Der schwarze Schwan und der (un)perfekte Horror

Von Friedhelm Denkeler,

Natalie Portman in Black Swan zwischen Genie und Wahnsinn

In dem Psychotriller Black Swan bekommt die junge, aufstrebende Ballerina Nina Sayer (Natalie Portman) die Doppelrolle ihres Lebens: In Schwanensee soll sie sowohl den unschuldigen weißen als auch den dämonischen schwarzen Schwan verkörpern. Während sie die perfekte Besetzung für den weißen Schwan ist, muss sie für den Gegenpart der Figur lernen loszulassen und die dunkle Seite in sich hervorbringen … Ninas Verzweiflung wächst und sie stößt einen ebenso befreienden wie selbstzerstörerischen Prozess an, bei dem die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit verschwimmen. Aber ungeachtet aller Gefahren treibt Nina ihre Vorbereitungen für die Premiere des Stücks weiter – denn für sie zählt nur eines: Vollkommenheit. (Pressetext).

Der Verleih kündigt den Film auf dem Filmplakat in einer Unterzeile als „Psycho-erotischen Horror-Thriller“ an. Das Wort Horror nahmen wir leider erst direkt vor dem Kino zur Kenntnis! Nina lebt zwischen zwei Welten: rosa Plüschtiere im Kinderzimmer und eine ehrgeizige Übermutter, die wachend davor steht, sowie ein Ballettmeister, der sie zu Höchstleistungen antreibt.

»Selbst mit roten Lippen«, Delphi-Film-Palast, Berlin, Film: »Black Swan« mit Natalie Portman, Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Selbst mit roten Lippen«, Delphi-Film-Palast, Berlin, Film: »Black Swan« mit Natalie Portman, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Das Drama zwischen dem weißen und dem schwarzen Schwan, zwischen Gut und Böse müsste hauptsächlich im Kopf stattfinden. Stattdessen hat Regisseur Darren Aronofsky der langsam in den Wahn tanzenden Ballerina einen unnötigen, sehr realistischen Horror ins Drehbuch geschrieben. Und zwar mit der Holzhammermethode, damit auch der letzte Zuschauer begreift, dass er einem faustischen Drama beiwohnt.

Liebe Regisseure: Der Zuschauer ist gebildeter als ihr denkt und würde auch subtile Andeutungen verstehen! Durch diesen Psychothriller-Einschlag verliert der Film gewaltig an Authentizität, und Erotik war weit und breit nicht zu erkennen. Unverständlicherweise weist der zur Verfügung stehende Trailer in keiner Weise auf die bevorstehenden Szenen hin, sondern suggeriert ein klassisches Künstlerdrama zwischen Genie und Wahn.

Mein Fazit: Nicht empfehlenswert, wäre nicht Natalie Portman. »Mit Anmut und feuchten Augen durchmisst Portmans Nina das Martyrium, so glaubhaft – man könnte mit ihr wahnsinnig werden. Wer würde in diesem sich selbst reflektierenden Spiegelkabinett nicht den Blick dafür verlieren, was herbei phantasiert und was real ist, wer Opfer und wer Täter ist? Es ist beeindruckend zu sehen, wie die fragile Unschuld ihre Metamorphose zum stolzen, schwarzen Schwan vollzieht. Natalie Portman ist an dieser großen darstellerischen Aufgabe über sich hinaus gewachsen. Nina Sayers, die alles perfekt machen wollte, zerbricht an ihr, als der Vorhang fällt« so urteilt DIE ZEIT.

DER SPIEGEL schreibt »Sie ist in diesem Jahr das Maß aller Dinge«. Die 29-jährige Natalie Portman hat kürzlich den Golden Globe als beste Drama-Darstellerin erhalten und ist Kandidatin für den Oscar in der Kategorie Beste Weibliche Hauptdarstellerin. Deswegen und vor allem, weil ich ihr Debüt als Zwölfjährige in »Léon – Der Profi« von Luc Besson in bester Erinnerung habe, bin ich überhaupt in diesen Film gegangen.

Meine beiden Begleiterinnen hatten nach dem Kinobesuch aufgrund der Horrorszenen keinen rechten Appetit auf etwas Essbares. Ja, sie wollten sogar ein Drittel des Eintrittspreises zurückfordern, weil sie während dieser Zeit nicht auf die Leinwand gesehen hätten. Nach einer Kaffeepause im Büro eines klugerweise nicht mitgegangenen Menschen entdeckten wir aber den »Jäger und Sammler«, ein neues, schlicht-elegantes Restaurant in der Grundwaldstraße 81 in Schöneberg. Hier gibt es eine kleine, feine Speisekarte mit täglich wechselnden Leibgerichten des Kochs und der Wirt gibt gerne persönlich Auskunft über die ein oder andere Zutat. Das vorzügliche Essen und die schauspielerische Leistung von Natalie Portmann gaben dem Abend einen versöhnlichen Ausklang. Eindrücklich sei noch einmal gesagt, dass Black Swan kein Film für Ballettliebhaber ist!

Einfach einmal die Blickrichtung ändern

Von Friedhelm Denkeler,

»Um klar zu sehen, genügt of ein Wechsel der Blickrichtung«, Antoine de saint-Exupéry, Foto/Grafik © Friedhelm Denkeler 2010
»Um klar zu sehen, genügt of ein Wechsel der Blickrichtung«, Antoine de saint-Exupéry, Foto/Grafik © Friedhelm Denkeler 2010
Anmerkung zur Kategorie »«

In dieser Kategorie erscheint am ersten Tag eines Monat öfter ein bildlich umgesetzter Post mit einem Zitat. Das kann eine Photographie mit einem Spruch sein oder ein Bild, das grafisch mit dem Zitat des Monats gestaltet wurde.

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Das obskure Objekt der Begierde

Von Friedhelm Denkeler,

Die Schöne Helene für 72 Stunden in der Berliner Luft oder »Eros, C´est la vie«

"Marcel Duchamp: Belle Haleine – Eau de Voilette", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Marcel Duchamp: Belle Haleine – Eau de Voilette«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Alles ist inzwischen in der Hauptstadt möglich: zum Beispiel direkt nach der After-Show-Party um drei Uhr morgens, ins Museum zu gehen. Die Neue Nationalgalerie hat die obere Halle komplett leer geräumt und zeigt seit dem 27. Januar 2011, 24.00 Uhr, durchgehend für 72 Stunden das Assisted Readymade Belle Haleine – Eau de Voilette von Marcel Duchamp.

Es handelt sich um den Parfumflakon Un Air Embaumé (Duftende Luft) der Firma Rigaud, den Marcel Duchamp 1921 ›modifizierte‹, indem er das ursprüngliche Etikett durch den neuen Schriftzug »Belle Haleine – Eau de Voilette« ersetzte. Auf der Rückseite der Verpackung signierte er das Werk in Anspielung auf Eros, c’est la vie mit seinem Pseudonym Rrose Sélavy.

Belle Haleine oder Schöner Atem verweist auf die Schöne Helene aus der gleichnamigen Operette von Jacques Offenbach und somit auf die schönste Frau der Welt an sich. Auf dem neu entworfenen Flakon-Etikett hat Duchamp zusätzlich ein von Man Ray gemachtes Foto angebracht, das ihn selbst in Frauenkleidern zeigt.

Ob das Parfum noch duftet, konnte ich während meines Besuches leider nicht feststellen. Der Flakon steht unter einem riesengroßen, gläsernen Panzer, der dieselben Maße wie Nofretetes Schutzhaube im Neuen Museum aufweist. Damit wird die Belle Haleine als Ikone der Neuzeit auf eine Stufe mit der schönen Nofretete als Ikone der Antike gestellt.

"Das Objekt der Begierde", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Das Objekt der Begierde«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Marcel Duchamp entwickelte in den 1910er Jahren sein Konzept der Readymades. Kraft seines Amtes erklärte er Serienprodukte, die industriell hergestellt wurden, zu Kunstwerken. Berühmteste Beispiele sind das umgedrehte Urinal und die Fahrradfelge auf einem Hocker. Das Interesse an den nicht-materiellen Anteilen von Kunst, an einem Konzept und das Nachdenken über Originalität und Autorenschaft haben bis heute großen Einfluss auf die nachfolgenden Künstler.

Das Readymade Belle Haleine befand sich zuletzt im Nachlass von Yves Saint Laurent und ist der einzige im Original erhaltene Flakon. Im Februar 2010 wurde er bei Christie’s in Paris für 7,9 Millionen Euro (sic!) versteigert. Der Käufer ist nicht bekannt. Auch Udo Kittelmann, der Direktor der Nationalgalerie, verriet den Sammler nicht.

Während die Nofretete im Neuen Museum nicht mehr fotografiert werden darf, dürfen sich die Besucher in der Neuen Nationalgalerie bei freiem Eintritt noch bis heute Abend, 24.00 Uhr, von der Schönen Helene ›ein Bild machen‹.

Carsten Höllers ›Soma‹ im Hamburger Bahnhof – Kunstwerk oder Doppelblindverfahren?

