Frühe Porträtfotografie und aktuelle Straßenfotografie aus Indien.
Seit den ersten Tagen der Kalotypie setzte der eigenartige Dreifuß mit seiner geheimnisvollen Kammer und seinem Messingmund die Einwohner dieses Landes davon in Kenntnis, dass ihre Eroberer auch andere Instrumente als die prächtigen Kanonen ihrer Artillerie erfunden haben, Instrumente, deren Erscheinungsbild vielleicht nicht minder verdächtig anmutete, die ihr Ziel jedoch mit weniger Lärm und Rauch erreichten [Samuel Bourne]
Das Thema des 5. Europäischen Monats der Fotografie Berlin »Der Blick des Anderen« passt auf die beiden Ausstellungen, die ich am vergangenen Wochenende gesehen habe, sehr genau zu: Im Museum für Fotografie in der Jebensstraße sind noch bis zum 21.10.2012 an die 300 frühe Porträtfotografien aus Indien unter dem Titel »Das Koloniale Auge« zu sehen und in der Bürogemeinschaft KOMET/ Galerie in der Prinzen-straße, zeigt Dr. Carola Muysers »indianROAD«, aktuelle Fotografien aus Indien von Beate Spitzmüller (siehe hier).
Das Koloniale Auge: Der verbindende Aspekt dieser Porträts aus den Anfängen der Fotografie ist der spezifisch europäische Blick. Die Bewohner sollten im Auftrag von Kolonialherren, Missionaren, Ethnologen und Händlern inventarisiert und vermessen werden. Die Fotos sind in die Rubriken Adel, Jenseits des Adels, Sadhus (=Entsager), Kasten, Berufe und Adivasi (= Ureinwohner) unterteilt. Wir als Besucher sehen nur, was Fotografen wie Samuel Bourne, Sheperd & Robertson und John Burke sehen wollten: die Pracht der Oberschicht, die Inventarisierung der einzelnen Kasten, die schmerzhaften Rituale der Asketen und die Ärmlichkeit der Ureinwohner. Die Ästhetik dieser fast 300 Fotos ist beeindruckend, den geschichtlichen Hintergrund aber sollte man dabei als Besucher nicht vergessen (Video zur Ausstellung).
indianROAD: Beate Spitzmüller hat ihre großen Farbfotografien vom bunten Treiben in den indischen Städten geschickt mit kleineren Schwarz/Weiß-Aufnahmen schlafender Menschen auf öffentlichen Straßen und Plätzen kombiniert. Sie ist durch Indien gereist, nicht als Ethnographin, sondern eher als teilnehmende Beobachterin, die sich ungezwungen und mit vorurteilsfreiem Blick im Land bewegt. Ihre farbigen Arbeiten zeigen oftmals im Hintergrund überdimensionierte, bunte Reklametafeln vor denen die Menschen eher klein wirken und erinnern ästhetisch an sogenannte »Bollywood-Filme«. Die Ablichtungen schlafender Menschen bilden schon rein farblich einen starken Kontrast hierzu und obwohl eine für europäische Verhältnisse sehr intime Szene wiedergegeben wird, sind ihre Arbeiten niemals voyeuristisch.