Freie Wahl des Fluggebietes für Schmetterlinge

Von Friedhelm Denkeler,

Impressionen von der dOCUMENTA 13 in Kassel (Nachtrag). Von Kristina Buchs Schmetterlingsgarten bleiben nach der Documenta nur Puppenhülsen übrig

Die Düsseldorferin, Biologin und jetzt Kunst studierende Kristina Buch hat als jüngste Teilnehmerin (29 Jahre) der diesjährigen Documenta auf dem Friedrichsplatz vor dem Staatstheater in Kassel den Schmetterlingsgarten The Lover errichtet (siehe auch Ein Schmetterlingsgarten ohne Schmetterlinge und eine Welle ohne Welle). Damit die heimischen Schmetterlinge ideale Lebensbedingungen finden, hat sie den Garten mit 180 verschiedenen, faltergerechten Futterpflanzen bestückt. Während der 100 Tage der Documenta wird sie an die 3000 Schmetterlinge in diesem Garten aussetzen.

Buch lässt die Falter in ihrer extra für die Documenta angemieteten Wohnung schlüpfen und bringt jeden Tag rund 30 Falter, sobald sie fliegen können, in den Garten. Dann haben die Falter die freie Wahl, sich auch für andere Biotope mit entsprechenden Nektarpflanzen zu entscheiden. Das ist sicher ganz im Sinne der künstlerischen Leiterin der Documenta Carolyn Christow-Bakargiew (CCB), die, wie man liest, ein Wahlrecht für Hunde gefordert haben soll. Während unseres Besuches in Kassel haben wir übrigens keinen einzigen Falter auf dem vom Verkehr umtosten Platz gesehen. Was schließen wir daraus?

"Documenta 13: Kristina Buch: 'Leere Puppenhülsen und einhundert Tage' (Ausschnitt)", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Kristina Buch: Leere Puppenhülsen und einhundert Tage (Ausschnitt)«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Aber etwas wird von Buchs Aktion über die Documenta hinaus bleiben: die leeren Puppenhülsen. Buch lebt während der Documenta in Kassel und wird jeden Tag in einer Vitrine in der Documenta-Halle die leeren Puppenhülsen der geschlüpften Falter aufspießen. Den Titel der Arbeit The Lover kann ich allerdings immer noch nicht nachvollziehen. Eine Übersicht aller dreizehn Artikel der “Impressionen zur dOKUMENTA (13)” meines Documenta-Besuchs finden Sie hier.

Zusammenfassung dOCUMENTA in Kassel

Von Friedhelm Denkeler,

Übersicht aller Artikel der dOKUMENTA in Kassel.

Das offizielle Plakat der dOCUMENTA (13), Foto © Friedhelm Denkeler 2012
Das offizielle Plakat der dOCUMENTA (13), Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Ein Schmetterlingsgarten ohne Schmetterlinge und eine Welle ohne Welle

Von Friedhelm Denkeler,

Impressionen von der dOCUMENTA 13 in Kassel (12)

"Documenta 13: Song Dong mit Doing Nothing Garden", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Song Dong mit Doing Nothing Garden«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Mitten auf der Karlswiese vor der Orangerie in der Karlsaue hat der chinesische Installations- und Performance-Künstler Song Dong einen sechs Meter hohen Berg aufgeschüttet: „Doing Nothing Garden“. Der Bonsaiberg besteht im Wesentlichen aus Zivilisationsmüll. Dieser ist Schicht für Schicht mit organischen Abfällen und Erde überdeckt und mit Gras und Wildkräutern überwachsen (siehe Foto). Abends sollen die Neon-Schriftzeichen Doing Nothing zu lesen sein. Ein künstlicher Berg in einer Kunstlandschaft; »gleichwohl ist er ein in sich lebender Organismus und beweist so, dass im richtigen Kontext sogar Nichtstun schöpferische Wirkung entfalten kann« [Katalog].

"Documenta 13: Kristina Buchs Schmetterlingsgarten", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Kristina Buchs Schmetterlingsgarten«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Die deutsche Künstlerin Kristina Buch hat eine ähnliche Arbeit auf dem Friedrichsplatz vor dem Staatstheater Kassel geschaffen. Dieses Werk erinnert aber eher an die erste Documenta 1955, die im Rahmen der Bundesgartenschau stattfand. Ein quadratischer Miniatur-Garten wächst auf einem erhöhten Podium. Dieser „hängende“ Garten wurde mit Brennnesseln und Disteln rund um eine farbige Blütenpracht bepflanzt; der ideale Garten für Schmetterlinge. Dazu wurden dort Hunderte Schmetterlingspuppen ausgelegt. Sie sollen die Blumeninsel bevölkern. Ich konnte leider keinen einzigen Falter ausmachen (siehe Foto).

