Auf der Suche nach den verschwundenen Cibachromes

Von Friedhelm Denkeler,

Die Ruhe vor dem Sturm in Kreuzberg. Buchvorstellung Siebrand Rehberg: »West-Berlin 1972-1977«

»Berlin-Kreuzberg 1972«, Foto © Siebrand Rehberg 1972
»Berlin-Kreuzberg 1972«, Foto © Siebrand Rehberg 1972

Die Rezipienten von Kunstwerken lieben es, wenn diese eine besondere Geschichte haben – und der Berliner Photograph Siebrand Rehberg hat eine wunderbare Story für seine 1972 bis 1977 entstandenen Farbphotographien mit Berliner Kiezfassaden parat. Die auf 9×12 cm Dia-Material gemachten Aufnahmen wurden von Rehberg als Ausstellungsprints auf Cibachrome-Positivpapier vergrößert und waren im Herbst 1976 in der Fotogalerie Zillestraße in West-Berlin erstmalig zu sehen. Anschließend gingen sie nach Kopenhagen, wo sie Anfang 1978 in der »fotografisk galleri« ausgestellt wurden. Seitdem sind sie verschwunden.

Zusammen mit Marc Barbey von der Collection Regard hat Rehberg noch einmal nachgeforscht. Die Betreiber der »fotografisk galleri« bestätigten, dass die Bilder nach Ausstellungsende zurück nach Berlin gegangen sind. Bei Rehberg sind sie aber nicht angekommen und die Betreiber der Galerie Zillestraße sind nicht mehr ausfindig zu machen. Die insbesondere durch ihre hohe Archivfestigkeit, Lichtbeständigkeit und exzellente Farbbrillanz bekannten Cibachrome-Abzüge sind heutzutage nicht mehr herzustellen, da 2011 die Herstellung der Materialien von Ciba-Geigy/ Ilford eingestellt wurde. Vielleicht dient das hier vorzustellende Buch nun auch dazu, dass die Bilder wieder auftauchen; dies dürfte aber nach fast 40 Jahren eher unwahrscheinlich sein, wäre aber das märchenhafte Ende einer besonderen Geschichte.

Glücklicherweise befinden sich die Diapositive der Kreuzberger Fassaden noch im Besitz von Siebrand Rehberg. Sie waren die Grundlage für das jetzt erschienene exzellente Fotobuch im von Almut Weinland geleiteten ConferencePoint Verlag. Das Buch erlaubt den doppelten Rückblick auf die um 1900 im typischen Berliner Gründerzeitstil entstandenen Mietshäuser und deren Zustand in den 1970er-Jahren, kurz vor der Kahlschlag-Sanierung im Kreuzberger Kiez. Im Gegensatz zu Rehbergs Berlin-Fotografien der frühen Siebzigerjahre, die Stadtansichten und Menschen in Schwarzweiß zeigen, sind im vorliegenden Buch die maroden Hauseingänge, Läden und Fassaden auf Erdgeschosshöhe in Farbe zu betrachten.

»Berlin-Kreuzberg  Kottbusser Straße 24 1976«, Foto © Siebrand Rehberg 1976
»Berlin-Kreuzberg Kottbusser Straße 24 1976«, Foto © Siebrand Rehberg 1976

Die Menschen bleiben auf den Bildern unsichtbar, »aber sie haben fantasievolle Spuren hinterlassen, Farbinseln inmitten von Tristesse aus den Grautönen des Verfalls. Bunte, witzige, surreale, mitunter psychedelische Manifestationen von Lebenslust und Aneignung des neugewonnenen Lebensraums. Nicht ohne die farbenfrohe Hippie-Ära zu zitieren, mit anarchischem Gestus und politischer Empörung. Eine große Ruhe und Entschleunigung strahlen die Motive dennoch aus, eine Ruhe vor dem vermeintlichen Sturm. Denn viele Gebäude sind vor dem Abriss bedroht.« [Erik Steffen]

