Gilbert & George: »Jeder ist sein eigener Freak«

Von Friedhelm Denkeler,

Die »Jack Freak Pictures« in den Hamburger Deichtorhallen

Wir sind ungesund, mittleren Alters, zotiger Gesinnung, exzentrisch, lüstern, depressiv, zynisch, leer, ausgebrannt, schäbig, hundsgemein, verträumt, ungehobelt, unmanierlich, arrogant, intellektuell, wehleidig, ehrlich, erfolgreich, tüchtig, zuvorkommend, künstlerisch, religiös, faschistisch, blutrünstig, neckisch, destruktiv, ehrgeizig, farbenprächtig, verdammt, stur, pervertiert und gut. Wir sind Künstler.

So stellt sich das Künstlerpaar und neuerdings auch Ehepaar Gilbert & George in der Eingangshalle als erstes vor. Und dann sehen wir die umfangreichste Serie, die die beiden je geschaffen haben. Die vor drei Jahren entstandenen leuchtenden, großformatigen Werke aus der Serie „Jack Freak Pictures“, die an viktorianische Glasmalereien erinnern, sind mit 120 von 150 Arbeiten in der kathedralenartigen Architektur der großen Deichtorhalle vertreten.

"Gilbert & George in der Deichtorhalle", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Gilbert & George in der Deichtorhalle«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Wir sehen kaleidoskopartige, poppig-sakrale am Computer generierte Bilder mit Medaillen, Orden, Bäumen, Blattwerk, Früchten und dem Stadtplan von East London und natürlich mit Gilbert & George persönlich, die aber oft bis zur Unkenntlichkeit verformt sind. Die Bildmotive, die sie in ihren Bildern verwenden, stammen zumeist aus der Umgebung ihres Wohnortes in East London, wo es ihrer Meinung nach „alles gibt, worum es in der Welt geht“. Verbindendes Symbol in allen Bildern ist der britische Union Jack. Und das ist das Problem. Auf Dauer wirken die Bilder ermüdend, 120 Mal Gilbert & George und 120 Mal der Union Jack sind dann doch des Guten zu viel. Links zu drei Bildern aus der Serie habe ich herausgesucht: hier, hier und hier.

Diesen Arbeiten fehlt gegenüber den früheren Bildern von Gilbert & George das Lebendige, das Einzigartige, der Esprit. Man spürt, dass es sich um computergenerierte Bilder handelt. Sie ähneln sich zu sehr und verlieren sich als Ganzes. Obwohl Gilbert & George auf allen Bildern vertreten sind, handelt es sich nicht unbedingt um Selbstinszenierungen, wir sehen nur ihre Hülle. Zustände der menschlichen Existenz sollen aufgezeigt werden und eine Beschreibung der modernen Welt aus der Perspektive der beiden Künstler.

Union Jack

Die Kuratoren schreiben: »Die Jack Freak Pictures gehören zu den symbolträchtigsten, philosophisch ausgeklügeltsten und visuell schlagkräftigsten Arbeiten, die Gilbert & George jemals hervorgebracht haben. Sie nehmen ihren Platz innerhalb der gesammelten Werke von Gilbert & George als gewaltiger Zusammenschluss der Themen und Gefühle ein, welche die beiden Künstler seit mehr als vierzig Jahren in ihrer Kunst erforschen. Die beiden Künstler sind in ihnen zugleich Opfer und Ungeheuer – Marionetten einer kosmischen Revue, schlaflose Wächter auf leeren Großstadtstraßen und irrblickende Kugelköpfe, wie Michael Bracewell in seinem Katalogessay feststellt«.

Trotz alledem, eine empfehlenswerte Ausstellung, denn in dieser Monumentalität werden wir Gilbert & George nicht so schnell wiedersehen. Die Ausstellung läuft noch bis zum 22.05.2011. In einem Video sprechen Gilbert & George über ihre Jack Freak Pictures in den Deichtorhallen (siehe hier). www.deichtorhallen.de

Noch ein Traummann …

Von Friedhelm Denkeler,

Joe Dallesandro Superstar – Der Traummann der 1970er Jahre in den Hamburger Deichtorhallen

"Das liest ganz Hamburg", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
„Das liest ganz Hamburg“, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Nein, soweit ist es noch nicht – mein Blog wird nicht von ganz Hamburg gelesen. Es ist und bleibt ein Blog aus der Hauptstadt.

Nach der Ausstellung Traummänner (siehe hier) und den Traumfrauen der 1970er Jahre, den Twins (siehe hier), folgt jetzt der Bericht über einen weiteren Traummann der 1970er Jahre, Joe Dallesandro, dem eine eigene Ausstellung gewidmet wird.

Francesco Scavullo (1922-2004), US-amerikanischer Modefotograf, fand, dass Dallesandro (geb. 1948) zu den zehn schönsten Männern gehört, die er je fotografiert hat. Sein weltberühmtes Foto von Little Joe, wie er in verschiedenen Filmrollen heißt, finden Sie hier.

Die von Andy Warhol produzierten Filme Flesh (siehe Filmplakat hier), 1968, Trash, 1970 und Heat unter der Regie von Paul Morrissey machten Dallesandro, insbesondere in der Subkultur, zum Star.

In allen Filmen spielt sich Dallesandro im Grunde genommen selbst. Durch seine enorme Präsenz und sinnlich-maskuline Schönheit wurde er zum größten geschlechtsübergreifenden Sexsymbol der späten sechziger Jahre und der Hippie- und Schwulenbewegung. Er verkörperte Underground, den ungeschönten Blick auf die Wild Side New Yorks und Kunst, die radikal alle Regeln brach. Die Ausstellung, die noch bis zum 22. Mai 2011 zu sehen ist, zeigt neben den Originalbildern weltberühmter Fotografen auch die Filmplakate und Standfotos aus zahlreichen Filmen.

Das visuelle Tagebuch der Zwillinge

Von Friedhelm Denkeler,

The Twins – A Visual Journey By Gisela Getty und Jutta Winkelmann in den Hamburger Deichtorhallen

Wir tragen nicht mehr als Tücher um die Hüften. Freie Kinder sind wir. Gut möglich, dass uns die katholischen Ureinwohner hier gleich steinigen werden. Aber Furcht liegt uns fern, von nun an wird uns nichts Schlimmes mehr passieren, nichts mehr wird uns aus der Fassung bringen. Wir sind unsterblich und heilig in einer an sich heiligen Welt. Nur hat die schusselige Welt das Vergessen.

