Berichte aus Berlin von Friedhelm Denkeler zu Photographie und Kunst
Friedhelm Denkeler
Seit 1968 lebt und arbeitet Friedhelm Denkeler in Berlin. Neben seiner Technischen Ausbildung an der Beuth-Hochschule Berlin hat er an der »Werkstatt für Photographie« in Berlin-Kreuzberg und als Privat-Schüler von Michael Schmidt seine Fotografische Ausbildung erhalten. Seit 1978 stellt er freie fotografische Arbeiten in Form von Portfolios und Künstlerbüchern her.
Ein Film voller Esprit und Charme, eine romantische Liebeserklärung an Paris. Ein Märchen über die verführerische Parallelwelt der 1920er Jahre in Paris – das alles ist der neue Woody Allen-Film »Midnight in Paris«, der kürzlich das Filmfestival von Cannes eröffnete. Die Sehnsucht des Menschen, in einer anderen Zeit zu leben, zeigt Allen mit herrlichen Regieeinfällen.
Woody Allens neuer Held, der Schriftsteller Gil (Owen Wilson), besucht Paris in der Jetzt-Zeit, aber auf seinen nächtlichen Spaziergängen auf der Flucht vor seiner Verlobten, taucht er ein in die Quartiere und Bistros der 1920er Jahre und der Belle Époque. Er hört die Musik von Cole Porter und bewundert die Gemälde des frühen Dalí. Er trifft sie alle – die Künstler der damaligen Zeit: Ernest Hemingway, Gertrude Stein, Scott und Zelda Fitzgerald, T.S. Eliot, Pablo Picasso, Man Ray, Luis Buñuel, Josefine Baker, Jean Cocteau. So viele Künstler hat man, glaube ich, noch nie in einem Film zusammen gesehen. Es ist ein Kommen und Gehen, ein Taumel, eine Verführung und eine ganz große Sehnsucht.
Paris am Morgen ist wunderschön, Paris am Nachmittag ist charmant, Paris am Abend ist bezaubernd, doch Paris nach Mitternacht ist magisch.
Nachdem Allen bereits London und Barcelona entdeckt hat, macht er nun in seiner 42. Regiearbeit in Paris Station. Die nächste Station soll übrigens Deutschland sein. Berlin bietet sich gerne an. Trailer »Midnight in Paris«
Der nicht gewesene Sommer wird ohne Übergang zum Herbst. Heute also der erste schöne Herbsttag. Raus aus Berlin und durch die Offenlandschaft mit den Feldern, Wiesen und Niederungen des Urstromtales zwischen dem Nuthegraben und Grenzgraben in der Nähe von Diedersdorf, das seit 2002 zur Gemeinde Großbeeren im Landkreises Teltow-Fläming gehört, spaziert. Das Grabensystem diente der Entwässerung des geklärten Wassers aus Berlin zu Rieselfeldzeiten Richtung Nuthe und damit zur Havel. Kaffee und Kuchen in der Diedersdorfer Schlossbäckerei sind im Anschluss zu empfehlen. Später, um Mitternacht, wollen wir nach Paris. Auflösung folgt.
Horst Ademeit im geheimen Universum des Hamburger Bahnhofs
20 Jahre habe ich Polaroid und Digital / Fotos gemacht die Ränder vollgeschrieben / mir dadurch Luft gemacht über den / gesamten Ärger den mir das Wohnen / und das Stadtviertel Flingern in / Düsseldorf gebracht mit Strahlen-Kälte / Zerstörung Diebstahl Schmutz Abfällen / Rädern Sperrmüll Baustellen Autos / Gerüsten Abrissen und Neubauten auch / Gerichts-Prozess-Fluten ich im Ende / ein halbes Jahr mich im Krankenhaus befunden / die Wohnung aufgegeben diese Zeit / besiegelt ward somit / jetzt wo in Ruhe lebe fast ein Jahr / im Senioren Heim wird mir klarer / das ohne mein Ankämpfen gegen das / gesamte Elend mit Fotos und / Schreiben usw. Tätigkeiten ich kaum / Heil hätte überleben können mit / Dank an Herrgott Himmel und Erde [Horst Ademeit, Düsseldorf 2009]
Aus diesem Text von Horst Ademeit, der 1937 in Köln geboren wurde und 2010 gestorben ist, geht seine Lebens- und Leidensgeschichte vollständig hervor. Ein weiterer Kommentar zu seiner Arbeit, die noch bis zum 25. September im Hamburger Bahnhof, Berlin, zu sehen ist, wäre überflüssig.
1990 kauft sich Ademeit eine Polaroidkamera und findet mit ihr seine Berufung. Für die nächsten anderthalb Jahrzehnte dokumentiert er mit Hilfe von Lebensmitteln, Thermometer, Lichtmesser, Feuchtigkeits-Messgerät, Kompass und Geigerzähler, die er täglich auf einer Tageszeitung als Datumsnachweis arrangiert, seine Aktivitäten zum Schutz vor der Strahlenbelastung.
Er fertigt 6006 solcher Tagesfotos an. Polaroid 5006 finden Sie hier. Zusätzlich dokumentiert er außerhalb seiner Wohnung anhand von Observationsbildern akribisch die Wirkungsmacht unsichtbarer Strahlen in seiner Umgebung.
Die Polaroids ergänzt Ademeit auf dem Rand mit komplexen handschriftlichen Notizen, Messwerten, persönlichen Beobachtungen und Nachrichtenmeldungen. Zusätzlich füllt er Kalender und Leporellos mit minutiösen Beschreibungen seiner Beobachtungen und des Tagesgeschehens. Die Schrift ist so klein, dass sie selbst mit der Lupe nicht zu entziffern ist (siehe mein Foto).
Um sich vor dem Einfluss der Kältestrahlen (die es nicht gibt) zu schützen, trug Ademeit selbstgedrechselte kleine Holzkügelchen am Körper, die eine Größe von 8 Millimeter aufweisen, was der maximalen Weitung der menschlichen Pupille entspricht (siehe mein Foto).
2008 übersiedelt Ademeit in ein Seniorenwohnheim in Düsseldorf, wo er die rund 10.000 Polaroids einer Mitarbeiterin seines Vertrauens übergibt. Über den Arzt Dr. Behrends gelangen sie nach Köln in die Galerie Susanne Zander. 2009 werden die Polaroids erstmals dort ausgestellt.