Anlässlich der neuen Publikation »Siebrand Rehberg West Berlin 1972-1977« mit 45 Photographien, herausgegeben von Marc Barbey, mit einem Text von Erik Steffen, findet am Donnerstag, den 19. November 2015, um 19 Uhr eine Buchpräsentation in Anwesenheit von Siebrand Rehberg, Almut Weinland vom Conference Point Verlag, Erik Steffen, Autor des begleitenden Textes und Marc Barbey in der Collection Regard statt. Am selben Abend wird auch das Portfolio »West Berlin 1972-1977 Siebrand Rehberg« mit zehn Fotografien im Passepartout in einer Kassette präsentiert.

Wikipedia über Siebrand Rehberg

Will McBride war verliebt in diese Stadt

Von Friedhelm Denkeler,

Foto-Ausstellung in der neu eröffneten Galerie C|O im Amerika Haus.

Ein Fotograf sollte in seinen Bildern nur eine Sache ausdrücken: sein ganzes Selbst. [Will McBride]

Am 30. Oktober 2014 war die große, komplett überlaufene Eröffnung von C|O Berlin am neuen Standort im Amerika Haus. Zwischen der letzten Ausstellung im Postfuhramt in Mitte und der jetzigen Eröffnung in Charlottenburg im umgebauten und denkmalgerecht instandgesetzten neuen Haus vergingen fast zwei Jahre (siehe C|O Berlin muss das Postfuhramt verlassen und Von der Mitte in den Westen). Zu sehen sind drei Ausstellungen, über die ich nach und nach berichten möchte.

Das Schweigen, das über der zerbombten Stadt liegt, und die Gruppen armseliger Ruinen, die noch stehen, erzeugen in mir Ehrfurcht vor dem Baustein und der Arbeit, die alles aneinander gereiht und aufgestapelt hat. Nun braucht man neue Träume und ein neues großes Aufstapeln dort, wo die alten Träume im Schutt begraben liegen. [Will McBride]

Aktuell präsentieren viele Ausstellungen das Berlin der Vergangenheit in Photographien. Da sind zum einen die zehn Ausstellungen von Karl-Ludwig Lange (Berlin ist ganz anders als Ihr denkt!) und Ulrich Wüst (Mitte, Morgenstraße und fremdes Pflaster), die beide die Zeit vor und nach der Wende zeigen; bei Siebrand Rehberg sieht man mit Kreuzberg wie es einmal war … die Zeit in den frühen 1970er Jahren und Will McBride bei C|O Berlin geht noch einmal zwanzig Jahre weiter zurück und präsentiert Berlin in den 1950er Jahren.

Blick aus der Galerie C|O auf den Bahnhof Zoo (Ausstellung Will McBride), Foto © Friedhelm Denkeler 2014
»Blick aus der Galerie C|O auf den Bahnhof Zoo«, Ausstellung Will McBride, Berlin Hrrdenberstraße, Foto © Friedhelm Denkeler 2014

McBride zeigt das brodelnde Leben inmitten bleierner Nachkriegszeit in Berlin: Wir sehen die Trümmerfrauen beim Steine aufschichten und die Bauarbeiter beim Renovieren der Ruine der Gedächtniskirche (so wie heute auch!!); ein Kriegsversehrter fährt im Rollstuhl an einer Ruinenlandschaft entlang; die Kinder spielen und die Halbstarken kurven auf ihren Mopeds vor dem Strandbad Wannsee herum; Panzer der US-Armee und der Roten Armee stehen sich am Checkpoint Charlie gegenüber; über die provisorische Mauer winken Berliner ihren Verwandten auf der anderen Seite zu und die Häuser im Grenzgebiet zwischen Ost und West sind zugemauert.