"Die Zwillinge", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Die Zwillinge«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

In der Ausstellung The Twins fand ich dieses Zitat von Gisela Getty in der Nähe des Bildes Countryside, das die beiden 1949 in Kassel geborenen Zwillinge Jutta und Gisela 1973 in Rom zeigt. Das Foto von Robert Freeman ist gleichzeitig das Titelbild der Ausstellung (siehe mein Foto). Beides, Zitat und Foto, führe ich stellvertretend für die Fotografien, die das Leben der Schwestern Jutta Winkelmann und Gisela Getty, die als ideale Verkörperung des Zeitgeistes der 1970/80er Jahre gelten können, an.

Im Faltblatt wird die Ausstellung so angekündigt: »Die Schwestern aus Kassel waren Groupies, Musen, Göttinnen. Sie trafen Stars wie Bob Dylan, Sean Penn, Dennis Hopper und Roman Polanski, die beide in aufregenden Fotos festhielten. Die Fotos entstanden überall auf der Welt; es sind Bilder einer weiblichen, auch erotischen Selbstentdeckung, eine Bilderrevue der modernen Ahninnen der heutigen, suchenden Mädchen-Generation, die sich wieder neu erfinden will. Eine direkte Linie scheint von diesen Ur-Girls zum Neuen Feminismus einer Charlotte Roche zu verlaufen. Gleichzeitig sind die Bilder Zeugnisse der Anfänge früher deutsch-amerikanischer Popkultur.«

Eine kleine Auswahl der Abgebildeten: Zuerst sind natürlich Gisela, Jutta und Paul Getty zu nennen. Auf weiteren Fotos tauchen Rainer Langhans, Rio Reiser, Ralf Zacher, Uschi Obermeier, Hans Haas, Bommi Baumann, Wolf Wondratscheck, William Bourroughs, Bazon Brock, Mick Jagger, Irm Hermann, Rainer Werner Fassbinder, Bob Dylen, Sean Penn, Dennis Hopper, Paul Morrissey, Leonard Cohen, Werner Herzog, Jack Nickolson, Timothy Leary und Roman Polanski auf. Ein Who is Who jener Epoche.

Fotobuchtipp: The Twins, Jutta Winkelmann und Gisela Getty, 2010 bei Blumen bar erschienen, 50 €, ist bereits reduziert für 15 € im Buchhandel erhältlich und für einen Alt-68er ein muss. Die Biografie Die Zwillinge oder: Vom Versuch, Geist und Geld zu küssen (Weissbooks, 2008) wurde von den Rezensenten verrissen und wird inzwischen auch reduziert angeboten (12 €). Das Fotobuch habe ich in der Ausstellung erworben und werde es zu gegebener Zeit vorstellen.

Der Himmel über den Deichtorhallen und die Traummänner

Von Friedhelm Denkeler,

Traummänner – 50 Starfotografen zeigen ihre Vision vom Ideal in den Hamburger Deichtorhallen

"Der Himmel über den Deichtorhallen", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Der Himmel über den Deichtorhallen«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Der Himmel über den Deichtorhallen in Hamburg war fantastisch, aber ob die fotografierten Herren wirklich Traummänner oder eher Albtraum-Männer darstellen, wollten wir in der aktuellen Ausstellung der Deichtorhallen überprüfen. Die drei Ausstellungen Traummänner – 50 Starfotografen zeigen ihre Vision vom Ideal, The Twins – A Visual Journey By Gisela Getty & Jutta Winkelmann und Joe Dallesandro – Superstar im Haus der Photographie, sowie Gilbert & George – Jack Freak Pictures in der Halle für aktuelle Kunst sind zur Zeit in den Deichtorhallen zu sehen.

Zunächst zu den 150 Bildern der Traummänner: Die fünfzig Fotografen, von denen ich nur Peter Lindbergh, Mary Ellen Mark, Mary McCartney, Ellen von Unwerth, Bryan Adam, Margarita Broich und Bruce Weber kannte, »zeigen Männer aus verschiedenen Blickwinkeln, stark, schwach, sexy – moderne Männer, die mehr als die gesellschaftliche Idealvorstellung spiegeln, die etwas von der Substanz ihres Wesens aufscheinen lassen«, so die Ausstellungsankündigung. Ein Statement von acht Fotografen finden Sie hier.

Ob sexy, elegant oder witzig – um dem Bild eines Traummannes zu entsprechen, sollte ein Mann anscheinend vor allem prominent sein. Denn die meisten Fotografen wählten, frei von den Zwängen der Auftraggeber, Bilder von Schauspielern wie George Clooney, Tom Cruise, Benno Fürmann, Johnny Depp und Matt Dillon aus. Da die Traummänner hauptsächlich von Mode- und Werbefotografen abgelichtet wurden, ist das Ergebnis entsprechend: Der makellose George Clooney aus der perfekt gebügelten Welt oder Vincent Cassel, der harte Choreograph aus Black Swan (zu Black Swan siehe hier), der gleich von drei Fotografen gewählt wurde.

Die Ausstellung Traummänner ist das Folgeprojekt zu den Traumfrauen, die 2008 in den Deichtorhallen zu sehen waren. Fazit: »Der neue Mann ist der alte Mann. Das aber muss man nicht unbedingt glauben. Und sehen schon gar nicht» (Der Spiegel). Ein großer Teil der Männer stellte eher Albtraummänner dar, wie meine Frau meinte. Wer mag, kann sie noch bis zum 22. Mai 2011 bewundern.

Impressionen aus Hamburg: Morgenstimmung an der Binnenalster

Von Friedhelm Denkeler,

»Morgenstimmung an der Binnenalster«, Hamburg, Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Morgenstimmung an der Binnenalster«, Hamburg, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Der Weg von unserem Hotel zu den Kunsttempeln führte uns morgens in der Regel an der Binnenalster vorbei. Bei diesem herrlichen Frühlingswetter verweilten wir hier und genossen die Sicht auf den Alstersee, der im 17.Jahrhundert mit der Errichtung der Hamburger Wallanlagen in Außen- und Binnenalster getrennt wurde. Die Binnenalster, die eine Fläche von etwa 18 Hektar aufweist, ist der kleinere, südliche Teil des Alstersees. Sie wird von der Außenalster im Nordosten gespeist und fließt in der südlichen Ecke unterhalb des Jungfernstiegs über die Kleine Alster in Richtung Elbe ab. In der Mitte der Binnenalster befindet sich die bis zu 60 Meter Höhe speiende Alsterfontaine, die bei unserem Besuch aber noch nicht in Betrieb war.