"Documenta 13: Massimo Bartolinis Wave", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Massimo Bartolinis Wave«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

So ähnlich erging es mir bei der Arbeit des Italieners Massimo Bartolini, Wave genannt. Während unseres Besuches war die Welle nur ohne Welle zu sehen. Sie besteht aus einem in die Karlswiese eingelassenen rechteckigen, mit Wasser gefüllten Bassin, umgeben von einem Kornfeld. In dem Bassin soll eine Welle gleichmäßig hin und her schwappen, eine Welle, die nirgendwo hin wandern kann und niemals ausläuft (siehe Foto).

Das war der letzte Vormittag in Kassel, den wir noch einmal in der Karlsaue und an der Fulda verbrachten, und wir warfen noch einen Blick auf Claes Oldenborgs große Spitzhacke (1982, Documenta 7) am Ufer der Fulda.

"Documenta 7: Claes Oldenborgs Spitzhacke", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 7: Claes Oldenborgs Spitzhacke«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Auf den Hund gekommen oder: Darsi ist immer dabei

Von Friedhelm Denkeler,

Impressionen von der dOCUMENTA 13 in Kassel

"Documenta 13: Carolyn Christow-Bakargiew (CCB) mit Malteserhund Darsi", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
„Documenta 13: Carolyn Christow-Bakargiew (CCB) mit Malteserhund Darsi“, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Nach zehn Artikeln ist es Zeit für eine Zwischenbilanz. Oder wird es eine Schlussbilanz? Schon seit Monaten grübelt die Kunstwelt über das Konzept der Documenta 13, bzw. das Konzept der künstlerischen Leiterin Carolyn Christow-Bakargiew (CCB).

Eigentlich sollte das Konzept ja aus dem „Brain“ im Fridericianum hervorgehen (siehe Viel Wind um nichts), aber das Durcheinander bzw. die Konzeptlosigkeit setzte sich auch an den anderen Ausstellungsorten fort.

Es fehlen Schwerpunktsetzungen in den Häusern und Außenräumen. Man braucht einen Tag, um zu erkennen, dass es kein inhaltliches und räumliches Konzept gibt (aber das hat CCB ja von Anfang an gesagt!).

Überall geht es durcheinander: Ökologisches, Wellness, Couscous-Köchinnen, Hitlers Handtuch, fair gehandelte Buttermilch, Gruppen-therapeutisches, Feministisches, Wissenschaft, betende Motoren, fühlende Steine, Ameisen, Mangoldzucht auf einer Fähre, Teilchentheorie, Geschichte und Politik. Das war in der Rotunde, im Brain, bereits zu ahnen. Mit Malerei und Fotografie kann CCB wenig anfangen. Installationen sind angesagt.

Die Karlsaue ist mit Holzhütten aus dem Baumarkt überschwemmt; teilweise mit banalem Inhalt: Eine Aufklärungsbude zum Thema Nationalsozialismus ist nun wirklich zu einfach gedacht und esoterischer Kram soll doch bitte Privatsache bleiben. CCB und einige Künstler sonnen sich in vermeintlicher politischer Relevanz, die oftmals verbunden ist mit ästhetischer Dürftigkeit. Wenn Politik und Ökonomie scheitern, wie soll es dann die Kunst richten?

"Documenta 13: Pierre Huygues Windhund", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Pierre Huygues Windhund«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

CCB sieht keinen Unterschied zwischen Menschen und Hunden; wir sollten uns mehr in die Wahrnehmungswelt der Vierbeiner hinein fühlen (so etwas Ähnliches hat sie auch über Tomaten gesagt). Dabei ist dann zum Beispiel Brian Jungens (Kanada) Hundespielplatz in der Karlsaue herausgekommen, den man übrigens nur mit einem Vierbeiner betreten darf. Ganz witzig hingegen ist noch der Windhund mit dem rosaroten Bein des französischen Künstlers Pierre Huyghe anzusehen. Aber reicht das für eine internationale Kunstausstellung aus?

Jeder Geschmack ist anders. Es gibt aber einige allgemeingültige Theorien und Kriterien, die nicht einer gewissen Beliebigkeit zum Opfer fallen sollten. Auch richtige Kunst ist in Kassel zu sehen, man muss nur etwas suchen und welche Künstler wirklich Bestand haben, werden die nächsten Jahre zeigen. Ist die Documenta etwa auf den Hund gekommen? Nein, sie ist immer noch eine der wichtigsten Kunstausstellungen der Welt. Und dieses Mal ist eben Darsi immer dabei. Der Geist der Karlsaue von Apichatpong Weerasethakul aus Thailand thront über allem. Was würde Malteserhündin Darsi dazu sagen, wenn sie könnte? Oder liefe sie vor dem Geist davon?

