Fahr’n, Fahr’n auf der Autobahn …

Von Friedhelm Denkeler,

Jetzt schalten wir das Radio an und legen die Kassette ein

Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn/ Vor uns liegt ein weites Tal/ Die Sonne scheint mit Glitzerstrahl/ Die Fahrbahn ist ein graues Band/ Weisse Streifen, grüner Rand/ Jetzt schalten wir ja das Radio an/ Aus dem Lautsprecher klingt es dann:/ Wir fahr’n auf der Autobahn … [aus Kraftwerk: »Autobahn«]

1984 habe ich mir für die anstehenden Autobahn-Fahrten von Berlin nach West-Deutschland eine Compact-Kassette (ich hoffe, die Leser wissen noch, was das ist) zusammengestellt. Schwerpunkt der Cassette waren meine damaligen Top Five von Kraftwerk: passenderweise als Einstiegs-Song Autobahn (1974), dann Radioaktivität (1975), Trans Europa Express (1977), Das Model (1978) und Die Roboter (1978). Herausgesucht habe ich im Netz die über vierzig Jahre alte Single-Version mit 3:27 Minuten: Kraftwerk: »Autobahn«

Das vierte Studioalbum von Kraftwerk aus Düsseldorf kam 1974 heraus. Weltbekannt wurde es durch das die gesamte A-Seite der LP füllende, hypnotische Stück Autobahn. Angeblich kam die Idee Ralf Hütters Band im VW-Bus auf der Fahrt über die Autobahn. Es beginnt mit den Startgeräuschen eines Autos, gefolgt von dichterem Verkehr und hupenden Fahrzeugen; sozusagen die musikalische Interpretation einer monotonen Autobahnfahrt. Melodie und auch der über einen Vocoder laufende Sprechgesang sind minimalistisch; das oben angeführte Zitat gibt bereits den ganzen Text des Songs wieder. Kraftwerk legte hiermit den Grundstein für das Genre Techno-Pop.

»Fahrn, Fahrn auf der Autobahn...«, aus: »On The Road: Berlin - Hamburg: Der Berliner Ring kurz vor dem Abzweig Rostock, Foto © Friedhelm Denkeler 1984
»Fahrn, Fahrn auf der Autobahn…«, aus: »On The Road: Berlin – Hamburg: Der Berliner Ring kurz vor dem Abzweig Rostock, Foto © Friedhelm Denkeler 1984

Die Neue Nationalgalerie Berlin ist seit Ende letzten Jahres geschlossen (siehe Artikel Stützen für die Neue Nationalgalerie). Für den 6. Bis 13. Januar 2015, vor dem Beginn der Bauarbeiten, war die obere Halle für acht Konzerte der Band Kraftwerk unter dem Titel Der Katalog – 1 2 3 4 5 6 7 8 leergeräumt. An Karten für alle acht ausverkauften Konzerte war kaum heranzukommen. Und was spielten sie am ersten Tag? Natürlich Autobahn, aus ihrem nach eigener Lesart ersten Album. In diesem legten sie Querflöte und Hammondorgel beiseite und machten Musik mit einem für ihre Zwecke umgebauten Synthesizer.

Sie entlockten den Maschinen Emotionen. Die Spannung zwischen einer laienhaft gesungenen Textzeile und einer sauber eingespielten Keyboard-Melodie provozierte ungeahnte Gefühle. Vielleicht haben sie damit der Welt ein wenig gezeigt, wozu wir Deutschen fähig sind: Präzision, Exzellenz, und ja, Robotertränen. [Der Tagesspiegel]

Übrigens gibt es noch die längere LP-Version mit über 22 Minuten – für die längeren Autobahnfahrten. Sie hätte sich für eine Fahrt durch die damalige DDR eigentlich besser geeignet. Eine Live-Version mit 8:52 Minuten finden Sie hier.

Stützen für die Neue Nationalgalerie

Von Friedhelm Denkeler,

David Chipperfield – Sticks and Stones, eine Intervention

Sticks and Stones may break my bones, but words will never hurt me
[englischer Kinderreim]

Vor der Schließung der Neuen Nationalgalerie für ein halbes Jahrzehnt (sic!) verwandelte der britische Architekt David Chipperfield die obere, gläserne Halle der Neuen Nationalgalerie für drei Monate in einen deutschen Fichten-Wald mit 143 entrindeten, acht Meter langen Baumstämmen. Chipperfield will damit auf die Architektur des Ludwig Mies van der Rohe-Baus hinweisen: Säulen und Steine. Wobei das monumentale Dach auf nur acht Stützen zu schweben scheint. Viele Besucher haben vor lauter Bäumen die Ausstellung nicht gefunden. Chipperfield spricht daher auch nicht von einer Ausstellung, sondern von einer Intervention.