Aus der Ruine des Palais Tiele-Winckler im Bezirk Tiergarten sehen uns im ersten Stock links und rechts zwei überlebensgroße Skulpturen mit den Bildnissen von Herrschern an, in der Mitte steht ein zeitgenössischer und lebendiger Mann mit Trommel in der leeren Fensterhöhle. Vor einer riesigen Brandmauer an der Bernauer Straße geht ein einsamer Mensch entlang und versetzt den Betrachter in eine kafkaeske Stimmung.

Aber McBride zeigt uns auch persönliche Fotos von den Festen und Feiern in seiner Wohnung, von seiner Frau und seinen Kumpels beim Raufen. Auch Fotos mit Prominenten wie Horst Buchholz mit Ehefrau oder Willy Brandt, Adenauer und Kennedy vor der Mauer am Brandenburger Tor, sind zu entdecken. Mit dem Bau der Mauer am 13. August 1961 war die Leichtigkeit von McBride dahin und er zog nach München.

Will McBride, geboren 1931 in St. Louis, Missouri/USA, studierte Malerei, Illustration und Kunstgeschichte in New York und Philologie in Berlin. Er war als Reportage-Fotograf von Weltruf für deutsche und internationale Magazine tätig und veröffentlichte zahlreiche Fotobücher, darunter das legendäre Aufklärungsbuch Zeig mal (1974). Die Zeitschrift twen veröffentlichte 1960 McBrides Porträt seiner schwangeren Frau Barbara im Profil, was einen Skandal auslöste. Seit Mitte der 1970er Jahre ist er überwiegend als Maler und Bildhauer tätig. Er lebt und arbeitet jetzt wieder in Berlin.

Die Ausstellung Will McBride – Ich war verliebt in diese Stadt ist auch die Erinnerung an ein Jubiläum: 1957 waren McBride-Bilder die ersten Fotos, die je im Amerika-Haus gezeigt wurden. Diese neue Werkauswahl erinnert daran. Die Ausstellung bei C|O Berlin, Hardenbergstraße 22-24, ist noch bis zum 16. Januar 2015 zu sehen. Gleichzeitig laufen die Ausstellungen Magnum – Contact Sheets und Picture Yourself – Magnum Photomaton.

Die Tatsache, dass ich Amerikaner war und studierte, macht aus mir einen Helden, ohne dass ich viel dazu beigetragen habe. Ich war verliebt in diese Stadt und in das Leben, das sie mir bot. [Will McBride]

Kreuzberg wie es einmal war …

Von Friedhelm Denkeler,

Siebrand Rehberg in der Collection Regard mit Berlin-Fotografien der frühen Siebzigerjahre.

Die Fotografien … sind eine echte Entdeckung. Sie setzen die Tradition des flanierenden Fotografen fort und lassen uns den Wandel Kreuzbergs in den 70er Jahren nacherleben [tageszeitung TAZ].

Er war einer der ersten Schüler von Michael Schmidt, noch bevor dieser die legendäre »Werkstatt für Photographie« in Kreuzberg ins Leben rief: Siebrand Rehberg. Rehberg fotografierte in den 1970er Jahren, wie sein Lehrer, zunächst hauptsächlich in seinem Wohnbezirk Berlin-Kreuzberg (das frühere SO 36 wurde auf drei Seiten von der Mauer fast eingeschlossen). Im Gegensatz zu Schmidts damaligen Stadtlandschaften, bewegte er sich auf der Straße zwischen den Menschen und hielt diese einfühlsam in seinen Fotografien fest. Die Originale sind jetzt zum ersten Mal öffentlich in der Collection Regard unter dem Titel „BERLINER. Signale des Aufbruchs – Siebrand Rehberg – Fotografien 1971 – 1976 “ zu sehen.