Ademeit absolvierte eine Lehre als Anstreicher, studierte dann Textildesign und ging an die Kölner Werkkunstschule. 1970 war er kurz bei Joseph Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie immatrikuliert. Erste dokumentarische Fotos entstanden bei Renovierungsarbeiten in baufälligen Häusern. Seit Ende der 1980er Jahre konzentrierte er sich auf die Dokumentation der Kältestrahlen.
Ademeit absolvierte eine Lehre als Anstreicher, studierte dann Textildesign und ging an die Kölner Werkkunstschule. 1970 war er kurz bei Joseph Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie immatrikuliert. Erste dokumentarische Fotos entstanden bei Renovierungsarbeiten in baufälligen Häusern. Seit Ende der 1980er Jahre konzentrierte er sich auf die Dokumentation der Kältestrahlen.
Das fotografische Werk von Horst Ademeit wird in der neuen Ausstellungsreihe Secret Universe, die über drei Jahre angelegt ist, gezeigt. Hier sollen künstlerische Einzelpositionen, unabhängig vom etablierten Kunstbetrieb, vorgestellt werden. Es sind Künstler, die als „Outsider“ bezeichnet werden und die nicht dem Zirkel des Kunstbetriebes zugerechnet werden können, aber ein Werk mit starker bildnerischer Kraft geschaffen haben.
Als nächstes wird in dieser Reihe die Arbeit von Paul Laffoley vorgestellt. Er illustriert in seinen Diagrammen und Bildtafeln komplexe Theorien zur 4. und 5. Dimension, zu Zeitreisen, naturwissenschaftlichen und kulturhistorischen Themen (ab 4. November 2011). Das „Secret Universe“ verspricht eine spannende, mutige und ungewöhnliche Ausstellungsreihe in einem etablierten Museum zu werden.
Großes Spektakel am Sonntagabend auf dem Ku’damm. Die französische Gruppe Plasticiens Volants veranstaltete zu Ehren des 125 Jahre alten ehemaligen Reiterweges mit heliumgefüllten Riesen-Ballons eine wilde Jagd vom Halensee bis zum Breitscheidtplatz. Drachen, Schlangen und andere Fabelwesen reihten sich an großen Straßenkreuzungen in das Rennen ein. Und wie üblich waren die Berliner (wir auch) mit dabei.
Der Kurfürstendamm wurde um 1542 als Dammweg vom Berliner Stadtschloss zum Jagdschloss Grunewald angelegt und diente zunächst als Reitweg für den Kurfürsten Joachim II. Der Mai 1886 gilt als Geburtstunde des damals fertiggestellten 52 Meter breiten und 2,5 km langen Prachtboulevards namens Kurfürstendamm und steht gleichzeitig als Synonym für die Goldenen Zwanziger Jahre, insbesondere verbunden mit dem Künstlertreffpunkt Café des Westens.
»Die 1937 geborenen Künstler Anna & Bernhard Blume haben das Genre der inszenierten Fotografie wesentlich erweitert und zählen international zu deren wichtigen Vertretern. In ihren häufig vielteiligen, großformatigen und schwarz-weißen Fotoserien erzählt das Künstlerpaar inszenierte Zeitabläufe, deren Protagonisten sie selbst sind. Die Szenen sind oft reduziert, verfremdet und vor allem komisch: Ordnung und Chaos scheinen sich gegenseitig zu bedingen, Rollenbilder und Konventionen stecken in jedem Ding, konditionieren Verhaltensweisen und fordern zum Widerstand heraus. Dabei sind Performance, Malerei und Fotografie in den zeitdiagnostischen Werken von Anna & Bernhard Blume stets eng miteinander verwoben.« So die Ankündigung zur Retrospektive von Anna & Bernhard Blume 2008 im Hamburger Bahnhof, Berlin.
Sind Kartoffeln nur Kartoffeln, oder können es auch Seelenzeichen sein? Muss man sie nicht als Objektivationen sehen, z.B. unterdrückter, nicht gelebter Wünsche, Triebe? Können dann Kartoffeln nicht zuweilen Truggebilde sein, fotogene Manifestationen einer lang frustrierten Seele, die sonst sprachlos bleiben müsste? [Anna und Bernhard Blume zu Küchernkoller]
Anna & Bernhard Blume waren ein unzertrennliches Künstlerpaar seit Beginn der 1960er Jahre. Jetzt ist Bernhard Blume im Alter von 73 Jahren in Köln gestorben. Ein typischer Blume-Titel war Der Gedanke des Todes ist unannehmbar. Die ironischen und humorvollen Bilder der Blumes werden bleiben.
Die Fotografien von Gregory Crewdson aus der Serie Beneath The Roses (2003-2008) erinnern an Bilder von Edward Hopper, an Standbild-Fotos aus Filmen von David Lynch, an die inszenierten Lichtbilder von Jeff Wall und auch an die Skulpturen von Duane Hansen. Der Aufwand, den Crewdson für die Erstellung seiner Bilder treibt, ist ähnlich hoch. Wie beim Film gehören die Location-Suche, aufwendige Beleuchtung, kostpieliges Setdesign, künstlicher Nebel und Schnee, eine ›Film‹-Crew und bekannte Hollywood-Schauspieler zur Inszenierung dazu.
Leere Vorort-Straßen mit orientierungslosen Menschen, die zu keiner Kommunikation mehr fähig sind, wenden sich ohne Blickkontakt voneinander ab. Im Hintergrund sieht man brennende Häuser und zugewachsene Bahngleise. Gewalt ist nicht sichtbar, lauert aber im Verborgenen. Alle haben sich anscheinend mit der ausweglosen Situation abgefunden. Crewdsons Bilder sind Ein-Bild-Filme, aber den Anfang und das Ende der Geschichte sieht man nicht, der Betrachter muss den Faden selber weiter spinnen.
Die Kuratoren schreiben: »In den schönen, jedoch verstörenden Bildern der bis ins kleinste Detail choreografierten und arrangierten Serie „Beneath The Roses“ erforscht Crewdson die amerikansiche Psyche und die Dramen, die sich in ganz alltäglichen Umgebungen abspielen. Die Bilder thematisieren die dunklen Seiten des amerikanischen Traums und nehmen dabei Bezug auf die Mythen des Hollywoodkinos.«
Auch die zweite ausgestellte Serie Sanctuary (2009) zeigt ähnliche Stimmungen. Hier fehlen die Menschen ganz. Crewdson hat in den vorgefundenen Sets der legendären Cinecittá-Studios bei Rom mit den Schauplätzen aus dem antiken Rom in schwarz-weiß fotografiert, ›gedreht‹ ist man versucht zu sagen. Die dritte Serie Fireflies (1996), zeigt Schwärme von Glühwürmchen, die er Abend für Abend an der Waldhütte seiner Eltern aufgenommen hat. Auch diesen Bildern sieht man die Einsamkeit an.