Von Friedhelm Denkeler,

Wir haben das Soma getrunken; wir sind unsterblich geworden, wir haben das Licht gesehen; wir haben die Götter gefunden.

"Rentiere mit Volieren", Foto © Friedhelm Denkeler 2010
»Rentiere mit Volieren«, Foto © Friedhelm Denkeler 2010

Udo Kittelmann, der Generaldirektor der Nationalgalerie Berlin, könnte mittlerweile in Konkurrenz zu einem Zoodirektor treten. Erst zeigte er die herrlichen, aber zutiefst irritierenden Tieraquarelle von Walton Ford im Hamburger Bahnhof, dann die Installation von Willem de Rooij mit den Vogelstilleben des Altmeisters Melchior d’Hondecoeter in der Neuen Nationalgalerie (siehe hier) und jetzt in der Historischen Halle des Hamburger Bahnhofs ein lebendes Bild von Carsten Höller. Einen überwältigenden Eindruck hatte ich bereits bei meinem ersten Besuch in der Ausstellung erhalten (siehe hier).

Da in Höllers Installation alles zweifach vorhanden ist, sollte ein zweiter Besuch den Eindruck des ersten, sozusagen in einem Doppelblindversuch, verifizieren. Das Zitat »Wir haben das Soma getrunken …« stammt aus der ältesten der vier hinduistischen Gründungsschriften. Das Rezept für den Götterdrink ging allerdings verloren. Sprachwissenschaftler, Botaniker, Ethnologen und jetzt auch ein Künstler versuchen, es wiederzufinden.

Auf der Suche nach einer anderen Welt geht Höller mit seiner Installation dem Ursprung von Soma nach, einem mythischen Rauschtrank der indogermanischen Veden im 2. Jahrtausend vor Christus. Soma verhalf zu Erkenntnis und Zugang zur göttlichen Sphäre, zu Glück und Siegeskraft. Die überlieferten Schilderungen lassen darauf schließen, dass ein Gewächs den zentralen Inhaltsstoff lieferte; dessen Identität ist jedoch bis heute unklar. Aus botanischer, ethnologischer und etymologischer Sicht könnte es sich um den Fliegenpilz gehandelt haben. [die Ausstellungsmacher].

"Soma-Rohstoff", Foto © Friedhelm Denkeler 2010
»Soma-Rohstoff«, Foto © Friedhelm Denkeler 2010

»Carsten Höller studierte zunächst in Kiel Agrarwissenschaften und habilitierte sich 1993. Parallel zu seiner Arbeit als Naturwissenschaftler begann er seine künstlerische Laufbahn und integrierte das Experiment als Verfahrensweise in seine künstlerische Arbeit. Den Aufbau einer Versuchsanordnung zitierend, schafft er ein dreidimensionales, lebendes Bild, das sich entlang der Mittelachse in zwei gleiche Hälften teilt.

Tiere wurden ausgesucht, um eine vergleichende Studie (im Doppelblindversuch) anzutreten, deren Startpunkt der Fliegenpilz ist und an deren Ende die Wiedergewinnung und Nutzbarmachung des Tranks für den Menschen stehen könnte. In dem von Höller imaginierten Experiment würde den Kanarienvöglen, Mäusen und Fliegen der psychoaktive Urin von Rentieren verabreicht, die zuvor Fliegenpilze verzehrt haben.» Soweit die Ausstellungs-beschreibung, die Höller in einem Video noch weiter präzisiert.

Beim zweiten Besuch tritt trotz aller Magie der Versuchsanordnung ein wenig Ernüchterung ein. Carstens Höllers Werk ist an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft angesiedelt. Meinetwegen soll es ruhig Kunst sein und obwohl der Doppelblindversuch noch nicht abgeschlossen ist, werden viele Fragen zum Ende der Ausstellung am 6. Februar 2011 unbeantwortet bleiben.

Wer hat die Fliegenpilze gegessen? Wer hat das Soma getrunken? Die sanft kämpfenden Rentiere auf der linken Seite oder die wiederkäuenden auf der rechten, die inaktive Stubenfliege oder ist sie bereits tot, die tanzenden Mäuse oder sind sie nur wild auf das Futter, die trillernden Harzer Roller in den Vogelvolieren oder spüren sie schon den Frühling? Plötzlich leuchtet ein helles Licht durch die Halle oder war es der Blitz meiner Kamera? Der Aufseher scheint nichts bemerkt zu haben. Hat das Soma schon gewirkt und habe ich ›das Licht‹ gesehen?

Der Berliner Skulpturenfund im Neuen Museum

Von Friedhelm Denkeler,

Kunstwerke der frühen Moderne bei archäologischen Ausgrabungen vor dem Roten Rathaus entdeckt

Emy Roeder, "Schwangere", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Emy Roeder, »Schwangere«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Nachdem wir nach der Wieder-Eröffnung des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel im Jahr 2009 erstmals den Bau des Architekten und Schinkel-Schülers Friedrich August Stüler besichtigen konnten, stand jetzt ein erneuter Besuch an.

Das Ziel war, die Sammlungs-Bestände genauer kennenzulernen und die imposanten und behutsam restaurierten Räume ein weiteres Mal genießen zu können. Ein weiterer Grund des Museumsbesuches war die Sonderausstellung Der Berliner Skulpturenfund – Entartete Kunst im Bombenschutt.

"Griechischer Hof im Neuen Museum" Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Griechischer Hof, Neues Museum« Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Es war die Überraschung des Jahres, als im Oktober 2010 bei archäologischen Ausgrabungen in der historischen Mitte von Berlin, anlässlich der U-Bahn-Bauarbeiten für die neue Linie U5, verschollen geglaubte Exponate der von den Nazis beschlagnahmten und in der Ausstellung Entartete Kunst gezeigten Werke, gefunden wurden. Diese elf Skulpturen sind momentan im Griechischen Hof des Neuen Museums zu bewundern. Man sollte sie sich allein zu Ehren der damals von den Nazis verfemten Künstler anschauen. Zwei Werke möchte ich näher vorstellen.

Das obere Foto zeigt ein Fragment der Skulptur Schwangere von Emy Roeder aus dem Jahr 1918. Die ursprüngliche Höhe betrug 80 cm. 1920 erhielt sie hierfür den Preis der Preußischen Akademie der Künste. Das Werk aus Terrakotta wurde 1937 in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe von den Nazis beschlagnahmt. Emy Roeder nahm 1955 an der ersten documenta in Kassel teil.

«Die stilisierte Halbfigur der Schwangeren kann als eine der eindrucksvollsten expressionis-tischen Frauendarstellungen in der Bildhauerei gelten. Das Besondere ist, dass sie von einer Frau geschaffen wurde. Die junge Künstlerin mag dabei ihre eigene Lebenssituation in der Partnerschaft mit Herbert Garbe thematisiert haben. Über einem vasenartig gestalteten Körper ragt das ernste, schmale Gesicht mit den riesigen Augen auf. Ein Tuch umfängt den Kopf und bestärkt den madonnenhaften Eindruck der Gestalt.« (aus dem Ausstellungstext).

Marg Moll, "Tänzerin", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Marg Moll, „Tänzerin“, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Das zweite Werk besteht aus Messing und ist die Tänzerin von Marg Moll, um 1930 entstanden.

»Durch ihren Aufenthalt in Paris 1928 lernte Marg Moll die neuesten kubistischen Entwicklungen in der Bildhauerei kennen. Es gab Kontakte zu Alexander Archipenko, Constantin Brancusi und Ossip Zadkine. Anschließend gestaltete Moll Plastiken in stilisierten Formen mit Art Déco-Anklängen, die häufig in glänzendem Messing ausgeführt wurden; dazu gehört die Tänzerin. Die um 1930 entstandenen Skulpturen können als der Höhepunkt ihres Werkes eingeschätzt werden.« (aus dem Ausstellungstext).

1941 wurde die Skulptur im Spielfilm »Venus vor Gericht« als Ausstattungsstück verwendet, um eine Kunsthandlung mit entarteter Kunst zu charakterisieren.

Die beiden Werke von Roeder und Moll wurden in der Ausstellung Entartete Kunst in München (1937) und Berlin (ab 1938) gezeigt und galten bisher als verschollen. Neun weitere Skulpturen, mit ähnlicher Geschichte, sind bei den Ausgrabungen gefunden worden und in der Sonderausstellung zu sehen. Der Bau der neuen U-Bahn-Linie wurde und wird noch immer kontrovers diskutiert, aber allein diese Fundstücke haben ihm schon einen Sinn gegeben.

Nan Goldin – Ihre wilden Jahre in Berlin

Von Friedhelm Denkeler,

Die Berlinische Galerie zeigt »Berlin Work« noch bis zum 28. März 2011. Nan Goldins Fotografien sind mehr als Bilder ihres Lebens

Mit diesen Fotografien, die teilweise erstmalig öffentlich zu sehen sind, zeigt die Berlinische Galerie (BG), Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, einen guten Überblick über die Werke, die Nan Goldin zwischen 1984 und 2009 während zwei längerer Aufenthalte, teilweise dank eines DAAD-Stipendiums, in Berlin geschaffen hat. In einem Video gibt der Direktor der Berlinischen Galerie, Dr. Thomas Köhler, eine kurze Einführung in die Ausstellung.