Gilbert & Georg und Joe Dallesandro im Haus der Photographie in den Deichtorhallen in Hamburg

Von Friedhelm Denkeler,

"Deichtorhallen", Foto © Friedhelm Denkeler 2009
»Deichtorhallen«, Foto © Friedhelm Denkeler 2009

Während des anstehenden Hamburg-Aufenthalts wollen wir uns die beiden Ausstellungen von Gerhard Richter in der Hamburger Kunsthalle und im Bucerius Kunst Forum ansehen und im Haus der Photographie warten die Kunstschauen Jack Freak Pictures der Weltstars Gilbert & George; Der Traummann der 70er Jahre mit Joe Dallesandro – Superstar; Traummänner, 50 Starfotografen zeigen ihre Vision vom Ideal und The Twins, A Visual Journey By Gisela Getty & Jutta Winkelmann, auf uns. Über alle fünf Ausstellungen werde ich in den nächsten Tagen berichten.

Impressionen aus Hamburg: Der Tanz um das goldene Kalb

Von Friedhelm Denkeler,

Ein Pfeiler in der Elbe als Ausstellungsplatz

"Das Goldene Kalb", Foto © Friedhelm Denkeler 2009
»Das Goldene Kalb«, Foto © Friedhelm Denkeler 2009

Direkt an der Ellerholzbrücke zum Argentinien-Anleger steht auf einem roten Sockel auf einem ehemaligen Brückenkopf ein goldenes Kalb. Die Künstlerin Elisabeth Richnow hat den Pfeiler seit 2009 für fünf Jahre gepachtet. Das mystische Kunst-Tier aus Schlagmetall versteht sie als kritischen Kommentar zu Stadtplanung und Subventionspolitik im Hafen. Für die Künstlerin steht das Kalb für den Tanz um etwas Falsches und damit ist speziell der Ausbau der Hafencity gemeint, der bei den Bürgern angesichts klammer Kassen nicht immer auf Zustimmung stößt.

Von den Brücken – Ein großer, ästhetischer Genuss

Von Friedhelm Denkeler,

Karl-Ludwig Langes stimmungsvolle Photos in der Kommunalen Galerie Berlin

»Der Bunker im Volkspark Humboldthain«, Berlin-Wedding, Foto © Friedhelm Denkeler 1978, aus dem Portfolio und Künstlerbuch »Im Wedding«
»Der Bunker im Volkspark Humboldthain«, Berlin-Wedding, Foto © Friedhelm Denkeler 1978, aus dem Portfolio und Künstlerbuch »Im Wedding«

Mit dem Titel Von den Brücken: Stadtautobahnen und Eisenbahnanlagen, Berlin (West) 1973 bis 1998, zeigt die Kommunale Galerie am Fehrbelliner Platz Photographien von Karl-Ludwig Lange. Geboren 1949 in Minden/ Westfalen, lebt und arbeitet Lange seit 1967 als Photograph in Berlin.

Seit Jahrzehnten ist die Berliner Stadtgeschichte und Industriearchäologie Langes Arbeitsschwerpunkt. Darüber hinaus beschreibt er mit Hilfe der Photographie die Wechselbeziehung zwischen der Stadt Berlin und dem brandenburgischen Umland.

In der Kommunalen Galerie sind jetzt zwei große Gruppen von insgesamt 107 Photos zu sehen: Die Blicke von Berliner Brücken auf Schnellstraßen und Gleisanlagen. Die Eisenbahnanlagen zeugen von dem zentralen Verkehrsknotenpunkt, der Berlin in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war und die Stadtautobahn verdeutlicht die Entwicklung in der zweiten Hälfte.

Der Berliner Fotograf Karl-Ludwig Lange versteht sich im wörtlichen Sinne als Stadtfotograf. Im Gegensatz zum Architekturfotografen interessiert Lange nicht das singuläre architektonische Objekt. In all seinen Projekten und Arbeiten … begreift Lange Architektur als Umfeld für soziale und gesellschaftliche Phänomene, als Teil eines gestalteten Raumes, eines Gesamtzusammenhanges. Karl-Ludwig Lange geht es um urbane Strukturen, deren Geschichte und Entwicklungen, deren Zusammenhänge und Zeichenhaftigkeit. [Simone Förster]

Ein Besucher schrieb in das Gästebuch. »Möge es in Deinem Herzen heiterer aussehen als in Deinen Fotografien«, andere vermissen die Bildunterschriften (obwohl es ein Handout mit den Titeln gibt). Verstanden haben wohl beide die Bilder nicht. Die Titel würden wieder nur eine Dokumentation vortäuschen, würden vom eigentlichen Inhalt ablenken.

Langes Photos muss man auf sich wirken lassen und die Stimmungen in ihnen erkennen, dann überkommen einen, zum Beispiel in den noch nicht durchgestylten Brachen auf dem Bahngelände, die Sehnsüchte: November-Nebel, schneebedeckte Industrielandschaften und Schienen im Gegenlicht. Alle Bilder weisen mehr oder weniger ihre eigene melancholische Ästhetik auf. Die hervorragend von Lange abgezogenen Baryt-Prints tun ein Übriges dafür. Sehenswert! Unbedingt noch bis zum 24.04.2011 anschauen. www.kommunalegalerie-berlin.de + www.k-l-lange.de

Richard Longs Schlammkreis im Hamburger Bahnhof

Von Friedhelm Denkeler,

"Richard Longs Berlin-Circle", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Richard Longs Berlin-Circle«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Die Historische Halle im Hamburger Bahnhof wird nach dem Tableau vivant Soma (siehe hier) von Carsten Höller wieder einmal vorzüglich bespielt: Richard Longs Berlin Circle hat Einzug gehalten. Im Vordergrund des Bildes ist die Turf Line 1990, links der Black and White Circle 1988, dahinter der große Berlin Circle 1996 und anschließend der Sandstone Circle 1988 und Turf Circle 1998 zu sehen. Auf der hinteren Hallenwand hat Long speziell für die Berliner Ausstellung den River Avon Mud Circle erarbeitet.

Hurts – Wonderful Life

Von Friedhelm Denkeler,

Einen Echo für Theo Hutchcraft und Adam Anderson als „este Newcomer-Band International

"Wonderful Life", Foto © Friedhelm Denkeler 2010
»Wonderful Life«, Foto © Friedhelm Denkeler 2010

Die britische Synthie-Pop-Band Hurts aus Manchester hat bei der diesjährigen Echo-Verleihung in der Kategorie Bester Newcomer International den ersten Preis erhalten. Mitte 2010 erschien ihr Debütalbum Happiness mit der ausgekoppelten Single Wonderful Life, die drei Wochen auf Platz 2 der deutschen Charts stand.

»Sie sehen aus wie die Jungs, die vor 25 Jahren auf Bravo-Postern waren. Sie klingen wie Depeche Mode, Duran Duran oder A-ha. Und sie werden gefeiert dafür. Kein Wunder: Hurts machen auf ihrem Debüt Happiness die 1980er mit etwas Verspätung erst wirklich schick«, so Michael Kraft auf news.de.