Auf dem Blog Fantomatik sind 17 Fotos von Gregory Crewdson, der 1962 in Brooklyn geboren wurde, aus der Serie Beneath The Roses zu sehen. Videos und Interviews und finden Sie hier. Die Ausstellung endet am heutigen Sonntag.
Auf meiner Website LICHTBILDER finden Sie ab sofort in einer Auswahl von 28 Fotos das Portfolio »Sechsunddreißig Tower« aus dem Jahr 2001. Die folgenden Texte und Fotos sind dem Künstlerbuch »Sechsunddreißig Tower«, 2001/2009, entnommen.
Warum Tower?
Das erste und bisher einzige Hochhaus auf Malta steht in St. Julians´s. Mit 28 Stockwerken erstreckt sich der Portomaso Business Tower rund 100 Meter in die Höhe. Von vielen Orten der Insel aus, ist er zu sehen. Auch nicht zu übersehen, und das war der Grund für ein Portfolio und ein Fotobuch.
2001 nicht gerade zur Freude der Malteser eröffnet, stößt das Gebäude bis heute auf wenig Gegenliebe. Die Glasscheiben des Towers sind dunkel. Brennendes Licht ist in der Nacht nicht zu erkennen. Er erscheint unbeleuchtet. Dach und Antennenanlagen hingegen werden rot-blau illuminiert. Zeitgleich und in der Nähe des auch Big Blue genannten Turmes entstanden Hilton-Hotel und Yachthafen.
St. Julian’s liegt im Distrikt Northern Harbour an der Nordostküste von Malta. Von einem kleinen Fischerdorf entwickelte es sich ab den 1930er Jahren durch die Ansiedlung wohlhabender Malteser zu einem wirtschaftlichen und, seit dem Aufkommen des Tourismus, auch zu einem von Inselbesuchern geschätztem Ferienort.
Die Strandpromenade zwischen St. Julian´s und dem Nachbarort Sliema wird gesäumt von durchnummerierten Sockeln, auf denen Straßenlaternen stehen.
Die Zahl 36 soll an die 36 Bilder erinnern, die ein Kleinbildfilm in der Regel aufweist. Unter Verwendung von KODAK Tri-X-400-Filmen entstanden die Fotos des Portfolios. Es waren die letzten Tri-X-Filme, die ich vor dem „digitalen Zeitalter“ benutzte.
Der KODAK Tri-X ist der wohl meistverkaufte Schwarzweißfilm der Welt. Da er für schwaches Licht und schnelle Bewegungen ausgelegt ist, weist er die klassische, feine Kornstruktur auf. Der Kleinbildfilm hat in der Fotografie mit der Erfindung der Ur-Leica durch Oskar Barnack 1913 einen festen und marktführenden Platz errungen.
Das Kleinbildformat von 24 × 36 mm ergab sich damals aus der Verdopplung des 35 mm-Stummfilm-Kinoformats (18 × 24 mm) durch das „Querlegen“ des Films (Typ 135). Nach 1945 verbreitete sich das von Kodak eingeführte Format 135 auch in Deutschland rasch.
Auf meiner Website www.denkeler-foto.de sind 28 Bilder aus dem Fotobuch zu sehen.
Druckgrafiken im Verein Berliner Künstler (VBK) bis 18.09.2011
Bei einer Druckgrafik handelt es sich dann um ein Original, wenn sie die einzig verbindliche Realisierung einer auf die angewandte Technik gerichteten künstlerischen Konzeption ist, wenn das Werk also nicht noch einmal in einer anderen Technik existieren kann. [Karl Graak].
In der aktuellen Ausstellung des VBK Unter Druck werden die zeitgenössischen Möglichkeiten des Mediums Grafik anhand des Schaffens der Mitglieder des VBK vorgestellt. Die Arbeiten von Jutta Barth, Ute Faber, Hans Jürgen Gabriel, Claudia Hartwig, Ina Lindemann, Peter Th. Mayer, Monika Ortmann, Michael Schulze, Evelyn Sommerhoff, Hermann Spörel, Jürgen Tenz und Manfred-M. Sackmann sind mit Hilfe von druckgrafischen Techniken, vom Holzschnitt über die Monotypie bis zum digitalen Fotoprint, entstanden.
Nach der o.a. Definition von Karl Graak könnte man die Fotografie mit zur Druckgrafik zählen. »Während nach landläufiger Auffassung der Begriff des Originals die Eigenschaft der Einmaligkeit beinhaltet, wird jeder druckgrafische Abzug (sofern es sich nicht um eine fotomechanische Reproduktion handelt) als Original angesehen. Dabei ist gleichgültig, wie viele Exemplare des Drucks vorhanden sind. Als Einmaligkeit wird hier der Ausdruck der künstlerischen Gedanken, Vorstellungen und Ideen verstanden, die nur mit den technischen Möglichkeiten des Drucks realisiert werden könne.« [Wikipedia]. Und dies trifft auf die Fotografie genauso zu.
Manfred-M. Sackmann ist einer der wenigen Fotografen unter den Mitgliedern des VBK. Er begann 1978 seine fotografische Laufbahn an der legendären Kreuzberger Werkstatt für Photographie bei Professor Ulrich Görlich. Im Jahr 1992 wurde er in den Verein Berliner Künstler (VBK) aufgenommen und 1994 in die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh) berufen. www.vbk-art.de
Die Berlinische Galerie zeigt ab dem 1. Oktober 2011 Friedrich Seidenstückers Fotografien aus den Jahren 1925-1958
Diese erste umfassende Retrospektive Friedrich Seidenstückers unter dem Titel Von Nilpferden und anderen Menschen präsentiert rund 200 Originalfotografien. Beinahe jeder Berliner kennt Seidenstückers Arbeiten. Diejenigen, die sich für die Geschichte ihrer Stadt interessieren, schätzen seine atmosphärischen Aufnahmen vom Berliner Alltagsleben der Weimarer Republik.
Unter den Tier- und Zooliebhabern erwarb er sich mit seinen einfühlsamen Tierstudien einen geradezu legendären Ruf, und für die Historiker sind die eindringlichen Aufnahmen des zerstörten Berlin eine kostbare Quelle.
