Fruta Prohibida oder: »Die Haut, die war das erste Kleid, das Evas Körper zierte.« Die Berliner Galerien Tammen, Camera Work und der Verein Berliner Künstler zeigen im August »Verbotene Früchte«
Momentan erlebt der fotografisch interessierte Mensch einen Sommer mit verbotenen Früchten. Allerorten stellen Galerien und Museen Kunst mit erotischem Themenbezug aus. In Berlin läuft seit längerem die Ausstellung Double Sexus (siehe Artikel vom 24.07.2010), in Wuppertal 150 Jahre Körperbilder in Fotografie und Malerei (siehe Artikel vom 18.08.2010) und in Hannover zeigt die Kestnergesellschaft The Valley von Larry Sultan. Larry Sultan fotografierte die Drehorte der kalifornischen Pornofilmindustrie, die sich zur Filmproduktion in amerikanischen Privathäusern einmieteten.
Karl-Heinz Schmid schreibt in der Sommerausgabe der Kunstzeitung, dass sich dieser Trend alle zwei Jahre wiederholt und dass er sich auch beim Rundgang auf der Art Basel ausmachen lässt. Auch an Europas größtem Galerienstandort Berlin gibt es Nacktes zu sehen: Die fulminante Ausstellung Körpernah – Akte/Nudes in der Tammen-Galerie, die Sommerpausen-Ausstellung NUDES – Positionen der Aktphotographie bei Camera-Work und im Verein Berliner Künstler (VBK) die Vereinsschau AKTionale – Das nackte Sein. Alle drei Berliner Ausstellungen möchte ich nun in einem Zug vorstellen.
Tammen-Galerie: »Körpernah – Akte/Nudes«
Die Schau bei Tammen ist eine der besten zusammengestellten Aktausstellungen, die ich in der letzten Zeit gesehen habe. Das ist sicherlich auch dem Gastkurator Dr. Enno Kaufhold zu verdanken, den sich der Galerist Werner Tammen hinzuholte. Während bei Camera Work Männer nur eine Nebenrolle spielen, ist das Verhältnis bei Tammen ausgewogener. Die Fotografie spielt eine große Rolle, aber es sind auch andere Kunstgattungen vertreten, die sich in der Ausstellung vorteilhaft ergänzen.
Die Liste der 25 ausgestellten Künstler mit Kunstwerken aus den letzten zwei Jahrzehnten ist lang, aber für jeden ist in den großzügigen Räumlichkeiten Platz für eine ausreichende Übersicht der jeweiligen Werkgruppe. Unter anderen sind dies: Tina Bara, Michel Comte, Amin El Dib, Elliot Erwitt, Rainer Fetting, Abe Frajndlich, Clemes Gröszer, Boris Mikhailov, Manfred Paul, Gundula Schulze Eldowy, Annegret Soltau und Bert Stern.
Für mich war der der Fotograf Abe Frajndlich eine Neuentdeckung. Allerdings weniger wegen seiner bekannten Porträts von Prominenten, sondern wegen seines Werkes Eros Interna. »Eine Private Odyssee nennt Abe Frajndlich seine Arbeit an Eros Interna, dessen Bilder in seiner dreißigjährigen Tätigkeit als Fotograf entstanden. Frauenkörper, Bäume, Erde, Wolken, Skulpturen, und Graffiti sind die Materie, aus der Abe Frajndlich seine Zauberformel Eros Interna komponiert hat« (aus dem Klappentext des Buch Eros Interna, Umschau/Braus Verlag, 1999). Das gleichnamige Buch ist leider nur noch antiquarisch erhältlich. In der Ausstellung selbst sind allerdings nur Frajndlich neueste Werke aus dem Jahr 2010 zu sehen. Sie sind mir zu direkt auf die Schaulust eingestellt. Vielleicht hätten sie im kleineren Format besser gewirkt.
