Ein Leben unter dem Glaskubus

Von Friedhelm Denkeler,

Neben Martina Gedeck spielen in »Die Wand« die Natur und Luchs von Kyffhäusersbach die weiteren Hauptrollen

Von Männern ausgeheckte Apokalypsen kennen wir zur Genüge. Mit denen können wir umgehen, die können wir längst schon als Genre abtun. Diese weibliche Apokalypse ist anders. Sie verstört ganz ungewohnt. Und wirkt noch lange nach. [Berliner Morgenpost]

Eine Frau (Martina Gedeck) sitzt in einer einsamen Jagdhütte auf den Bergen fest: Ihre unmittelbare Umgebung ist durch eine unsichtbare Wand von der Außenwelt abgeschnitten. Die Wand ist durchsichtig, aber es ist nichts zu sehen, sie spiegelt auch nichts wieder, lediglich bei Annäherung erfolgt ein dumpfes Dröhnen. Ein Hund namens Luchs, der ihren Freunden gehört, die sich zu einem Ausflug verabschiedet haben, rennt gegen die Wand; dann versucht es die Frau selbst; auch der Versuch mit dem Auto durchzukommen scheitert – es bleibt schwer beschädigt liegen.

Hinter der Wand scheint alles Leben eingefroren zu sein. Der Städterin bleibt nichts anders übrig, als sich mit der Situation zu arrangieren. Eine Kuh und eine Katze werden neben Luchs, dem Hund, zu ihren Leidensgenossen. Die Frau pflanzt Kartoffeln, sammelt Früchte des Waldes, lernt mit dem Gewehr auf Jagd zu gehen um zu überleben. Im dritten Jahr schreibt sie ihre Geschichte auf, bis das Papier zu Ende ist.

»Selbst im Kleingarten«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011
»Selbst im Kleingarten«, Foto © Friedhelm Denkeler 2011

Aus dem Off erzählt die Frau ihre Gedanken, aber eigentlich ist das nicht notwendig, denn Martina Gedecks »Gesicht schreibt seinen eigenen Text« (FAZ). Es bildet die innere Verfassung der Protagonistin, den seelischen Ausnahmezustand, gut ab. Obwohl die Welt nicht mehr existiert, arbeitet sie weiter um zu leben: Sie mäht Heu, versorgt ihre Tiere, zieht im Sommer mit ihnen auf die Alm, hackt Holz für den Winter und geht auf die Jagd. Das Leben unter dem Glaskubus geht, auch nach einer weiteren Katastrophe, weiter.

Der Film, der auf dem gleichnamigen Roman der österreichischen Schriftstellerin Marlen Haushofer aus dem Jahr 1963 beruht, lief bereits unter großem Beifall im diesjährigen Berlinale-Programm »Panorama«. Der österreichische Regisseur Julian Pölsler schaffte sich den Hund, einen sogenannten Bayerischen Gebirgsschweißhund, für die Verfilmung an und trainierte ihn persönlich. Eindrucksvolle Landschaftsaufnahmen, ein Alpenpanorama wie es im Buche steht, ein betörender Sternenhimmel und alle vier Jahreszeiten in eindrucksvollem Cinemascope. Ein Film, der vordergründig eine Hommage an die unberührte Natur zu sein scheint, wird durch Martina Gedeck zu einem Drama, das einem fast den Atem raubt. Sehenswert!

Ich habe die Wand immer als Rettung gesehen. Die Wand ist kein schönes Ereignis, aber es hilft der Frau, zum Leben zurück zu kommen und das ist notwendig, weil sie vorher nicht glücklich war. Die Wand steht für mich für eine tiefe Krise, ein Depression, eine Krankheit oder ähnliches – also auch für eine Chance, sich auf das Wesentliche zu besinnen, neue Prioritäten zu setzen und eine neue Lebendigkeit zu finden. [Martina Gedeck]