Und laut.de schreibt: »Eng sitzende Anzüge, akkurater Kurzhaarschnitt, ernster Blick: Hurts fallen allein schon wegen ihrer strengen Ästhetik auf. Mit ihrem Schwerpunkt auf Eleganz schafft es das Duo aus Manchester nicht nur binnen kürzester Zeit auf Clubbühnen, sondern auch auf die Berlin Fashion Week, wo man sie rein äußerlich auch eher vermuten würde. Hier aber zunächst das Videos Hurts: »Wonderful Life«. Wenn Ihnen der Song bekannt vorkommt, so ist der Eindruck richtig. 1986 hatte die Band Black mit Wonderful Life einen Hit gelandet, der auch ihr einziger blieb. Ich finde das Original der Black musikalisch doch eine Spur besser und nicht nur weil es so ein schönes Video in schwarz/weiß ist: Black:»Wonderful Life«

Here I go out to sea again
the sunshine fills my hair and dreams hang in the air
gulls in the sky and in my blue eyes
you know it feels unfair there’s magic everywhere

Die Hamburger Oberhafen-Kantine in Berlin

Von Friedhelm Denkeler,

Hamburgs schräge Kaffeeklappe am Hamburger Bahnhof in Berlin

»Hamburger Oberhafen-Kantine auf dem Gelände des Hamburger Bahnhofs«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Hamburger Oberhafen-Kantine auf dem Gelände des Hamburger Bahnhofs«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Verrückt – im wahrsten Sinne des Wortes: Hamburgs einzige noch erhaltene Kaffeeklappe befindet sich in einer Replik des Hamburger Baumeisters und Künstlers Thorsten Passfeld zur Zeit auf dem Entwicklungsgelände an der Heidestraße in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs. Das 1925 entstandene Original, die windschiefe Kaffeeklappe in der Stockmeyerstraße auf dem Hamburger Hafengelände, ist sozusagen der Vorläufer von Starbucks und Caras.

Die Berliner Ausgabe wurde aus dem Holz von Abrisshäusern und Baustellen nachgebaut. Ein Symbol der Nachhaltigkeit, das mit Ausnahme des Grundgerüstes aus Abfallholz entstanden ist. Dank einer Hubkonstruktion soll sie genau so schief stehen können wie das Hamburger Original. Das Original in Hamburg ist allerdings aus rotem Backstein gebaut. Bei meinem anstehenden Hamburg-Besuch werde ich es mir ansehen. Zum neuen Kunstquartier siehe auch mein Artikel hier.

Always The Sun

Von Friedhelm Denkeler,

How many times have you woken up and prayed for the rain?/ How many times have you seen the papers apportion the blame?/ Who gets to say?/ Who gets to work and who gets to play?/ I was always told at school, everybody should get the same.

"Always The Sun", Foto © Friedhelm Denkeler 2010
»Always The Sun«, Foto © Friedhelm Denkeler 2010

Passend zu dem heutigen prächtigen Sonnenschein-Tag habe ich den herrlichen Song Always The Sun der Stranglers aus dem Jahr 1986 herausgesucht. Er stammt aus dem Album Dreamtime.

1974 schlossen sich drei Musiker im englischen Guildford zunächst als Guildford Stranglers zusammen, bekannt wurden sie dann aber unter dem Namen The Stranglers.

Die ›Würger‹ machten ihrem Namen alle Ehre: Sie prügelten sich mit Journalisten, landeten auch schon mal im Gefängnis und provozierten mit ihren sexistischen Liedtexten in einer »seltsamen Mischung aus Pessimismus und Romantizismus« [New Musical Express]

Mit ihrem Debütalbum Rattus Norvegicus machten sie die Ratte zum Punksymbol und ihren größten Hit hatten sie 1981 mit Golden Brown aus dem Album La Folie. In viele Songs habe ich heute noch einmal hinein gehört, aber Always The Sun ist und bleibt ihr schönster: There’s always the sun. Always, always, always the sun: The Stranglers: »Always The Sun«.

Für die sofortige Freilassung von Ai Weiwei – China setzt ein Zeichen gegen die Meinungsfreiheit

Von Friedhelm Denkeler,

Von dem chinesischen Künstler Ai Weiwei fehlt seit einer Woche jede Spur

"Ai Weiweis Template", Foto © Friedhelm Denkeler 2007
»Ai Weiweis Template«, Foto © Friedhelm Denkeler 2007

China setzt ein weiteres provokantes Zeichen gegen die Meinungsfreiheit: Von dem weltweit bekannten chinesischen Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei gibt es, nachdem er auf dem Flughafen in Peking am vorigen Sonntag festgenommen wurde, kein Lebenszeichen mehr. Kurz zuvor erst hatte Außenminister Westerwelle die große deutsche Ausstellung Kunst der Aufklärung in Peking eröffnet. Sein Besuch stand also ganz im Zeichen der Kunst und wurde bereits im Vorfeld kontrovers diskutiert. Die chinesische Regierung reichte heute den Grund der Verhaftung nach: Ai Weiwei soll Wirtschaftsverbrechen begannen haben. Das erinnert stark an den Fall Michail Chodorkowski in Russland.

Die Arbeiten des 53-jährigen Ai Weiwei habe ich erstmals auf der documenta 12 im August 2007 in Kassel kennengelernt. Dort hatte er eine acht Meter hohe Holzskulptur aus einzelnen, übereinander gestapelten alten chinesischen Holztüren ausgestellt, wobei die dazu gehörenden Häuser dem chinesischen Bauboom zum Opfer fielen. Dieses sogenannte Tor Template vor dem Kasseler Aue-Pavillon wurde kurz vor unserem Besuch von einem Sturm zerstört (siehe mein Foto). Ai Weiwei nahm das relativ gelassen: Sein Werk sei nach dem Zusammenbruch schöner als zuvor, sagte er. Das Werk vor der Zerstörung finden Sie hier.

»Ich empfinde es als eine Brüskierung aller, die an der Ausstellung beteiligt sind – auch des Außenministers. Es drängt sich der Eindruck auf, dass man die Eröffnung der Schau abgewartet hat, um dann eine von langer Hand vorbereitete Aktion zu starten. Vielleicht würden wir es anders wahrnehmen, wenn es in sechs oder zehn Wochen passiert wäre. Dass es passiert ist, während wir buchstäblich auf der Rollbahn standen, das ist besonders frustrierend«, so Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin. Er sollte, finde ich, seinen Worten auch Taten folgen lassen und die Berliner Leihgaben für die Pekinger Schau sofort zurückziehen. »Wandel durch Annäherung« ist ein schönes Schlagwort, aber manchmal ist eine Kritik mit Konsequenzen wirkungsvoller. Wirtschaftsbeziehungen hin oder her!