Auch wenn Seidenstücker als typischer Berliner Fotograf gilt, ist er doch auch weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt – nicht zuletzt deshalb, weil er sich um eines ganz besonders verdient gemacht hat: Seine Bilder zeugen von Humor, und den findet man in der Fotografie selten.
Aus dieser Haltung heraus hat sich das Werk von Friedrich Seidenstücker entwickelt. Es ist von Optimismus getragen, ohne die Zumutungen und Härten, ohne die Armut und das Elend der Zeit zu verschweigen.
Mit der Retrospektive setzt die Berlinische Galerie ihre sehr erfolgreiche Ausstellungsreihe fort, die darauf ausgerichtet ist, das Werk von großen Fotografen des Zwanzigsten Jahrhunderts wissenschaftlich zu erschließen und einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Vorausgegangen sind Ausstellungen zu Heinrich Zille, Erich Salomon, Fritz Kühn und Herbert Tobias. [Quelle: Presseinformation]
Am Haus der Kulturen der Welt in Berlin konnte man an diesem Wochenende Salat von schwimmenden Feldern auf dem Springbrunnen-Becken vor der Kongresshalle ernten. Vor Ort wurde der Salat angemacht und ließ sich neben weiteren kulinarischen Genüssen verzehren oder als Blumentopf mit nach Hause nehmen.
Eigentlich ging es um Klimaneutralität, Energieeffizienz und Wasserfilterung. Die Kongresshalle als ein Labor der Zukunft: Nomadische Nachtherberge, eigene Käseherstellung, Fahrrad-Disko, Honigbienen, Landkommune, mit anderen Worten: ein Fühl-dich-gut-Fest mit diversen Konferenzen und viel verbautem Holz. Das klingt jetzt nicht nur alternativ, das war auch so, wenn auch eher ohne ›t‹ im zweiten Wortteil, im wahrsten Sinne also naiv.
»Consume, Produce, Die« im «me Collectors Room« in Berlin
Ich habe dich zum Fressen gern. | Auge um Auge, Zahn um Zahn. | Zum Anbeißen schön. | Liebe geht durch den Magen. | Auf die Zunge beißen. | Rache ist Blutwurst. | Ich habe einen Narren an Dir gefressen.
Die Ausstellung »Alles Kannibalen?« im Berliner me Collectors Room, der Privatkollektion des rheinländischen Sammlers Thomas Olbricht, zeigt in 100 Arbeiten von 40 Künstlern, wie sich die Kunst dem Thema Kannibalismus – im erweiterten Sinne – in Form von historischen Gemälden und Zeichnungen, alten Fotografien und Kultobjekten genähert hat. Gleich in der Lounge finden sich zwei Neon-Arbeiten »Consume, Produce, Die« von Claire Fontaine und »Eat, Shit And Die« von Dan Attoe (siehe mein Foto) zu diesem Thema.
Die meisten Werke bewegen sich zwischen soziologischer Einordnung und der Sensationsgier nach grauenerregendem oder schönem Fleisch, zwischen Francisco de Goyas anklagendem Grafikzyklus »Desastres de la Guerra« und den collagierten/ gemalten Bildern der Kenianerin Wangechi Mutu. Die beiden auf Zuckerwatte-Wolken gebetteten nackten Schönheiten verkörpern die Redewendung »Ich habe dich zum Fressen gern« und Cindy Sherman bietet dem zeitgenössischen Betrachter in »Maria lactans« analog zur christlichen Ikonographie ihre künstliche Brust dar. Und plötzlich steht man vor einem übergroßen Quader aus ekligem Kunststoff-Fleisch (John Isaacs, 1968).
Der Titel der Ausstellung »Alles Kannibalen« bezieht sich auf den Text »Wir sind alle Kannibalen. Das einfachste Mittel, sich mit dem anderen zu identifizieren, ist noch, ihn zu essen« des Anthropologen Claude Lévi-Strauss. Zur Vernissage soll es übrigens »Rotwein und Gehacktes« gegeben haben. Die Schau, die vorher in Paris zu sehen war, steht unter der kuratorischen Leitung von Jeanette Zwingenberger und geht morgen zu Ende.
Ich habe das Besucherbuch eben durchgesehen und dabei festgestellt, dass viele der Zeichnungen in diesem Buch den Kannibalismus als sexuellen Akt zur Schau stellen. Wäre das kein Anzeichen dafür, dass Kannibalismus heute beim Sex ausgelebt wird? Eine schockierende Einsicht. Ein Besucher
Direkt durch die Giacometti-Halle des »Louisiana – Museum Of Modern Art« (siehe »Louisiana – Ein geniales Zusammenspiel zwischen Kunst und Natur«) erreicht man den See-Garten. Rund um den See verteilt, finden sich auf verschlungenen Pfaden die Werke von fünf internationalen Architekten. Aldo Rossi (Italien), Ralph Erskine (Großbritannien), Joseph Kleihues (Deutschland), Heikkinen-Komonen (Finnland) und Dominique Perrault (Frankreich) haben ihre Vorstellungen eines Gartenhäuschens auf jeweils sieben Quadratmetern auf ungewöhnliche Weise neu interpretiert. Nur Dominique Perrault nutzte die ihm zur Verfügung stehende Fläche für einen Kleingarten hinter Glas. www.louisiana.dk
Auf dem Kunstspaziergang durch den Skulpturenpark im Louisiana – Museum Of Modern Art (siehe Louisiana – Ein geniales Zusammenspiel zwischen Kunst und Natur) trifft man zwischen vielen alten und wunderschönen Bäumen immer wieder auf Galeriegebäude, die durch gläserne Gänge miteinander verbunden sind. Einige der Gebäude weisen ein unterirdisches, zweites Geschoss auf. Dort fanden wir hinter einer Tür die fantastische Installation von Yayoi Kusma The Gleaming Lights of the Souls.
Öffnet man diese Tür, steht man mitten im Universum von Yayoi Kusama. Maximal zwei Personen dürfen gleichzeitig in den komplett schwarzen und verspiegelten Raum gehen. Man steht auf einem schmalen Steg mitten im Wasser und sieht die glänzenden Lichter der ›Seelen‹, die aus leuchtenden, abwechselnd in verschiedenen Farben sanft scheinenden Kugeln kommen. Die Endlosigkeit der sich spiegelnden Lichter, die über dem Wasser schweben und die Installation an sich, macht atemlos.
