Der Betrachter muss das Geheimnis der Bilder selbst entschlüsseln, aber …
… im gestrigen Salon Photographique in der »Collection Regard« mit Amin El Dib und Rüdiger Schaper, vom Kulturressort des Tagesspiegels, konnten einige der Rätsel gelöst werden. Heutzutage können sicherlich viele Menschen mit der analogen Dunkelkammer wenig anfangen, insbesondere mit dem Übergang vom negativen Bild zum positiven Papierabzug. Amin El Dib hat sich in den 1980er Jahren, damals lebte er noch in Berlin, mit dem Thema und den Manipulationsmöglichkeiten auseinandergesetzt.
El Dib beschäftigte sich während dieser Zeit oft mit den Aufführungen der freien Theatergruppe »Theater Artaud«, unter anderem mit Stücken von Antonin Artaud und seinem »Theater der Grausamkeit«. Artauds Theater entsprach nicht den klassischen dramatischen Regeln, sondern das Theater war für Schauspieler und Publikum eine körperliche, emotionale und einmalige, eine ganz neue sinnliche Erfahrung. Im eigentlichen Sinne machte El Dib keine Theaterfotos, sondern nutzte die Theaterarbeit aus Ausgangspunkt für seine eigene Kunst.
Mit Artauds Werk bin ich wenig vertraut, aber es wird sicherlich auf El Dibs vorgestellte Bilder seinen Einfluss gehabt haben. Man kann sich vorstellen, wie er die zuvor gemachten Bilder in der Dunkelkammer begeistert bearbeitete: Körper sind nur angedeutet, oft hinter einem Schleier verborgen. Sie sind oft grobkörnig oder nur ausschnitthaft und schemenhaft dargestellt. Die Fotos wurden ›viel zu hell‹ oder ›zu dunkel‹ belichtet oder negativ (vom DIA) vergrößert. Die analogen Baryt-Abzüge wurden teilweise doppelt belichtet, wurden zerrissen und wieder (schief) zusammengesetzt.
Der Künstler griff gewaltsam in seine Motive ein, trotzdem sind es irgendwie leise Werke geworden. Bei Photographien (wie bei den meisten Werken der bildenden Kunst), hat der Rezipient es gerne, wenn er eine Geschichte um die Arbeiten angeboten bekommt (hier das Artaud Theater), am besten ist es aber, wenn die Werke selbst sprechen. In guten Kunstwerken steckt immer etwas Geheimnisvolles, das sich nicht in Worte fassen lässt. Und genau das ist bei den Artaud Mappen von Amin El Dib der Fall.
Zu Amin El Dib
Der 1961 in Kairo geborene, ab 1966 zuerst in Duisburg, seit 1983 in Berlin und inzwischen (seit 2003) in Ziefen in der Nähe von Basel lebende und arbeitende Amin El Dib ist mit seinen Werken in diversen öffentlichen Sammlungen vertreten. Seine Photographien waren in vielen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland zu sehen. Die Ausstellung in der Collection Regard, in der Steinstrasse 12 in 10119 Berlin-Mitte, läuft noch bis zum 31.03.2023.
Amin El Dib hat die jeweils zwei bis 21 Bilder in sieben Mappen, die den Titel der Artaud-Theater-Aufführungen tragen, zusammengestellt. Die Ausgangsbilder sind während der Proben und Aufführungen im Artaud-Theater entstanden, haben aber nichts mit einer Dokumentation der Aufführungen zu tun. Die Website von Amin El Dib gibt einen sehr guten Überblick über seine bisherigen Arbeiten. Passend zur Ausstellung ist der vorzüglich gestaltete Katalolg »Amin El Dib – Artaud Mappen« erschienen.
Über die Collection Regard
Die Collection Regard ist eine Fotografische Sammlung, die ihren Schwerpunkt auf Fotografie in Deutschland, insbesondere die Fotografie aus Berlin, legt. 2005 begann Marc Barbey seine Sammlung deutscher Schwarz-Weiß-Fotografie, die von den Anfängen der Fotografie bis in die 1990er Jahre reicht, auszubauen. Außerdem verwaltet er den Nachlass des Fotografen Hein Gorny (1904-1967).
Mit ihrem Wirken als Archiv, Ausstellungsort und Galerie nimmt die Collection Regard eine Position zwischen Museum und Galerie ein. Sie ist bestrebt, der interessierten Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannte, wertvolle fotografische Werke zu zeigen, die Aufmerksamkeit verdienen. Einige Werke oder Editionen dieser Werke können in der Collection Regard erworben werden. Die produzierten Ausstellungen werden weiteren Institutionen angeboten, um diese Positionen einem breiteren Kunstmarkt vorzustellen.