Am Donnerstag startete der Ex-Präsident des BDI Hans-Olaf Henkel eine Initiative, in der er Vertreter der Wirtschaft und Politik aufruft, sich für Ai Weiweis Freilassung einzusetzen. Ob Ai Weiwei seine geplante Ausstellung in Berlin am 29. April eröffnen kann, ist allerdings fraglich. Wegen seines politischen und gesellschaftlichen Engagements hatte er schon öfter unter Repressalien durch die chinesischen Behörden zu leiden. Am Brandenburger Tor in Berlin fand heute eine Kundgebung für die sofortige Freilassung von Ai Weiwei statt.

Monday Morning Feels So Bad

Von Friedhelm Denkeler,

Friday On My Mind – The Easybeats 1967 im Jaguar-Club, Herford

Monday morning feels so bad /Everybody seems to nag me /Come on Tuesday I feel better/ Even my old man looks good / Wednesday just won’t go / Thursday goes too slow /I’ve got Friday on my mind

"Die Easybeats im Jaguarclub", Foto © Friedhelm Denkeler 1967
»Die Easybeats im Jaguarclub«, Herford, OstWestfalen, Foto © Friedhelm Denkeler 1967

Monday Morning Feels So Bad habe ich an einem Montag im Jahre 1967 auf dem Weg zur Arbeit sicher auch gedacht. Aber bis zum Samstag, den 8. April 1967 war es ja nicht mehr weit. Und an diesem Tag spielten in der Scala des Jaguar-Club in Herford die Easybeats. Von 1966 bis 1970 war dieser Club der bekannteste Beat-Club in Ost-Westfalen. Das wird aber eine eigene Geschichte werden.

Die Bandmitglieder der Easybeats kamen aus Australien und entstammten Familien, die aus Europa nach Australien auswanderten. 1965 wurden sie Australiens erfolgreichste Popband. 1966 zogen sie nach England und hatten 1967 mit Friday On My Mind ihren größten Hit: The Easysbeats: »Friday On My Mind«

In Deutschland kam der Song im Januar 1967 unter die Top Ten. Die Easybeats lösten sich bereits 1969 wieder auf. Von Gary Moore, der im letzten Monat gestorben ist (siehe hier), wurde der Song später gecovert. Auch dieses Video habe ich herausgesucht: Gary Moore: »Friday On My Mind«. Entscheiden Sie selbst, wer den Song am besten interpretiert.

Der Frühling ist ausgebrochen …

Von Friedhelm Denkeler,

Das neue Kunstquartier und die Katzen an der Heidestraße

"Der Frühling ist ausgebrochen …", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Der Frühling ist ausgebrochen …«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

An diesem Sonntag, dem ersten echten Frühlingstag 2011, haben wir uns das Entwicklungsgebiet Heidestraße einmal genauer angesehen. Das Gebiet war jahrzehntelang ein Niemandsland zwischen Ost und West. Heute liegt es zentral direkt am Hauptbahnhof und an der Dependance der Neuen Nationalgalerie, dem Hamburger Bahnhof.

Nach dem Besuch der aktuellen Ausstellung Berlin Circle von Richard Long (demnächst mehr) im Hamburger Bahnhof, stand der Besuch des neuen Kunstquartiers an. Die dort ansässigen Galerien hatten am Sonntag natürlich alle geschlossen. Dadurch war es menschenleer, also fotografisch günstig und ich konnte in aller Ruhe z.B. die Hamburger Oberhafen-Kantine (demnächst mehr) und die nach wie vor pittoreske Gegend fotografieren. Auf dem ehemaligen Bahngelände hat das Cats-Musical-Theater vorrübergehend seine Zelte aufgeschlagen (siehe Foto).

Die Wahrheit

Von Friedhelm Denkeler,

»Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie abstreitet«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie abstreitet«, Potsdamer Platz, Berlin, Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Anmerkung zur Kategorie »«

In dieser Kategorie erscheint am ersten Tag eines Monat öfter ein bildlich umgesetzter Post mit einem Zitat. Das kann eine Photographie mit einem Spruch sein oder ein Bild, das grafisch mit dem Zitat des Monats gestaltet wurde.

Eine Übersicht über alle Artikel der Kategorie finden Sie unter »«.

Sommerzeit

Von Friedhelm Denkeler,

»Kupfer und Wolken«, Volkspark Potsdam, aus dem Portolio »Sonntagsbilder«, Foto © Friedhelm Denkeler 2002
»Kupfer und Wolken«, Volkspark Potsdam, aus dem Portolio »Sonntagsbilder«, Foto © Friedhelm Denkeler 2002

Auf die Funkuhren ist Verlass – alle Uhren waren heute Morgen eine Stunde im Plus. Zum Ausgleich dafür war mein Thermometer im Minus-Bereich. Also Winter-Temperaturen zur Sommerzeit. Nimmt man den Frühlingsanfang vom letzten Montag hinzu, wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Sommer irgendwann kommen.

Die jetzige Regelung mit der Sommer-/Winterzeit gibt es seit 1980. Laut Studien passieren am Montagmorgen nach der Zeitumstellung mehr Verkehrsunfälle als an einem normalen Montag. Deshalb werde ich morgen früh auf den Brandenburger Landstraßen besonders vorsichtig fahren, also nicht schneller als die Polizei erlaubt.

Das Photo stammt aus meinem Portfolio und Künstlerbuch Sonntagsbilder. Die gesamte Serie besteht aus 115 Photographien. Sie sind zwischen 2002 und 2005 entstanden. Die Bilder sind auch als gedrucktes Autorenbuch mit 124 Seiten im Format 21 x 21 cm erschienen. Eine Auswahl von 25 Photos finden Sie auf meiner Website www.denkeler-foto.de.

The Apparatjik Light Space Modulator

Von Friedhelm Denkeler,

Eine Mischung zwischen Kunst und Popmusik – Schattenspiele in der Neuen Nationalgalerie Berlin

"Selbst im Apparatjik Light Space Modulator", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Selbst im Apparatjik Light Space Modulator«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Zwei Wochen lang ist in der oberen Halle der Neuen Nationalgalerie ein – ja was denn, ein Kunstwerk, eine Installation mit Videos oder eine Musikperformance? – der Künstlergruppe Apparatjik zu sehen. Sie besteht aus vier Musikern: Guy Berryman (London) aus der Band Coldplay, Jonas Bjerre (Kopenhagen), Sänger der dänischen Indie-Rocker Mew, Magne Furuholmen (Oslo), Keyborder von a-ha und Martin Terefe (London).