Ich sah auf das rote Muster der Tischdecke, als ich aufblickte, bedeckte dasselbe rote Muster die Decke, die Fenster und die Wände, und schließlich den ganzen Raum, meinen Körper und das Universum. Ich begann mich selbst aufzulösen, und fand mich in der Unbegrenztheit von nicht endender Zeit und in der Absolutheit der Fläche wieder. Ich reduzierte mich auf ein absolutes Nichts. [Yayoi Kusama]
Der labyrinthische Gang durch den Skulpturenpark im Louisiana – Museum Of Modern Art (siehe Louisiana – Ein geniales Zusammenspiel zwischen Kunst und Natur) in Ny Humlebæk, Helsingør, ist ein wichtiger Teil des Museumsbesuches und eine visuelle Erfahrung der besonderen Art. Hinter jeder Ecke erwartet den Besucher ein neuer Blick auf den Øresund oder auf eine Plastik, meist sogar auf beides. Über eine Brücke, die über eine kleine Schlucht führt, erreicht man Richard Serras Stahl-Skulptur The Gate in the Gorge. Diese ist in Absprache mit dem Künstler standortspezifisch entstanden und aufgestellt worden. Dieses Konzept trifft auch auf die meisten anderen Skulpturen im Park zu.
Richard Serra, geboren 1939 in San Francisco, wurde insbesondere durch seine monomentalen und tonnenschweren Arbeiten aus wetterfestem Corten-Stahl mit der dafür typischen rostigen Oberfläche, bekannt. So schuf er 1977 für die Documenta VI in Kassel das Werk Terminal, vier trapezförmige Platten aus Stahl, die vor dem zentralen Ausstellungsort, dem Fridericianum, aufgestellt zum „Wahrzeichen“ der Documenta wurden. Heute steht die Skulptur in Bochum vor dem Hauptbahnhof. Weitere Werke finden Sie in einer Bilderschau auf flickr. Der Kortenstahl, wie er auch genannt wird, bildet unter der Rostschicht eine dichte Sperrschicht aus festhaftenden Sulfaten, die das Werk vor weiterer Korrosion schützen. www.louisiana.dk
Sechs Monate sind für eine Ausstellung eine lange Zeit. Zum Glück habe ich gestern noch, die heute leider zu Ende gehende, grandiose Ausstellung der 3000 Jahre alten Monumentalskulpturen aus dem Palast vom Tell Halaf sehen können.
Aus 27 000 Fragmenten wurden die im Krieg zerstörten 40 Figuren aus dem privaten Museum des Archäologen Max von Oppenheim wieder rekonstruiert.
Er hatte die Skulpturen von 1913 an aus der Tempelanlage vom Tell Halaf in Syrien ausgegraben und ab 1930 in von ihm finanzierten Ausstellungsräumen in Berlin ausgestellt.
Anlässlich der Museumseröffnung in einer ehemaligen Fabrikhalle in Charlottenburg machte der ungarische Fotoreporter Martin Munkacsi ein Foto von Oppenheim.
Er stellte ihn direkt neben eine Figur-tragende Löwenskulptur, die die Monumentalität der rekonstruierten Palastfassade deutlich werden lässt (siehe Foto).
Die aktuelle Berliner Ausstellung im Pergamonmuseum setzt nun dem Sammler und Orientforscher Max von Oppenheim ein würdiges Denkmal.
Wenn der vierte Flügel des Pergamonmuseums im Jahr 2025 zum Kupfergraben hin fertig ist, werden Oppenheims Götter und Fabelwesen ihren endgültigen Platz in Berlin erhalten.
Während die Karamel-Karawane im Schritt marschiert, mussten wir, auf Pferden beritten, jeden Augenblick Abstecher im Galopp zur Rechten und Linken der Route machen, teils zur Erkundung der Gegend, zur Rekognoszierung alter Ruinenorte usw., teil wegen der Feindesgefahr. [Max von Oppenheim]
Auch Berlin steckt voller Merkwürdigkeiten. Eines der merkwürdigsten Museen, um das uns die Welt beneiden könnte, einzigartig durch Kunst- und Kulturschätze, wie sie nie wieder gefunden wurden, ist das Tell-Halaf-Museum von Max Freiherrn von Oppenheim. [aus ‚Berlin hört und sieht‘, 1932]
Meine Expeditionen führten immer durch mohammedanische Hoheitsgebiete. In islamischen Ländern darf ein Mann fünf Ehefrauen nebeneinander haben. Aus diesem Grund sage ich oft im Spaß zu meinen Freunden: Auch ich habe vier Frauen.
Die Erste ist sehr groß und sehr heiß. Sie hat oft versucht, mit das Leben zu nehmen, aber sie ist immer noch diejenige, die ich am meisten liebe. Sie ist meine geliebte Wüste.Die Zweite ist interessant, sehr gelehrt und klug. Man nennt sie Erkenntnis oder Forschung. Die Dritte ist sehr schön. Jeder liegt ihr zu Füßen. Sie ist durchaus international. Ihr Name ist Kunst.Meine vierte Ehefrau ist die große thronende Frau vom Tell Halaf mit dem Lächeln aus der Vergangenheit. [Max von Oppenheim]
Heute vor 50 Jahren wurde Berlin durch die Mauer geteilt und wie auf diesen, nahe Braunlage im Harz entstandenen Fotos zu sehen ist, wurde nach und nach die Zonengrenze, der Eiserne Vorhang, errichtet. Diese sogenannte Demarkationslinie wurde aber bereits seit 1952 verstärkt abgeriegelt. Der Grenzzaun bestand zunächst nur aus einfachem Stacheldraht. Ab 1961 wurde ein nur schwer überwindbarer doppelter Stacheldrahtzaun angebracht. Um die Massenflucht in den Westen zu verhindern, wurden dazwischen Minenfelder und später auch zeitweise Selbstschussanlagen installiert.
Zur Zeit des 13. August 1961 wohnte ich in einem kleinen Ort in Ost-Westfalen. Meine Eltern waren an diesem Tag verreist und die Errichtung der Mauer im fernen Berlin bekam ich im Laufe des Tages durch Radiomeldungen mit. Ein Jahr später, im August 1962, unternahm ich mit einem Freund eine Fahrradtour durch den Harz. Wir übernachteten in den Jugendherbergen (siehe auch Als Elvis noch mit Puppen spielte …). Während unserer Station in Braunlage machten wir auch einen Ausflug an die Zonengrenze. Die Mauer in Berlin sah ich dann 1968 das erste Mal persönlich. Sie existierte 28 Jahre.