»Spitzen-BH«, Foto © Friedhelm Denkeler 1999
»Spitzen-BH«, Foto © Friedhelm Denkeler 1999

Nan Goldins Farbfotografien zeigen in facettenreicher Üppigkeit ihre Family of Nan, in Anspielung auf die legendäre Fotoausstellung Family of Man der 1920er Jahre. Berühmt wurde sie durch die Serie Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit aus dem Jahr 1986. Goldin lebte in der Subkulturszene Bostons und New Yorks Lower East Side unter Drag Queens, Transvestiten und Homosexuellen. Und immer wieder finden wir Bilder, die Goldin von sich selbst und ihren Freunden gemacht hat. Mit diesen intimen Nahaufnahmen hat sie die Fotografie revolutionär erweitert.

Nan Goldin spricht davon, dass sie ein fotografisches Tagebuch ihres Lebens vorlegt. Das dürfte nicht der einzige Grund sein. Das machen viele Menschen auf der Welt so. Man sollte Künstlern auch nicht unbedingt alles abnehmen, was sie über ihr Werk erzählen. »Bilder zu machen erlaubt einem ja gerade die Möglichkeit, sich an Dinge zu wagen, denen man sich mit Worten nicht nähern kann oder wollte« so Wolfgang Tillmans in einem Artikel des ZEITmagazins. Auch mir fehlen die Worte, den Inhalt von Goldins Werk zu beschreiben oder um mit Susan Sontags Worten zu sprechen, »das wirksamste Element im Kunstwerk ist nicht selten das Schweigen«.

Ihre Berliner Bilder sind zwischen 1984 und 2009 entstanden. Der Bezug zur Berlinischen Galerie stellt sich nicht nur über den Berlin-Aufenthalt der Künstlerin her. Durch eine Schenkung gelangte im Jahr 1996 die Arbeit Self-portrait in my blue bathroom (1992) in die Sammlung der BG. Auch das umstrittene Foto Edda and Klara bellydancing, das wegen Kinderpornografie-Verdachts in Großbritannien schon einmal beschlagnahmt wurde, ist in der Ausstellung zu sehen. Die beiden Töchter der Künstlerin Käthe Kruse tanzen nackt in der Küche. »Wer darin pornografische Züge sieht«, sagt Goldin, »der ist echt krank.« (Zitat: Der Spiegel).

Die Ausstellung zeigt in thematischer und chronologischer Form einen Überblick dessen, was Nan Goldin während ihrer ausgiebigen Aufenthalte realisiert hat. Künstlerporträts, Interieurs, Selbstporträts, Stillleben und Straßenszenen geben Einblicke in das Leben einer Bohème jenseits der Klischees. Ihre Fotografien scheinen mit ihrer Schnappschuss-Ästhetik keinen Wert auf den sorgfältig komponierten und ausgeführten Farbabzug zu legen. Sie erhebt Personen zum Bildgegenstand, die eher Außenseiter-Rollen in der Gesellschaft und ihrer visuellen Kultur belegen. [Presseinformation].

Vor fast einem Jahr zeigte die C/O-Galerie die große Nan-Goldin-Ausstellung Poste Restante. Slide Shows/Grids im Berliner Postfuhramt mit Riesenerfolg. Die derzeitige Ausstellung in der BG haben in den ersten sieben Wochen auch bereits mehr als 20 000 Besucher gesehen. Während bei C/O in allen Räumlichkeiten fantastische Dia-Schauen ihrer Fotos liefen, sind jetzt 72 Farb-Fotos zu sehen, die sehr edel präsentiert werden: Sehr gute Farbprints, bestens gerahmt, auf verschiedenen, dunkelfarbigen Wänden gehängt und so perfekt beleuchtet, dass eine meiner beiden Begleiterinnen sie schon als Dias ansehen wollte. Zurzeit eine der besten Fotoausstellungen in der Hauptstadt. Sehr empfehlenswert.

Susanne Kriemann – Kunstpreis für zwei Hohlkehlen?

Von Friedhelm Denkeler,

Drei Kunstfreunde in der Museumshalle – ratlos. »Ashes and broken brickwork of a logical theory« noch bis zum 31.01.2011 in der Berlinischen Galerie

"Hohlkehle 1", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Hohlkehle 1«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Susanne Kriemann hat für ihre Arbeit den Kunstpreis 2010 der GASAG, der erstmals in Kooperation mit der Berlinischen Galerie vergeben wurde, erhalten. Der Preis wird für einen in Berlin tätigen Künstler, dessen Werk sich an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technik bewegt, alle zwei Jahre vergeben.

Was sehen wir in der Ausstellung als Erstes? Vier große Aufnahmen einer wüstenähnlichen Landschaft, vier Luftbild-Fotos mit Spuren menschlichen Lebens auf im Raum platzierten Tischen, Doppel-Fotos von Stadthäusern im Orient (scheinbar in der heutigen Zeit entstanden), historische Fotos von Beduinen (schwarz/weiß und farbig) und acht Fotografien, auf denen ein Buchumschlag in verschiedenen Ansichten dargestellt ist. Ich bin erstmal ratlos.

Die Übersetzung des Titels »Asche und zerbrochene Ziegel einer logischen Theorie« bringt auch keine Klarheit. Der Einleitungstext im Vorraum hingegen erklärt schon mehr. Des Weiteren gibt es noch einen DIN A4-Zettel mit weiterführenden Informationen. Wer ihn geschrieben hat, bleibt unklar: Der Kurator, die Künstlerin, eine Praktikantin? Also, bei den Landschaften handelt sich um Fotos, die Agathe Christie persönlich gemacht hat. Die Schriftstellerin begleitete ihren Mann, einen Archäologen, auf seinen Ausgrabungen in den 1930er Jahren in Mesopotamien.

"Hohlkehle 2", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
„Hohlkehle 2“, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Die Aufnahmen aus der Luft sind Fotos von Grabungsfeldern. Die Beduinen selbst waren als Grabungshelfer engagiert und wurden auch von Agatha Christie fotografiert. Die Buchumschläge-Fotos hat Kriemann von der Publikation eines Archäologen digging up the past gemacht. Am unklarsten sind die schwarz/weiß-Fotos von sich gegenüberliegenden Häusern in Damaskus, scheinbar von Kriemann selbst fotografiert. An den Haaren herbeigezogen ist hier allerdings die Berufung auf die Bildsprache von Bernd und Hilla Becher.

Noch weiter hergeholt ist die Begründung für Kriemanns Eingriff in den Ausstellungsraum mit den beiden Hohlkehlen (siehe Fotos). Für das Ausstellungsdesign waren das unnütze Kosten. Auch meine Begleitung, zwei Kunsthistorikerinnen, stets guten Willens und bemüht um Verständnis für künstlerische Freiheiten, blieben ratlos. Eine Nachbesprechung in den ganz in Lila neu gestalteten Räumen des jetzt empfehlenswerten Cafés der Berlinischen Galerie brachte ebenfalls keine neuen Erkenntnisse.

Sahen wir eine künstlerische Arbeit mit einem kuratorischen Konzept oder umgekehrt? Machen es sich die Künstler heute vielleicht ein bisschen zu einfach? Die Werke bewegen sich scheinbar im Kontext Künstler, Kurator und Wissenschaftler. Jedenfalls scheint das ein neuer Trend zu sein, den ich erstmals in der Ausstellung Intolerance von Willem de Rooi und auch in Carsten Höllers Soma bzw. Ein Rentier im Zöllnerstreifenwald, gesehen habe.

Interdisziplinarität als neues Schlagwort reicht allein nicht aus. Eine Idee muss konsequent nachvollziehbar sein, irgendetwas muss sich mitteilen wollen. Schade, dass trotz des perfekten Ausstellungsdesigns, der beabsichtigte Inhalt nicht sichtbar wurde. www.berlinischegalerie.de

Schönheiten in schwarz-weiß ›On Street‹

Von Friedhelm Denkeler,

Peter Lindbergh in der Galerie C|O bis 16. Januar 2011 verlängert

Foto © Friedhelm Denkeler 2010
Foto © Friedhelm Denkeler 2010

Die Fotoschau mit Peter Lindbergh (*1944) ist eine der erfolgreichsten seit dem 10-jährigen Bestehen der privaten C/O-Galerie. Mehr als 70.000 Besucher haben die Retrospektive nach der Eröffnung am 25. September 2010 gesehen und ich hatte dank der Verlängerung die Gelegenheit, sie mir noch ein zweites Mal anzusehen (und einen Bericht zu schreiben). Einige Bilder, genauer gesagt 9 von 120, waren bei meinem zweiten Besuch aufgrund einer juristischen Auseinandersetzung verhängt. Es handelt sich um Aufnahmen mit Veruschka Lehndorff. Schade.

