Wie ein Maler und ein Müller die Welt anhielten

Von Friedhelm Denkeler,

Vom Gemälde zum bewegten Bild – Lech Majewskis »Die Mühle und das Kreuz«

Eingekerkert sind die Menschen in der Zwangsherrschaft ihrer Zeit, immer den Tod vor Augen und sinnloses Leiden und dabei die Gewissheit, dass kein Gott sei. [Süddeutsche Zeitung]

In dem weltberühmten Gemälde Die Kreuztragung Christi aus dem Jahr 1564 erzählt Pieter Bruegel viele Geschichten mit über Hunderten von Figuren rund um Jesus Weg zum Kreuz. Bruegel versetzte die Szenerie in seine zeitgenössische Gegenwart: Jerusalem wurde zu einer Stadt in Flandern. Er malte nicht nur eine religiöse Szene wie der Titel suggeriert, sondern prangerte die Lebensumstände unter der damaligen spanischen Herrschaft mit all den willkürlichen Grausamkeiten der Inquisition an.

"Stemmer Mühle", Foto © Friedhelm Denkeler 2001
»Stemmer Mühle«, aus dem Portfolio »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst«, Foto © Friedhelm Denkeler 2001

Der polnische Regisseur Lech Majewski hat das Bild nun zum Leben erweckt. Vor dem gemalten Hintergrund werden einzelne Figurengruppen lebendig. Zwischendurch erklärt Bruegel (Rutger Hauer) seinem Freund und Kunstsammler Nicholas Jonghelinck (Michael York) die Entwicklung und die Bedeutung des Bildes.

So wird dem Zuschauer das bäuerliche Leben in Flandern gezeigt; wir sehen den Leidensweg Christi und erfahren gleichzeitig die Gedanken und Gefühle seiner Mutter Maria (Charlotte Rampling). Der Dialog ist auf diese drei Hauptdarsteller beschränkt, von den restlichen Figuren sind nur undeutliche Laute zu vernehmen.

Majewskis Filmtechnik ist überraschend und beeindruckend. Sie besteht aus Aufnahmen von realen Landschaften, die denen im Gemälde ähneln und Aufnahmen von Schauspielern vor dem Blue Screen, die mit dem von Majewski gemalten Hintergrund, einer Kopie des Gemäldes, kombiniert werden.

Als Zuschauer tritt man immer wieder in das Bild ein und steigt wieder aus. Zum Schluss verwandelt sich der Film vom tableau vivant in das Originalgemälde im Kunsthistorischen Museum in Wien, direkt neben Bruegels Turmbau zu Babel.

Viele Gemälde zeigen Gott, wie er die Wolken zerteilt und auf die Welt herabsieht. In Bruegels Bild und Majewskis Film wird der Müller seinen Platz einnehmen. Er thront auf einem unwahrscheinlich hohen Felsen mit einer Mühle auf der Spitze. Der Wind bewegt die riesigen Flügel der Mühle, das Korn wird gemahlen, aber der Müller greift in das Weltgeschehen nicht ein. Nur einmal halten Bruegel und der Müller das Weltgeschehen an, so dass Bruegel seinem Auftrageber das Bild in aller Ruhe erläutern kann.

Da der Film doch eher etwas für Kunst- und Video-Liebhaber ist, wird er sicherlich nicht mehr lange zu sehen sein. Wir sahen ihn im Filmkunst 66, leider sind dort die Kinos und die Leinwände zu klein für diesen Film. Für das Fernsehen oder für eine DVD ist er überhaupt nicht geeignet. Es ist ein nicht wiedergutzumachendes Versäumnis, sich diesen Film jetzt nicht auf einer (größeren) Leinwand anzusehen.

Alle Symbolik bleibt geerdet, und jedes figürliche Detail wird durch Licht, Farben und Stofflichkeiten so sorgfältig herausgearbeitet, dass man nicht nur in das Bild, sondern in das Vermögen der Kunst selbst hineinzusinken glaubt. Mehr passiert eigentlich nicht, trotzdem glaubt man ein Wunder gesehen zu haben. [DIE WELT]