Wer geht, verwandelt sich in den Weg

Von Friedhelm Denkeler,

Neuntes und letztes Kapitel aus dem Portfolio und Künstlerbuch »Neunmal Neukölln – Berliner Stadtgänge», 1984/2020

»Anflugbefeuerung«, Flughafen Tempelhof, aus dem Portfolio »Neunmal Neukölln«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Anflugbefeuerung«, Flughafen Tempelhof, aus dem Portfolio und Künstlerbuch »Neunmal Neukölln – Berliner Stadtgänge», Foto © Friedhelm Denkeler 2011

9 Ein Friedhof im Schnee

Im letzten Kapitel komme ich von meinen Stadtgängen wieder zurück in die Nähe zum Ilsenhof. Links und rechts der Hermannstraße sind mehrere Friedhöfe der Berliner Kirchengemeinden mit schönen Alleen ansässig. Sie liegen direkt unter der Einflugschneise vom damaligen Flughafen Tempelhof. Diese Friedhöfe gehören zur grünen Lunge von Neukölln und ein angemessenes Verhalten wird erwartet. In den 1970er Jahren dröhnten allerdings laufend die Flugzeuge über die Gräber.

Der Neuköllner Friedhof ist klassisch angelegt, das heißt durch Baumgruppen, Alleen, einzelne Standbilder und verschlungene Wege ergibt sich der Eindruck eines Arkaden-Parks. Von solch einem Ort der stillen Erholung fühlten sich die Stadtbewohner schon immer angesprochen und gerade in dem dicht besiedelten Neukölln lässt sich auch heute noch auf diesen Inseln der Ruhe ein kleines Paradies auf Erden finden.

Epilog

So kann ich davon träumen, wie ich einmal das Gehen lernte. Doch das hilft mir nichts. Nun kann ich gehen; gehen lernen nicht mehr [Walter Benjamin]

Warum wollte Benjamin das Gehen neu lernen? Wahrscheinlich hat er eher gemeint, Schritt für Schritt die Wirklichkeit neu zu entdecken, durch die Intensivierung der Wahrnehmung, Veränderung des Blickwinkels und durch die Besinnung auf das Einfache, das Gewöhnliche und das Alltägliche. Dazu braucht man nicht unbedingt in exotische Länder zu reisen. Neues zu entdecken kann man auch im Altbekannten, auf dem täglichen Stadtgang, in der Wohnung oder im eigenen photographischen Archiv – so wie mit dem Portfolio »Neunmal Neukölln«.

Das photographische Gehen und Sehen ist wie eine Reise in das innere und äußere Neuland. Bei den Photographien muss man auch wie in der Literatur ›zwischen den Zeilen‹ lesen können. Man muss auch das Sehen, was im ‹im Schatten liegt‹, das oft das Entscheidende ist. Die Geschichte, die eine Serie von Photographien erzählt, ist also lückenhaft, der Rezipient muss sie selbst ergänzen. Landläufig sag man ›Der Weg ist das Ziel‹. Schmidt aber meint, das Ziel nimmt durch das Gehen erst Gestalt an. Das Gehen steht hier ebenso für die innere Bewegung, für die Erweiterung des Horizonts. Eigentlich ist damit das Denken gemeint.

Das Gehen geht dem Weg, der Zeit, dem Raum, der Erfahrung, dem Wort, dem Wissen, der Welt voraus. … Der Weg ist das Ergebnis der Metamorphose des Gehenden: Wer geht, verwandelt sich in den Weg. Der Weg ist die Welt selbst.
[Aurel Schmidt: »Gehen. Der glücklichste Mensch auf Erden«, Wien, 2007]

»Anflugbefeuerung«, Flughafen Tempelhof, aus dem Portfolio »Neunmal Neukölln«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Anflugbefeuerung«, Flughafen Tempelhof, aus dem Portfolio und Künstlerbuch »Neunmal Neukölln – Berliner Stadtgänge», Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Anmerkung zum Portfolio und Künstlerbuch »Neunmal Neukölln«, 1984

Während meiner Neuköllner Zeit unternahm ich mehrere fotografische Stadtgänge, die im vorliegenden Portfolio mit den folgenden neun Kapiteln mündeten: 1 Der Körnerpark, 2 Schienen und Bauten in wilder Natur, 3 Von Garagen, Tankstellen und Werkstätten, 4 Die High-Deck-Siedlung, 5 In der Kleingarten-Anlage, 6 Stadtgänge im Industriegebiet, 7 An der Mauer und am Teltow-Kanal, 8 Pittoreskes aus Neukölln und 9 Ein Friedhof im Schnee und Epilog. Die Aufnahmen entstanden zwischen 1977 und 1984 in Berlin-Neukölln. Siehe ausführlichen Artikel »Neunmal Neukölln – Berliner Stadtgänge« auf meiner Website LICHTBILDER.

Digitale Abzüge

Das gesamte Portfolio besteht aus 180 Photographien. In einer Übersicht auf meiner Website »Lichtbilder« stehen 45 als Indexprint (je 5 aus den 9 Kapiteln) und 9 als Einzelbilder (je 2 aus den 9 Kapiteln) zur Ansicht bereit. Die Größe der Original-Prints beträgt 30 x 45 cm (Bildmaß = Blattmaß) in einem Passepartout 50 x 60 cm. Belichtet werden sie auf »Fujicolor Crystal Archive Papier« (PE), 250 Gramm.

Analoge Abzüge

Auf Wunsch werden die Schwarzweiß-Photographien im analogen Entwicklungsprozess mit Silbergelatine-Barytpapier (Ilford) archivfest ausgearbeitet. Für eine schwarzweiße Photographie ist Barytpapier die edelste Art von Fotopapier. Die Größe der Fotoabzüge beträgt: Bildmaß: 30 x 45 cm, Blattmaß:  40 x 55 cm. Das kartonstarke Papier ist 315 g/qm schwer. Die Auflage beträgt in der Regel max. 10+2 AP.

Künstlerbuch

Die 180 Bilder sind auch als gedrucktes Künstlerbuch mit 216 Seiten im Format 29,7 x 21,0 cm in einer limitierten Auflage 30 + 4 AP im Selbstverlag erschienen (2020). 
 Gestaltung, Satz: © Friedhelm Denkeler 2020. 
Druck: WhiteWall Media GmbH, 50226 Frechen.


Künstlerbücher sind ein eigenständiges Genre der bildenden Kunst. Sie bewegen sich im Schnittpunkt von Büchern und Kunst, werden in der Regel vom Künstler selbst produziert und im Eigenverlag herausgegeben. Beim Buchobjekt handelt es sich oft um Unikate, ansonsten erwartet der Sammler eine limitierte Auflage, die vom Künstler nummeriert und signiert ist (siehe auch der ausführliche Artikel »Künstlerbücher – Das Buch als Kunstobjekt«