Wenn die Götter auf die Erde kommen …

Von Friedhelm Denkeler,

Leander Haußmanns »Der gute Mensch von Sezuan« am Berliner Ensemble

Erst hieß es, das Stück »Der gute Mensch von Sezuan« von Bertolt Brecht dauert an die vier Stunden, aber ganz so hart war es dann doch nicht: nur dreieinhalb Stunden (mit Pause). Die nie langweilig werdenden Bühneninstallationen des bildenden Künstlers Via Levandowski wurden zu einer wahren Performance: Das gesamte Bühnengeschehen wurde stets von den drei Erleuchteten Göttern und den sich bewegenden (!) drei Peitschenlampen beobachtet. Waren diese Straßenlampen nicht schon im Film »Sonnenallee« zu sehen?

Worum geht es in dem Stück? Die drei höchsten Götter erscheinen auf der Erde und greifen, entgegen ihrer Bestimmung, in das Erdengeschehen ein. Sie suchen einen Menschen, der trotz der unmenschlichen, wirtschaftlichen Verhältnisse, moralisch einwandfrei ist. Wang, der Wasserverkäufer, erkennt die Götter und sucht für sie verzweifelt eine Unterkunft.

Nur die junge Prostituierte Shen Te gewährt ihnen Obdach. Für das Nachtquartier zahlen die Götter ihr ein fürstliches Honorar von Tausend Silberdollar. Shen Te kauft sich für das Geld einen Tabakladen. Sie bietet immer mehr Leuten Unterschlupf, die sie aber nur ausnutzen; zum Schluss hat sie nur noch Schulden. In ihrem »Zweiten Ich« schlüpft sie in die Rolle ihres bösen Vetters Shui Ta und vertreibt die Schmarotzer (Antonia Bill grandios in der Rolle der Shen Te und Shui Ta). Und es geht um vieles mehr.

Das Schluss-Bühnenbild zu »Der Gute Mensch von Sezuan« von Bertold Brecht im Berliner Ensemble, Foto © Friedhelm Denkeler 2016
Das Schluss-Bühnenbild zu »Der Gute Mensch von Sezuan« von Bertold Brecht im Berliner Ensemble, Foto © Friedhelm Denkeler 2016

Im letzten Bild wird deutlich, dass die Götter ebenso wie die naive, ignorante Gesellschaft, eher wegschauen. Die Götter schweben auf einer rosa Wolke fort. Das Publikum muss sich selbst ein Bild machen. Aber durch die Aufspaltung der Hauptfigur deutet Brecht an, dass es unter dem Kapitalismus einen guten Menschen alleine nicht geben kann; er muss gleichzeitig eine schlechte Seite aufweisen, weil er sonst nicht lebensfähig ist.

Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen. Den Vorhang zu und alle Fragen offen [Brecht]

Wir können es uns leider nicht verhehlen: Wir sind bankrott, wenn Sie uns nicht empfehlen! [Brecht, Epilog an das Publikum]

Etwas ist faul im Staate Dänemark!

Von Friedhelm Denkeler,

Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage. Oder: The Death is not the End

Oh, the tree of life is growing/ Where the spirit never dies/
And the bright light of salvation shines/ In dark and empty skies [Bob Dylan]

Vor Beginn der Aufführung leuchtet auf dem noch geschlossenen Vorhang im Berliner Ensemble, wie von Zorros Säbel in den Stoff geschnitten, der helle Schriftzug »Hamlet« auf. Wir sind also im richtigen Theater und freuen uns auf Leander Haußmanns Interpretation von William Shakespeares »Hamlet – Prinz von Dänemark« und auf die Musik von »Apples in Space«.

Und wir sehen und hören für 3½ Stunden ›richtiges‹ Theater: Blitze zucken und der Donner grollt, Nebel wabert über die Bühne, Pistolenschüsse peitschen durch den Raum, Säbel rasseln, der alte König (oder ist es nur sein Geist?) tritt nackt auf, obwohl er ermordet wurde, ein ›Zuschauer‹ wird auf die Bühne gezerrt, Hamlet liegt mit seiner Ophelia nackt im Liebesbett, Theaterblut wird in Mengen vergossen und verspritzt (für die Zuschauer in den ersten Reihen liegen Decken bereit), Mord aus Rache, Selbstmord aus Liebeskummer, eine Theatertruppe tritt zwischendurch auf; also alles was das Theater hergibt hat Haußmann aufgefahren.

Die Geschichte von Hamlet, die ich hier sicherlich nicht erzählen muss, spielt auf dem Schloss Helsingör, das dank der Drehbühnentechnik mit einem aufgebauten Labyrinth aus unterschiedlich hohen Wänden von den Schauspielern viel an Bewegung verlangt. Einzig das Gitarren-Akkordeon-Duo »Apples in Space« bringt die notwendige Ruhe in das Spiel.

