Retrospektive in drei Berliner Institutionen: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), Berlinische Galerie und Alte Nationalgalerie
Die Kunst-Besucher in Berlin müssen, wenn sie die in sechs Werkgruppen gegliederte Retrospektive des in New York lebenden Chilenen Alfredo Jaar komplett sehen wollen, eine kleine Stadtrundreise machen: von der Kreuzberger Oranienstraße und der Jacobstraße auf die Museumsinsel in die Alte Nationalgalerie.
Und die Rundreise lohnt sich: So kurz nach den wenig überzeugenden politischen und provokativen Veranstaltungen der Berlin Biennale des Artur Zmijewski und der Kasseler Documenta 13 der Carolyn Christow-Bakargiew (CCB) ist Alfredo Jaars politisch und künstlerisch anspruchsvolles Werk wohltuend anzusehen.
Während um die Berlin Biennale viel Tam-Tam gemacht wurde, wurde die von der NGBK erarbeitete Werkschau The way it is über ein fast vier Jahrzehnte künstlerisches Schaffen eher wenig beachtet.
Auch Jaar möchte die Welt verändern, aber was für ein Unterschied: Sein Werk hat Substanz, eine echte Botschaft; er findet die richtige Ästhetik für das, was er ausdrücken möchte und das alles ohne Provokation. Alfredo Jaar hat übrigens an der Documenta 8 (1987) und der Documenta 11 (2002) teilgenommen.
Die NGBK zeigt insbesondere Jaars Frühwerk, das zwischen 1974 und 1981 in Chile entstanden ist.
In der Berlinischen Galerie werden vier Werkgruppen präsentiert: das Pergamon-Projekt Eine Ästhetik zum Widerstand; seine Serie über den Völkermord in Ruanda und weitere Afrika-bezogene Arbeiten; Installationen, in denen das Licht und dessen Blendung eine Rolle spielen (wurde auf der Documenta 11 gezeigt) und seine Press Works, in denen er sich kritisch mit der Aktualität von Presseberichten und der Beeinflussung der öffentlichen Meinung auseinandersetzt.
Im Liebermann-Saal der Alten Nationalgalerie ist Jaars Installation 1+1+1 (siehe Fotos) von der Documenta 8, mit der er vor 25 Jahren internationale Anerkennung fand, zu sehen. Diese Arbeit besteht aus drei Fotos in einem Leuchtkasten, auf dem Boden liegt jeweils ein goldener Rahmen: Auf dem ersten Foto ist der Goldrahmen leer und nur die Füße von Kindern und Erwachsenen aus El Salvador sind verkehrt herum zu sehen, auf dem zweiten Foto ist der Goldrahmen vollständig mit weiteren kleineren Rahmen bedeckt und auf dem dritten Bild sind die Beine, dank eines Spiegels im Goldrahmen, richtig herum. Es ist eine Metapher auf die Realität und die Kunstwelt: »Kunst ermöglicht, die Welt verständlich wahrzunehmen« (Todorov).
Diese Arbeit und eine ähnliche im Leibl-Saal sind in die Sammlung des 19. Jahrhunderts der Alten Nationalgalerie integriert. Jarrs Anliegen ist die Politik der Bilder, jene Macht also, die Bilder haben und zwar diejenigen, die gezeigt werden ebenso wie die, die in den Archiven schlummern und nicht gezeigt werden. Jarr will sich nicht auf die Medien verlassen, er recherchiert lieber selber.
Andrea Hilgenstock schreibt in der Kunstzeitung zu Jaars Arbeiten: »Essays und Übungen über das nicht Darstellbare, nennt er seine Kunst … Es gibt ja nur wenige, die es sich so schwermachen wie er, der zum Beispiel durch Ruanda reiste, ohne nun Elendsbilder zu präsentieren. Kein Larifari, sondern Zusammenhänge. Ein Medien- und Bilderkritiker, der trotzdem Bilder schafft – gut dass es ihn gibt!«
Die Ausstellungen sind noch wie folgt zu sehen: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) nur noch bis zum 19.08.2012, Berlinische Galerie bis zum 17.09.2012 und Alte Nationalgalerie bis zum 16.09.2012.