»Message to the Future« – Photographien von Danny Lyon bei C/O Berlin. Das wirksamste Element im Kunstwerk ist nicht selten das Schweigen
Seit den 1960er Jahren fotografiert der US-amerikanische Fotograf Danny Lyon, geboren 1942, soziale Außenseiter, Subkulturen und gesellschafts-politische Themen. Er möchte der üblichen Berichterstattung in den Massenmedien alternative Sichtweisen entgegenzustellen. Man könnte seine Arbeit als teilnehmende Dokumentation bezeichnen, indem er oft über eine längere Zeit eine Beziehung zu seinen Protagonisten aufbaut.
Und dazu gehört für Lyon selbstverständlich auch seine Familie. So wie wir es an der Werkstatt für Photographie in den 1970er Jahren gelernt haben, ist Danny Lyon als Autorenfotograf anzusehen. Noch stärker als in der Ausstellung „Message to the Future“ bei C/O Berlin ist das in dem Buch Danny Lyon: »Pictures From The New World« aus dem Jahr 1970 zu spüren. Für mich eines der wichtigsten und intensivsten Fotobücher überhaupt. Es war maßgeblich an meiner fotografischen Entwicklung beteiligt. Sehr gut trifft das folgende Zitat auf Lyons Arbeit zu, insbesondere wenn man das Buch zu Grunde legt.
»Meine größte Stärke ist meine Empathie mit Menschen, die anders sind als ich … Mir ging es um die Fotografie und um Bücher … Ich bin ausgestiegen, ohne je zurückzublicken. Ich habe diese Dinge als Themen betrachtet und mich selbst als Journalisten … Die Fotografie ist eine einsame Reise – das hat Robert Frank gesagt – man muss wirklich sich selbst sein, weil man versucht, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Ich hab mir das Leben sehr schwer gemacht, um etwas zu schaffen … Manchmal frage ich mich, ob ich die Vergangenheit festhalte oder ob ich hier der Zukunft begegne. [Danny Lyon]
Im strengsten Sinne sind alle Bewusstseinsinhalte unnennbar. Selbst die einfachste Wahrnehmung ist in ihrer Totalität unbeschreibbar. Jedes Kunstwerk muss daher nicht nur als etwas Dargestelltes verstanden werden, sondern gleichzeitig als ein Versuch, das Unsagbare auszudrücken. In den größten Kunstwerken schwingt stets etwas mit, das sich nicht in Worte fassen lässt, etwas von dem Widerspruch zwischen dem Ausdruck und der Gegenwart des Unausdrückbaren. Stilmittel sind immer auch Methoden der Vermeidung. Das wirksamste Element im Kunstwerk ist nicht selten das Schweigen. [Susan Sontag, in »Against Interpretation«]
Die umfangreiche Retrospektive bei C/O ist mit rund 175 Photographien anhand seiner sozialen Projekte strukturiert. Sie beginnt mit Lyons frühsten Fotografien, die im Rahmen der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre entstanden sind. 1963 wendet sich Danny Lyon der Subkultur der Biker und ihrem gesellschaftlichen Image zwischen gefürchteter Kompromisslosigkeit und romantisiertem Freiheitsdrang zu. Vier Jahre lang begleitet er die Biker-Gang als Mitglied. 1966 zieht er zurück in seine Heimatstadt New York und hält fest, wie die Architekturgeschichte des 19. Jahrhunderts unter den Abrissbirnen verschwindet.
Im nächsten Projekt geht es um das Leben der Insassen, um ihren Alltag in den Gefängnissen und um die Härte des amerikanischen Strafvollzugs. Lyon erhält 1967 Zugang zu allen Gefängnissen des Bundesstaates Texas. Seine Begegnungen mit den Häftlingen, die er auch filmisch dokumentiert, zeugen von aufrichtigem Interesse für ihre persönlichen Geschichten.
1970 findet Lyon in der Kleinstadt Bernalillo in New Mexico ein neues Zuhause. Er freundet sich mit den Arbeitern aus seiner Nachbarschaft an, mit Latinos und amerikanischen Ureinwohnern, mit kleinkriminellen Jugendlichen oder mit illegalen Arbeitern aus der Umgebung, deren Erfahrung im Überqueren der mexikanisch-amerikanischen Grenze er aufzeichnet. Sein nahes Umfeld wie auch seine Familie geraten zunehmend ins Blickfeld seiner Kamera. Weitere Arbeiten entstehen in Kolumbien, Bolivien, Haiti und China. Die Ausstellung, die bereits zu Ende gegangen ist, zeigte auch Collagen und Materialien aus Danny Lyons privatem Archiv.