Von der Blauen Stunde mit den Mohnblüten, über das Tango tanzen in der Neonzone bis zu den Eintrittskarten in die Nacht

Von Friedhelm Denkeler,

»Ungleich Nacht – Fotografien der Gruppe 97« in der Galerie im Saalbau

»Strandbar unter Palmen bei Nacht«, Foto © Friedhelm Denkeler 2010
»Strandbar unter Palmen bei Nacht«, Foto © Friedhelm Denkeler 2010

So stelle ich mir eine gute Gruppenausstellung vor: Sechs Fotografen zeigen ihre eigenständigen Portfolios mit einer gemeinsamen Blickrichtung, der Nacht. Und so passt der Titel Ungleich Nacht perfekt zu der sehenswerten Schau im Saalbau in der Neuköllner Karl-Marx-Straße.

Wenn dann die Bilder in den vier Räumen der Galerie auch vorzüglich gehängt und aufeinander abgestimmt sind, kann man nur noch die Empfehlung unbedingt ansehen aussprechen.

Auch von den Gästen der gutbesuchten Vernissage am letzten Freitag, auf der Barbara Maria Zollner die Arbeiten vorstellte, hörte ich nur Lobenswertes. Nun zu den Arbeiten:

Nachtleben, Ursula Kelm: Die Stunde zwischen Tag und Traum, Zeit des Übergangs, Dämmerung, l’heure bleue, die blaue Stunde ist ein romantisches Thema, das Ursula Kelm in ihrer aus Unikaten bestehenden Arbeit vorstellt. Neben SX-Polaroid-Fotos sind insbesondere die sogenannten Transferbilder zu erwähnen, auf denen Kelm die Polaroids vom Trägerbild gelöst und auf Seidenpapier aufgebracht hat. Diese Technik unterstreicht das Piktorialistische in ihren Fotografien und alltägliche Stadtansichten werden so zu traumhaften Inszenierungen.

Was ist, wenn ich’s nicht sehe, Susanne Czichowski: Die Mohnblüte und andere alltägliche Gewächse leuchten wie phosphoreszierend aus dem Dunkel, ätherische Erscheinungen vorm brandenburgischem Wochenendhaus der Künstlerin. Im Schein einer Taschenlampe aus der Hand fotografiert, enthüllen die Dinge – Gräser, der Fruchtstand einer Pflanze, Blätter im Wasser, eine Schnecke – ihre Beschaffenheit und ihr Eigenleben: Perlen von Saft, zarte Härchen auf sprödem Stiel, hauchfeine Panzerglieder – bizarr und kostbar.

Milonga veneziana, Frank-Rüdiger Berger: Mit Einbruch der Nacht treffen sich in Venedig auf der kleinen Piazza in San Polo die Bewohner, um Tango zu tanzen. Die Feuchtigkeit, die das Licht zerfließen lässt, verstärkt noch die eigenartige Wirkung von Frank-Rüdiger Bergers Tanzfotografien, die flüchtige Bewegungen in verwischten Figuren verewigt – Bewegungspuren aus Licht und Schatten in nächtlichem Laternenschein.

Zweierlei“, Barbara Oehler: Die Bilder der Serie Zweierlei sind Bilder von besonderer Nähe. Ihre Freundinnen, die Barbara Oehler hier fotografiert hat, tragen Masken – doch die Gesichtspflege-Masken überdecken nicht, sondern unterstreichen den persönlichen Ausdruck der Portraitierten, deren Blick zugleich in die Ferne wie nach innen gerichtet scheint, versonnen, wie unbeobachtet, aber bewusst – ein Paradox ebenso wie die Masken selbst.

Neonzone, Sylvia Forsten: Nächtliche Szenen, die Sylvia Forsten im Senegal und im Berliner Kiez mit dem vorhandenen Neonlicht aufgenommen hat „gleichen sich unterm Rotlicht, blauem Flimmern oder grünem Leuchten, bis mit Tagesanbruch der Glanz verblasst. Die Euphorie weicht der Tristesse, die Wirklichkeit wird fahl und grau. Manchmal kommt die Ernüchterung schon früher, in Kneipen vorm Morgengrauen trinken die Enttäuschten dagegen an“.

Eintrittskarten in die Nacht, Angela Kröll: Sammler heben gerne Eintrittskarten auf. Angela Kröll hat dies über 20 Jahre lang getan. Und wenn man dann auch noch gleichzeitig fotografiert und beides in Collagen in Originalgröße komponiert, entstehen neue Bilder. Jede dieser Eintrittskarten lohnt die genaue Betrachtung, denn sie erzählen eine kleine Geschichte, in die des Betrachters eigene Nachterlebnisse und -phantasien einfließen.

›Bei Nacht sind alle…‹ Bilder anders. Die Nacht zeigt nicht nur die andere Seite von Menschen, Landschaften und Gegenständen, sondern verstärkt sie – wo Licht ins Dunkel fällt – auch in ihrer Besonderheit. Dieser Nachtseite sind die sechs Berliner Fotografen der Gruppe 97, die seit 1997 existiert, in ganz unterschiedlicher Weise und mit verschiedenen fotografischen Techniken auf die Spur gegangen.

Alle Zitate sind von Barbara Maria Zollner, die mir dankenswerter Weise das Skript ihrer Eröffnungsrede zur Verfügung stellte. Schauen Sie sich selbst die vielfältigen Gesichter der Nacht noch bis zum 12. Februar 2012 in der Galerie im Saalbau in Neukölln an und gehen Sie am besten bei einbrechender Dunkelheit dorthin. Gruppe 97, Ursula Kelm, Barbara Maria Zollner