Die Ausstellung im ehemaligen Postfuhramt besteht aus drei Teilen: Im ersten Teil befinden sich überwiegend Aufnahmen aus Berlin, da Lindbergh seit über 20 Jahren die Stadt und ihre Bewohner (und Models) fotografiert. Der zweite Teil der Ausstellung „A Selection“ besteht aus einer Auswahl aus Lindberghs Werken, die der Kurator Klaus Honnef getroffen hat. Er hat insbesondere jene fotografischen Ikonen herausgesucht, die Lindbergh berühmt machten. Der dritte Teil ist in der ehemaligen Sporthalle des Gebäudes untergebracht und besteht aus den Serien On Street und Looking At. Lindbergh hat hierzu die klassischen Locations für Modefotos verlassen und fotografiert auf belebten Straßen und Fußgänger-Übergängen, insbesondere in New York.

Ein eher untypisches Foto von Lindbergh ist mein Lieblingsbild, das 1990 für die italienische Vogue entstand: Das Model Helena Christensen trifft auf die kleinwüchsige Stuntfrau Debbie Lee Carrington im Astronautenkostüm, und man weiß nicht genau, wer in Lindberghs Augen hier eigentlich die Hauptrolle spielt (Bild siehe hier). Dieses Foto ist, wie auch alle anderen, in beeindruckender Größe (wandhoch) in dunkelbraunem Holzrahmen gehängt und insbesondere in der großen Halle scheinen die Szenen überlebensgroß auf den Betrachter zuzukommen.

Nach Peter Lindbergh zeigt C/O Berlin 187 Bilder aus dem Gesamtwerk von Robert Mapplethorpe. Die Retrospektive konzentriert sich auf seine fotografische Entwicklung, die anhand der frühen Polaroids bis hin zu den späten Stillleben und Porträts von Andy Warhol, Debbie Harry, Grace Jones und Patti Smith nachgezeichnet wird.

Roadtrips zu den Uncommon Places oder: Die Verklärung des Alltäglichen

Von Friedhelm Denkeler,

Stephen Shore, der Pionier der Farbfotografie, bei Sprüth Magers

"Lager mit Runddach", Foto © Friedhelm Denkeler 2009
»Lager mit Runddach«, Foto © Friedhelm Denkeler 2009

Bis in die 1970er Jahre war die Farbfotografie für künstlerisch arbeitende Autoren keine Selbstverständlichkeit. Sie war zu nah an der Ästhetik der Massenmedien und kaum einer der anerkannten Fotografen traute sich an sie heran. Der US-Amerikaner Stephen Shore (*1947) spielte, neben William Eggleston, eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Farb-Fotografie in den 1960er und 1970er Jahren. Beide gehören zu den Vorbereitern der New Color Photography.

Stephen Shore kenne ich bereits seit 1978 durch eine Gruppenausstellung in der Werkstatt für Photographie, Berlin, die Shores Straßenansichten mit den Arbeiten von Frank Gohlke, Joe Deal, Lewis Baltz und Carl Toth konfrontierte. Zwei Jahre später folgte eine Einzelausstellung von Shores Uncommon Places in der von Michael Schmidt geleiteten Werkstatt. Seitdem gehört er zu meinen Lieblingsfotografen. Zu meiner damaligen und noch heutigen Freude habe ich den 1982 erschienenen, inzwischen legendären, Fotoband Uncommon Places und das Original Twenty-First Street and Spruce Street, Philadelphia, Pennsylvania, June 21, 1974 erworben.

Aus diesem Grund wollte ich die Ausstellung, die bereits gestern zu Ende ging, mit 80 bisher unveröffentlichten Werken aus Shores Serie Uncommon Places bei Sprüth Magers, sehen. Es war mein erster Besuch in dieser Galerie. Sie befindet sich in einem Neubau in der Oranienburger Straße. Shore war in einem unfassbar großen Saal zu sehen, allein die Decke dürfte an die sieben Meter hoch sein. Die hier ausgestellten Werke wirkten gegenüber seinen bereits bekannten Farbfotografien eher schwächer: Der tolle „Farbsound“ fehlt. Auch die zwischen die Fotos gehängten Road Trip Journals (in ähnlicher Größe) empfand ich als störend. Sie hätten besser in eine Ecke Materialen gepasst.

Shores Arbeiten sind mit einer Großbildkamera im Format 20 x 25 cm entstanden. Früher zeigte (und verkaufte) er nur Kontaktkopien (also 1:1-Positive von Negativen) von beeindruckender Schärfe und Farbigkeit. Dagegen sind die, wahrscheinlich dem Markt geschuldeten, 50×60-Vergrößerungen bei Sprüth Magers eher ›blass‹ zu nennen.

Stephen Shore konnte bereits mit 14 Jahren (sic!) erste Fotos an das Museum of Modern Art verkaufen. Mit 17 lernte er Andy Warhol kennen und wirkte in dessen Factory mit. Mit 24 Jahren hatte er als zweiter lebender Fotograf überhaupt (der erste war Alfred Stieglitz) eine Einzelschau im Metropolitan Museum. Anschließend führten ihn mehrere Reisen durch die Staaten, woraus sich die beiden Serien American Surfaces und Uncommon Places ergaben. Er fotografierte auf ungewöhnliche Weise alltägliche Orte: sein Motelzimmer, den Frühstücksbagel, Autos, Hunde, Straßen mit Ampelanlagen, Landschaften, die Hauptstraßen der meist menschenleeren Dörfer und Einkaufszentren und deren Parkplätze. Durch genaues Hinsehen versieht er diese Orte mit einer bestimmten Aura.

Shores Fotografie schließt das Banale mit dem Mythos Amerika kurz. Darin erinnert sie mehr an amerikanische Literatur denn an Malerei. Im Rhythmus des Films – in Wenders  ›Paris, Texas‹ oder Adlons ›Out of Rosenheim‹ – begegnet man diesem Blick wieder. Die Fotografie aber hält die Zeit an. Das steigert die Lesbarkeit der Welt.   [Thomas Wagner, FAZ, 04.03.1995]

Es gibt sie noch – die guten deutschen (Liebes-)Filme

Von Friedhelm Denkeler,

DREI – Eine romantische Komödie, interpretiert von Tom Tykwer

"Delphi Filmpalast mit 'Drei' von Tom Tykwer", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Delphi Filmpalast mit »Drei« von Tom Tykwer und mit Sophie Rois, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Nach dem eher enttäuschenden Donnersmarck-Film »The Tourist« (siehe meinen Artikel) war ich sehr gespannt, wie der deutsche Filmemacher Tom Tykwer (Lola rennt 1998, Das Parfüm 2006, The International 2009) seinen neuen Film DREI umgesetzt hat. Um es schnell zu sagen, der Besuch im Kino hat sich gelohnt. Insbesondere, da meine Lieblingsschauspielerin Sophie Rois die Hauptrolle innehat. Aber auch die beiden männlichen Hauptdarsteller, Sebastian Schipper und Devid Striesow, sind mit ihren Rollen hervorragend besetzt und sehenswert.

Die Handlung in Kurzform: Seit 20 Jahren sind Hanna und Simon ein Paar. Sie leben in Berlin, nebeneinander und miteinander, in mal mehr, mal weniger Harmonie. Beide sind attraktiv, modern, gereift, kinderlos, kultiviert, realistisch. Fremdgehen, Kinderwunsch, Zusammenziehen, Fehlgeburten, Flucht und Rückkehr: die Kulturmoderatorin und der Kunsttechniker haben vieles hinter sich, aber nicht mehr ganz so viel vor. Bis sich beide, ohne voneinander zu wissen, in denselben Mann verlieben. Adam Born, Stammzellen-Forscher. Ein Mensch mit vielen Gesichtern, charmant, geheimnisvoll, ein Mann der Tat, kein Zauderer. Erst lässt sich Hanna mit ihm ein, wenig später auch Simon. Heimlich führen beide ihre Affären mit Adam, nicht ahnend, wie sehr das Geheimnis, das sie voreinander haben, sie miteinander verbindet. Erst als Hanna unverhofft schwanger wird, werden die drei Liebesbeziehungen ernsthaft auf die Probe gestellt.

Tykwer verpackt visuelle Ideen und romantische Spielereien gekonnt in 119 Filmminuten. Er deutet in kurzen Sequenzen sein Wissen über die großen Fragen der Menschheit an, überrascht mit Kamerafahrten und Bild-im-Bild-Szenen. Kurzum, er gibt Kostproben seines Könnens ohne den Zuschauer missionarisch belehren zu wollen.

Den Film sahen wir im Delphi-Filmpalast in der West-City inmitten eines sehr angenehmen Publikums, in einem schönen, großzügigen Kino. Übrigens: Popcorn gibt es im Kino nicht zu kaufen. Film und Kino: empfehlenswert.