Lange hat man die Schauspieler des Hauses nicht so stark gesehen. Am Berliner Ensemble wird Theater gespielt. [Der Tagesspiegel].

Der Rest ist Schweigen.

»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage«, Foto © Friedhelm Denkeler 2003
»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage«, Foto © Friedhelm Denkeler 2003

Am Ende der Aufführung leben alle ermordeten und verstorbenen Figuren wieder auf und springen munter auf der Bühne zur Musik von »Apples in Space« mit dem Song »The Death is not the End« herum. Das Duo, das zwischendurch auch im Engelskostüm auftritt, besteht aus Julie Mehlum und Philipp Haußmann (Leander Haußmanns Sohn). Bekannt wurden die beiden aus dem Film »Hai-Alarm am Müggelsee« (Sven Regener/ Leander Haußmann) mit ihrem Song „Vespa„. In Hamlet begleiten sie das Stück mit viel düsterer Rockmusik von »The Death is not the End« bis »The Carneval is over«.

Der Song von Bob Dylan »The Death is not the End« erschien 1988 auf seinem Album »Down In the Groove«. Herausgesucht habe ich aber die, wie ich finde, bessere Version von Nick Cave & The Bad Seeds mit Kylie Minogue aus dem Jahr 2011 (vom Album »Murder Ballads«):

Nick Cave & The Bad Seeds: „The Death is not the End“

Die australischen Pop-Gruppe »The Seekers« hatte 1965 mit dem Song »The Carnival Is Over« einen Nummer-1-Hit in England. Auch diesen Song hat Nick Cave gecovert. Aber hier ist der Original-Song:

The Seekers: „The Carnival Is Over“

This will be our last goodbye/ Though the carnival is over/
I will love you till I die [The Seekers]

Wie Walter Ulbricht beim Frühstück die Mauer aus Würfelzucker plante

Von Friedhelm Denkeler,

Michael Bully Herbig und Jürgen Vogel in Leander Haußmanns Tragik-Komödie »Hotel Lux«

"Roter Stern in Radevormwald", Foto © Friedhelm Denkeler 1984
»Roter Stern in Radevormwald«, Foto © Friedhelm Denkeler 1984

Diese Szene des Films wird immer in Erinnerung bleiben – Walter Ulbricht sitzt mit Lotte Kühn beim Frühstück im Hotel Lux in Moskau und stapelt Würfelzucker zu einer Mauer, darauf Lotte »Was machst du denn da?«, »Nichts! Nur so!«.

Der Komiker und Parodist Hans Zeisig (Michael Bully Herbig) tritt 1938 im Nazi-Berlin in einer satirischen Tanzrevue gemeinsam mit Siggi Meyer (Jürgen Vogel) als Stalin und Hitler auf und macht genau einen Hitler-Gag zuviel.

Er muss mit gefälschten Papieren fliehen. Sein eigentliches Ziel ist Hollywood, da er jedoch einen russischen Pass erhielt, landet er in Moskau im Hotel Lux. Hier erging es ihm, wie heute den meisten Deutschen, er wusste nichts über das Hotel, das ein Hotel voller Kommunisten, ein Gästehaus der Kommunistischen Internationalen war.

Kommunisten, die vor den Faschisten geflohen waren, versuchten hier zu überleben, kamen aber vom Regen in die Traufe. Sie wurden bespitzelt, verhört, nach Sibirien verschleppt oder erschossen.

Im diesem Hotel trafen sich alle. Politiker, Schriftsteller, Künstler und auch im Film tummeln sich Exilanten wie Walter Ulbricht, Georgi Dimitroff, Johannes R. Becher, Herbert Wehner oder Wilhelm Pieck.

Der russische Geheimdienst unter dem NKWD-Chef Jeschow verwechselt Zeisig mit Hitlers Leibastrologen Hansen. Kurz und gut, Zeisig und der aus dem Untergrund wieder aufgetauchte Meyer, fliehen, nun als Stalin und Hitler verkleidet, gemeinsam mit der Frau, die zwischen beiden steht, Frida van Oorten (Thekla Reuten).

Ein sehenswerter Kinospaß, der zur absurden Geschichtsstunde wird. Gekonnt werden die Rollen gewechselt, die Regieeinfälle purzeln nur so, das Zeitkolorit ist authentisch und den Zuschauern hat es gefallen. Spätestens jetzt ist ihnen das Hotel Lux ein Begriff. www.hotel-lux-film.de