Direkt aus dem Louisiana – Museum Of Modern Art tritt man über einen Steg, der über einen kleinen Teich führt, in einen Innenhof mit der Skulptur von Jean Dubuffet Dynamic Manor aus dem Jahr 1969/82 (siehe Louisiana – Ein geniales Zusammenspiel zwischen Kunst und Natur), die praktisch den gesamten Innenhof ausfüllt. Nur ein kleiner Weg führt um die Plastik herum. Dynamic Manor ist ein schwarz-weiß bemaltes, felsartiges Gebilde aus Polyester, das beim Umrunden jeweils unterschiedliche Perspektiven bietet.
Der Maler, Bildhauer und Collage-Künstler Jean Dubuffet, der 1985 im Alter von 84 Jahren in Paris starb, war der prominenteste Vertreter der französischen Nachkriegskunst. Er nahm in Kassel an der documenta 2 bis 4 teil und engagierte sich für die Art Brut, die eine autodidaktische und antiakademische Richtung bezeichnet. Seine Collection de l´Art Brut in Lausanne ist eine der größten Sammlungen von Kunst sogenannter sozialer Außenseiter. Sie diente ihm oftmals als Vorlage für seine eigene Kunst. www.louisiana.dk
Das Auge sucht nach dem Betreten der Eingangshalle des »Louisiana – Museum Of Modern Art« zugleich den Blick nach draußen, in Richtung auf den Öresund und auf den vor dem Ufer liegenden herrlichen Landschaftspark mit Skulpturen der berühmtesten Bildhauer der Moderne (siehe Louisiana – Ein geniales Zusammenspiel zwischen Kunst und Natur).
Und somit fällt der Blick gleichzeitig auf eine farbig markante und überdimensional große Installation von Arne Quinze: My Home, My House, My Stilthouse. Der 1971 in Belgien geborene Quinze sammelt gebrauchte Materialien aus Holz und stellt sie mit Hilfe von fluoreszierenden Malfarben zu Objekten zusammen.
Für das Burning Man-Festival, das alljährliche Freak-Treffen in der Wüste von Nevada, hatte Quinze 2006 eine gigantische, begehbare Sperrholzskulptur entworfen, die am Ende der verrückten Tage abgebrannt wurde. Er bewegt sich als Künstler im Grenzgebiet von Kunst, Architektur und Design und hat für den Umbau des Bikini-Hauses in Berlin die künstlerische Leitung übernommen. In Deutschland ist er bisher – Achtung Klatsch und Tratsch! – in erster Linie als der neue Mann an der Seite von Barbara Becker bekannt geworden.
Ich liebe Regeln, denn wenn ich sie erst einmal kenne, weiß ich, wie ich sie umgehen kann. Ich bin ein leidenschaftlicher Verfechter von Chaos, dem Fehlen eines Systems. Chaos ist der Motor für meine Arbeit als Designer. Ich schaffe Chaos, das für mich am Anfang einer totalen Unabhängigkeit steht. Arne Quinze
Vierzig Minuten mit der Regionalbahn von Kopenhagen entfernt, Richtung Helsingør, liegt in Ny Humlebæk das fantastische Louisiana – Museum Of Modern Art mitten in einem herrlichen Landschaftspark mit Skulpturen von Alexander Calder, Joan Miró, Richard Serra, Jean Dubuffet, Jean Arp, Max Ernst oder Louisie Bourgeois direkt am Ufer des Øresund mit Blick auf die schwedische Küste (siehe Foto).
Das Museum ist so konzipiert und in die Landschaft integriert, dass die Grenzen zwischen drinnen und draußen aufgehoben sind. Im Zusammenspiel zwischen Licht und Aussicht, und zwar innerhalb und außerhalb des Museums, wurde unser Ausflug zu einem Spaziergang durch die moderne Kunst nach 1945.
Die ständige Sammlung des Museums weist unter anderem Werke von Alberto Giacometti, Cindy Sherman, Thomas Demand, Gerhard Richter, Andreas Gursky, Richard Long, David Hockney, John Baldessari, Jim Dine, Roy Lichtenstein, Ed Ruscha und Hilla & Bernd Becher auf. Mehrere Sonderausstellungen ergänzten unseren Museumsbesuch: David Hockney: Me Draw on iPad, Louisiana on Paper: Josef Albers, Living Frontiers of Architecture III-IV und The Louisinan Collection Summer 2011.
Der Name des Museums geht auf die drei Ehefrauen des Vorbesitzers des ursprünglichen Gebäudes, Alexander Brun, die alle Louise hießen, zurück. Mit der Eröffnung des Museums im Jahr 1958 sollte ein Ort für moderne dänische Kunst geschaffen werden. Der veränderte sich aber bald in eine Stätte für internationale Kunst. Heute ist Louisiana eine private, aber staatlich anerkannte Institution. Ein Drittel des Etats kommt vom Land, der Rest von Sponsoren. Auch für den Ankauf von Kunstwerken ist das Museum auf private Geldgeber angewiesen.
Sechs begeisternde Stunden verbrachten wir im Louisiana und sechs Impressionen, insbesondere aus dem Außenbereich, habe ich für die nächsten Tage geplant. Ein kleiner Vorgeschmack ist auf den beiden Filmen (Video 1, Video 2), sowie auf der Website vom Louisiana – Museum Of Modern Art zu sehen.
»Das Photo ist wie das Wort: eine Form, die sogleich etwas besagen will« (Roland Barthes). Das passt sehr gut zu den Photographien von Cy Twombly, die ich in Siegen im Museum für Gegenwartskunst gesehen habe. Twombly ist durch Malen und Schreiben auf Leinwand bekannt geworden. Vor allem die Antike und ihre Mythologien wurden zu Quellen seiner Bilder.
Ab den 1980er Jahren fertigte er auch Skulpturen aus gefundenen Dingen und einfachen Materialien an. Als Photograph war er aber bisher weniger bekannt. Erst zu Beginn der 1990er Jahre trat er mit seinen Photographien an die Öffentlichkeit.