Kauft nur noch Deutsche Schreibmaschinen … und Overstolz

Von Friedhelm Denkeler,

Welt aus Schrift. Das 20. Jahrhundert in Europa und den USA. Ikonographie und Entwicklungsgeschichte der Schrift-Bilder

"Overstolz", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Overstolz«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Die große, von der Kunstbibliothek kuratierte Ausstellung Welt aus Schrift – Das 20. Jahrhundert in Europa und den USA zeigt die typograhischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts, die Interaktion von Schrift und Bild und die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen freier und angewandter Kunst, die Expansion der Schrift in alle Lebens- und Wahrnehmungsbereiche.

Keine andere Epoche hat einen solchen Reichtum von Schriftformen hervorgebracht, und noch nie war Schrift in einer vergleichbar medialen Vielfalt präsent – im world wide web, in Informations-, Werbe- und Buchmedien, im öffentlichen Raum, in der Mode, in Fotografie, Film und Medienkunst.

Neben angewandten Arbeiten der freien Kunst gilt das Sammelinteresse der Kunst-Bibliothek vor allem den Entwicklungen des Grafikdesigns in den Alltagsmedien wie Zeitschrift, Buch, Zeitung, Plattencover, Inserat und Plakat und darüber hinaus den Beispielen des modernen Kommunikationsdesigns. Meisterwerke wie das Monumentalplakat zu Fritz Langs „Metropolis“ von 1927 sind Unikate von Weltrang. In der Ausstellung wird dieses universale Medienarchiv erstmals in seinem ganzen Umfang für die Öffentlichkeit erlebbar.

"Deutsche Schreibmaschinen", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Deutsche Schreibmaschinen«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Die fast 600 Exponate werden in sechs Doppeljahrzehnten dargestellt: Der Aufbruch in neue Gestaltungen als Reaktion auf den drohenden Qualitätsverlust im Zeitalter industrieller Druck-Herstellung (1890-1909), die typografischen Innovationen der Moderne (1910-1929), Einflüsse des Art Déco und die Instrumentalisierung der Schrift als politische Botschaft (1930-1949), die Nachkriegsmoderne zwischen swiss style und new bauhaus, die Auflösung der Grenzen zwischen Schrift und Bildender Kunst in Pop Art, Konkreter und Visueller Poesie (1950-1969), die Dekonstruktion der Schrift zwischen Konzeptkunst und Postmoderne (1970-1989) und schließlich die digitale Renaissance der Schrift als Universalmedium einer globalisierten Welt (1990-2009). Quelle: Pressemitteilung der SMB.

Drei (willkürliche) Beispiele habe ich herausgesucht: Ein Werbefaltblatt von Lucian Bernhard Alles Geld dem Vaterlande aus dem Jahr 1915 und die Werbeanzeige Overstolz von Oskar H.W. Hadank von 1930. Und als Drittes das Platten-Cover der Sex Pistols. Es steht für die Revolution der Schriftbilder in den späten 1970er Jahren durch die Musikkultur von Punk und Techno. All das hat sich in den Zeitschriften wie Rolling Stone, Spex und Frontpage und anderen niedergeschlagen.

"Sex Pistols", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
„Sex Pistols“, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

»Eines der sprechendsten Ausdrucksmittel jeder Stil-Epoche ist die Schrift. Sie gibt nächst der Architektur wohl das am meisten charakteristische Bild einer Zeit und das strengste Zeugnis für die geistige Entwicklungsstufe eines Volkes. Wie sich in der Architektur ein voller Schein des ganzen Wogens einer Zeit und äußeren Lebens eines Volkes widerspiegelt, so deutet die Schrift Zeichen inneren Wollens. Sie verrät von Stolz und Demut, von Zuversicht und Zweifel der Geschlechter», so schreibt, etwas pathetisch, 1901 Peter Behrens.

Die Ausstellung in den Sonderausstellungshallen im Kulturforum am Potsdamer Platz, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin-Tiergarten, läuft nur noch bis zum 16. Januar 2011. Wer danach Lust auf eine weitere Schrift-Ausstellung hat, kann sich im Kupferstich-Kabinett im Kulturforum noch die Ausstellung Schrift als Bild. Schriftkunst und Kunstschrift vom Mittelalter bis zur Neuzeit ansehen (bis 23. Januar 2011). Eine Führung durch die Ausstellung finden Sie hier.

Von der Köpfchenschimmel-Ästhetik zur Endzeit-Melancholie

Von Friedhelm Denkeler,

Schönheit jenseits des Sichtbaren. Mikro-Fotografie zwischen Wissenschaft und Kunst

"Mikro", Foto © Friedhelm Denkeler 2008
„Mikro“, Foto © Friedhelm Denkeler 2008

Das Museum für Fotografie zeigt eine kleine Geschichte der Mikro-Fotografie mit faszinierenden Bildern der fragilen Welt des Kleinen. Die Spannweite der Fotos bewegt sich zwischen dem naturwissenschaftlichen und künstlerischen Kontext. So sehen wir eine der ersten Mikro-Fotografien, Andreas von Ettingshausens Daguerreotypie von 1840 mit dem Querschnitt durch den Stängel einer Clematis, bis hin zu den Rasterelektronen-Fotografien der Becher-Schülerin Claudia Fährenkemper.

Die Fotografien zeigen die makellose Schönheit der Natur, wie auch Szenarien, die einem Horror-Film hätten entspringen können. Erwähnen möchte ich hier speziell die Arbeiten von Fritz Beill (1904 – 1997). Seine Bilder Menthol-Kristalle (1959) und Synthetisches Penizillin (1961) sehen aus, wie Standfotos eines Science-Fiction-Films.

Faszinierend fand ich ebenso das Mikro-Foto Komposition (um 1950) eines Glassplitters von Hermann Claasen (1899-1989) und Claudia Fährenkempers Zähne einer Froschlarve (2002) in einer 3000-fachen Vergrößerung aus ihrer Serie Metamorphosis. Die im Labor von Robert Koch entstandenen Aufnahmen vom Köpfchen-Schimmel hingegen erinnern an blühende Gräser auf einer Wiese.

In einem Video sehen Sie ein Interview mit dem Kurator der Ausstellung Ludger Derenthal und eine Auswahl der ausgestellten Werke. Die Ausstellung ist noch bis zum 9. Januar 2011 im Museum für Fotografie in der Jebenstraße 2 zusehen und zwar im ehemaligen, jetzt komplett renovierten und umgestalteten Kaisersaal im obersten Stockwerk.

Venezianisches Finale von Donnersmarck

Von Friedhelm Denkeler,

Angelina Jolie und Johnny Depp spielen als Touristen Tod in Venedig. Für noch größere Eimer Popcorn im Kino

Welchen Film habe ich gestern Abend bloß gesehen? Einen Agententhriller, einen Reisefilm, eine Liebesgeschichte, eine  Mafia-Story, einen Krimi, eine Gauner-Komödie oder einen Hollywood-Schinken? Oder war mein Kinobesuch Zeitverschwendung? Johnny spielt den Deppen – einen Mathematik-Lehrer aus Wisconsin, der seinen Liebeskummer in den Lagunen von Venedig ertränken möchte und Angelina in Haute Couture ist die laszive Diva mit Schmollmund und Hüftschwung, aber ohne jegliche erotische Finesse.

Die Story des Films in Kurzform: In einem Zug von Paris nach Venedig lernt Frank (Johnny Depp) Elise (Angelina Jolie) kennen, die sofort offensiv mit ihm flirtet. In Venedig angekommen sucht Elise weiterhin die Nähe zu Frank, der sich geschmeichelt fühlt. Aber die geheimnisvolle Unbekannte hat seinen Weg nicht zufällig gekreuzt. Nach einer gemeinsamen Nacht verschwindet sie. Hinter Frank sind sowohl russische Killer als auch der britische Geheimdienst her. Franks Ähnlichkeit mit Elises Ex-Freund, einem weltweit gesuchten Steuerbetrüger, wird ihm zum Verhängnis. Ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel beginnt. Den Trailer zum Film finden Sie hier.

Markusplatz» (Venezia ’79 la Fotografia«), Foto © Friedhelm Denkeler 1979
Markusplatz» (Venezia ’79 la Fotografia«), Foto © Friedhelm Denkeler 1979

Das Unterhaltungskunsthandwerk »The Tourist« ist kein Film, der in die Geschichte eingehen wird. Es war – wenn man vergisst, dass der Film von Florian Henckel von Donnersmarck, der für sein Spielfilmdebüt »Das Leben der Anderen« 2007 noch den Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhielt, halbwegs angenehme Kinounterhaltung. Meine Begleitung sah das allerdings anders. Sie möchte in den nächsten zehn Jahren Jolies Gesicht nicht mehr in Großaufnahme sehen (und ebenso wenig schlechte Filme von Donnersmarck). Auch die amerikanischen Kritiker konnten dem Film nichts abgewinnen: Euro-Chic-Bagatelle.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zum Kino-Besuch im Cinemaxx am Potsdamer Platz: Eigentlich ist man nirgendwo so schön auf einen Film zentriert, wie im Kino. »Während uns der Bildschirm, egal wie groß, nur ein Fenster in die Welt anbietet, ist das Kino die Welt.« (so die Zeitschrift Neon). Wenn aber links und rechts Zuschauer sitzen, die aus fast eimergroßen Behältnissen Popcorn mampfen und vor und hinter einem Taco-Chips mit Chili-Soße den gesamten Film über hineingestopft werden, dann kann einem die Lust am Film vergehen.