»BERLINER. Signale des Aufbruchs – Siebrand Rehberg – Fotografien 1971 – 1976« in der Collection Regard; Foto © Friedhelm Denkeler 2014
»BERLINER. Signale des Aufbruchs – Siebrand Rehberg – Fotografien 1971 – 1976« in der Collection Regard; Foto © Friedhelm Denkeler 2014

Die Alltagsszenen hielt Rehberg in beeindruckenden Bildern fest: Kinder spielen auf einem VW-Käfer-Wrack im Engelbecken-Hof; ein Seil hüpfendes Mädchen spielt an der Mauer am Leuschnerdamm; der für die Urlaubsreise in die Türkei vorgesehene VW-Bus am Fraenkelufer wird bepackt und zusätzlich werden die Koffer mühselig auf dem Dach festgezurrt; eine Kiosk-Besitzerin posiert mit ihren Kunden am Schlesischen Tor oder ein Trupp von Ostberliner Grenzsoldaten repariert, unter Bewachung von Westberliner Polizisten, die Mauer an der Heidestraße.

Bereits in den 1970er Jahren spielte sich ein Teil des Lebens öffentlich in den Straßen Berlins ab. Die Gastarbeiter, wie sie damals genannt wurden, brachten ihre Kultur mit nach Deutschland und insbesondere nach Berlin-Kreuzberg. Die Fotografie „Görlitzer Straße“ hält dies bemerkenswert fest: Zwischen den beiden Hauseingängen, in denen jeweils ein türkisches Ehepaar getrennt sitzt, spielen Kinder und ganz am Rande des Bildes verfolgt eine deutsche Hausfrau das Geschehen hinter der Gardine.

Rehberg zeigt aber auch Berliner Stadtlandschaften in West und Ost: ein riesiges Brennnessel-Feld an der Mauer; ein Zeitungskiosk am Görlitzer Bahnhof, voll gepflastert mit Zeitschriften der Regenbogen-Presse; der Wochenmarkt am Winterfeldplatz, auf dem Wolfgang Menge gerade einkauft; eine neue Hochhaussiedlung an der Lindenstraße; ein startendes Flugzeug über dem Friedhof Neukölln und immer wieder Bilder mit der Mauer und dem Todesstreifen, zum Beispiel an der Oderberger Straße.

Die 1970er Jahren leiten den sogenannten Aufbruch ein und Rehberg zeigt die Zeit vor den kurz bevor stehenden Umbrüchen. Ein Zeitzeugnis, wie wir heute nach vierzig Jahren konstatieren können. Erik Steffens stellt im Katalog fest: „Das Aufkommen neuer sozialer Bewegungen setzt Siebrand Rehberg immer indirekt ins Bild, sein Interesse liegt vor allem an den Menschen. Ihnen begegnet er mit Respekt und Neugier, lässt ihnen ihre Würde.“

Siebrand Rehbergs Straßenfotografien haben mich auf Anhieb überzeugt, denn er hat es geschafft, einen sehr breiten Teil der Kreuzberger und Berliner Gesellschaft eindrucksvoll und einfühlsam einzufangen. Er liefert uns mit hohem fotografischem Können ein wunderbares Zeitdokument von Menschen aller Schichten, sowohl aus West- als auch Ost-Berlin. [Der Sammler Marc Barbey]

Kreuzberg wie es einmal war, heute ist es Geschichte. Die Ausstellung, die von Antonio Panetta kuratiert wurde,  findet im Rahmen des Monats der Fotografie in Berlin statt. Dieser ist zwar inzwischen beendet, aber viele Ausstellungen laufen bis Januar 2015 weiter. Die Ausstellung von Siebrand Rehberg gehört zu den sehenswerten fotografischen Arbeiten in diesen Wochen in Berlin. Die Ausstellung in der Collection Regard des Sammlers Marc Barbey ist noch bis zum 12.12.2014 zu besichtigen (wird hoffentlich verlängert). Im Nicolai-Verlag ist das Buch von Siebrand Rehberg Signale des Aufbruchs – Berlin-Fotografien der frühen Siebziger Jahre als Katalog erschienen. Collection Regard | Fotostrecke mit 20 Bildern auf Spiegelonline