Anspruch und Wirklichkeit im Martin-Gropius-Bau

Von Friedhelm Denkeler,

Monat der Fotografie 2014 in Berlin

Im Berliner Martin-Gropius-Bau ist zurzeit die zentrale Gruppenausstellung Memory Lab: Die Wiederkehr des Sentimentalen unter dem Motto Fotografie konfrontiert Geschichte anlässlich des Monats der Fotografie (MdF) 2014 zu sehen. Die Kuratoren fragen: »Wie werden geschichtliche Ereignisse, wie werden kulturelle Besonderheiten und deren Veränderungen oder soziale Verhältnisse heute von Fotografen und Künstlern, welche sich der Mittel von Fotografie und Video bedienen, dargestellt? Wie wird die Distanz zwischen damals und heute, zwischen aktuellen Lebensverhältnissen und dem Gegenstand des Interesses, fotografisch konstruiert und welche Wirklichkeit entsteht dabei? Wie wird Erinnerung formuliert und dem Vergessen entgegengewirkt?«

"Zelle 235" (Untersuchungshaftanstalt  der Stasi in Berlin-Hohenschönhausen), Foto © Friedhelm Denkeler 2009
»Zelle 235«, Untersuchungshaftanstalt der Stasi in Berlin-Hohenschönhausen, Foto © Friedhelm Denkeler 2009

Wir sehen in der Schau weniger Fotojournalismus, dokumentarische Fotografie oder reine Fotografie (Straight Photography), sondern essayistisch arbeitende Künstler, die in Serien und mit filmischen Mittel inszenieren, oder theatralische Effekte nutzen und manchmal auch mit Spielereien fotografisch agieren. Zwischen dem Anspruch der Kuratoren und ihren Texten in der Ausstellung und der Wirklichkeit der gezeigten Werke klafft aber oft eine größere Lücke. Fünf von 17 ausgestellten Arbeiten möchte ich hier vorstellen.

Mitten in einem der acht großen Ausstellungsräume hat Nasan Tur eine Zelle der ehemaligen Stasi-Untersuchungs-Haftanstalt Bautzner Straße 112, Dresden, nachgebaut und an die Wände über ein Dutzend Fotografien von geschlossenen Metalltüren in beiger, leicht vergilbter Farbe gehängt. Die 1,90 x 3,40 Meter große Zelle (hier waren zwei Menschen inhaftiert) lösen beim Besucher ein Gefühl von Enge und Machtlosigkeit aus, obwohl hier die Zellentür offen steht.

Andreas Mühe zeigt seine bereits bekannte Serie Obersalzberg. Durch groß aufgezogene Nachinszenierungen der Fotos von Walter Frentz, dem Kameramann von Leni Riefenstahl, versucht er den propagandistischen Teil der Fotos vom Hitler-Fotografen Walter Frentz darzustellen, zeigt aber auch gleichzeitig die Faszination, die diese Bilder damals wie heute haben. »Der Betrachter ist verantwortlich für das, was in seinem Kopf passiert, nicht der Photograph« sagte Mühe in einem Interview dazu.

Zu empfehlen ist die sehenswerte, 20-minutige Videoarbeit Scopophilia von Nan Goldin. In dieser Arbeit konfrontiert Goldin ihre eigenen, persönlichen Bilder von Freunden mit Fotos von Gemälden aus dem Louvre. Dabei stellt sie »Gesten und Posen, Haltungen und Gebärden gegenüber und entwickelt so eine Ästhetik der Nähe …, die sie in der Malerei und Skulptur ebenso wiederentdeckt, wie in den Augenblicken des Entstehens ihrer eigenen Werke«.

Erwin Olaf ist mit der Serie Berlin vertreten. Er hat in den ehemaligen Sportstätten der Olympischen Spiele 1936 und im Logenhaus Berlin sonderbare Gegenstände und Personen, die in eine dunkle, historisierende Einfarbigkeit (bräunlich) getaucht sind, fotografiert. Die Fotos weisen, bedingt durch die Pigmentdrucke (Carbon Prints), einen fantastischen ›Sound‹ auf.

"Untersuchungshaftanstalt  der Stasi in Berlin-Hohenschönhausen", Foto © Friedhelm Denkeler 2009
»Untersuchungshaftanstalt der Stasi in Berlin-Hohenschönhausen«, Foto © Friedhelm Denkeler 2009

Wie Anspruch und Wirklichkeit auseinander driften kann man anhand Pablo Zuleta-Zahrs Arbeit Puppies in Torture Chambers gut sehen. Eine Schulklasse ist in die Kellergewölbe eines ehemaligen, geheimen Untersuchungsgefängnisses der chilenischen Junta gestiegen und Zuleta-Zahr fotografiert in Schnappschüssen mit langen Belichtungszeiten das Erkunden der Gewölbe durch die Kinder. Die Aufnahmen hätten überall auf der Welt in einem Abbruchhaus stattfinden können. Der Anspruch, die Aufregung und den Schock der Kinder zu zeigen, ist in den verwischten, schwarzweißen Bildern nicht zu erkennen; nur aufgrund des begleitenden Textes lässt sich eine Verbindung herstellen. Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau ist noch bis zum 15.12.2014 zu besichtigen.