Aber vielleicht war ich nur im falschen Film. Kritiker verwenden inzwischen den Begriff Popcornkino, wenn es um Filme für den breiten Massengeschmack geht. Scheinbar geht der Kino-Trend in Richtung reine Unterhaltung, weniger Auseinandersetzung, mehr Spektakel und Stars. Schade. Aber Venedig sieht auf der Leinwand sehr gut aus – denkbar, dass ich einmal ein neues Foto machen werde.

Sächsischer Baguetteboden

Von Friedhelm Denkeler,

»Beuys oder nicht Beuys – Das ist hier die Frage«, Foto © Friedhelm Denkeler 2008
»Beuys oder nicht Beuys – Das ist hier die Frage«, Foto © Friedhelm Denkeler 2008

Ein glückliches und erfolgreiches Jahr 2011 wünscht Friedhelm Denkeler

Ein kurzes Video zum Jahresausklang und passend zu meinem Foto habe ich im Internet gefunden: Sächsischer Baguetteboden. Es geht um ein klassisches Missverständnis beim Fußbodenlegen (hauptsächlich in Sachsen).

Der Duden erklärt übrigens Still-Leben und Parkett wie folgt:

Still|le|ben, Still-Le|ben, das; -s, – (Malerei bildl. Darstellung von Gegenständen in künstl. Anordnung)

Par|kett, das; -[e]s, Plur. -e und -s <franz.> (im Theater meist vorderer Raum zu ebener Erde; getäfelter Fußboden)

Carsten Höller – Ein Rentier im Zöllnerstreifenwald

Von Friedhelm Denkeler,

Weihnachtliches Blinkobjekt und optische Täuschungen in der Schering Stiftung

"Im Zöllnerstreifenwald", Foto © Friedhelm Denkeler 2010
»Im Zöllnerstreifenwald«, Foto © Friedhelm Denkeler 2010

Nachdem ich gestern bereits die Ausstellung im Deutschen Guggenheim Color Fields besprochen habe (siehe hier), folgt heute der Bericht des anschließenden Besuchs in der Schering Stiftung, Unter den Linden 32-34.

Carsten Höller beleuchtet mit seinem Werk Rentier im Zöllnerstreifenwald im Projektraum der Schering Stiftung das Phi-Phänomen. Dieses bezeichnet die Wahrnehmung einer real nicht existierenden Bewegung, die im Auge durch das in kurzen Frequenzen ein- und wieder ausgeschaltete Licht zweier stationärer Lichtquellen entsteht. In einem Video erklärt Carsten Höller, was es mit dem Phi-Phänomen auf sich hat und was ihn daran interessiert.

Mit dem für die Ausstellung in der Schering Stiftung hergestellten Rentier bestehend aus roten und grünen Glühlampen, die in Phi-Manier an- und ausgehen, setzt Höller die Betrachter einer doppelten Illusion aus: Das Rentier steht in einem mit Zöllnerstreifen bemalten Raum, welche zwar parallel zueinander verlaufen, aber als divergierende Streifen wahrgenommen werden. Die Ausstellungsbesucher werden zum Probanden ihrer eigenen Destabilisation. Sie erfahren, wie sich unstete Zwischenzustände auf das eigene Befinden und die Raumwahrnehmung auswirken. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach dem Mechanismus der Illusionen. Wie kann es sein, dass springende Lichtpunkte gesehen werden, wenn die Lichtquelle, zu der der Lichtpunkt springt, noch gar nicht an ist? Wieso sehen die Zöllnerstreifen so aus, als würden sie nicht parallel zueinander verlaufen? [Zitat Presseerklärung].

Die Ausstellung ist als Ergänzung zur großen Ausstellung „Soma“ von Carsten Höller zu sehen. Meinen ersten Vorbericht „Ein Platz für Tiere – im Hamburger Bahnhof“ finden Sie hier. Die ausführliche Besprechung anhand eines zweiten Besuchs erfolgt in den nächsten Tagen.

Farbfeldmalerei im Deutschen Guggenheim

Von Friedhelm Denkeler,

Kenneth Noland, Mark Rothko, Frank Stella, u.a. mit »Color Fields«

"Rötliches Farbfeld", aus dem Portfolio "Das Prinzip der leeren Mitte", Foto © Friedhelm Denkeler 1994
»Rötliches Farbfeld», aus dem Portfolio »Das Prinzip der leeren Mitte», Foto © Friedhelm Denkeler 1994

Einen Spaziergang Unter den Linden nutzte ich, um mir die zurzeit aktuellen Ausstellungen im Deutschen Guggenheim Color Fields und in der Schering Stiftung Ein Rentier im Zöllnerstreifenwald, anzusehen. Zuerst zur Guggenheim-Ausstellung. Die Ausstellungsbroschüre leitet die Ausstellung wie folgt ein:

»In den Fünfzigern und Sechzigern begannen sich viele junge amerikanische Vertreter der abstrakten Malerei vom Kanon des Abstrakten Expressionismus und seiner Betonung des Gestischen und Emotionalen abzukehren. Dabei wandten sie sich neuen Ausrichtungen zu: einer radikal optisch orientierten Ausdrucksweise, die später unter dem Begriff „Color Field Painting/ Farbfeldmalerei“ bekannt wurde, und der „Pop-Art“, die die Bilder der Massenmedien zu einem neuen Stil verarbeitete. Während sich die Pop-Art dabei kontinuierlich auf aktuelle Phänomene bezog, indem sie die Bilder der Konsumgesellschaft neu interpretierte, distanzierte sich die Farbfeldmalerei bewusst von jeglichen gesellschaftlichen Bezügen, um sich ganz auf das emotionale Potential der Farbe zu konzentrieren.«

Namhafte Künstler wie Kenneth Noland, Mark Rothko, Frank Stella und zehn weitere Künstler sind in der Ausstellung vertreten. Ein Video gibt einen kurzen, aber guten Überblick über die Ausstellung. Die nichtgegenständliche Farbfeldmalerei mit ihren großflächigen homogenen Farbfeldern ist nicht unbedingt meine bevorzugte Kunstrichtung. Einige Künstler tränken ihre großformatigen Leinwände mit Farbe, statt sie zu bemalen. Andere malen farbige Streifen auf die Leinwand oder besprühen sie. Am spannendsten fand ich noch Frank Stellas Harran II aus dem Jahr 1967 (siehe hier).

Der Besuch der Ausstellung war von kurzer Dauer. Es ließ sich alles auf den ersten Blick erkennen. Von dem anschließenden Besuch der Schering-Stiftung erhoffte ich mir mehr. Der Bericht folgt morgen.

»John, die Brille!« oder: »Leben im Nirgendwo viele Genies?«

Von Friedhelm Denkeler,

Nowhere Boy – Ein Film über John Lennons Jugendjahre

"Elli Meinert", ca. 1946, © Friedhelm Denkeler
»Elli Meinert«“, ca. 1946, © Archiv Friedhelm Denkeler

Zum 30. Todestag von John Lennon erinnert ein, im positiven Sinne, ruhiger und unspektakulärer Film an die Kinder- und Jugendjahre Lennons im Liverpool der späten Fünfziger.

»Nowhere Boy«, der zurzeit in den Kinos läuft, zeigt Lennon, wie wir ihn bisher nicht kannten: als sarkastischen Schüler und pubertierenden Rock ’n‘ Roll-Rebellen auf der Suche nach Orientierung, die er zu Hause nicht bekommt. Als er fünf ist, trennen sich seine Eltern, weil seine Mutter ein Kind von einem anderen Mann erwartet. Den Trailer zum Film finden Sie hier.

John wächst bei Mimi, der Schwester seiner Mutter auf, die ihn mit Strenge erziehen möchte und deren Fürsorge in den leicht unbeholfenen Worten »John, die Brille!« zum Ausdruck kommt. Eines Tages trifft John jedoch seine Mutter Julia. Diese lebenslustige Frau führt John in die aufregende Welt des Rock ’n‘ Roll ein. Bei einem Ausflug nach Blackpool tanzt er mit ihr vor einer Musikbox nach »Rocket 88« von Ike Turner.

Zwischen beiden Frauen, Tante Mimi und Mutter Julia, ist John hin- und hergerissen und bleibt es bis zum frühen Tod der Mutter, den er als gerade 17-jähriger verkraften muss. Sie stirbt bei einem Unfall, als sie gerade begannen, sich einander wieder anzunähern. »Es war das Schlimmste, was mir je widerfahren ist«, sagte Lennon später.

