Wie hässlich! Das muss ich fotografieren!

Von Friedhelm Denkeler,

Fotografieren heißt, sich das fotografische Objekt anzueignen

»Lückenschließung«, aus dem Portfolio »Bilder einer Ausstellung – Versuch einer Rekonstruktion«, zur Ausstellung »Michael Schmidt und Schüler» in der DGPh, Köln 1980
»Lückenschließung«, aus dem Portfolio »Bilder einer Ausstellung – Versuch einer Rekonstruktion«, zur Ausstellung »Michael Schmidt und Schüler» in der DGPh, Köln 1980

Niemand hat je durch Fotografien Hässlichkeit entdeckt. Schönheit dagegen haben schon viele durch Fotografien aufgespürt. Sieht man von jenen Situationen ab, in denen die Kamera dokumentieren oder gesellschaftliche Riten festhalten soll, so greifen die Menschen zur Kamera, um etwas Schönes auf den Film zu bannen. Nicht von ungefähr ließ sich William H. Fox Talbot die Fotografie im Jahr 1841 unter dem Namen Kalotypie – von dem griechischen kalos = schön  –  patentieren. Niemand ruft: »Wie hässlich! Das muss ich fotografieren«; und selbst wenn es jemand riefe, so meinte er damit nichts anderes als: »Ich finde dieses hässliche Ding … schön«. [Quelle: Susan Sontag: »Der Hedonismus des Sehens«]

Fotografien sammeln, heißt die Welt sammeln. Filme und Fernsehprogramme flimmern vor uns auf und verlöschen wieder; durch das Standfoto aber ist das Bild auch zum Objekt geworden, leichtgewichtet, preiswert zu produzieren, mühelos herumzutragen, zu sammeln, in großen Mengen zu stapeln. In Godards »Les Carabiniers» (1963) werden zwei arme Bauerntölpel in die königliche  Armee gelockt, indem man ihnen verspricht, sie könnten plündern, schänden, töten, dem Feind alles antun, was sie wollten und dabei reich werden.

Aber der Koffer voller Kriegsbeute, den Michelangelo und Odysseus Jahre später triumphierend zu ihren Frauen heimbringen, enthält, wie sich herausstellt, nichts als Hunderte von Ansichtskarten, die Denkmäler, Warenhäuser, Säugetiere, Naturwunder, Transportmittel, Kunstwerke und andere Sehenswürdigkeiten aus aller Herren Länder zeigen.

Godards Gag parodiert sehr drastisch die fragwürdige Magie des fotografischen Bildes. Fotografien sind die vielleicht geheimnisvollsten all der Objekte, welche die Umwelt, die wir als modern begreifen, ausmachen und gestalten. Fotografien sind tatsächlich eingefangene Erfahrung, und die Kamera ist das ideale Hilfsmittel, wenn unser Bewusstsein sich etwas aneignen will. [Quelle: Susan Sontag: »In Platons Höhle«]