"Documenta 13: Der Geist der Karlsaue von Apichatpong Weerasethakul", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Der Geist der Karlsaue von Apichatpong Weerasethakul«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Ein Boot im Baum, eine verzerrte Uhr am Fluss und eine Zeitreise im Schilf

Von Friedhelm Denkeler,

Impressionen von der dOCUMENTA 13 in Kassel

"Documenta 13: Das Hexenhaus von Shinro Ohtake", aus der Serie "Pentimenti", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
„Documenta 13: Das Hexenhaus von Shinro Ohtake“, aus der Serie „Pentimenti“, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Der japanische Maler und Bildhauer Shinro Ohtake hat eine Sprache entwickelt, die auf Bilder der Massenmedien reagiert. In Kassel hat er im hinteren Teil der Karlsaue, nahe der Fulda, das Hexenhaus Mon Cheri: A Self-Portrait as a Scrapped Shed gebaut. Eine vorgefertigte Hütte hat er um Objekte und Materialien ergänzt, die er in verschiedenen Ländern gesammelt hat (siehe Foto).

Die schreiend kirmesbunte Hütte erinnert an einen japanischen Imbissstand. Alle möglichen Alltagsmaterialien wie Neonschilder, Plakate, Fotos und verschiedene laufende Videos hat Ohtake in, auf und um die Hütte herum platziert. Hinzukommen Geräusche und Töne, die er akustisch eingefangen hat und die nun durch die Besucher, wenn sie um das Werk herumgehen, aktiviert werden. Und hier sehe ich auch endlich das bereits aus zahlreichen Abbildungen bekannte hängende Boot im Baum in Natura (siehe Foto und ein Video). Ob dies eine Erinnerung an einen Tsunami oder die Installation eine Lebens-Collage darstellt, möge jeder Betrachter für sich entscheiden.

"Documenta 13: Shinro Ohtakes Boot im Baum", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
„Documenta 13: Shinro Ohtakes Boot im Baum“, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Am Ende des Hirschgrabens, einem der beiden Kanäle, die radial von der Orangerie aus in den Park verlaufen, findet man eine merkwürdig verzerrte Uhr: Obwohl der Betrachter frontal auf das Zifferblatt schaut, erhält er den Eindruck die Uhr stünde um etwa 45 Grad verdreht. Clocked Perspective hat der in Berlin lebende Albaner Anri Sala sein irritierendes Werk genannt. Da die mechanische Uhr zur Ellipse verzerrt ist, muss sie auch ein elliptisches Getriebe aufweisen, so dass die Zeiger beschleunigt und verlangsamt werden. Dadurch zeigt die Uhr trotz der Verzerrungen immer die richtige Zeit an (siehe Foto).

"Documenta 13: Die elliptische Uhr von Anri Sala", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
„Documenta 13: Die elliptische Uhr von Anri Sala“, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Zu den Hauptorten der Documenta, dem Fridericianum und der Documenta-Halle am Friedrichsplatz, den Grünflächen der barocken Karlsaue einschließlich der Orangerie und den industriellen Hallen am Hauptbahnhof, gehört auch die Neue Galerie. »Diese ehemals Königliche Gemäldegalerie genannte Einrichtung beherbergte in der Vergangenheit die landgräfliche Sammlung Alter Meister. 1976 wurde sie unter dem Namen Neue Galerie wieder eröffnet und dient nun der Ausstellung von Werken der Plastik, der Malerei und der Neuen Medien vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. [Katalog].

"Documenta 13: Geoffrey Farmers Leaves of Grass (Twiggy)", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
„Documenta 13: Geoffrey Farmers Leaves of Grass (Twiggy)“, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Im ersten Stock ist die fantastische Arbeit Leaves of Grass des kanadischen Installationskünstlers Geoffrey Farmer zu bewundern. Er hat fünfzig Jahrgänge des Magazins Life zerschnitten, Einzelteile auf Pappe geklebt und an Schilfhalmen befestigt. Entstanden sind so über tausend Silhouetten, die chronologisch hintereinander gestellt, eine irre und phantasievolle Zeitreise ergeben. Auf der anderen Seite dieser Installation sind die Figuren nach einzelnen Themen wie Fotografie, Geschichte, Prominente etc. angeordnet. Für mich eine der besten Arbeit der diesjährigen Documenta, die auch an einem hervorragenden Ort in der Galerie präsentiert wird (siehe Foto und ein Video).

TÜV-geprüfte Galgen und ein Sanatorium

Von Friedhelm Denkeler,

Impressionen von der dOCUMENTA 13 in Kassel

"Documenta 13: Ein Gerüst aus Galgen (Scaffold) von Sam Durant", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Ein Gerüst aus Galgen (Scaffold) von Sam Durant0«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Wir sind zurück im „Künstlerdorf“ in der Karlsaue. Mitten im Landschaftspark, auf der zentralen Sichtachse zwischen der Orangerie und dem Schwanenteich, hat der US-amerikanische Künstler Sam Durant das hoch aufragende Holzkonstrukt Scaffold, ein Mittelding zwischen Klettergerüst und Aussichtsplattform, errichtet. Dass es ein Mahnmal gegen die Todesstrafe ist, erkennt man erst bei genauerem Hinsehen (siehe Foto).