David Chipperfield – Sticks and Stones, eine Intervention in der Neuen Nationalgalerie Berlin, Foto © Friedhelm Denkeler 2014
David Chipperfield – Sticks and Stones, eine Intervention in der Neuen Nationalgalerie Berlin, Foto © Friedhelm Denkeler 2014

Die 143 Stämme fügen sich in das klare Raster der Stahldecke und des Granitfußbodens ein. Gleichzeitig ist für Chipperfield die Installation eine Metapher für die kommende Baustelle zur Generalsanierung, für die er in den kommenden Jahren verantwortlich ist. Inmitten des Stützenwaldes befindet sich übrigens eine Lichtung auf der verschiedene Veranstaltungen stattfanden. Fotografisch ist der Wald in der Nacht besonders schön anzusehen und durch die riesigen Glasscheiben wird die Außenwelt surreal wieder gegeben. Die Ausstellung ging am 31. Dezember 2014 zu Ende.

BubeDameKönigAss

Von Friedhelm Denkeler,

Vier Positionen zeitgenössischer Malerei in der Neuen Nationalgalerie

Im Rahmen der Reihe „Painting Forever“, die in vier Einrichtungen in Berlin zu sehen war, sind in der Neuen Nationalgalerie noch bis zum 24. November 2013 in den vier Ecken der oberen Halle die Werke von den vier zeitgenössischen, in Berlin lebenden Künstlern Martin Eder, Michael Kunze, Anselm Reyle und Thomas Scheibitz zu sehen. Die im Titel der Ausstellung versprochene Dame befindet sich allerdings nicht unter den Ausstellenden, sondern kommt nur als Bildmotiv vor.

»Blick in die Neue Nationalgalerie« mit der Arbeit »Ein Jahr ohne Licht«, Martin Eder 2005, Foto © Friedhelm Denkeler 2013
»Blick in die Neue Nationalgalerie« mit der Arbeit »Ein Jahr ohne Licht«, Martin Eder 2005, Foto © Friedhelm Denkeler 2013

Die vier Werkgruppen mit ihren unterschiedlichen künstlerischen Ansätzen sollen formal und inhaltlich in den Dialog treten. Soweit die Theorie; in der Praxis werden die vier Positionen aber eher getrennt betrachtet. Da sind zum einen die Katzenbilder mit nackten Nympchen von Martin Eder und auf der anderen Seite das sechs Meter breite Gemälde Vormittag von Michael Kunze mit vielschichtigen Bezügen zu Philosophie, Film und Kunstgeschichte zu sehen. Bei beiden Positionen handelt es sich um figurative Werke. Dagegen sind die Arbeiten von Thomas Scheibitz und Amseln Reyles eher als abstrakt einzuordnen.

Im Gegensatz zur letztjährigen Documenta zeigt die Viererbande, dass die Malerei (das Tafelbild) nicht tot ist, im Gegenteil, sie lebt. Painting Forever! Eine empfehlenswerte Ausstellung und auch beim Umrunden der Neuen Natinalgalerie ergeben sich reizvolle Ansichten.

Die total verrückte Umzugskiste des Paul McCarthy

Von Friedhelm Denkeler,

In »The Box« wird die Schwerkraft in der Neuen Nationalgalerie Berlin auf den Kopf gestellt

Die Neue Nationalgalerie präsentiert sich in der oberen Halle in unerwarteter Leere: Neben den festen Holzeinbauten, die zum Untergeschoss führen, steht in der gläsernen Halle nur eine riesengroße Holzkiste. Erst wenn man um die Kiste herum geht, kann man durch ein „Fenster“ den Inhalt der Box sehen: Er besteht aus dem realen kompletten Arbeitszimmer von Paul McCarthy, so wie er es 1999 ausgeräumt hat.

