Betrachtungen zum photographischen Bild
Alles kommt aus dem Schwarz und verliert sich im Weiß [Louis-Bertrand Castel, Mathematiker]
2001 ging bei mir das ›analoge Zeitalter‹ in der Photographie mit einer letzten Serie »Sechsundreißig Tower« (die auf Malta entstanden ist) auf einem KODAK Tri-X-Film zu Ende. Heute kann ich jederzeit wählen, ob eine Serie in Farbe oder Schwarzweiß dem gewählten Thema am nächsten kommt. Übrigens: Mittlerweile hat Leica eine reine schwarzweiße-Digital-Kleinbildkamera im Programm.
Die herkömmliche Schwarzweiß-Fotografie hat allerdings heute als Massenmedium ihre Bedeutung verloren, aber ein hohes Maß an Ansehen erhält sie nach wie vor in der künstlerischen Fotografie und im Film. Seit dem Oscar-Erfolg 2012 des Films ›The Artist‹ wird das Schwarz-Verfahren wieder sehr geschätzt. Schon vorher haben Regisseure wie Jim Jarmusch, Woody Allen (›Manhattan‹), Michael Haneke (›Das weiße Band‹) oder die Coen-Brüder in Schwarzweiß gedreht und besonders in sogenannte Arthouse-Filme werden immer wieder einzelne Sequenzen eingebaut.
Die bewusste Wahl von Schwarzweiß-Bildern zwingen zu konzentriertem Sehen. Dabei werden Licht und Schatten, sowie Flächen, Linien und Strukturen präsenter. Durch die betont grafische Wahrnehmung wirken die Bilder authentischer und glaubwürdiger, die Farbe lenkt oft von der eigentlichen Bildaussage ab. Und sie heben sich wohltuend von den Reklame- und Modebildern und von Amateur- und Hobby-Bildern ab. Ihre stärkere künstlerische Wirkung wird geschätzt.
Dabei geht es nicht um das Nachahmen aus nostalgischen Gründen oder um das extreme Übertreiben der heutigen Hobbyfotografen mit ihren schwarzweißen Aufnahmen, die unnatürlich scharf und zu kontrastreich sind, sondern um den Inhalt – die Bildaussage.
Beim Betrachten von Schwarzweiß-Bildern spürt der Betrachter eher als bei Farbe, dass dies nicht die Realität ist, sondern ein Bild und dass es bei der Bildaussage weniger um Dokumentation geht, sondern um die Stimmungen im Foto. Siehe auch der Artikel »Schwarzweiß hat viele Farben«.
Die ganze Vielfalt, der ganze Reiz, die ganze Schönheit des Lebens besteht aus Schatten und Licht [Lew Nikolajewitsch Tolstoi]
Übersicht der Artikel der Kategorie »Texte zur Photographie«
- Das Phänomen der optischen Verwirrung in der Photographie
- Der öffentliche Raum ist nicht mehr öffentlich
- Im eigenen Auftrag
- Wenn ein Betrachter vor lauter Oberfläche den eigentlichen Inhalt einer Photographie nicht mehr sieht
- Wie hässlich! Das muss ich fotografieren!
- Künstlerbücher – Das Buch als Kunstobjekt
- Liegt die Realität der Welt in ihrem Bild?
- Warum bewahren wir Photographien auf?
- Schwarzweiß hat viele Farben
- Alles kommt aus dem Schwarz und verliert sich im Weiß
- Kleine Geschichte der Werkstatt für Photographie (5): Werkstattorganisation und Werkstattziele
- Kleine Geschichte der Werkstatt für Photographie (4): Workshops und Zusammenarbeit
- Kleine Geschichte der Werkstatt für Photographie (3): Bildbesprechungen und Ausstellungen
- Kleine Geschichte der Werkstatt für Photographie (2): Gründung
- Kleine Geschichte der Werkstatt für Photographie (1): Prolog