»Apparatjik versteht sich als experimentelle Plattform und kooperiert mit einem Pool von Künstlern, Medien-Technikern, Designern, aber auch Wissenschaftlern wie dem Astrophysiker Max Tegmark oder der Kunstwissenschaftlerin Ute Bauer (MIT, Cambridge, USA)«, so der Text der Einladung. Während dieser zwei Wochen gibt die Künstlergruppe 3 Konzerte in der Nationalgalerie. Das dürfte sicher spannender werden als meine Besichtigung des weißen Kubus am Samstagmittag.

Der Kubus steht in der Mitte der ansonsten leeren, oberen Halle der Nationalgalerie und ist mit milchiger Folie überspannt. Um den Kubus herum sind auf dem Boden Spiegel ausgelegt. So hat man herrliche Blicke kreuz und quer durch die Halle (siehe Foto). Auf die Folie werden von innen heraus diverse abstrakte, farbige Bilder projiziert. Besonders in der Dämmerung dürfte dies gut aussehen, denn die Projektionen strahlen durch den Mies van der Rohe-Bau bis in den Stadtraum hinein.

Die Aufführungen knüpfen in ihrer medialen und performativen Ausrichtung an die visuellen Experimente von László Moholy-Nagy an, der wie Mies van der Rohe, dem Architekten der Neuen Nationalgalerie, am Bauhaus lehrte … Apparatjik bezieht sich damit konkret auf den elektrisch bewegten ‚Licht-Raum-Modulator‘, den Moholy-Nagy im Jahr 1930 geschaffen hatte [Pressetext].

… Harrisburg … Tschernobyl … Fukushima …

Von Friedhelm Denkeler,

Die Risiken der Atomenergie sind nicht beherrschbar

"Atomkraft? Nein, danke", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Atomkraft? Nein, danke«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Während des Autofahrens hörte ich heute im Radio, dass deutsche Atomkraftwerke nicht versichert sind. Warum? Den Versicherungsgesellschaften ist das Risiko zu groß (sic!). Eigentlich gibt es dazu nichts Weiteres zu sagen. Gut, sie sind mit 2,5 Millionen Euro versichert. Für Bagatellunfälle mag das reichen, aber ein GAU würde vielleicht 1000 Milliarden Euro Kosten.

Allein die Laufzeitverlängerung unserer Regierung beschert den Betreibern zusätzliche Gewinne von 119 Milliarden Euro. Müssten die AKW-Betreiber wie jeder Hundebesitzer und jeder Autofahrer eine ausreichende Haftpflichtversicherung abschließen, könnte kein Mensch den Atomstrom bezahlen. Das Problem hätte sich von allein gelöst. Fazit: Die Risiken der Atomenergie mit ihrem unschätzbaren Schadenspotenzial sind nicht beherrschbar. Atomkraft! Nein danke.

Das Paradies liegt im Baumarkt und die Apokalypse bereits hinter uns

Von Friedhelm Denkeler,

I (don’t) like Mondays bei Agathe Snows »All Access World« im Deutschen Guggenheim (bis 30. März 2011)

»Doppelbogen mit Brandenburger Tor« von Agathe Snow: »All Access World«, Deutsche Guggenheim, Unter den Linden, Berin, Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Doppelbogen mit Brandenburger Tor« von Agathe Snow: »All Access World«, Deutsche Guggenheim, Unter den Linden, Berlin, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Das Deutsche Guggenheim in Berlin hat seit 1997 insgesamt 16 Auftrags-Arbeiten an zeitgenössische Künstler vergeben. Jeff Koons (2000), Bill Viola (2002), Gerhard Richter (2002), John Baldessari (2004), Jeff Wall (2007) und jetzt die New Yorkerin Agathe Snow gehören zu den Auserwählten. Unter dem Motto »I Like Mondays« ist im Guggenheim jeweils montags der Eintritt frei. Da die Ausstellungen dann meistens sehr voll sind, mag ich das nicht so sehr, aber dieses Mal, bei Agathe Snows »All Access World« ist das anders. Die Ausstellung kommt durch die zahlreichen Besucher erst so richtig zur Wirkung und lebt auf.

Während der monatelangen Vorbereitung dürfte Snow Stammkundin in den Berliner Baumärkten geworden sein. Ihre Skulpturen und Wandcollagen von Bauwerken und Konsumtempeln aus der ganzen Welt hat sie aus unterschiedlichsten Materialien, wie Pappe, Schaumgummi, Luftpolster, Maschendraht, Zweigen, Stoffen und Fellen, Harz oder Zement zusammengebaut.

Für Käufer bietet Snow ihre Werke nach deren Wünschen auch als individuelle Sonderanfertigung an. Wobei die Frage zu klären wäre, ob die in ihren Werken als Kritik angerissene Frage nach der Beliebigkeit und Austauschbarkeit von weltbekannten Bauwerken, nicht dadurch ad absurdum geführt wird. In der Ausstellung selber können Besucher die Objekte, die mit Rollen versehen auf einer Weltkarte stehen, einander neu zuordnen und anfassen. Snow hat den kühlen Raum im Deutschen Guggenheim in ein Kinderzimmer verwandelt. Kinder nehmen das schon einmal zu wörtlich und das Aufsichtspersonal ist stark gefordert.

Die aus Korsika stammende Agathe Snow sieht in ihrer Arbeit die Chance, bei Null anzufangen und ihre eigene Gesellschaft zu schaffen. Ihre Botschaft lautet, wir brauchen die Apokalypse nicht zu fürchten, sie hat bereits stattgefunden. Sortieren wir also die Welt nach eigenem Belieben neu.

Mein Foto zeigt einen Ausschnitt aus Agathe Snows Werk Arches, Memories Collection, Artist at 10. Einen Film (16 min.) mit einem Porträt der Künstlerin Agathe Snow und das Entstehen ihrer Arbeit All Access World finden sie hier.

Kompass – Zeichnungen aus dem MoMA New York

Von Friedhelm Denkeler,

Eine Bestandsaufnahme der »Arbeiten auf Papier« aus dem Museum of Modern Art im Martin-Gropius-Bau, Berlin

»Aktzeichnen«, aus dem Portfolio »Harmonie eines Augenblicks«, Foto © Friedhelm Denkeler 1982
»Aktzeichnen«, aus dem Portfolio und Künstlerbuch »Harmonie eines Augenblicks«, Foto © Friedhelm Denkeler 1982

Ein wenig skeptisch bin ich zur Eröffnung der Ausstellung am Donnerstagabend in den Martin-Gropius-Bau gegangen. Wollen die Kuratoren wie bereits im Sommer 2004 mit dem Etikett MoMA einen erneuten Hype entfachen? Die Online-Eintrittskarten sollen für die ersten Tage schon ausverkauft sein. All das alles ließ Schlimmstes für die Vernissage vermuten: lange Schlangen mit ewigen Wartezeiten wie bei Frieda Kahlo.

