hatte Smith mehr Erfolg. Er wollte einen Eindruck von den Lebensverhältnissen in einem faschistischen Regime vermitteln. Nach Erhalt der nötigen Fotoerlaubnis recherchierte er zwei Monate vor Ort und wählte ein abgeschiedenes Dorf in der Extremadura für die Aufnahmen aus. Etliche der Fotografien erinnern mit ihrem strengen Helldunkel und ihrer klar gebauten Komposition an malerische Vorbilder und vermitteln mittels dieser Stilisierung ein Gefühl für die Schwere und auch die Schönheit des dortigen Lebens.

Smiths Beitrag über Albert Schweitzers Wirken in Lambaréné sollte der letzte für Life werden: Die fehlende Mitsprache bei Bildauswahl und Layout waren für ihn nicht mehr hinnehmbar und er verließ die Zeitschrift nach Erscheinen des Essays A Man of Mercy im November 1955. Eine berufliche Alternative bot die Mitgliedschaft bei Magnum, der 1947 gegründeten Agentur für Fotografen. Im Auftrag von Stefan Lorant begann Smith eine umfassende Reportage über die Stadt Pittsburgh und ihre Eisenhütten, die ihn die nächsten Jahre beschäftigte und an seine finanziellen und persönlichen Grenzen brachte.

1971 widmete er sich mit der erschütternden Serie über die Minamata-Krankheit der forcierten Modernisierung Japans und ihren schwerwiegenden Folgen. Grund für die Erkrankungen war die vom Chemiekonzern Chisso verursachte Umweltverschmutzung: Der Konzern hatte quecksilberhaltiges Abwasser in der Nähe der Stadt Minamata ins Meer geleitet. Das Komitee zur Verteidigung der Opfer beauftragte Smith, die humane und ökologische Katastrophe zu dokumentieren und der Fotograf, der sich persönlich sehr für dieses Projekt engagierte, zog mit seiner zweiten Frau, Aileen Mioko Smith, nach Minamata. Mit seinen Bildern, die bei Life und in seinem Buch A Warning to the World … Minamata veröffentlicht wurden, trug er wesentlich zur Publikmachung und Aufklärung des Falles bei.

Smith fotografisches Werk wurde mit Beginn der 1970er Jahre zunehmend museal gewürdigt. Sein Foto A Walk to Paradise Garden hatte Edward Steichen für die Ausstellung The Family of Man (1955) als symbolgebendes Schlussbild gewählt, doch erst 1971 fand die erste Retrospektive Let Truth Be the Prejudice im Jewish Museum in New York statt. 1977 zog der schwer kranke Smith nach Tucson / Ariziona und übernahm an der dortigen Universität im letzten Lebensjahr eine Lehrtätigkeit. [Quelle: Presseinformation] www.martin-gropius-bau.de

Mars-Bilder von Thomas Ruff

Von Friedhelm Denkeler,

»Stellar Landscapes« in Münster bis zum 8. Januar 2012

Das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Münster präsentiert mit der Ausstellung Thomas Ruff. Stellar Landscapes einen der international bekanntesten deutschen Fotokünstler der Gegenwart. In mittlerweile über zwei Dutzend Serien hat Thomas Ruff wie kein anderer zeitgenössischer Künstler die Grenzen des Mediums Fotografie erforscht und definiert. »Mit den 60 Exponaten dieser hochkarätigen Ausstellung geht das LWL neue Wege: Die Einladung an den Düsseldorfer Fotokünstler Thomas Ruff läutet den Beginn einer verstärkten Auseinandersetzung mit der Fotografie hier im Landesmuseum ein«, so die Kulturdezernentin des LWL, Dr. Barbara Rüschoff-Thale.

"Sofortbild vom  Mars", Foto © Friedhelm Denkeler 2011 (Quelle: NASA/ University of Arizona)
»Sofortbild vom Mars«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011 (Quelle: NASA/ University of Arizona)

Im Fokus der Ausstellung Thomas Ruff. Stellar Landscapes stehen vier Serien aus Thomas Ruffs Werk: Die Serie Sterne, zwischen 1989 und 1992 entstanden, die zycles von 2007, die Serie cassini von 2008/2009 und aktuelle Arbeiten aus der Serie ma.r.s., die zum ersten Mal in einem Museum gezeigt werden. Ergänzend werden einzelne Arbeiten aus anderen Serien des Künstlers zu sehen sein.

