Das Ende eines perfekten Films kommt immer zu früh
2014 habe ich die Vorstellung der gesehenen Filme in diesem JOURNAL vernachlässigt. Deshalb folgt jetzt eine Übersicht der Filme (mit den Links zu den entsprechenden Artikeln), sowie eine Auswahl mit Kurzbeschreibungen der restlichen, gesehenen, aber nicht beschriebenen Filme. Alle Filme würde ich weiter empfehlen.
Only Lovers Left Alive von Jim Jarmusch: Nur Menschen mit einer großen Liebe zu Musik und Büchern bleiben am Leben – so könnte man den Film auch beschreiben, denn er lebt zu großen Teilen von der Musik und den Leidenschaften eines Rock-Nerds und seiner Bücher verschlingenden und überaus gebildeten Gattin. Ist es nun ein vampiristischer Musikfilm oder ein musikalischer Vampirfilm für Bildungsbürger?
Blancanieves von Pablo Berger: Eine leidenschaftliche Geschichte von Liebe und Tod, voller überraschender Wendungen in einer Welt der Schönheit, Grausamkeit, Perversion und Eifersucht als Stummfilm. Das Märchen von Schneewittchen im Sevilla der 20er-Jahre, in der Welt der gefeierten Toreros und Flamenco-Tänzerinnen, der Schausteller, Freaks und Komödianten.
Nebraska von Alexander Payne: Ein genervter Sohn fährt seinen teilweise dementen Vater in einer aufwendigen Autofahrt in die väterliche Vergangenheit, um einen gefakten Gewinn einzulösen. Was dann folgt, ist ein Kabinettstück hohen Filmschaffens mit herrlichen schwarzweißen, breitwandigen Bildern der Landschaft Nebraskas und seiner ländlichen Bewohner Die Geschichte ist eigentlich nicht erzählbar, aber dafür ist sie eine der schönsten Kinoreisen überhaupt.
A Long Way Down von Pacal Chaumeil nach dem Roman von Nick Hornby: Vier Typen wollen in der Nacht der Nächte ihrem Leben ein Ende setzen. Überrumpelt von der unerwarteten Gesellschaft, springt allerdings keiner vom Hochhaus. Stattdessen verbringen sie den Rest der ereignisreichen Nacht gemeinsam und schließen bei Sonnenaufgang einen Pakt: Neuer Selbstmordtermin ist der Valentinstag und bis dahin bringt sich niemand um.
Boyhood von Richard Linklater: Man kann schon misstrauisch werden, wenn man so einen perfekten Film gesehen hat. Die Schauspieler agieren, als wenn es das richtige Leben wäre, die warmen Farben unterstützen das Wohlfühl-Feeling, die Story ist logisch und knapp aufgebaut; man möchte keine Minute des Films missen, in dem es eigentlich nur um das Aufwachsen eines Jungens über den Zeitraum von zwölf Jahren geht.
The Grand Budapest Hotel von Wes Anderson: Der Film spielt in der Zwischenzeit der beiden Weltkriege und das hauptsächlich im Foyer des Grand Budapest Hotels als einem Theater der Welt in einem fiktiven osteuropäischen Land. Phantastisch barocke Bildtableaus und ein skurriles Personenarsenal, dazu eine irrwitzige Handlung.
Im August in Orange Country von John Wells: Großes Schauspielerkino mit wunderbaren Darstellern, allen voran Meryl Streep als depressive, tablettenabhängige Witwe, die ihre Töchter auf der Beerdigungsfeier gegeneinander ausspielt. Hätte Shakespeare das Skript geschrieben, wären am Ende alle tot.
Das finstere Tal von Andreas Prochaska: Ein düsteres Geheimnis, ein entlegenes Hochtal und ein schweigsamer Fremder, der sich als Fotograf ausgibt. Nachdem der Schnee das Dorf eingeschlossen hat und kaum ein Sonnenstrahl mehr das Tal erreicht, kommt es zu tragischen ›Unfällen‹, bei denen nach und nach die Söhne des Patriarchen umkommen – Begleichung einer Rechnung aus längst vergessen geglaubten Zeiten. Der Alpenwestern schlechthin.
Zeit der Kannibalen von Johannes Naber: Zwei taffe Unternehmensberater, die seit Jahren um die Welt touren, um den Profithunger ihrer Kunden zu stillen, erhalten im Luxus-Hotel in Nigeria Besuch von einer Kollegin, die sich als ihre Vorgesetzte herausstellt. Ihr Ziel scheint nah: endlich in den Firmenolymp aufsteigen. Dann bricht der Kampf um das Überleben in der Company aus und die Rebellen stürmen das Hotel. Wer diesen Film gesehen hat, wird niemals mehr sagen, er sei Unternehmensberater.
Die geliebten Schwestern von Dominik Graf: Der Film spielt um 1788 und die fernmündliche Kommunikation zwischen Friedrich Schiller, Charlotte von Lengefeld und deren Schwester Caroline wird ausschließlich durch verschlüsselte Briefchen hergestellt. Ob die Ménage-à-trois, sich wirklich so abgespielt hat, ist nicht überliefert. Ein empfehlenswerter Film und mit 170 Minuten keine Minute zu lang.
Wir sind die Neuen von Ralf Westhoff: Die ›Neuen« Alt-68er wollen ihre alte Studenten-WG aus Wohnungsnot, Einsamkeit und Kostengründen wieder neu beleben. Eine melancholische Komödie zum Lächeln; wer aber ablachen möchte, ist hier fehl am Platz.
Im Labyrinth des Schweigens von Giulio Ricciarelli: Besser kann man eine Geschichte im Film nicht erzählen – eine Geschichte, die die Vorgeschichte des Frankfurter Auschwitz-Prozesses thematisiert. Sie fängt die Atmosphäre der fünfziger Jahre mit ihren Häusern, Wohnungen, der Kleidung, Musik und den zeitgemäßen Dialogen überzeugend ein.
Blue Jasmine von Woody Allen: Geld-Society-Frau verlässt ihren untreuen Ehemann, der sein ganzes Vermögen verloren hat. Jetzt taucht sie ohne Geld bei ihrer gutmütigen Schwester auf. Sie, die nie im Leben gearbeitet hat, nimmt eine Arbeit an der Rezeption an und lernt auf einer Party einen angesehenen Politiker kennen. Cate Blanchetts Rolle als neurotische Selbsttäuschung ist der Mittelpunkt dieser wunderbar entlarvenden Tragikomödie. Nie spielte sie besser.
Phoenix von Christian Petzold: Petzolds Muse Nina Hoss brilliert in der Hauptrolle als Auschwitz-Überlebende, die sich wie der titelgebende Feuervogel, über die Vergangenheit erhebt. Als sie ihrem Vorkriegs-Ehemann, der sie verraten hat, gegenübersteht, erkennt dieser sie aufgrund ihrer schweren Gesichtsverletzungen nicht, will aber mit ihr ein Erbe erschleichen. Die psychologisch bis zum Zerreißen spannende Handlung findet ein unerwartetes Ende.