Quadratur der Stadt – Fotografische Collagen

Von Friedhelm Denkeler,

Horst Hinder im Katharinenhof am Preußenpark Berlin

Der Berliner Fotograf Horst Hinder zeigt in einer Einzelausstellung im Katharinenhof am Preußenpark, Sächsische Straße 46, 10707 Berlin noch bis Ende Oktober 2018 seine Fotografischen Collagen. Während der Vernissage am 12. August 2018 hielt Beate Spitzmüller die folgende Eröffnungsrede (Auszüge):

Horst Hinder beschäftigt sich in seinen Fotocollagen ausschließlich mit der Stadt Berlin und ihren Facetten. Er setzt seine Fotos aus vielen kleinen quadratischen Einzelbildern zusammen. Mit dem Fotoapparat durchstreift er die Stadt und nimmt alles auf, was ihm gefällt. Im Atelier dann sucht er sich Ausschnitte aus seinen Fotografien, mischt diese, ordnet sie nach bestimmten ästhetischen Gesichtspunkten neu und setzt diese Einzelstücke dann wieder zu einem neuen Bild, einer Fotografischen Collage zusammen. Horst Hinder hat als Form für seine Bildausschnitte das Quadrat gewählt. Es ist die bestimmende Größe seiner Einzelbilder. Hunderte quadratische Bildausschnitte verbindet er mit spielerischer Geste zu wiederum quadratischen oder rechteckigen Collagen.

»Horst Hinder während der Vernissage im Katharinenhof am Preußenpark«, Foto © Friedhelm Denkeler 2018
»Horst Hinder während der Vernissage im Katharinenhof am Preußenpark«, Foto © Friedhelm Denkeler 2018

Das Quadrat zeichnet sich durch seine vier gleichen Seiten aus. Es ist ein Symbol für Harmonie und Kennzeichen für Ruhe und Ordnung. In der Bildenden Kunst gilt es seit jeher als ausgewogen und ausgeglichen, obwohl es nicht dem menschlichen Sehen entspricht. Das Rechteck hingegen beinhaltet mehr künstlerische Dynamik und Spannung. Quadrat und Rechteck und deren Aspekte werden seit jeher in Malerei und Fotografie diskutiert. Die vollendetste Form, gleichmäßig ohne Anfang und ohne Ende, ist der dynamische Kreis, der allerdings wenig mit Stabilität zu tun hat. Ganz im Gegensatz dazu das Quadrat. Durch die Symmetrie, die Gleichseitigkeit, entsteht eine vollendete statische Form, die sich durch die Quadrattierung sogar noch verstärkt.

Während seiner „Safaris“ durch Berlin sammelt Hinder meist anonyme Details von Fassaden, Mauern, Böden und Landschaften. Immer wieder mischen sich darunter auch einzelne Wahrzeichen der Stadt, wie der Berliner Fernsehturm oder der Berliner Bär. So entstehen persönliche Stadtlandschaften, die neue Blicke auf Berlin und die Geschichte der Stadt ermöglichen, geschaffen von einem aufmerksamen und feinnervigen Beobachter. Unzählige Facetten Berlins stehen eng und schnell nebeneinander.

Auf meine Frage, zu seinen Beweggründen und zur Initialzündung seiner Foto-Collagen antwortete Hinder: »Damals, vor Jahren, habe ich Fassaden fotografiert. Viele Fassaden, Häuser aus der Gründerzeit und die Fenster dazu. Danach habe ich das Thema Fenster weiterverfolgt. Irgendwann begann ich mich zu fragen, was mache ich nun mit all meinen Fotografien? Etliche andere Fotografen sind auf dem gleichen Weg, haben ähnliche Themen. Irgendwann habe ich dann begonnen, meine Fotografien nicht mehr als Ganzes zu sehen sondern als Einzelbilder quasi als einen Ausschnitt für ein Gesamtbild. Zuerst waren die Collagen noch sehr gegenständlich, danach wurden die Arbeiten immer abstrakter.«

Das ermöglichte ihm mit Schnappschüssen zu arbeiten. Das Einzelbild musste nichts Besonderes mehr sein. Denn die Collage lebt von der Neuanordnung. Es entstanden Arbeiten mit Titel »3 mal 3«, »5 mal 5«, »10 x 10«, usw. »Man kann sich anhand der Titel sozusagen ausrechnen, wie viele Bildfelder eine Arbeit hat, und das sind dann manchmal auch beachtlich viele, in einem Fall immerhin über 2880 Aufnahmen. Die Einzelbilder, die Ausschnitte haben alle das gleiche quadratische Format. Die Ergebnisse dieser arrangierenden Arbeitsweise unterscheiden sich. Manche der kreierten Tafeln erinnern an den analytischen Kubismus und könnten geradezu Feininger zum Vorbild haben. In einigen anderen werden augenscheinlich die grafische Dimension der Architektur dieser Stadt besonders verstärkt und ins Licht gehoben, dann wieder werden Quadrate gezeigt, die eher nostalgische Straßenszenen darstellen wie durch regnerische Scheiben eingerahmt von vielen Mauerdetails. Das Ganze Bild ist ein Zusammenschluss einzelner Bilder, die miteinander ein einer bestimmten Form verbunden sind.«

Die Fotocollage ist eine spezielle Form der Fotomontage und der Malerei-Collage. Sie besteht aus Fotografien oder Teilen von Fotografien. Dabei stehen die Einzelbilder im Gegensatz zur Fotomontage in einem lockeren Zusammenhang, die Ausgangsbilder sind deutlich zu erkennen und die Schnittlinien sind nicht wegretuschiert. Bei Fotomontagen/ Collagen werden mindestens zwei Fotos oder Teile von ihnen zu einem neuen Bild zusammengefügt. Heute passiert das meist digital.