Das Gerüst besteht aus einzelnen, ineinander verschachtelten Galgen. Noch deutlicher wird dies, wenn man auf das Gerüst klettert; erst dann sieht man, dass die Plattform keine normale Plattform ist, sondern eine seltsame Form aus Podesten, Toren und hoch aufragenden Pfosten aufweist. Einige Bauelemente erinnern an Falltüren. Größe und Material der einzelnen Galgen sollen so genau wie möglich mit der jeweiligen Originalkonstruktion übereinstimmen. Um den heutigen Bau- und Sicherheitsvorschriften zu entsprechen, waren Anpassungen notwendig. Zur Installation gehört eine chronologische Auflistung zur Verwendung dieser Galgen. Ein bedrückendes aber auch eindrucksvolles Werk.

"Documenta 13: Das Sanatorium von Pedro Reyes", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Das Sanatorium von Pedro Reyes«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Der mexikanische Künstler und Architekt Pedro Reyes hat in der Karlsaue ein Sanatorium errichtet (siehe Foto), in dem die typischen Krankheiten der Städter behandelt werden: Stress, Einsamkeit und Angstgefühle. Es gibt acht Behandlungsmethoden, die mit Placebos vorgenommen werden: Der Patient kann also seine Denkweise selbst korrigieren. Eine Behandlung war während unseres Besuches leider nicht möglich, da die behandelnde Ärztin eine typische Krankheit der Städter aufwies: Sie telefonierte ununterbrochen auf der Wiese vor dem Sanatorium (siehe Foto).

"Documenta 13: Ärztin mit Telefonitis", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Ärztin mit Telefonitis«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Auch den Kompatibilitätstest für Paare machten wir nicht mit: Beide Partner suchen sich jene Obstsorten aus, mit denen sie sich am meisten identifizieren können. Im Mixer werden diese Sorten dann zusammengerührt. Ob man zusammenpasst – das ist dann reine Geschmackssache. Putzig! Kunst mit heilender Sofortwirkung ohne Erfolgsgarantie?

Ein Theaterstück und ein Lamellenvorhang

Von Friedhelm Denkeler,

Impressionen von der dOCUMENTA 13 in Kassel

Ebenfalls im Nordflügel des Kulturbahnhofs ist eine der eindrucksvollsten Inszenierungen des südafrikanischen Künstlers William Kentridge, der 2006 auch im Berliner Guggenheim mit der Black Box eine Einzelausstellung hatte, zu sehen. Mein Foto gibt nur einen unzureichenden Eindruck der fantastischen Multimedia-Installation The Refusal of Time, in der eine pneumatische Pumpuhr arbeitet, wieder.

"Documenta 13: Großes Zeittheater von William Kentridge", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Großes Zeittheater von William Kentridge«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Das große Zeittheater, wie Kentridges grandiose Installation auch heißen könnte, handelt von der Entwicklung verschiedener Verfahren zur Normierung der Zeit im Industrie-Zeitalter. Es tauchen viele aus seinen Werken vertraute Motive wieder auf: Pneumatische Uhren, weitere mechanische Gerätschaften, Zylindermegafone, die von riesigen projizierten Metronomen und Filmen begleitet werden. Unbeschreibliche 28 Minuten eines Gesamtkunstwerks.

"Documenta 13: Pneumatische Uhr von William Kentridge", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Pneumatische Uhr von William Kentridge«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Weiter geht es in die angrenzende Halle, die ehemals von Güterzügen befahren wurde. Nebenan ist, getrennt durch einen Maschendrahtzaun, ein scheinbar noch aktiver Paketumschlagsplatz. Unmittelbar über den nicht mehr genutzten Gleisen hängen die schwarzen Jalousien der in Berlin lebenden Koreanerin Haegue Yang. Ihre Installation fügt sich perfekt in die Halle ein: Approaching: Choreography Engineered in Never Past Tense verweist auf die Geschichte der Schwer- und Rüstungsindustrie in Kassel (siehe Foto).

"Documenta 13: Die Jalousien-Skulptur von Haegue Yang", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Die Jalousien-Skulptur von Haegue Yang«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Alle motorisierten Aluminium-Jalousien werden computerunterstützt gesteuert. Nach einer geisterhaften Choreographie schließen und öffnen sich die beweglichen Lamellen, fahren herauf und hinunter. Sie halten in immer wieder neuen Formationen an und stehen für eine Weile still; jedes Mal entsteht dadurch eine neue Skulptur. In vergrößertem Maßstab erinnert dies auch eine Modell-Eisenbahnanlage, auf der die Züge immer einmal wieder fahren und anhalten. Sehenswert.