Liverpool ist in den späten fünfziger Jahren eine triste Stadt, in der die Erwachsenen ein strenges Regiment aufrechterhalten möchten. »Dein Leben wird im Nirgendwo enden«, prophezeit der Rektor dem Schüler John als er mit einem Magazin erwischt wird. John antwortet schlagfertig: »Leben im Nirgendwo viele Genies?« Lennon passt sich im Rocker-Outfit, mit Lederjacke und nach hinten gegelten Haaren, immer mehr und dem Rock ’n‘ Roll an. Seine Mutter bringt ihm das Banjospielen bei, Tante Mimi schenkt ihm eine Gitarre und er gründet seine erste Band , die »Quarrymen« (1956).

Natürlich war ich gespannt auf die erste Begegnung zwischen dem emotionalen John Lennon und dem viel rationaleren und talentierteren Paul McCartney im Jahre 1957. Nach anfänglicher Konkurrenzsituation lernen sich beide als ideale Ergänzung zueinander schätzen.

Der Name Beatles wird im Film kein einziges Mal erwähnt. Nur in der Schlussszene ahnt man den Beginn der Popgeschichte mit der Gründung der Beatles vor 50 Jahren. Mit den Worten »Ich fahr nach Hamburg« (1960) verabschiedet sich John von Tante Mimi. »Mit deiner neuen Band?«, antwortet sie und im Abspann läuft Johns traurigster »Song Mother you had me / But I never had you« und im Kino fließen Tränen.

Siehe auch mein Artikel »Du wirst vielleicht sagen, ich bin ein Träumer« über John Lennons Hit Imagine.

Du wirst vielleicht sagen, ich bin ein Träumer

Von Friedhelm Denkeler,

John Lennons »Imagine« – Imagine there’s no heaven/ It’s easy if you try/ No hell below us/ Above us only sky

»Graffito«, Venedig, aus dem Portfolio »Harmonie eines Augenblicks«, Foto © Friedhelm Denkeler 1979
»Graffito«, Venedig, aus dem Portfolio »Harmonie eines Augenblicks«, Foto © Friedhelm Denkeler 1979

In diesem Monat vor 30 Jahren wurde John Lennon in New York vor seinem Appartement im Alter von 40 Jahren ermordet. Muss man heute erwähnen, dass er als Mitgründer, Sänger und Gitarrist der Beatles weltberühmt wurde? Nein, das ist bekannt. Anfang der 1960er Jahre trat John Lennon mit den Beatles im Star-Club Hamburg und später im Cavern Club in Liverpool auf. Während dieser Zeit heiratete er Cynthia Powell und ihr Sohn Julien wurde geboren.

Die Beatles feierten in kurzen Abständen ihre weltberühmten Hits: Love Me Do (die erste Single, 1962), Please Please Me (Single und erstes Album), I Want to Hold Your Hand (1964), A Hard Day’s Night (1964, Single, Spielfilm), Michelle (1965), Eleanor Rigby (1966), Strawberry Fields Forever (1966), All You Need Is Love (1967), Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band (Konzeptalbum, 1967), Hey Jude (1967), Back in the USSR (1968), Lady Madonna (1968) und Let It Be (1969), um nur einige zu nennen.

1969 heiratete John Lennon in Gibraltar die Japanerin Yoko Ono, die er 1966 kennenlernte. Es folgte ihr berühmtes einwöchiges Bed-In in Amsterdam und sie gründeten gemeinsam die Plastic Ono Band. John Lennons letztes Projekt mit den Beatles war Abbey Road. Es wurde eines der erfolgreichsten Alben. 1970 verkündete Paul McCartney das Ende der Beatles.

1971 zogen Lennon und Ono nach New York. Sie traten gemeinsam in Konzerten auf und veröffentlichten erste Schallplatten. John Lennons zweites Album Imagine war das kommerziell erfolgreichste. Es erzielte weltweit Spitzenplätze in den Charts. Der Titelsong, der in der Bestenliste »500 Greatest Songs of All Time« der Zeitschrift Rolling Stone auf Platz drei steht, ist Lennons bekanntester Song: John Lennon: »Imagine«

John Lennon wurde am 8. Dezember 1980 von dem Attentäter Mark David Chapman in New York vor seinem Haus, dem Dakota Building in der 72. Straße, erschossen. Wenige Stunden vor seinem Tod gab Lennon seinem späteren Mörder noch ein Autogramm. Einer der zahlreichen Fans, die sich stets vor seinem Appartement aufhielten, machte an diesem Tag das letzte Foto von John Lennon, das gleichzeitig im Hintergrund Chapmann zeigt.

Wo ist die Blaue Blume von Jeff Koons geblieben?

Von Friedhelm Denkeler,

Die Neue Eiszeit kommt und Balloon Flower geht

"Blaue Blume im Schnee", Foto © Friedhelm Denkeler 2006
»Blaue Blume im Schnee«, Foto © Friedhelm Denkeler 2006

Nichtsahnend kämpfe ich mich auf den neuen, schneebedeckten Berliner Trampelpfaden durch den Großstadtdschungel. Gibt es nicht ein neues Gesetz, das besagt, dass der Schnee weggeräumt werden muss? Egal, es ist genauso schlimm wie im letzten Winter – und das ist erst der Anfang, der kalendarische Winter beginnt schließlich erst am 22. Dezember. Deutet sich schon jetzt an, dass dieser Winter so frostig wird, wie es der vergangene war? Die Klimaexperten befürchten, jedenfalls in Europa, eine neue Eiszeit.

Auch auf der S-Bahn das übliche Chaos. Zunächst einmal fällt eine S-Bahn aus, aber irgendwann lande ich doch am Potsdamer Platz. Langsam wird es Weihnachten und ich sollte an die Weihnachtsgeschenke denken. Schon kommt der nächste Schock, die Skulptur Balloon Flower (Blue) von Jeff Koons ist verschwunden. Die Plastik wurde im Jahr 2000 durch die Kunstsammlung der Daimler AG für 1,8 Millionen Euro direkt vom Künstler erworben und stand seitdem auf dem Marlene-Dietrich-Platz.

Die blaue Balloon Flower ist eine von insgesamt fünf Skulpturen aus Koons Celebration-Serie. Die anderen Blumen wurden in magenta, orange, gelb und rot produziert und sind inzwischen in der ganzen Welt verteilt. 2008 wurde die magentafarbige Skulptur bei Christie’s in London für den Rekordpreis von 19 Millionen Euro versteigert. Ähnliches hatte sich Daimler jetzt bei einer Auktion von Christie’s in New York mit Einlieferung der blauen Balloon Flower erhofft. Es wurden aber nur 13 Millionen Euro. So schön blau wie auf meinem Foto aus dem Winter 2006 wird es also nie wieder in Berlin glänzen.

Der US-Künstler Jeff Koons, 1955 geboren, hat in seiner Serie Celebration die Formensprache von Kinderspielzeug und Geschenkartikeln in großformatige Skulpturen umgesetzt. 2008 wurde die Celebration-Serie in der Neuen Nationalgalerie Berlin ausgestellt (siehe Video). Das fast 3 x 3 x 3 Meter große und fünf Tonnen schwere Kunstwerk „Ballon Flower“, das wie eine Blume geformt ist, die Clowns und Straßenkünstler häufig aus Luftballons knoten, ist aus hochglanzpolierten Edelstahlgussteilen gefertigt und in einem leuchtenden Blau lackiert worden (hier ein weiteres Beispiel: Balloon dog).

Ein besonderes Problem bei der Herstellung war die gewünschte Lackierung. Edelstahl wird in der Regel nicht lackiert. Die thüringische Stahlbaufirma Arnold-Diller ließ daher ein spezielles Lacksystem entwickeln, das alle geforderten Ansprüche seitens des Künstlers erfüllte – hohe Transparenz und Brillanz bei gleichzeitiger Licht- und Wetterbeständigkeit. Um den speziellen optischen Effekt zu erzielen, der die brillante Tiefenwirkung ergibt, wurde die blaue Lasur in vier Schichten aufgetragen. Diese wurden anschließend angeschliffen, um wolkenähnliche Strukturen zu vermeiden. In zwei weiteren Schichten wurde der Klarlack aufgetragen und mit Zwischenschliff lackiert. Zum Abschluss wurde auf Hochglanz poliert. Die Farbigkeit der Balloon Flower ist einmalig.

Ein Platz für Tiere – im Hamburger Bahnhof

Von Friedhelm Denkeler,

Tableau vivant – ein lebendes Bild

Ein Platz für Tiere – im Hamburger Bahnhof
»Ein Platz für Tiere – im Hamburger Bahnhof», Foto © Friedhelm Denkeler 2010

Im Zentrum der aktuellen Ausstellung Soma von Carsten Höller im Hamburger Bahnhof steht die Suche nach dem Soma, dem Göttertrank. Dazu hat Höller im Doppelblindversuch in der großen Halle, links und rechts der Mittelachse, jeweils sechs Rentiere aus der Uckermark, zweimal sechs Kanarienvögel in Voilieren, je ein Mäusepärchen in schwarz und weiß, sowie jeweils eine  Stubenfliege in einer Vitrine dem Soma-Test ausgesetzt.