Die Vorläufer der Collage finden sich bereits in der Malerei. In der Veduten-Malerei beispielsweise skizzierte man mithilfe der Camera obscura Teile verschiedener Landschaften, um sie später zu einer einzigen auf der Leinwand zusammenzufügen. Einen weiteren Vorgänger der Collage findet man im Manierismus bei Guiseppe Arcimboldo, der Elemente aus der Natur, wie Blumen und Gemüse, auf seinen Gemälden so zusammensetzte, dass der Betrachter einen Menschenkopf erkennen konnte. Auch die Surrealisten näherten sich durch ihre Malerei der Collage an, da sie unzusammenhängende Objekte in Zusammenhang brachten.

Ein weiterer Schritt in diese Richtung wurde im Kubismus gemacht, als von Picasso und Braque 1912 zum ersten Mal fremdes Material in ein Werk eingearbeitet wird. Der Begriff sowie die Technik der Fotomontage/Collage wurde 1916 im Dadaismus entwickelt. Mehrere Künstler nehmen für sich in Anspruch, die Technik der Fotomontage entwickelt zu haben. Zu ihnen gehören Raoul Hausmann und Hannah Höch. Auch George Grosz probierte sich an dieser Technik. Der bekannteste Fotomontage-Künstler aber ist wohl John Heartfield. In jedem Fall experimentierten alle vier mit dieser Technik und können als ihre Pioniere gelten. Vorerst erinnerten die Werke an ein wildes Durcheinander von Bildelementen, ähnlich der futuristischen Malerei. Später wurde die Arbeitsweise strukturierter und vor allem klarer, was sich positiv auf die Bildsprache auswirkte. Dies führte Kurt Schwitters in seinen Merzbildern weiter bis hin zur Assemblage, was eine Befreiung vom „Malen-Müssen“ war. Auch im Futurismus wird die Collage als Gestaltungsmittel geschätzt, beispielsweise in Marinettis „Parola in libertà“.

Horst Hinder ist 1961 in einer Kleinstadt in Nordhessen, in der Nähe von Marburg geboren. Nach seinem Abitur macht er eine Ausbildung zum Korbmachergesellen, und arbeitet in seinem Beruf, bis er 1985 nach Berlin zieht und hier an der HdK ein Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation absolviert. Berlin ist damals ummauert, ist eine Insel. Die Stadt, so sagt er, erlebt er als verschlafen und Hinder pendelt zwischen Kreuzberg und Schöneberg hin und her. Nach dem Studium macht er sich als Grafiker und im Ausstellungsbau selbstständig. Die Fotografie ist sein Steckenpferd. Das Handwerk macht ihm Spaß, schon immer, deshalb auch die Ausbildung. Zusätzlich kommt das Komponieren mit dazu, das auseinanderstückeln und neuordnen. Und dabei auch etwas Neues entstehen zu lassen, fasziniert den Fotografen enorm. Nicht selten vergleicht er sein Komponieren und seine Arbeit mit der Musik. Er sagt, dass in der Musik mehrere unterschiedliche und gleichzeitig klingende Töne einen Akkord ergeben, wobei jeder Einzelton heraus hörbar ist und als Einzelton erhalten bleibt. Er sieht seien Aufgabe im übertragenen Sinn darin, ein Bild als fotografischen Akkord für das Auge zu erzeugen, das zeitlich unbegrenzt ist. Ob sein Werk als wohlklingend empfunden wird, das bleibt dem Betrachter überlassen.

Hinders Credo: Es funktioniert alles nur aus Leidenschaft. Dinge muss man gerne tun, und sich danach ausrichten. Horst Hinder ist ohne Mission mit seinen Arbeiten unterwegs, so soll es auch bleiben. Reinhard Knodt sagt in seiner Rede zur Ausstellung 2013 »… Die Arbeiten Hinders leben im Wesentlichen durch die ästhetischen Korrespondenzen, die die Fotoquadrate aufbauen. Seine Arbeiten haben keine banale Botschaft und er schützt sich auch vor einseitiger Interpretation. Sie sind vielmehr das Spiel zwischen Notwendigkeit und Möglichkeit selbst und bleiben daher auch im Auge des Betrachters vielfältig interpretierbar; eine Schwebe, die uns in den Bann zieht«. Zum Schluss möchte ich mit einem Zitat von Dr. Simone Kindler, Kunsthistorikerin, enden: »Horst Hinder hebt Raum und Zeit auf, würfelt alles durcheinander und erzeugt damit ein Panoramabild Berlins, seiner Geschichte und seiner Gegenwart.« Er gibt uns die Möglichkeit, unsere Stadt, die Stadt Berlin mit neuen Augen zu betrachten [Text © Beate Spitzmüller].