Aber alles war, wie es sein sollte: Eine rundum gelungene Eröffnung mit fünf kurzen, prägnanten Ansprachen, darunter der amerikanische Botschafter und Kuratoren aus New York, ein angenehm fachkundiges Publikum und – das ist schließlich das Wichtigste – eine sehr gute Ausstellung mit 250 Arbeiten auf Papier von 120 Künstlern aus dem Fundus der Judith Rothschild Foundation Contemporary Drawings Collection, die mittlerweile dem Museum of Modern Art gehört. Die Nadel des Kompass zeigt zwar hauptsächlich gen Westen – New York, Los Angeles, Köln und Düsseldorf sind die Zentren aus denen die meisten Werke stammen – aber man erhält einen sehr guten Überblick über die Arbeiten auf dem Papier nach der Zeit des Kubismus, von 1950 bis heute.

Was wir zu sehen bekommen, hat die Märkische Allgemeine sehr gut zusammengefasst: »… mit Bleistift Gekritzeltes von Joseph Beuys, Zeichnungen aus dem Museum of Modern Art Collagiertes von Martin Kippenberger, Foto- und Papiergeschnetzeltes von Sol LeWitt oder Eva Rothschild. Für seinen Honigstand benutzte Jörg Immendorff Filzstift und Kugelschreiber. Cy Twombly tropfte 2001 Polymerfarben auf ein ungetiteltes Blatt, Sigmar Polke 2003 ebenfalls, nur gegenständlicher. Cady Noland bevorzugte Kopien von Pressebildern. Robert Crumb pinselte The Complete Fritz the Cat mit Tusche. David Hockney fand Grafit für nackte Männer passender. Marcel Odenbach klebte grünstichige Starporträts von Elvis Presley, James Dean oder Marilyn Monroe mit Noten- und Zeitungsfetzen zu einem Birkenwald zusammen und nannte das Ergebnis Vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen.»

Hat es jemals eine Ausstellung mit solcher Fülle an zeitgenössischen Zeichnungen gegeben? Ich kann mich nicht erinnern. Früher galt die Zeichnung eher als Vorstadium für Gemälde, Skulpturen oder Bauwerke. Inzwischen wird sie als eigenständige Bildgattung anerkannt und geschätzt. Dabei wird der Begriff Zeichnung zu einengend benutzt. Alle Formen der Collage-Technik, bedruckte Elemente, Fotografien und Materialien werden mit einbezogen. Die Grundlage allein ist der Bildträger Papier, deshalb sprechen wir lieber von Arbeiten auf Papier.

Fazit: Eine sehr sehenswerte Ausstellung. Voller Esprit und mit bisher nie gesehenen Arbeiten. Deshalb plane ich einen zweiten Besuch und werde dann gerne auf einzelne Werke, bzw. Künstler, die mir besonders gut gefallen haben, eingehen. Die Ausstellung läuft noch bis zum 29. Mai 2011 im Berliner Martin-Gropius-Bau.

Robert Mapplethorpe und der Mann im Polyesteranzug

Von Friedhelm Denkeler,

Patti Smith: »Ich war Roberts erstes Modell, sein zweites war er selbst!« Die C|O-Galerie kann bis Ende 2011 im Postfuhramt bleiben. Retrospektive Robert Mapplethorpe bis zum 1. Mai 2001 verlängert.

Foto © Friedhelm Denkeler 2005
Foto © Friedhelm Denkeler 2005

»Streng sezierend, radikal reduziert – Robert Mapplethorpes Stillleben und Porträts sind ruhige, formal vollendete Kompositionen in klinischer Reinheit. Bewegungen harmonieren bis ins Detail, makellose Körper werden zu Landschaften und explizit sexuelle Handlungen und Nacktheit zu kühlen, fast unerotischen Körperstudien, bei denen die technische Perfektion im Vordergrund steht. Diese auf die Spitze getriebene Ästhetisierung nimmt dem Inhalt seine Schärfe. Sie isoliert und öffnet den Blick auf das Wesentliche. Genau diese Konzentration und Sachlichkeit verleihen seinen Fotografien noch heute eine Aktualität.«

So kündigte die C/O-Galerie die retrospektive Mapplethorpe-Ausstellung an. Eigentlich ist zu Robert Mapplethorpe (1946 bis 1989) alles gesagt worden. Deshalb habe ich hier nur einige Links zu seinen Bildern Selbstporträt mit einem Knaufstock mit silbernen Totenkopf, Mapplethorpes berühmtes Foto Der Mann im Polyesteranzug und Patti Smith und Robert Mapplethorpe in jungen Jahren, gesetzt. In der Ausstellung ist den Portraits von Patti Smith ein eigener Raum gewidmet.

Patti, die zuerst Roberts Geliebte und nach seinem Coming-Out seine Freundin wurde, ist mit dem großartigen und, wie ich finde, ihrem schönstem Portrait zu sehen: Patti mit Anzugsjacke. Dieses Foto ist gleichzeitig auch das Cover-Bild ihrer LP Horses aus dem Jahr 1975. Auch das Foto Patti mit zwei weißen Tauben, das dann das Cover der LP Waves (1979) zierte, ist ausgestellt. Ein weiteres Portrait von Mapplethorpe zeigt Patti auf ihrer LP Dream Of Life (1988).

Die C/O-Galerie sollte ursprünglich die Räume im denkmalgeschützten Postfuhramt zum 31. März 2011 verlassen. Jetzt konnte sie mit dem Investor, einer Immobilien-Entwicklungsgesellschaft (siehe hier), erreichen, das noch bis mindestens zum Ende diesen Jahres der Ausstellungsbetrieb weitergehen kann. Vier weitere Ausstellungen, unter anderem von Fritz Eschen Berlin unterm Notdach – Fotografien 1945 bis 1955 (7. Mai bis 19. Juni 2011), können zum Glück noch gezeigt werden.

Lyonel Feininger: Meinen Kubismus nenne ich lieber Prisma-ismus

Von Friedhelm Denkeler,

Große Retrospektive Lyonel Feininger, Kupferstichkabinett Berlin, bis 15. Mai 2011 (Teil 2: Die Zeichnungen)

"Am Kulturforum am Potsdamer Platz", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Am Kulturforum am Potsdamer Platz«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Unter dem Titel Feininger aus Harvard. Zeichnungen, Aquarelle und Fotografien hat das Kupferstichkabinett dem deutsch-amerikanischen Maler und Grafiker Lyonel Feininger (1871-1956) eine Doppelausstellung in der Sonderausstellunghalle im Kulturforum ausgerichtet. Zum einen sehen wir Feiningers Photographien 1928 – 1939 (über die ich gestern bereits berichtete), zum anderen seine Zeichnungen und Aquarelle. Im heutigen Beitrag gehe ich auf die Zeichnungen und Aquarelle ein.