In der Einleitung zur Ausstellung schreibt Dr. Enno Kaufhold: »Der Darstellung des Menschen, insbesondere des nackten Menschen, galt seit Beginn des bildnerischen Gestaltens eine besondere Aufmerksamkeit, aus vielerlei Gründen. Befreit von den Fesseln restriktiver Normen zeigt sich der Akt heute in vielfältigen Formen und das in allen Medien. Die Ausstellung Körpernah – Akte/Nudes möchte genau das exemplarisch zeigen. Gerade das Interferieren unterschiedlichster Ansätze, vom körperlichen Begehren bis zur platonischen Distanz, in Kombination mit den differenzierten Ausdrucksmitteln in den verschiedenen Medien geben ein spannungsreiches Bild von dem, wie Nacktheit heute gesehen und gelebt wird.«
Gestern Abend wurde, thematisch zur Ausstellung passend, eine weitere Kunstgattung dargeboten: Es gab Hörbares. Evelin Förster (Gesang) und Matthias Binner (Piano) brachten etwas lüsterne Chansons und Texte von Brecht bis Wedekind in den Tammen-Räumlichkeiten unter dem Titel »Erotisches zur Nacht oder Ein Fräulein beklagt sich bitter« zu Gehör. Die Zusammenstellung der Chansons passte bestens zum Thema der Ausstellung und ließe sich auch mit dem von Evelin Förster zitierten Satz »Die Haut, die war das erste Kleid, das Evas Körper zierte« betiteln. Es war ein rundum gelungener Abend!
Camera Work: »NUDES – Positionen der Aktphotographie«
Für ihre Sommerausstellung konnte Camera Work aus dem riesigen Fundus ihrer Fotosammlung eine spannende Überblicksausstellung durch die Geschichte Aktfotografie zusammenstellen. Rund 150 Bilder von über 40 Fotografen sind zu sehen. Ausgesuchte Fotos habe ich in drei Kategorien zusammengestellt:
Das Bekannte: Da viele der ausgestellten Fotos bereits zu Ikonen der Fotografie geworden sind, gab es in dieser Rubrik nicht viel Neues zu sehen: Der Klassiker Edward Weston, die erotischen und provozierenden Aufnahmen von Helmut Newton und Bettina Rheims, Man Ray und Andre Kértesz mit Mehrfachbelichtungen, Solarisationen und Collagen und die beinah abstrakten Detailaufnahmen von Ralph Gibson. Natürlich muss auch Thomas Ruff mit einem verwischten Pornobild für 90.000 EURO (sic!) dabei sein.
Das Neue: Von Larry Sultan sind zwölf Farbfotos aus seiner zwischen 1999 und 2003 entstandenen Arbeit The Valley zu sehen. Sie dokumentieren die Einsamkeit und Melancholie hinter den Kulissen der Pornoindustrie.
Das Schönste: Das Buch »Spiegel der Venus« von Wingate Paine befindet sich zwar in meiner Fotobuch-Sammlung, aber die fünf Vintage-Prints in der Größe 30×45 cm, unter anderem Metamorphose, habe ich zum ersten Mal im Original gesehen. Auch eine der schönsten Aktaufnahmen überhaupt, zwei Bilder aus meiner Lieblingsserie »Meret Oppenheim mit Louis Marcoussis« von Man Ray aus dem Jahr 1933, sind ausgestellt. Zum Schluss möchte ich noch eine sinnliche Aktaufnahme von Manuel Alvarez Bravo, Titel Fruta Prohibida, Mexiko 1976, erwähnen.
Verein Berliner Künstler VBK: »AKTionale – Das nackte Sein«
»Fünfzig Künstler aus Deutschland, Dänemark, den Niederlanden, Iran, Korea, Schottland und Amerika zeigen Arbeiten zum Thema Nacktheit in all ihren Facetten, von Liebe, Hass, Schönheit, Wahnsinn, Trauer, Glück, Gier, Lust, Traum, Flucht, Hoffnung, Perversion, Mord und Tod« (aus dem Einladungstext) in der Galerie des VBK am Schöneberger Ufer.
Zu sehen ist eine riesengroße Bandbreite an Stilen. Bei den Gemälden sind so ziemlich alle Genres vertreten, die es gibt: Alte Meister, Expressionismus, Pop Art und abstrakte Malerei, dazu kommen Fotoarbeiten, Collagen, Skulpturen und Installationen. »Wer sich dafür interessiert, was Berliner Künstler aus dem Verein Berliner Künstler so machen, und wer Aktbilder mag, der kann sich hier einen Überblick verschaffen und sicher auch das eine oder andere finden, das ihm gefällt. Es sind wirklich gute Bilder und Objekte dabei, die man im Übrigen auch kaufen kann.« (Kulturradio).
Manfred Michael Sackmann stellt seine Lisa in ihrem ›ersten‹ Kleid aus. Es ist eines der besten Fotos in der Ausstellung. Das Foto vom Foto konnte ich gerade noch auf der Vernissage am 11. August machen, danach waren die drei Räumlichkeiten der Galerie total überfüllt und an ein Weiterbewegen war angesichts der tropischen Temperaturen nicht mehr zu denken.