Vom Schlammhügel zur Näherei

Von Friedhelm Denkeler,

Impressionen von der dOCUMENTA 13 in Kassel

"Documenta 13: Der Lehmberg des Michael Portnoy", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Der Lehmberg des Michael Portnoy«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Der Nordflügel am Kulturbahnhof in Kassel besteht aus zwei langen, ehemaligen Lagerhallen mit alten verbeulten Rolltoren hinter denen die Kunst rohe, dunkle Orte gefunden hat. In der ersten Halle hat der US-Amerikaner Michael Portnoy einen riesigen, braunroten Schlammberg aus Lehm aufschütten lassen. Die Arbeit, an deren Rändern Wasser heraus sickert, nennt er 27 Gnosis (siehe Foto). Der Berg an sich und in dieser Halle ist schon sehenswert; die Überraschung folgt, wenn man eine Leiter hinaufsteigt und in das Innere des Hügels sieht.

"Documenta 13: Die Gameshow im Lehmberg des Michael Portnoy", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Die Gameshow im Lehmberg des Michael Portnoy«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Hier befindet sich die Einrichtung einer Gameshow, die während unseres Besuches leider nicht aktiviert war. »Nachmittags und abends leitet der Künstler vor einem wechselnden Hintergrund eine Spielshow an, die Angst, Erheiterung und Durcheinander geschickt ausnutzt und unvermittelte Wechsel in Inhalt, Kontext und Perspektive wie auch bei der Beleuchtung und im Maßstab aufweist. Sich auf das Absurde und Unheimliche stützend, zieht der Künstler die Besucherinnen und Besucher in das Spiel hinein und erzeugt eine Atmosphäre, die berauschend und furchteinflößend zugleich ist«, schreibt die Documenta. Verstehen muss man das aber nicht, Sehen reicht auch schon (siehe Foto).

"Documenta 13: Die Nähwerkstatt von István Csákány", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Die Nähwerkstatt von István Csákány«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012
"Documenta 13: Schaufenstergestaltung von Seth Price bei Sinn Leffers", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Schaufenstergestaltung von Seth Price bei Sinn Leffers«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

In der zweiten Halle hat der rumänisch-ungarische Installationskünstler und Bildhauer István Csákány The Sewing Room aufgestellt. Eine vollständige Nähwerkstatt mit komplett eingerichteten Arbeitsplätzen, mit Nähmaschinen, Bügelmaschinen und Neonröhren an der Decke. Mit großer Liebe zum Detail hat er die gesamte Fabrik aus Holz geschnitzt (siehe Foto). Wie lange er dafür gebraucht hat, ließ sich nicht feststellen.

Wenn der Betrachter will, kann er die Installation als Kritik an der Massenproduktion, der Ausbeutung und am Kapitalismus ansehen. Auf dem Rückweg zum Hotel kamen wir übrigens am Modehaus Sinn Leffers vorbei. Im Schaufenster war eine Kollektion des New Yorker Konzeptkünstlers Seth Price zu sehen, die auch im Haus verkauft wird. Das Schaufenster wurde gleichfalls von Seth Price gestaltet (siehe Foto), ebenso stellt er weitere Stoffskulpturen im Südflügel des Bahnhofs aus.

Ein Bürohaus als Bühne

Von Friedhelm Denkeler,

Impressionen von der dOCUMENTA 13 in Kassel

Etwa dreißig Kunstwerke gibt es an den Gleisen und in den sogenannten Nord- und Südflügeln in den ehemaligen, jetzt wilden Backstein-Lagerhallen, des Kulturbahnhofs zu entdecken. Sechs Arbeiten von sechs Künstlern möchte ich heute und morgen vorstellen. Allein diese Werke lohnen die Anreise nach Kassel.

"Documenta 13: Epaminonda/Cramer: End of Summer 1", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Epaminonda/Cramer: End of Summer 1«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Die zyprische, in Berlin lebende Künstlerin Haris Epaminonda zeigt zusammen mit dem deutschen Daniel Gustav Cramer in einem einstigen Bürohaus des Bahnhofs über zwei Stockwerke und auf dem Dachboden, die Rauminstallation The End Of Summer (siehe Foto).

Die Künstler verwandeln die Räumlichkeiten in eine durchorganisierte, labyrinthische Bühne, in ein imaginäres Museum. Zu sehen sind fotografische Dokumente, vorgefundene Bilder, Gegenstände und Artefakte aus verschiedenen Kulturen. Diese sind in Gruppen aufgeteilt oder auch über die Räume verteilt. Es handelt sich um eine ästhetische und konzeptuelle, aber auch poetische „Erzählung“, deren Enträtselung in einem der oberen Räume in Form eines Briefes stattfindet. Die bisher schönste und beste Arbeit der Documenta 13 (siehe Foto).

