Stephen Shore, der Pionier der Farbfotografie, bei Sprüth Magers
Bis in die 1970er Jahre war die Farbfotografie für künstlerisch arbeitende Autoren keine Selbstverständlichkeit. Sie war zu nah an der Ästhetik der Massenmedien und kaum einer der anerkannten Fotografen traute sich an sie heran. Der US-Amerikaner Stephen Shore (*1947) spielte, neben William Eggleston, eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Farb-Fotografie in den 1960er und 1970er Jahren. Beide gehören zu den Vorbereitern der New Color Photography.
Stephen Shore kenne ich bereits seit 1978 durch eine Gruppenausstellung in der Werkstatt für Photographie, Berlin, die Shores Straßenansichten mit den Arbeiten von Frank Gohlke, Joe Deal, Lewis Baltz und Carl Toth konfrontierte. Zwei Jahre später folgte eine Einzelausstellung von Shores Uncommon Places in der von Michael Schmidt geleiteten Werkstatt. Seitdem gehört er zu meinen Lieblingsfotografen. Zu meiner damaligen und noch heutigen Freude habe ich den 1982 erschienenen, inzwischen legendären, Fotoband Uncommon Places und das Original Twenty-First Street and Spruce Street, Philadelphia, Pennsylvania, June 21, 1974 erworben.
Aus diesem Grund wollte ich die Ausstellung, die bereits gestern zu Ende ging, mit 80 bisher unveröffentlichten Werken aus Shores Serie Uncommon Places bei Sprüth Magers, sehen. Es war mein erster Besuch in dieser Galerie. Sie befindet sich in einem Neubau in der Oranienburger Straße. Shore war in einem unfassbar großen Saal zu sehen, allein die Decke dürfte an die sieben Meter hoch sein. Die hier ausgestellten Werke wirkten gegenüber seinen bereits bekannten Farbfotografien eher schwächer: Der tolle „Farbsound“ fehlt. Auch die zwischen die Fotos gehängten Road Trip Journals (in ähnlicher Größe) empfand ich als störend. Sie hätten besser in eine Ecke Materialen gepasst.
Shores Arbeiten sind mit einer Großbildkamera im Format 20 x 25 cm entstanden. Früher zeigte (und verkaufte) er nur Kontaktkopien (also 1:1-Positive von Negativen) von beeindruckender Schärfe und Farbigkeit. Dagegen sind die, wahrscheinlich dem Markt geschuldeten, 50×60-Vergrößerungen bei Sprüth Magers eher ›blass‹ zu nennen.
Stephen Shore konnte bereits mit 14 Jahren (sic!) erste Fotos an das Museum of Modern Art verkaufen. Mit 17 lernte er Andy Warhol kennen und wirkte in dessen Factory mit. Mit 24 Jahren hatte er als zweiter lebender Fotograf überhaupt (der erste war Alfred Stieglitz) eine Einzelschau im Metropolitan Museum. Anschließend führten ihn mehrere Reisen durch die Staaten, woraus sich die beiden Serien American Surfaces und Uncommon Places ergaben. Er fotografierte auf ungewöhnliche Weise alltägliche Orte: sein Motelzimmer, den Frühstücksbagel, Autos, Hunde, Straßen mit Ampelanlagen, Landschaften, die Hauptstraßen der meist menschenleeren Dörfer und Einkaufszentren und deren Parkplätze. Durch genaues Hinsehen versieht er diese Orte mit einer bestimmten Aura.
Shores Fotografie schließt das Banale mit dem Mythos Amerika kurz. Darin erinnert sie mehr an amerikanische Literatur denn an Malerei. Im Rhythmus des Films – in Wenders ›Paris, Texas‹ oder Adlons ›Out of Rosenheim‹ – begegnet man diesem Blick wieder. Die Fotografie aber hält die Zeit an. Das steigert die Lesbarkeit der Welt. [Thomas Wagner, FAZ, 04.03.1995]