"Paul McCarthys 'The Box' in der Neuen Nationalgalerie", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Paul McCarthys The Box in der Neuen Nationalgalerie«, Berlin, Kulturforum, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Der Transportbehälter wurde allerdings nicht „normal“ aufgestellt, sondern, nachdem McCarthy alle Gegenstände und das Interieur seines Ateliers auf dem „Boden“ des Containers fest verschraubt hatte, um 90 Grad gekippt aufgestellt. So „hängen“ jetzt alle, ursprünglich auf dem Boden stehenden, Gegenstände an einer Wand des Behälters, die Deckenlampen an der gegenüberliegenden Wand und die Fenster, durch die man nun einen Blick auf die Stahlträger der Nationalgalerie werfen kann, befinden sich an der Decke des Containers.

Paul McCarthy hat den gesamten Inhalt seines Ateliers – Tische, Geräte, Werkzeuge, Videoschnittpulte, Kisten, Bücher, Fotos, Bilder, Bleistifte – fotografiert und etikettiert. Nahezu dreitausend Gegenstände aus drei Jahrzehnten künstlerischen Schaffens kamen zusammen und wurden in denselben Maßen wieder neu zusammengebaut.

"Blick in Paul McCarthys 'The Box' in der Neuen Nationalgalerie", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Blick in Paul McCarthys The Box«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Der Blick ins Innere der Box irritiert. Die jetzt seitlich angebrachten Neon-Deckenlampen könnte man für eine Lichtskulptur von Dan Flavin halten und der Lüftungsschacht der ehemaligen Atelierdecke wirkt an der Wand wie eine minimalistische Skulptur. Die Atelierausstattung an der anderen Wand hingegen erscheint wie ein dreidimensionales Raumbild.

Atelierdarstellungen hat es in der Kunstgeschichte schon mehrfach gegeben: Dürer, Menzel und Courbet haben dies getan und nun reiht sich auch der 1945 in Salt Lake City geborene McCarthy ein. „The Box“ ist nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder zu sehen, solange ruhte sie in den Archiven der Neuen Nationalgalerie. Der Sammlung nach gehört sie zu den Dauerleihgaben der „Friedrich Christian Flick Collection im Hamburger Bahnhof“. Die Ausstellung ist noch bis zum 4. November 2012 im Kulturforum am Potsdamer Platz zu sehen.

Vier blaue Haufen – Aber wo sind die Blauen Pferde?

Von Friedhelm Denkeler,

Martin Gostner mit »Der Erker der Blauen Pferde« auf der Terrasse der Neuen Nationalgalerie Berlin

Bei einem Spaziergang auf der Terrasse rund um die Neue Nationalgalerie in Berlin muss man zurzeit sehr vorsichtig sein, sonst tritt man in einen Misthaufen. Wer danach sucht, entdeckt vier verschiedene Haufen mit blauen Pferdeäpfeln. Aber welche Pferde haben sie dort hinterlassen und vor allen Dingen, wo sind die dazugehörenden Pferde geblieben? Zur Beruhigung: es handelt sich um die geruchsneutrale „Hinterlassenschaft“ des Künstlers Martin Gostner; aber wo die Blauen Pferde und der dazugehörige Turm geblieben sind, kann er auch nicht erklären.

»Blaue Pferdeäpfel«, Martin Gostner: »Der Erker der Blauen Pferde«, Neue Nationalgalerie, Berlin Kulturforum, Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Blaue Pferdeäpfel«, Martin Gostner: »Der Erker der Blauen Pferde«, Neue Nationalgalerie, Berlin Kulturforum, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Das Gemälde »Der Turm der blauen Pferde« (1913) von Franz Marc wurde von den Nazis als entartet verfemt. Das Meisterwerk des Expressionismus wurde 1919 von der Nationalgalerie angekauft und gehörte bis zu seiner Beschlagnahmung 1937 zum Kernbestand des Museums. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gilt es als verschollen. Angeblich hat man es in Berlin-Zehlendorf bis 1949 noch gesehen, später vermutete man es in einem Schweizer Banksafe. Vielleicht lagert es als Kriegsbeute an einem unbekannten Ort oder es wurde zerstört?

Martin Gostner will mit seiner Installation, wie bereits mit seinen sechs vorhergehende Aktionen (Erker-Projekt) an verschiedenen Orten, auf das verschwundene Gemälde hinweisen; auf dass die Pferde in den Stall zurückkommen, dorthin, wohin sie gehören: in die Neue Nationalgalerie. Das Gemälde Der Turm der blauen Pferde finden Sie zum Beispiel hier.