"Documenta 13: Eisenkugel auf dem Dachboden", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Eisenkugel auf dem Dachboden«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Als Krönung sehen wir den im Rohzustand belassenen Dachboden des Hauses, der in starkem Kontrast zu den vorhergehenden Räumlichkeiten ohne jegliche Fenster steht, denn hier zaubert die Sonne durch die kleinen Dachluken herrliche Lichteffekte in den Raum. Wie auch die anderen Räume, war aber auch der Dachboden minimalistisch eingerichtet: drei schwere, große Eisenkugeln (siehe Foto), mehr nicht.

Das gesamte Haus wurde sicher baupolizeilich abgenommen, davon zeugt auch der Notausgang auf dem Dachboden, der auf das schräge Dach mündete. Wie sollte man von dort flüchten können? Mein letztes Foto zeigt die Antwort.

"Documenta 13: Notausgang im Nordflügel", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Notausgang im Nordflügel«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Laras Schrotthaufen im wilden Norden

Von Friedhelm Denkeler,

Impressionen von der dOCUMENTA 13 in Kassel

Ein weiterer Standort der Documenta 13 ist der Haupt-/ Kulturbahnhof von Kassel. Jonathan Borofskys Man Walking to the Sky (Himmelsstürmer), die Ikone der documenta 9 (1992), ist mittlerweile vom Friedrichsplatz hierher umgezogen (siehe Foto), stürmt noch immer dem Himmel entgegen und hat nichts von seiner Aussagekraft verloren.

"Documenta 9 (1992): Jonathan Borofskys "Man Walking to the Sky", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 9 (1992): Jonathan Borofskys Man Walking to the Sky«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Es ist noch früh am Morgen und eine Documenta-Mitarbeiterin weist darauf hin, dass noch alles geschlossen sei, wir uns aber schon einmal den ›Schrotthaufen‹ ansehen könnten. Gemeint ist das Werk Momentary Monument IV der Italienerin Lara Favaretto am Ende des ehemaligen Güterumschlagsplatzes. Der Fotograf hat eine herrliche Aussicht auf Kunst, alte Gleise, eine wild wuchernde Natur (siehe Foto) und da es früh am Morgen ist, trüben ausnahmsweise auch erst wenige Kunstbegeisterte seine Sicht.

"Kassel Hauptbahnhof: Der wilde Norden", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Kassel Hauptbahnhof: Der wilde Norden«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Lara Favaretto hat hier mehrere Lastwagenladungen voller Metall-Schrottteile aus Kasseler Recyclinghöfen auskippen lassen. Der Blick auf vierzig Tonnen Altmetall lässt eine fremde Welt entstehen, in der es immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt, je nachdem, wo man gerade steht. Das Werk ist eine einzige amorphe Masse. Man sollte es sich nicht entgehen lassen (siehe Foto).

"Documenta 13: Momentary Monument IV von Lara Favaretto", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Momentary Monument IV von Lara Favaretto«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Aus diesem Schrotthaufen nimmt Favaretto einzelne Teile heraus und präsentiert sie museal in einem Raum innerhalb der Lagerhallen (siehe Foto). Die entstandenen Lücken im Schrotthaufen füllt sie mit ähnlichen Teilen aus rohem Zement aus. »Im Denken der Documenta gewinnt auch der Schrott eine Schönheit eigenen Rechts« [DIE ZEIT].

"Documenta 13: Lara Favaretto: Ein Metallobjekt, das während des Abladens des Metallschrotthaufens ausgewählt wurde", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Lara Favaretto: Ein Metallobjekt, das während des Abladens des Metallschrotthaufens ausgewählt wurde«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Über den 1850 gebauten Bahnhof wurde bis 1991 der gesamte Fernverkehr abgewickelt; heute läuft dieser über Kassel-Wilhelmshöhe. Der ehemalige Hauptbahnhof wird unterdessen nur noch für den Nahverkehr genutzt; große Teile des Bahnhofs stehen leer, werden gewerblich vermietet oder für Ausstellungen bespielt.

Penone und der Bronzebaum

Von Friedhelm Denkeler,

Impressionen von der dOCUMENTA 13 in Kassel

"Documenta 13: Die Karlsaue in Kassel", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Die Karlsaue in Kassel«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Nach den künstlerisch nicht so ganz überzeugenden Eindrücken im Fridericianum und in der Documenta-Halle suchten wir einen Ausgleich in einem Außenbereich der Documenta 13, dem anderthalb Quadratkilometer großen barocken Landschaftspark Karlsaue an der Fulda, der zum ersten Mal als Ganzes in die Documenta einbezogen wurde. Es wurde der längste Kunst-Spaziergang, den ich je machte.

