Der Mann, der die Frauen(beine) liebte

Von Friedhelm Denkeler,

Fotoausstellung »Manfred Paul – En Passant« in der Collection Regard bis zum 18.12.2015

Die Beine der Frauen sind die Zirkel, die den Erdball in allen Himmelsrichtungen ausmessen und ihm sein Gleichgewicht und seine Harmonie geben. [Bertrand Morane in »Der Mann, der die Frauen liebte«]

"Manfred Paul – En Passant", 1986 – 1990, Spector Books, Leipzig 2015, Foto © Friedhelm Denkeler 2015
„Manfred Paul – En Passant“, 1986 – 1990,
Spector Books, Leipzig 2015,
Foto © Friedhelm Denkeler 2015

Als erstes fällt einem, wenn man Manfred Pauls neue Ausstellung »En Passant«  in Marc Barbeys Collection Regard sieht, François Truffauts Film Der Mann, der die Frauen liebte aus dem Jahr 1977, ein.

Der Ingenieur Bertrand Morane, gespielt von Charles Denner, verliebt sich in die Beine einer unbekannten Frau. Seit seiner  Jugendzeit interessiert er sich für Frauenbeine und letztendlich sind diese auch für sein tragisches Ende verantwortlich.

Auch Manfred Pauls Photographien kann man als Suche nach einem Traumbild, nach dem Geheimnis des Weiblichen verstehen. Aber im Gegensatz zu Truffauts Film sind sie eher zufällig, en passant, in der Zeit zwischen  1986 und 1990 entstanden und jetzt zum ersten Mal öffentlich bei Marc Barbey zu sehen.

Fast dreißig Jahre lang war Manfred Paul als Lehrer für Photographie tätig. Erst in den letzten Jahren hatte er Zeit, sein Archiv aufzuarbeiten und so bekommen wir neben den bekannten Stadtbildern wie »Berlin Nordost« (1973-1989),  nun auch den Werkzyklus »En Passant« zu sehen.

Die Beine der Frauen sind nackt oder tragen Strümpfe, mal undurchsichtig – mal durchsichtig; sie stehen sittsam nebeneinander, werden gekreuzt oder locker übereinander geschlagen; sie bleiben anonym und sind doch individuell und so unterschiedlich wie die dazugehörenden Besitzerinnen. Sagt die Phantasie zumindest. Zu sehen sind aber en passant eben nur die Beine und sie stehen ganz allein für sich.

»Manfred Paul mit der Arbeit »Im Restaurant«, 1986, Collection Regard, Berlin, Friedhelm Denkeler 2015
»Manfred Paul mit der Arbeit »Im Restaurant«, 1986, Collection Regard, Berlin, Friedhelm Denkeler 2015

Harald Martenstein hat in seiner Kolumne im ZEIT-Magazin darüber geschrieben, wie schwierig es heutzutage ist, Frauen Komplimente zu machen. Schnell steht man als Mann unter Verdacht, auf Anmache aus zu sein. Er kommt zu dem Fazit, dass es mit Komplimenten wie mit Humor ist, also meist eine Gratwanderung zwischen gutem und schlechtem Geschmack. Die Alternative, ein Leben ohne Humor und wertschätzende Komplimente, ist aber nicht erstrebenswert.

Marc Barbey in seiner Eröffnungsrede am 10. September 2015: »So ist diese Ausstellung auch ein Plädoyer für Komplimente, … für wohlwollende, freundliche und respektvolle Aufmerksamkeit, für einen Blick, der immer auf der Suche nach Schönheit ist. Und ich vertraue Manfred Pauls guten Geschmack, dem es gelingt, auf dem Grat zu balancieren, der es uns erlaubt, seine Freude am eingefangenen Moment zu teilen.«

Die Sinnlichkeit der Bilder ist offenbar, ohne je sich aufzudrängen liegt sie still in den Bildern, so wie ein stilles Begehren erweckt wird. [Hubertus von Amelunxen]

Kreuzberg wie es einmal war …

Von Friedhelm Denkeler,

Siebrand Rehberg in der Collection Regard mit Berlin-Fotografien der frühen Siebzigerjahre.

Die Fotografien … sind eine echte Entdeckung. Sie setzen die Tradition des flanierenden Fotografen fort und lassen uns den Wandel Kreuzbergs in den 70er Jahren nacherleben [tageszeitung TAZ].