Richter und Selbst in elf Scheiben

Von Friedhelm Denkeler,

"11 Scheiben, Gerhard Richter, Neue Nationalgalerie Berlin", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»11 Scheiben, Gerhard Richter, Neue Nationalgalerie«, Kulturforum, Berlin, Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Gerhard Richter in der Neuen Nationalgalerie«, Kulturforum, Berlin, Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Gerhard Richter in der Neuen Nationalgalerie«, Kulturforum, Berlin, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Gerhard Richter. Panorama

Von Friedhelm Denkeler,

Neue Nationalgalerie Berlin 12. Februar bis 13. Mai 2012

"Die kleine Riesin nach Gerhard Richter", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Die kleine Riesin nach Gerhard Richter«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Am 9. Februar 2012 feiert Gerhard Richter seinen 80. Geburtstag. Zu diesem Anlass richtet die Nationalgalerie gemeinsam mit der Tate Modern in London und dem Centre Pompidou in Paris eine umfassende Retrospektive seines Ãuvres aus.

Etwa 150 Gemälde aus allen Schaffensphasen des umfangreichen Werkes vermitteln in einer pointierten Auswahl, die in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler entstand, einen Einblick in das thematisch wie stilistisch facettenreiche Schaffen.

Kanonisch gewordene Bilder, wie das der die Treppe herabsteigenden Ema (1966) und der sich vom Betrachter abwendenden Betty (1988), werden mit selten oder noch nie gezeigten Arbeiten kombiniert – zentrale Beispiele einer Schaffensphase oder Werkgruppe werden mit Einzelgängern und Vorweggriffen auf Späteres in Bezug gesetzt.

In einer weitestgehend chronologisch strukturierten Ausstellungsdramaturgie wird das Zwiegespräch zwischen Abstraktion und Figuration als ein sich über alle Jahrzehnte fortsetzender Dialog deutlich werden, ein Dialog, der sich bereits im allerersten Gemälde aus Richters Werkkatalog, dem ebenfalls gezeigten Werk Tisch von 1962 ankündigt.

Die von Gerhard Richter vielseitig vorangetriebene Befragung des Mediums der Malerei führt – und auch dies will die Ausstellung zeigen – auf konsequente Weise zu ihrer Übertretung.

Das Bild als Fläche, als Fenster, als Durchblick und Blickfeld leiten hinüber zu Richters Auseinandersetzung mit Spiegeln und Glasscheiben, in der die Frage nach der Möglichkeit von Repräsentation kulminiert. An diesem Punkt entsteht eine Korrespondenz ganz eigener Art: Richters Glasscheiben und gläserne Stellwände, wie auch seine in täuschendem Illusionismus gemalten Wolken und Fensterbilder treten in einen beziehungsreichen und charmanten Dialog mit Mies van der Rohes auf Durchlässigkeit angelegten Architektur des Gebäudes der Neuen Nationalgalerie.

Eigens für die Berliner Ausstellung verwirklicht Gerhard Richter erstmals die Version I seiner abstrakten, aleatorischen Arbeit 4900 Farben, die, über 200 Meter hinweg, die gesamte Ausstellung umrahmen werden. [Quelle: Presseerklärung]. Siehe auch mein Post Ich kaufe keine Photos!  

Der Michael Kohlhaas-Vorhang des Frank Stella

Von Friedhelm Denkeler,

Wenn ein Künstler und ein Ingenieur gemeinsam Kunst produzieren …

"Stellas Michael Kohlhaas-Panorama", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
Stellas Michael Kohlhaas-Panorama, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Der amerikanische Maler Frank Stella und der spanische Ingenieur Santiago Calatrava haben gemeinsam ein Kunstwerk geschaffen, das die Neue Nationalgalerie in Berlin, ein bisschen übersteigert vielleicht, als Weltpremiere vorstellt: The Michael Kohlhaas Curtain. Wie man auf meinem Photo sieht, hat das Werk im Obergeschoss einen hervorragenden Platz gefunden.

Im Zentrum der Halle steht das kraftvolle, leuchtende Monumentalbild von Frank Stella aus dem Jahr 2008. Als Malgrund diente ihm eine 40 Meter lange Lastwagenplane. Stella ist seit dem Studium mit der deutschen Kultur vertraut, deshalb wählte er als Grundlage für das Bild Heinrich von Kleists Geschichte des Michael Kohlhaas. Stella malt rein abstrakt, deshalb muss man schon sehr viel Phantasie besitzen, um eine Geschichte zu erkennen.