Die Photos, die von Twombly für den Katalog und die vorangegangene Ausstellung im Münchner Brandhorst-Museum selbst ausgewählt wurden, scheinen einen einfacheren Zugang als seine ›Kritzeleien‹ (wie er sie selbst ironisch bezeichnete) zu ermöglichen: Wir sehen Landschaften, Blumen-Stillleben und Interieurs. Aber diese Hoffnung täuscht: Die Photos sind unscharf, alltäglich, unter- und überbelichtet und scheinen willkürlich ausgesucht worden sein, aber erst auf den zweiten Blick sieht man die herrlich verhaltenen Farben, die Eindrücke und Stimmungen poetisch wiedergeben.
Die Bilder erinnern an die großen Themen der Kunstgeschichte und wirken dadurch altertümlich und zeitlos. Die Poesie der Bilder hängt sicherlich auch mit Twomblys Beschäftigung mit der mediterranen Kultur, den Landschaften und vor allem der Antike und ihrer Mythologien zusammen. Bereits in den ersten Jahren in Italien las er die Gedichte Stéphane Mallarmés, die seine künftigen Arbeiten beeinflussen sollten (siehe Einführungszitat, aus »Rondel«).
Twomblys Arbeiten werden als Verschmelzung von Malerei und Dienstkunst verstanden. Das trifft auf die Werke in Siegen ebenfalls zu. Vielleicht eröffnen sie mir auch einen größeren Zugang zu seinen Hauptwerken. Die Arbeiten im Hamburger Bahnhof in Berlin werde ich mir sicherlich unter diesem Gesichtspunkt noch einmal ansehen.
Die Photos wurden von Twombly mit einer einfachen Polaroid-Kamera aufgenommen und die Unikate mittels Dry-Print-Verfahren vergrößert (ca. 30×30 cm) und in limitierter Auflage vervielfältigt. Durch das nicht mehr gängige Kopierverfahren erhielten die Bilder eine samtene, diffuse Qualität und wirken grobkörniger. Sie erinnern dadurch an die Stilrichtung des Pictorialismus, der um 1900 versuchte, durch künstliche Effekte die Photographie der Malerei im Rang gleichzustellen.
Cy Twombly, der am 1928 in Lexington (USA) geboren wurde und am 5. Juli 2011 in Rom verstarb, ist eine der geheimnisvollsten Künstlerpersönlichkeiten und ein wichtiger Vertreter des abstrakten Expressionismus. Nach dem Kunststudium in Boston, New York und am legendären Black Mountain College, wo er auch einen Kurs in Photographie belegte, reiste er mit Robert Rauschenberg nach Südamerika, Spanien, Nordafrika und Italien.
Ab 1957 lebte Twombly hauptsächlich in Rom und Gaeta. Sechzig seiner Werke sind in der Sammlung Brandhorst in München und auch im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen. 1987 wurde Twombly mit dem Rubenspreis der Stadt Siegen ausgezeichnet und 1995 erhielt er den Goslarer Kaiserring. Die Ausstellung seiner Photographien in Siegen läuft noch bis zum 30. Oktober 2011.
Ja, seit 10 Jahren gibt es das Museum für Gegenwartskunst (MGK) in Siegen, mitten in der sogenannten Provinz, das seitdem dauerhaft zeitgenössische Kunst in der Geburtsstadt von Rubens zeigen kann. Die Sammlung von Rubenspreisträgern mit bisher rund 150 Werken und die bemerkenswerten Ausstellungen der letzten zehn Jahre bilden das Rückgrat des Museums.
Die bisherigen Rubenspreisträger von 1957 bis 2007 waren Hans Hartung, Giorgio Morandi, Francis Bacon, Antoni Tàpies, Fritz Winter, Emil Schumacher, Cy Twombly, Rupprecht Geiger, Lucien Freund, Maria Lassnig und Siegmar Polke.
Die aktuelle Ausstellung von Cy Twombly war das eigentliche Ziel meiner Reise nach Siegen. Twombly ist durch Malen und Schreiben auf Leinwand berühmt geworden. Als Photograph war er bisher nur Wenigen bekannt. In Siegen sind nun seine Photographien, die aus Polaroid-Photos entstanden sind, ausgestellt. Fünf Gemälde von Twombly aus der Siegener Sammlung werden gekonnt mit den Photos kombiniert. Eine Ausstellungsbesprechung habe ich für den nächsten Artikel vorgesehen.
Erwähnen möchte ich im Museum für Gegenwartskunst ferner die Industriefotografien und die Siegerländer Fachwerkhäuser von Bernd und Hilla Becher. Bernd Becher selbst wurde in Siegen geboren. Sehr gut gefallen hat mir auch das Werk „Study from the Human Body und Portait“ von Francis Bacon, obwohl ich nicht unbedingt ein Fan von Bacons Bildern bin. Von Candida Höfer sind vier großformatige Photos zu sehen, u.a. der Palazzo Pisani Moretta Venzia I. Eine in dieser Art bisher noch nie gesehene Arbeit, ist das Werk von Diango Hernández Il museo delle ombre. Mit Fundstücken, die er in seiner Heimat Kuba aufgespürt hat, stellt er ein Museum des Schattens vor. Der Raum ist von Abwesenheit erfüllt, da die Bruchstücke nur als Schatten zu sehen sind.
Das Museumsgebäude besteht aus einem Altbau, dem ehemaligen Telegrafenamt und einem Neubauteil. Das gesamte Ensemble wurde vom Architekten Kleihues in das Museum verwandelt. Fazit: Ein Besuch des Museum der Gegenwartskunst in dieser Provinz ist lohnenswert. Die Ausstellung Cy Twombly ist noch bis zum 30. Oktober 2011 zu sehen. www.museumfuergegenwartskunstsiegen.de
Entwicklung der Stadtfotografie anhand des Fotopreises Schöneberg
Die Voraussetzung für das Begreifen der Welt besteht im Erfassen und Miterleben des Nächstliegenden. Die Welt ist auch nur ein Konglomerat aus Provinzen.
Dieses Zitat von Janos Frecot im Katalog zur Ausstellung drückt das Konzept des Fotopreises Schöneberg-Tempelhof aus – subjektive Stadtgeschichte. Den Preis gibt es seit 1990 und zur ersten Jury gehörte Janos Frecot, der die Fotoabteilung der Berlinischen Galerie aufgebaut hat. Im Haus am Kleistpark nun beginnt die Ausstellung mit einer „Collage“ aus den preisgekrönten Arbeiten aller 22 beteiligten Künstler. Dann aber fällt die Ausstellung für mich in zwei Teile:
Da sind zum einen die eher langweiligen, kleinformatigen, farbigen Fotos, die wenig Feeling aufweisen. Ihnen fehlt das Unsagbare, das ein Kunstwerk ausdrücken muss, damit es über Kunsthandwerk hinausgeht oder wie Susan Sontag sagt Das wirksamste Element im Kunstwerk ist nicht selten das Schweigen. Diese Bilder sind eher lieblos angebracht, weisen kein Passepartout auf und sind ohne Rahmen gehängt: C-Print auf Kappa, Inkjet-Prints auf Forex, C-Print auf Plexiglas und dergleichen mehr.