Für das Museum bedeutet die Ausstellung zugleich den wichtigen Schritt, die vorhandene Sammlung der Gegenwartskunst um das Gebiet der Fotografie zu erweitern. »Sechs Arbeiten aus der Serie cassini wurden für die Sammlung des Museums angekauft und werden nun zum ersten Mal präsentiert«. [Museumsdirektor Dr. Hermann Arnhold]

Arnhold: »Der Blick in den Himmel übt auf die Menschen eine große Faszination aus. Sterne, Himmelslandschaften und Planeten geben uns eine Vorstellung von der Weite des Weltraums und von der Unendlichkeit der Welt. Thomas Ruff knüpft an diese Faszination an und schafft aus vorhandenem Bildmaterial, zum Beispiel von der NASA, großformatige Fotografien, die die Schönheit des Alls zeigen.« Dabei beschäftige sich der Künstler auch mit den grundlegenden Eigenschaften des Mediums Fotografie und wirft die Frage auf, welche Bedeutung die künstlerische Handschrift im digitalen Zeitalter hat.

Das Weltall und die Astronomie haben Thomas Ruff schon immer fasziniert. Orte außerhalb des menschlichen Lebensraums berühren elementare Fragen des Bewusstseins. Thomas Ruffs großformatige Sterne haben darum eine tiefe Wirkung auf den Betrachter: Einerseits mag man Sehnsucht verspüren angesichts der funkelnden Sternenlandschaften, zugleich aber auch Melancholie ob der eigenen Winzigkeit, der man sich in Anbetracht des unendlichen Alls bewusst wird. »Im Hintergrund schwingen jedoch andere Fragestellungen mit: Inwieweit ist das Medium Fotografie, das wir meist für objektiv halten, überhaupt dazu geeignet, eine authentische Wirklichkeit festzuhalten?«, erläuterte die Kuratorin der Ausstellung, Melanie Bono. Das Licht der Sterne weist in dem Moment, in dem es ins Objektiv der Kamera trifft, nicht zwangsläufig auf einen tatsächlich existierenden Stern. Vielmehr dauert die Reise des Lichts oft so lange, dass der Stern in Wirklichkeit schon längst verloschen ist. Bono: »Was genau ist nun also in diesen analogen, unbearbeiteten Fotografien zu sehen? Wie hoch kann ihr Wirklichkeitsgehalt sein?«

Ausgangsmaterial für alle gezeigten Fotografien war wissenschaftliches Bildmaterial, das zum Teil frei zugänglich im Internet zur Verfügung steht. Während Thomas Ruff bei der Serie Sterne den Bildausschnitt auswählte, bearbeitete er das Ausgangsmaterial der neueren Serien stärker: Für die Serien cassini und ma.r.s. verwendete Thomas Ruff Aufnahmen verschiedener NASA-Missionen. Er bearbeitete sie digital, ergänzte die Farben, manipulierte Kontraste und Bildausschnitte. Die ursprünglich sachlichen, schwarz-weißen Aufnahmen erhalten durch Ruffs Farbbearbeitung einen neuen Charakter: Die malerisch wirkenden, ästhetisierten Bilder werden in ihrer abstrakten Schönheit zu Projektionsflächen.

Schon seit 1989 hat Thomas Ruff die eigene Produktion von Fotografien zugunsten der Arbeit mit vorhandenem Material zurückgestellt. Er untersucht die Voraussetzungen und Bedingungen von Bildern im Kontext von klassischer Fotografie, Wissenschaft und Malerei und weckt Fragen nach der Abbildbarkeit der Wirklichkeit. Die visuelle Massenproduktion der Gegenwart ist genauso Ruffs Thema wie die Frage nach der Archivierung und nach dem Nutzen dieser Bilder. [Quelle: Presseinformation].

Berlin läuft …

Von Friedhelm Denkeler,

Portfolio »Marathon« (Collage), Berlin, Bild 1 von 3, Fotos/ Collage © Friedhelm Denkeler 2002
Portfolio »Marathon« (Collage), Berlin, Bild 1 von 3, Fotos/ Collage © Friedhelm Denkeler 2002

Anlässlich des heutigen 38. Berlin-Marathon-Laufes über die Distanz von 42,195 Kilometern mit fast 40.000 Läufern möchte ich auf meine 2002 entstandenen drei Collagen Marathon hinweisen. Dieses Jahr beginnt der Lauf auf der Straße des 17. Juni und endet an dem Sowjetischen Ehrenmal am Brandenburger Tor. 2002 führte die Marathon-Strecke noch über die Steglitzer Schloßstraße. Die Fotos sind von der Joachim-Tiburtius-Brücke mit Blick auf die Schloßstraße entstanden. Der erste Marathon-Läufer, der die Nachricht vom Sieg der Athener in der Schlacht von Marathon vor 2000 Jahren auf den 40 Kilometern langen Weg nach Athen brachte, brach der Legende nach mit den Worten »Wir haben gesiegt« zusammen. Das ist mir ein warnendes Beispiel geblieben, daher läuft Berlin heute ohne mich. Marathon, 2002