Santiago Calatrava hat für das Wandbild eine feingliedrige Architektur aus Stahl entworfen, die das Bild zu einem ringförmigen Panorama in luftiger Höhe werden lässt. Man kann es von beiden Seiten betrachten, also auch aus dem inneren Ring heraus. Michael Kohlhaas, der Rebell griff zur Selbstjustiz und ging daran zu Grunde − in Stella/Calatravas Werk gibt es, bedingt durch das Rund-Panorama, aber weder Anfang noch Ende.

Die Kuratoren schreiben: »Grelle Plastikfarben, dynamische Muster und Strukturen durchbrechen die rigide Strenge des Mies van der Rohe-Baus. Kunst, Literatur und Architektur verbinden sich zu einer energetisch ausstrahlenden Installation, die jenseits aller Kategorien steht.«

Berühmt wurde Frank Stella mit den »Shaped Paintings« − ausgeschnittenen malerischen Formen, mit denen er in den Raum vorstößt. Fast immer sind die Arbeiten literarisch oder philosophisch begründet. Calatrava nimmt stets eine Form, oft eine tierische oder organische, zum Ausgangspunkt seiner Arbeit. Er schafft gleichfalls als Architekt filigrane Brücken und Bogenbauten, so z.B. in Berlin die Kronprinzenbrücke im Regierungsviertel.

Die Ausstellung ist noch bis zum 14. August 2011 in der Neuen Nationalgalerie zu sehen. Den zweiten Teil der Ausstellung, Frank Stellas Mappenwerk aus den 1980er Jahren Illustrations after El Lissitzky’s Had Gadya, das gemeinsam mit den Vorbildern, den Lithografien von El Lissitzky im Untergeschoss der Neuen  Nationalgalerie präsentiert wird, werde ich übermorgen vorstellen.

The Apparatjik Light Space Modulator

Von Friedhelm Denkeler,

Eine Mischung zwischen Kunst und Popmusik – Schattenspiele in der Neuen Nationalgalerie Berlin

"Selbst im Apparatjik Light Space Modulator", Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Selbst im Apparatjik Light Space Modulator«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Zwei Wochen lang ist in der oberen Halle der Neuen Nationalgalerie ein – ja was denn, ein Kunstwerk, eine Installation mit Videos oder eine Musikperformance? – der Künstlergruppe Apparatjik zu sehen. Sie besteht aus vier Musikern: Guy Berryman (London) aus der Band Coldplay, Jonas Bjerre (Kopenhagen), Sänger der dänischen Indie-Rocker Mew, Magne Furuholmen (Oslo), Keyborder von a-ha und Martin Terefe (London).

»Apparatjik versteht sich als experimentelle Plattform und kooperiert mit einem Pool von Künstlern, Medien-Technikern, Designern, aber auch Wissenschaftlern wie dem Astrophysiker Max Tegmark oder der Kunstwissenschaftlerin Ute Bauer (MIT, Cambridge, USA)«, so der Text der Einladung. Während dieser zwei Wochen gibt die Künstlergruppe 3 Konzerte in der Nationalgalerie. Das dürfte sicher spannender werden als meine Besichtigung des weißen Kubus am Samstagmittag.

Der Kubus steht in der Mitte der ansonsten leeren, oberen Halle der Nationalgalerie und ist mit milchiger Folie überspannt. Um den Kubus herum sind auf dem Boden Spiegel ausgelegt. So hat man herrliche Blicke kreuz und quer durch die Halle (siehe Foto). Auf die Folie werden von innen heraus diverse abstrakte, farbige Bilder projiziert. Besonders in der Dämmerung dürfte dies gut aussehen, denn die Projektionen strahlen durch den Mies van der Rohe-Bau bis in den Stadtraum hinein.

Die Aufführungen knüpfen in ihrer medialen und performativen Ausrichtung an die visuellen Experimente von László Moholy-Nagy an, der wie Mies van der Rohe, dem Architekten der Neuen Nationalgalerie, am Bauhaus lehrte … Apparatjik bezieht sich damit konkret auf den elektrisch bewegten ‚Licht-Raum-Modulator‘, den Moholy-Nagy im Jahr 1930 geschaffen hatte [Pressetext].

Künstler oder Kurator – Das ist hier die Frage!