Zum anderen sehen wir Werke mit ordentlichem Passepartout und Rahmen und vor allem auf Barytpapier und als C-Print. Man erkennt sofort, dass die Künstler ihre Werke schätzen und der Zuschauer sie wohlwollend genießen soll. Beispielhaft möchte ich einige Namen nennen:
Ute und Bernd Eickemeyer mit ihren Porträts von Bewohnern des Crelle-Kiezes Gesichter einer Straße – Der Crelle-Kiez im Wandel, 1984-1987. Eickemeyers orientieren sich an historischen Vorbildern, wie sie August Sander in den 1920er Jahren schuf. Karl-Ludwig Lange zeigt die Serie Gasometer, Berlin Schöneberg, 1980-1981. Seine Bilder weisen mal mehr und mal weniger ihre eigene melancholische Ästhetik auf (auch: Von den Brücken – Ein großer, ästhetischer Genuss). Die hervorragend von Lange abgezogenen Baryt-Prints tun ein Übriges, wie die der anderen Künstler auch, und bis auf Thomas Leuner sind übrigens alle Werke in Schwarz-Weiß. Weiter nenne ich die Arbeiten von André Kirchner Peripherie und Mitte, 2006, Winfried Mateykas Briefe von Unbekannten„, 1993, zum Thema Graffiti und Thomas Leuner mit Der 148er aus dem Jahr 1992.
Allein für die letztgenannten Künstler und ihre Werke lohnt sich unbedingt noch der Besuch in der Ausstellung, denn sie ist nur noch bis 7. August 2011 geöffnet. Mehr zum Hintergrund der Ausstellung und zu den beteiligten Künstlern im Artikel zur Ausstellungseröffnung BERLIN, Blicke“ vom 29.05.2001. Mit der Ausstellung Berlin, Blicke im Haus am Kleistpark verabschiedet sich, nach fast 30 Jahren, Katharina Kaiser als Leiterin des Kunstamtes. www.hausamkleistpark-berlin.de
Vor längerer Zeit hatte ich mir die Ausstellung Based in Berlin im Atelierhaus im Monbijou-Park angesehen und war so enttäuscht, dass ich keine Lust hatte, darüber zu schreiben. Eigentlich wollte ich mir noch den Ausstellungsteil in den Kunstwerken anschauen. Bei diesem Vorsatz blieb es aber. Nun ist die Ausstellung zu Ende und das ist auch gut so, um mit Wowereits Worten zu sprechen, der das Geld für die Leistungsschau Based in Berlin locker machte.
Endlos Banales in einer überflüssigen Ausstellung für 1,6 Millionen zeigt keine Notwendigkeit für eine Kunsthalle in Berlin. »So viele Glaubensbekenntnisse des hilflosen Nachahmens hat es vielleicht noch nie in einer Ausstellung gegeben« schrieb Heiner Bastian in Warum ›Based in Berlinב gescheitert ist. Auch das Fotografieren ist mir in der Ausstellung vergangen, so bleibt nur das Bild vom Reinemachen im Park nach der Ausstellung.
Das Museum Folkwang widmet zur Zeit (bis 23. Oktober 2011) dem amerikanischen Fotografen Joel Sternfeld (*1944, New York) die erste europäische Retrospektive mit rund 130 Arbeiten aus über drei Jahrzehnten.
Unter dem Titel Joel Sternfeld – Farbfotografien seit 1970 werden insgesamt elf Projekte gezeigt. Ein Schwerpunkt liegt auf 60 Fotografien aus seinem bisher unveröffentlichten Frühwerk, das von 1969 bis in die späten 1970er Jahre reicht.
Joel Sternfeld zählt neben Stephen Shore und William Eggleston zu den wichtigsten Vertretern der New Colour Photography, die in den 1970er Jahren die Farbe für die Kunstfotografie entdeckten. Sein Blick richtet sich immer wieder auf sein Heimatland Amerika mit seinen Eigenarten, den Menschen und seinen spezifischen Landschaften.
1978 begann Sternfeld seine Reise durch die USA in einem VW-Bus, um sich der sozialen Topografie seines Landes zu vergewissern. Auf dieser Odyssee entstand die Serie American Prospects, für die er im Jahr 1987 internationale Anerkennung erhielt.
In dem daraus folgenden Projekt Stranger Passing (1987–2000) konzentriert sich sein Blick auf die Menschen. Es entstand ein Gesellschaftsporträt, das an die Darstellung der Deutschen aus den 1920er Jahren von August Sander erinnert. Die Serie On This Site (1993–1996) zeigt Orte, die auf den ersten Blick nichts Auffälliges mitteilen. Erst der begleitende Text klärt darüber auf, dass es sich um Tatorte von Verbrechen handelt.
In Walking the High Line (2000–2001) nähert sich Sternfeld einer stillgelegten Bahnstrecke mitten in New York, wo sich die Natur ihr Refugium zurück erobert und nur noch stellenweise auf den ehemals regen Zugverkehr in Manhattens West Side schließen lässt. Oxbow Archive (2005–2007) ist eine fotografische Langzeitbeobachtung der East Meadows, Northampton und zeigt die Einzigartigkeit der Jahreszeiten sowie die Auswirkungen des menschlichen Eingreifens in die Natur.
Seit Beginn seiner fotografischen Arbeit ist das Buch für Joel Sternfeld die wichtige Präsentationsform. In den letzten 20 Jahren entstanden elf Fotobände zu seinen Projekten. Begleitend zur Ausstellung erscheint unter dem Titel Joel Sternfeld – First Pictures ein Buch zu seinen frühen, bislang nicht publizierten Arbeiten. Die von Ute Eskildsen kuratierte Ausstellung wird im Anschluss in Amsterdam, Berlin und Wien zu sehen sein. Quelle: Pressemitteilung, www.museum-folkwang.de. Eine Foto-Auswahl durch Google. Eine Ausstellungsbesprechung ist geplant.