Die Ausstellung vermittelt einen guten Überblick über Feiningers künstlerische Entwicklung von den Anfängen um 1890 bis zu den Exil-Jahren in den Staaten ab 1937. Die Werke werden in der Ausstellung zeitlich entsprechend gegliedert: Die frühen Jahre (Natur, Karikatur, Begegnung mit dem Kubismus und Futurismus), Die Zeit am Bauhaus 1919-1932 und folgende innere Emigration, Zeichnungen und Aquarelle des Berliner Kupferstichkabinetts und Emigration 1937. Das Spätwerk in New York.

Von Lyonel Feiningers Zeichnungen kannte ich bisher hauptsächlich die Werke, die das Berliner Kupferstichkabinett besitzt. Wenn ich mir jetzt alle 77 ausgestellten Aquarelle und Zeichnungen ansehe, sind die Berliner eher die schwächeren Werke. Grundsätzlich habe ich mit vielen Werken des Kubismus Probleme. Bei Feininger sieht das anders aus: Seine von ihm selbst so genannte Malweise Prisma-ismus empfinde ich als angenehmen und, im positiven Sinne, dem Auge gefälligeren und weiterentwickelten Kubismus. Fazit: Eine sehenswerte Ausstellung, die ich gerne ein zweites Mal sehen möchte.

Die Ausstellung des Harvard Art Museum/ Busch-Reisinger Museum, Cambridge, Massachusetts, entstand in Kooperation mit dem Berliner Kupferstichkabinett und der Staatlichen Graphischen Sammlung, München. Nach dem Ausstellungsende in Berlin wird sie anschließend in der Münchner Pinakothek der Moderne zu sehen sein.

Einen Film mit Feiningers Zeichnungen finden Sie hier. Über die Online-Sammlungsdatenbank des Museums in Harvard sind die Werke öffentlich zugänglich. Das Foto auf dem Plakat am Kulturforum zeigt eine Zeichnung von Feininger, vermutlich mit dem Ort Umpferstedt im Landkreis Weimarer Land. Im Hintergrund ist die St. Matthäikirche nahe des Berliner Kulturforums zu sehen. www.smb.museum

Mein Kubismus … ist genau das Gegenteil dessen, was die französischen Kubisten anstrebten. Er beruht auf dem Prinzip der Monumentalität und Konzentration bis zum Äußersten, auf meinen Visionen … Meinen Kubismus nenne ich lieber „Prisma-ismus“. [Lyonel Feininger 1913]

Ich fühlte mich 25 Jahre jünger, seit ich weiß, dass ich in ein Land gehe, wo Phantasie in der Kunst und Abstraktion nicht als absolutes Verbrechen gelten wie hier. [Lyonel Feininger im Mai 1937, wenige Tage vor seiner Emigration aus Deutschland]

Lyonel Feininger: Das Fotografieren hat mir das Sehen auf eine neue Art gesteigert

Von Friedhelm Denkeler,

Große Retrospektive Lyonel Feininger, Kupferstichkabinett Berlin, bis 15. Mai 2011 (Teil 1: Die Fotografien)

"Im Kulturforum am Potsdamer Platz", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Im Kulturforum am Potsdamer Platz«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Unter dem Titel Feininger aus Harvard. Zeichnungen, Aquarelle und Fotografien hat das Kupferstichkabinett dem deutsch-amerikanischen Maler und Grafiker Lyonel Feininger (1871-1956) eine Doppelausstellung in der Sonderausstellunghalle im Kulturforum ausgerichtet. Zum einen sehen wir Feiningers Zeichnungen und Aquarelle, zum anderen seine Fotografien. Im heutigen Beitrag möchte ich zunächst auf die Fotografien eingehen.

Feininger hielt auf seinen Erkundigungen durch Thüringen und an der Ostsee seine Eindrücke per Skizze in einer Art Tagebuch fest. Erst sehr spät, in seinen Dessauer Bauhausjahren, entdeckte er das Medium Fotografie. Um 1929 fertigte er für die Stadt Halle elf Gemälde an, die in starkem Maße auf den vorher gemachten Fotos der Stadt beruhten. Feininger fotografierte zu dieser Zeit mit seiner 1928 erworbenen ersten Kamera, einer Voigtländer Bergheil mit Glasplattennegativen im Format 4,5 x 6 cm. 1931 erwarb er dann eine Leica I Modell A Kamera und fotografierte damit zum ersten Mal mit einem 35 mm Kleinbildfilm. Beide Kameras sind in der Ausstellung zu sehen.

Die Fotografie spielte am Bauhaus eine große Rolle, vor allem durch das Wirken von Laszlo Moholy-Nagy, aber auch das fotografische Interesse seiner Söhne Andreas und T. Lux bewegte Feininger, sich mit diesem Medium zu beschäftigen. Als Fotograf wurde er damals wie heute kaum wahrgenommen und stellte seine Fotos nie öffentlich aus. Wollte er seinem Sohn Andreas keine Konkurrenz machen? Dieser wurde zu einem der berühmtesten Fotografen des 20. Jahrhunderts.

Feiningers Nachtbilder haben mir am bestens gefallen. Sie zeigen die Stille der Nacht und strahlen eine gewisse Magie aus. Nachtbilder und künstliches Licht, das Spiel von Licht und Schatten übten scheinbar eine große Faszination auf ihn aus. Diese Fotos könnte man auch als Erbe der romantischen Tradition der deutschen Malerei sehen. Feininger experimentierte ebenso mit dem Negativ-Abzug. Aber von dieser Technik war ich noch nie überzeugt und auch bei Feininger habe ich keine hervorzuhebenden Fotos entdecken können.

Viele Fotografien besitzen durch ihre ungewöhnlichen Ausschnitte aus der Wirklichkeit eine in seinen Zeichnungen nicht vorhandene Verfremdung. Schon bald war dem Künstler die produktive Wechselwirkung seines Schaffens zwischen Malerei und Zeichnung einerseits und Fotografie andererseits bewusst, denn er bekannte: »Das Fotografieren hat mir das Sehen auf eine neue Art gesteigert.«

In Berlin sehen wir 76 Fotografien von Feininger (vier Fotos finden Sie hier). Sie sind eingeteilt in die Gruppen Experimente am Bauhaus, Halle 1921-1931, Frankreich 1931, Schaufenster 1932-1933, An der Ostsee 1929-1935 und Von Berlin nach New York 1934-1939. Die Fotos kommen aus den Beständen des Busch-Reisinger Museums der Harvard-Universität im amerikanischen Cambridge sowie der dortigen Houghton Library. Mein Foto auf dem Plakat im Kulturforum zeigt Lyonel Feininger, fotografiert von seinem Sohn T. Lux Feininger. www.smb.museum