"Documenta 13: Idee di pietra von Giuseppe Penone in der Karlsaue", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Idee di pietra von Giuseppe Penone in der Karlsaue«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Die Karlsaue ist ein um 1570 symmetrisch angelegter Lustgarten mit Perspektivachsen und künstlichen Kanälen. 1785 wurde er zu einem Englischen Garten umgestaltet. Seit 1959 dient er auch als Veranstaltungsort für die Documenta.

In der Nähe der Orangerie erblickt man bereits von der »Schönen Aussicht« aus, einen ›toten‹ Baum, in dessen Geäst irritierenderweise ein riesiger Granitfindling gestrandet ist (siehe Foto). Erst wenn man sich dem Werk weiter nähert, kann man erkennen, dass der neun Meter hohe Baum aus Bronze besteht.

Der schwere Stein muss vom Himmel gefallen sein und erinnert gleichsam an eine Wolke, die sich dort niedergelassen hat. Die Gesetze der Schwerkraft sind überwunden. Das irritiert gewohnte Denkweisen und stellt sie auf den Kopf.

Diese Plastik Idee di pietra (Ansichten eines Steines) des Italieners Giuseppe Penone, einem Vertreter der Arte Povera, war das erste Kunstwerk der Documenta 13, das in der Karlsaue bereits im Juni 2010 eingeweiht wurde. Das Werk könnte als das Symbol der Documenta 13 in die Geschichte eingehen. Am Fuße des Baumes pflanzte Penone eine kleine Stechpalme, die es mit dem Wachsen nicht besonders eilig hat; mal sehen, wie groß sie zur nächsten Documenta geworden ist. Und nun begann ein wahrer Kunst-Parcours durch die Karlsaue. Einige, der über fünfzig Kunst-Punkte möchte ich in den nächsten Tagen vorstellen.

Der Fliegende Teppich

Von Friedhelm Denkeler,

Impressionen von der dOCUMENTA 13 in Kassel

"Documenta 13: Die Documenta-Halle mit Arbeiten von Thomas Bayrle", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Die Documenta-Halle mit Arbeiten von Thomas Bayrle«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Die Documenta-Halle ist erfahrungsgemäß wegen ihrer vielen Ebenen und den langen, zum Teil sehr hohen Wänden schwer bespielbar (siehe Foto).

Der Frankfurter Altmeister Thomas Bayrle hat sie nun mit zwei riesengroßen Arbeiten bestückt: Ein collagiertes Flugzeug, welches aus Tausenden kleiner Bildchen zum Ganzen wird und die unübersehbare Wandarbeit Carmageddon, die er mit Autobahnfragmenten aus Karton geschaffen hat.

Zu Füßen dieser beiden Giganten stehen diverse aufgeschnittene Auto- und Flugzeugmotoren herum und bewegen sich teilweise. Als den Lautsprechern hört man ein leises Gemurmel.

Yan Lei aus Peking hat einen kleinen, aber sehr hohen Raum in der Documenta-Halle optimal genutzt: Bis unter die Decke hat er die Wände mit Bildern behängt, aber das allein reichte ihm noch nicht; auch von der Decke baumeln Bilder herunter und zusätzlich kann man noch einen Schrank voller Bilder öffnen.

Lei untersucht die Beziehung zwischen Künstlern, Malerei und Kultur. 360 Tage lang hat er für sein Limited Art Project je ein Bild aus dem Internet gespeichert und auf Leinwand übertragen; also eine Art Jahrestagebuch.

"Documenta 13: Der Fliegende Teppich (mit Arbeiten von Yan Lei)", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Der Fliegende Teppich (mit Arbeiten von Yan Lei)«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Während der 100 Tage der Documenta werden die Bilder nach und nach im VW-Werk in Baunatal nahe Kassel durch Auszubildende monochrom überlackiert und wieder aufgehängt. »Die Quellbilder und ihre Geschichte werden versiegelt und so für die Ewigkeit unzugänglich gemacht« [Katalog].

"Documenta 13: Limited Art Project von Yan Lei", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
„Documenta 13: Limited Art Project von Yan Lei“, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

»Dieser letzte Bruch, der das Bild negiert, fordert zur Suche nach ästhetischer Reflexion und Erinnerung statt nach leichter Unterhaltung auf. Zudem impliziert eine solche Geste einen symbolischen Protest gegen die Alternative: das zu tun, was von einem erwartet wird« [Katalog]. Ein erster Höhepunkt der diesjährigen Documenta. Wer allerdings erst gegen Ende der Documenta kommt, sieht dann nur noch Farbflächen. Die Documenta geht noch bis zum 16. September 2012.

Viel Wind um nichts

Von Friedhelm Denkeler,

Impressionen von der dOCUMENTA 13 in Kassel

Die Documenta beginnt mit einer visuellen Enttäuschung – der zentrale Friedrichsplatz ist kunstlos. Die Documenta-Container für Garderobe, Tickets und WC und ein besetzter Teil des Platzes mit Zelten der Occupy-Bewegung machen den Platz auch nicht schöner. 1992 befand sich hier immerhin Jonathan Borowskys Himmelstürmer und 2007 das Mohnfeld von Sanja Ivekovc.