Von Friedhelm Denkeler,

Federn lassen müssen sie alle – Vom Kriegsgott Kailimoku zur Majestät, dem Schwan. Willem de Rooij mit »Intolerance« bis zum 2. Januar 2011 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin

Der 41-jährige niederländische Konzeptkünstler Willem de Rooij hat die Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin besucht und ist dabei auf Werke gestoßen, die im 17. und 18. Jahrhundert entstanden sind. Sie dienten zur Repräsentation der Macht und zur prächtigen Ausstattung der Mächtigen. Willem de Rooij, der zurzeit in Berlin lebt, versuchte, diese eigenständigen Kunstwerke zu einem neuen, temporären Kunstwerk für die Neue Nationalgalerie zusammenzustellen. Auf welche Werke hat de Rooij zurückgegriffen?

Melchior d’Hondecoeter (1636 – 1695) malte ausschließlich realistische Bilder von heimischen und exotischen Vögeln, die sich meistens im Kampf befinden. Es geht nicht so friedlich zu wie auf meinem Foto, bei d’Hondecoeter versucht zum Beispiel ein Adler einen Hahn zu töten. Viele andere Vögel müssen ebenfalls Federn lassen. Das trifft insbesondere auf die zweite Werkgruppe zu, die de Rooij ausgesucht hat.

»Federobjekt«, Foto © Friedhelm Denkeler 2008
»Federobjekt«, Foto © Friedhelm Denkeler 2008

Hawaiische Federobjekte (18. und 19. Jahrhundert) wurden im vorchristlichen Hawaii bei Prozessionen als Statussymbole mitgeführt. Aus Federn von Hunderten von Vögeln wurden zum Beispiel der überlebensgroße Kopf des Kriegsgottes Kailimoku und ein Umhang für ihn gefertigt. Kunsthistorisch gesehen gibt es keine Verbindung zwischen den Federn aus Hawaii und aus Holland, es ist eine komplett freie Assoziation von Willem de Rooij.

»Mit dieser Gegenüberstellung lenkt der Künstler den Blick auf Zusammenhänge zwischen den außereuropäischen Objekten und der europäischen Malerei. Die Ausstellung thematisiert die Dreiecksbeziehung zwischen früherem globalen Handel, interkulturellen Konflikten und gegenseitiger Attraktion. Offen für vielfältige Interpretationen kann ‚Intoleranz‘ als eine dreidimensionale Collage, aber auch als eine visuelle Untersuchung sowie als pointierte Reflexion institutioneller Arbeitsweisen und Ausstellungspraxis begriffen werden« (aus der Presseerklärung).

Diese Zusammenhänge kann der Betrachter anhand des Gesamtkunstwerkes, wenn es denn eins ist, aber nicht ahnen, insbesondere auch, da die ursprünglichen Werke nicht beschriftet sind. Wir haben nur den Titel »Intolerance«. Für mich bleibt die Frage offen, ob es sich hier um ein künstlerisches oder ein kuratorisches Werk handelt. Die Diskussion über das zukünftige Humboldt-Forum in Berlin-Mitte wird die Ausstellung aber beflügeln können, denn de Rooij plädiert für den interdisziplinären Blick auf die Werke. Vielleicht ist es auch egal, ob diese »freie, wissenschaftliche Collage« (Joachim Jäger) nun ein Künstler oder Kurator geschaffen hat, sehenswert ist sie in jedem Fall. Den Titel »Intolerace« habe ich aber trotzdem nicht nachvollziehen können.

Im Laufe der Ausstellung soll es noch eine dreibändige Publikation geben. Sie beinhaltet dann die erste umfassende Darstellung der Werke von Melchior d’Hondecoeter, eine Zusammenstellung aller bekannten Federobjekte und eine fotografische Dokumentation der Installation »Intolerance«.

Das Kulturforum mit der Neuen Nationalgalerie ist bekanntlich vom Kulinarischen eher mager ausgestattet, also besuchten wir nach dem Museumsbesuch den Potsdamer Platz und kehrten im neueröffneten »Café Möhring« ein. Im ältesten Haus des Viertels, dem ehemaligen Weinhaus Huth, hat ein Klassiker der Berliner Kaffeehauskultur seit September 2010 sein Comeback (Alte Potsdamer Straße 5, Eingang Tilla Durieux-Park). Am Kurfürstendamm wurde das Café Möhring im Jahr 2000 geschlossen, am Gendarmenmarkt wurde es später auch verdrängt und hat nun ein neues Haus gefunden. Einen Besuch kann ich nur empfehlen, das Essen ist sehr gut und das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.