Piktorialistische Fotografie in Russland wird neu betrachtet
Anfang des 20. Jahrhunderts litten viele Künstler in Russland unter den Verfolgungen und Repressalien der Kommunisten, so auch die Piktorialisten wie Alexander Grinberg, Juri Jerjomin, Nikolai Andreev und Nikolaj Swischtschow-Paola. Ende der 1920er Jahre begann nicht nur in Politik und Gesellschaft, sondern auch in der Fotografie die Suche nach dem »Feind« und den Piktorialisten sagte man eine Vorliebe für bürgerliche Werte nach.
Ihre Werke fügten sich zwar in den internationalen künstlerischen Kontext ein und erhielten Gold- und Silbermedaillen auf den größten internationalen Foto-Ausstellungen und -salons in Europa, den USA und Japan, eben auch weil sie ihrer künstlerischen Richtung treu blieben, aber gegen Ende der 1930er Jahre setzte sich in Russland endgültig die von oben verordnete Ästhetik des sozialistischen Realismus durch.
Der Piktorialismus blieb eine stille Art von Widerstand, denn auf den Bildern sieht man romantische Landschaften, mystische Orte und individuelle Schönheiten. Trotzdem erhielten die Künstler keine Aufträge mehr, verloren ihre Arbeitserlaubnis, mussten ihre Heimatstadt verlassen oder landeten im Gulag wie Alexander Grinberg. Grinbergs weibliche Akte passten einfach nicht zum Bild der arbeitsamen russischen Frau.
Die Werke blieben über ein halbes Jahrhundert unbeachtet, wurden nie gezeigt oder gingen verloren. Erst jetzt beginnt eine kunsthistorische Aufarbeitung des Piktoralismus. Der Martin-Gropius-Bau zeigt momentan einen Querschnitt der Meister dieser Fotografie mit rund 160 Werken.
Die Piktorialisten strebten nach einer Annäherung an die Malerei und setzten weichzeichnende Objektive und eine besondere, oftmals sehr komplizierte Abzugstechnik ein. Im Gegensatz zu den Dokumentaristen suchten sie, wie auch die Malerei, nach einem gefühlvollen Klang ihrer Werke, der seinen Ausdruck in den individuellen Deutungen und Zielen des Künstlers fand.
Die Ausstellung Stiller Widerstand. Russischer Piktorialismus 1900 – 1930 findet im Rahmen des 20jährigen Bestehens der Städtepartnerschaft Berlin-Moskau statt und setzt dem Russischen Piktorialismus ein bemerkenswertes Denkmal. Die Moskauer Tage in Berlin sind nur noch bis zum 18. Dezember 2011 zu sehen. Der Eintritt ist übrigens frei und wohl deshalb gibt es auch keine mehrstündige Wartezeit. www.martin-gropius-bau.de, Video zur Ausstellung von kunst+film
Die Kunst ist Dienst am Volk, doch das Volk wird an der Nase herumgeführt. Ich aber will das Volk zur Kunst hinführen und nicht mit der Kunst in die Irre führen. Wurde ich zu früh oder zu spät geboren? Kunst und Politik müssen getrennt werden … [Alexander Rodtschenko, Tagebuch 12. Februar 1943]