Er war einer der ersten Schüler von Michael Schmidt, noch bevor dieser die legendäre »Werkstatt für Photographie« in Kreuzberg ins Leben rief: Siebrand Rehberg. Rehberg fotografierte in den 1970er Jahren, wie sein Lehrer, zunächst hauptsächlich in seinem Wohnbezirk Berlin-Kreuzberg (das frühere SO 36 wurde auf drei Seiten von der Mauer fast eingeschlossen). Im Gegensatz zu Schmidts damaligen Stadtlandschaften, bewegte er sich auf der Straße zwischen den Menschen und hielt diese einfühlsam in seinen Fotografien fest. Die Originale sind jetzt zum ersten Mal öffentlich in der Collection Regard unter dem Titel „BERLINER. Signale des Aufbruchs – Siebrand Rehberg – Fotografien 1971 – 1976 “ zu sehen.

»BERLINER. Signale des Aufbruchs – Siebrand Rehberg – Fotografien 1971 – 1976« in der Collection Regard; Foto © Friedhelm Denkeler 2014
»BERLINER. Signale des Aufbruchs – Siebrand Rehberg – Fotografien 1971 – 1976« in der Collection Regard; Foto © Friedhelm Denkeler 2014

Die Alltagsszenen hielt Rehberg in beeindruckenden Bildern fest: Kinder spielen auf einem VW-Käfer-Wrack im Engelbecken-Hof; ein Seil hüpfendes Mädchen spielt an der Mauer am Leuschnerdamm; der für die Urlaubsreise in die Türkei vorgesehene VW-Bus am Fraenkelufer wird bepackt und zusätzlich werden die Koffer mühselig auf dem Dach festgezurrt; eine Kiosk-Besitzerin posiert mit ihren Kunden am Schlesischen Tor oder ein Trupp von Ostberliner Grenzsoldaten repariert, unter Bewachung von Westberliner Polizisten, die Mauer an der Heidestraße.

Bereits in den 1970er Jahren spielte sich ein Teil des Lebens öffentlich in den Straßen Berlins ab. Die Gastarbeiter, wie sie damals genannt wurden, brachten ihre Kultur mit nach Deutschland und insbesondere nach Berlin-Kreuzberg. Die Fotografie „Görlitzer Straße“ hält dies bemerkenswert fest: Zwischen den beiden Hauseingängen, in denen jeweils ein türkisches Ehepaar getrennt sitzt, spielen Kinder und ganz am Rande des Bildes verfolgt eine deutsche Hausfrau das Geschehen hinter der Gardine.

Rehberg zeigt aber auch Berliner Stadtlandschaften in West und Ost: ein riesiges Brennnessel-Feld an der Mauer; ein Zeitungskiosk am Görlitzer Bahnhof, voll gepflastert mit Zeitschriften der Regenbogen-Presse; der Wochenmarkt am Winterfeldplatz, auf dem Wolfgang Menge gerade einkauft; eine neue Hochhaussiedlung an der Lindenstraße; ein startendes Flugzeug über dem Friedhof Neukölln und immer wieder Bilder mit der Mauer und dem Todesstreifen, zum Beispiel an der Oderberger Straße.

Die 1970er Jahren leiten den sogenannten Aufbruch ein und Rehberg zeigt die Zeit vor den kurz bevor stehenden Umbrüchen. Ein Zeitzeugnis, wie wir heute nach vierzig Jahren konstatieren können. Erik Steffens stellt im Katalog fest: „Das Aufkommen neuer sozialer Bewegungen setzt Siebrand Rehberg immer indirekt ins Bild, sein Interesse liegt vor allem an den Menschen. Ihnen begegnet er mit Respekt und Neugier, lässt ihnen ihre Würde.“

Siebrand Rehbergs Straßenfotografien haben mich auf Anhieb überzeugt, denn er hat es geschafft, einen sehr breiten Teil der Kreuzberger und Berliner Gesellschaft eindrucksvoll und einfühlsam einzufangen. Er liefert uns mit hohem fotografischem Können ein wunderbares Zeitdokument von Menschen aller Schichten, sowohl aus West- als auch Ost-Berlin. [Der Sammler Marc Barbey]

Kreuzberg wie es einmal war, heute ist es Geschichte. Die Ausstellung, die von Antonio Panetta kuratiert wurde,  findet im Rahmen des Monats der Fotografie in Berlin statt. Dieser ist zwar inzwischen beendet, aber viele Ausstellungen laufen bis Januar 2015 weiter. Die Ausstellung von Siebrand Rehberg gehört zu den sehenswerten fotografischen Arbeiten in diesen Wochen in Berlin. Die Ausstellung in der Collection Regard des Sammlers Marc Barbey ist noch bis zum 12.12.2014 zu besichtigen (wird hoffentlich verlängert). Im Nicolai-Verlag ist das Buch von Siebrand Rehberg Signale des Aufbruchs – Berlin-Fotografien der frühen Siebziger Jahre als Katalog erschienen. Collection Regard | Fotostrecke mit 20 Bildern auf Spiegelonline