"Documenta 13: Fridericianum mit Arbeit von Ryan Gander", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
„Documenta 13: Fridericianum mit Arbeit von Ryan Gander“, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Der Besuch des Fridericianums, das Hauptgebäude einer jeden Documenta seit 1955, steht an und es folgt die nächste Enttäuschung: Die großen Hallen links und rechts des Foyers und jeweils die beiden dahinterliegenden Räume sind vollständig leer (siehe Foto), nur an den offenen Türen weht ein leichter Wind: Zugluft oder Luftnummer? Der britische Künstler Ryan Gander lässt künstlich Wind erzeugen, wie und warum ist leider nicht erkennbar.

Also sehen wir uns die Rotunde an. Dort, wo früher das ›Herz‹ der Documenta schlug, befindet sich jetzt laut Documenta-Macherin Carolyn Christow-Bakargiev (von allen der Einfachheit halber CCB genannt) das Brain der Documenta 13. Geht es so im Gehirn zu?

"Documenta 13: Baktrische Prinzessin", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Baktrische Prinzessin«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Wir sehen ein Sammelsurium von Kunstwerken, Objekten und Dokumenten: Die Baktrischen Prinzessinnen (siehe Foto) aus dem dritten Jahrtausend v.Chr. aus Zentralasien, eine Auswahl von Gegenständen aus Hitlers Wohnung, Man Rays Object to be Destroyed, Konrad Zuses Funktionsmodell für einen Computer, eine Marmor-Skulptur, die aussieht wie ein Sack Mehl (siehe Foto) und Artefakte aus dem Nationalmuseum in Beirut, die während der Bombardierungen im Bürgerkrieg miteinander verschmolzen sind; um nur einige Objekte zu nennen.

"Documenta 13: Selbst mit Sack aus Carrara-Mamor (von Sam Durant)", Foto © Friedhelm Denkeler 2012
»Documenta 13: Selbst mit Sack aus Carrara-Mamor (von Sam Durant)«, Foto © Friedhelm Denkeler 2012

Liegt hier etwa das »Konzept der Konzeptlosigkeit« von CCB vor? Hoffentlich bringen die nächsten Documenta-Orte mehr Klarheit. Morgen früh geht es in die Documenta-Halle.

Die Karlsaue ins Bild ›geruckt‹

Von Friedhelm Denkeler,

"Schöne Aussicht oder Landschaft im Dia", Foto © Friedhelm Denkeler 2007
»Schöne Aussicht oder Landschaft im Dia«, Foto © Friedhelm Denkeler 2007

Impressionen von der dOCUMENTA 13 in Kassel

Das Museum der 100 Tage, die dOCUMENTA 13 in Kassel, wurde am 9. Juni 2012 eröffnet. Bevor wir uns in der nächsten Woche selbst ein Bild von dieser dOCUMENTA machen, zeige ich heute eine Impression vom Besuch der letzten documenta aus dem Jahr 2007: Rahmenbau (oder: Landschaft im Dia) der ehemaligen Architekten- und Künstlergruppe Haus-Rucker-Co. Der Stahlbilderrahmen in der Nähe des Friedrichsplatzes und oberhalb der Orangerie zeigt eine herrliche Aussicht auf die Karlsaue.

Der Rahmenbau wurde 1977 für die documenta 6 errichtet. Vor 1906 stand an dieser Stelle ein Triumphbogen. Diese Außenarbeit und weitere, wie die Spitzhacke von Claes Oldenburg in der Fuldaaue (documenta 7, 1982) und der Himmelsstürmer (Man walking to the sky) von Jonathan Borofsky vor dem Kulturbahnhof (documenta 7, 1982), befinden sich noch heute im Kasseler Stadtbild; und natürlich wächst und grünt auch das Projekt 7000 Eichen von Joseph Beuys mit dem Untertitel Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung (1987 wurde das umfangreiche Projekt zur documenta 8 abgeschlossen).

Die begehbare Stahlskulptur Rahmenbau misst 31 x 17 x 14 Meter (LxBxH). Das Objekt besteht aus zwei Rahmen, einem größeren von 14 x14 Metern und einem kleineren von 2,80 x 2,80 Meter. Dadurch sieht man zwei verschiedene Landschaftsausschnitte, der kleinere bildet einen Ausschnitt aus dem größeren. Symbolhaft kann man dies auch als optische Scharfeinstellung einer Spiegelreflex-Kamera ansehen. Ein Steg erlaubt es den Besuchern, sich vom großen Rahmen kommend, dem kleinen zu nähern. Man verlässt dadurch den Blick durch den großen Rahmen und findet immer wieder eine neue Perspektive und herrliche Aussicht.