In der Mitte sieht man das Hochbett, in dem Gäste übernachten können. Sie werden ebenfalls Teil des lebenden Bildes. Ob sie auch Teil des Versuches sind, war nicht herauszufinden. Dass es sich um lebende Tiere handelt, konnte ich beim Betreten des Hamburger Bahnhofs bereits merken, ein deutlicher Stallgeruch liegt in der Luft.

Die Installation sieht man erst, wenn man die Zuschauertribüne umrundet hat (von dieser aus ist mein Foto entstanden) und in die Historische Halle blickt. Der erste Eindruck ist überwältigend. Eine Bewertung möchte ich deshalb erst nach einem zweiten Besuch der Ausstellung vornehmen. Eine Ausstellungsbesprechung folgt  in Kürze.

Ist Berlin nur eine große Modellbahnanlage?

Von Friedhelm Denkeler,

Im Film Little Big Berlin von Pilpop sieht Berlin wie eine Spielzeugwelt aus

"Ein Bücherturm mit Tilt Shift", Foto © Friedhelm Denkeler 2006
»Ein Bücherturm mit Tilt Shift«, Foto © Friedhelm Denkeler 2006

Der Kurzfilm Little Big Berlin von Pilpop, hinter dem Pseudonym steckt der Berliner Phillip Beuter, ist zur Zeit der Renner im Internet. Also, dann mache ich dafür auch noch ein bisschen Werbung. Der achtminütige Film nutzt die Tilt Shift-Technik zur gefühlvollen Inszenierung der Stadt und wird musikalisch untermalt mit der Hungarian Rhapsody No.2 von Franz Liszt. Bedingt durch technischen Trick und Zeitraffer erschafft Pilpop eine wunderschöne Miniaturoptik. So, jetzt sollten Sie sich diesen Film aber erstmal ansehen (bitte im Vollformat und in voller Länge): Little Big Berlin.

Viele Alltagsszenen, prominente Gebäude und Plätze sind aus erhöhten Standpunkten, wie dem Fernsehturm am Alexanderplatz oder der Humboldt-Box am Lustgarten, gefilmt worden. Durch die Tilt Shift-Technik entsteht eine interessante Unschärfe, die das Geschehen auf ein einmaliges Kleinformat reduziert. Die Faszination dieser „neuen“ Sinfonie der Großstadt wird durch die passende klassische Musik noch verstärkt. »Für die Japaner«, sagt Beuter, will er demnächst einen Film im Allgäu drehen –  über das Schloss Neuschwanstein.

Der Begriff Tilt Shift leitet sich von einem Spezialobjektiv für die Fotografie oder Projektion ab. Damit kann man das Linsensystem gegenüber der Filmebene verschieben und verschwenken. Durch das Verschwenken (Tilt) lässt sich die Schärfeebene verlagern (nach Scheimpflug). In der Regel wünscht man eine durchgehende Schärfe (Technik) oder eine selektive Schärfe (zur Bildgestaltung). Mit Hilfe der Verschiebung (Shift) lässt sich eine perspektivische Verzerrung korrigieren (stürzende Linien). Diese Effekte kann man natürlich, wie in Little Big Berlin, auch per Software erreichen.

Die verklebte Mitte

Von Friedhelm Denkeler,

"Schwarz-gelbe Mitte", Foto © Friedhelm Denkeler 2010
»Schwarz-gelbe Mitte«, aus dem Portfolio und Künstlerbuch »Mittig«, Foto © Friedhelm Denkeler 2010

Das Portfolio Mittig habe ich 2008 abgeschlossen, dennoch finde ich immer wieder neue Motive, wie hier auf der Baustelle am Schöneberger Kreuz. Das Photo ist gleichzeitig eine Reminiszenz an Andreas A. Koch und seine Serie Geklebte Stadt. Der Künstler stellte letzte Woche in dem Berliner Salon von Dr. Carola Muysers seine Arbeit Zufällig Philadelphia im Gespräch mit dem Kurator und Kunstwissenschaftler Peter Funken auf lebendige, anschauliche und amüsante Weise vor.

Auf meiner Website LICHTBILDER finden Sie eine Auswahl von 25 Photos aus meiner Serie Mittig. Das gesamte Portfolio besteht aus 152 Photographien im Format 21 x 29 cm. Die Bilder sind auch als Künstlerbuch mit 96 Seiten im Format 16 x 21 cm erschienen.

Grete Stern – Gran Chaco

Von Friedhelm Denkeler,

Fotoreportagen aus dem Norden Argentiniens 1958 bis 1964

"Ausstellungsplakat 1965 Grete Stern", Foto © Friedhelm Denkeler 2010
„Ausstellungsplakat 1965 Grete Stern“, Foto © Friedhelm Denkeler 2010

Im Ethnologischen Museum in Dahlem in der Lansstraße 8 sind bis zum 30.Januar 2011 Fotos von Grete Stern (Elberfeld 1904 – Buenos Aires 1999) zu sehen. Die Ausstellung zeigt hauptsächlich ihre dokumentarischen Sozialstudien der ethnischen Gruppen aus den Provinzen Gran Chaco, Formosa und Salta im Norden Argentiniens. Sie sind zwischen 1958 und 1964 während einer ethnologischen Expedition, im Rahmen eines Lehrauftrages und eines Stipendiums in den Dorfgemeinschaften der Indianer entstanden.

Zur Dokumentation der Lebens-bedingungen der Indios und ihrer handwerklichen Techniken hat Grete Stern Porträts von Personen und Gruppen, Kunsthandwerk, Hausformen sowie Landschaften aufgenommen. In der Ausstellung treten die Bilder in einen Dialog mit einer Auswahl von ethnographischen Objekten der indigenen Gruppen aus dem Ethnologischen Museum Berlin. Sie werden in vier Kapiteln vorgestellt: Kulturen in Bewegung, die Welt der Männer, die Welt der Frauen sowie Schamanismus und Religiosität. Eine Präsentation von ausgewählten Fotos habe ich hier gefunden.

Am Bauhaus lernte Grete Stern (hier ein Selbstporträt als Collage) ihren zukünftigen Ehemann, den argentinischen Fotografen Horacio Coppola kennen. 1934 emigrierte das Paar zunächst aus Nazi-Deutschland nach London, ein Jahr später nach Argentinien. 1936 eröffnete Grete Stern mit ihrem Ehemann in der Hauptstadt Buenos Aires ein Studio für Werbung und Fotografie. Das zeitgleich erworbene Haus wurde zum Treffpunkt für progressive Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle.

Bekannt wurde Grete Stern in den 1930er Jahren durch die gemeinsame Arbeit mit Ellen Auerbach und ihrer Porträt- und Werbefotografie im gemeinsam betriebenen Fotostudio ringl + pit in Berlin. Zwei Semester lang besuchte sie zusätzlich die Fotoklasse von Walter Peterhans am Berliner Bauhaus.

Ihre, in dieser Zeit erworbene Collage-Technik, fand später in Argentinien ihre Anwendung. Zwischen 1948 und 1951 erstellte sie wöchentlich eine Fotomontage für die Zeitschrift Idilio. Artikel, die der psychologischen Beratung dienten und sich mit Träumen beschäftigten, illustrierte sie. Diese Fotomontagen weisen unabhängig von ihrer ursprünglichen Funktion eine hohe künstlerische und für die damalige Zeit große handwerkliche Begabung auf (siehe Art of Photography – Grete Stern).

Diese zuletzt genannten Arbeiten sowie Grete Sterns Stillleben, Portraits und Landschaften werden in einem Einführungsteil zur Ausstellung nur zusammengefasst dargestellt. Insofern ist der Untertitel der Ausstellung „Vom Bauhaus zum Gran Chaco“ eher irreführend, da hauptsächlich ihre dokumentarischen Arbeiten, die mehr für ethnologisch Orientierte interessant sind, zu sehen sind. Von den aus meiner Sicht künstlerisch interessanteren Fotos hätte ich gerne mehr gesehen. Das aber war nicht Ziel dieser Ausstellung. Eine Auswahl weiterer Fotos finden sie hier.

Hier kommt der neue Trend – Verpixelte Photos

Von Friedhelm Denkeler,

Nicht ohne meinen Rechtsanwalt – Café Kranzler am Kurfürstendamm verpixelt

"Verpixeltes Café Kranzler", Foto © Friedhelm Denkeler 2010
»Verpixeltes Café Kranzler«, Foto © Friedhelm Denkeler 2010

Bevor ich wieder eine »Berechtigungsanfrage wegen Urheberrechtsverletzung« von einem Rechtsanwalt erhalte, habe ich sicherheitshalber das Café Kranzler auf dem heutigen Photo, es zeigt das Neue Kranzler-Eck in Berlin, unkenntlich gemacht. Eine unverpixelte Version des Café Kranzler finden Sie aber mit dem gelben Google-Pegman auf Google Street View und das in einer 360 Grad-Panorama-Version der Ecke Kurfürstendamm/ Joachimsthaler Straße. Ich hoffe, dass die ganze Verpixelei bald kein Thema mehr ist.