Zwiespältig – Kunst oder Agitprop? Zanele Muholi im Berliner Gropius Bau.
»Was!« dachte der Kaiser. »Ich sehe gar nichts! Das ist ja schrecklich. Bin ich dumm? Tauge ich nicht dazu, Kaiser zu sein? Das wäre das Schrecklichste, was mir begegnen könnte!« — »Oh, es ist sehr hübsch!« sagte er.
Einst lebte – und lebt noch heute – ein Fotograf im südlichen Afrika. Er machte schöne Bilder von schönen Menschen aus seiner Community. Und wie jeder Künstler fotografierte er sich gerne selber. Die Fotos waren perfekt und absolut professionell. Eines Tages reichte ihm das nicht mehr, er fing an, ein ganzes Konvolut von Wörtern und Sätzen um die Bilder herum zu schaffen.
Das kam in der Community und weltweit gut an, da diese Vorgehensweise dem Trend der Zeit, unter dem Motto »Wir wollen Kunst neu denken», entsprach. Seine Bilder wurden in Kapstadt, Johannisburg, Venedig, London, Wien, Eindhoven, Kassel und in Berlin ausgestellt. Alle Kritiker waren voll des Lobes. Wie wir alle wissen, ging die Geschichte »Des Kaisers neue Kleider« gut aus; ein kleines Mädchen sagte dazu: »Aber er hat ja nichts an!«
So ähnlich erging es mir beim Besuch der Überblicksausstellung von Werken von Zanele Muholi im Martin-Gropius-Bau in Berlin (noch bis zum 13. März 2022). Zanele Muholi bezeichnet sich selbst als »visuelle*r Aktivist*in« und dokumentiert seit den frühen 2000er Jahren das Leben der Schwarzen »LGBTQIA+«-Community in ihrer Heimat in Südafrika. In ihren Texten (Bildlegenden, begleitender Text in der Ausstellung) ist viel über Sexualpolitik, rassistische Gewalt und gemeinschaftlichen Widerstandshandlungen die Rede.
Das ist in den Fotografien allerdings nicht zu sehen; insbesondere zeigen die Porträts Menschen!! Muholis Fotografie ist keine dokumentarische, soziale Fotografie, sondern der künstlerischen Fotografie zuzurechnen. Aber aufgrund der überstülpenden Texte, verließ ich die klassische Kunstausstellung mit zwiespältigen Gefühlen.
Den »Genossen Trend« kennen wir heute aus der Wirtschaft und Politik und insbesondere von der Film- und Kunstförderung. Um mehr Förderung zu bekommen, muss heutzutage eine bestimmte Anzahl von Frauen, People of Color, LGBTQs, Migranten, Flüchtlinge, Behinderte, Jugendliche aus schwierigen sozialen Verhältnissen, dabei sein, unabhängig von der sozialen Demografie und der künstlerischen Qualität. Damit hat man dann seine Pflicht erfüllt.
Es gibt aber noch eine andere Art von Diversität, die gute Kunst ausmacht, die von persönlichen Erfahrungen. Diese ist oftmals komplexer, kontroverser und auch nicht so ohne weiteres vermittelbar oder beschreibar. In einem qualitativ guten Bild schwingt stets etwas mit, das sich nicht in Worte fassen lässt oder wie Susan Sontag es ausdrückt »Das wirksamste Element im Kunstwerk ist nicht selten das Schweigen«. Viele Worte oder Interpretationen sind dann nicht notwendig. Dieses Qualitätsmerkmal vermisse ich in der Ausstellung von Zanele Muholi.
Im strengsten Sinne sind alle Bewusstseinsinhalte unnennbar. Selbst die einfachste Wahrnehmung ist in ihrer Totalität unbeschreibbar. Jedes Kunstwerk muss daher nicht nur als etwas Dargestelltes verstanden werden, sondern gleichzeitig als ein Versuch, das Unsagbare auszudrücken. In den größten Kunstwerken schwingt stets etwas mit, das sich nicht in Worte fassen lässt, etwas von dem Widerspruch zwischen dem Ausdruck und der Gegenwart des Unausdrückbaren. Stilmittel sind immer auch Methoden der Vermeidung. Das wirksamste Element im Kunstwerk ist nicht selten das Schweigen. [Susan Sontag, in »Against Interpretation«]