»Paris | Berlin – So kann man es auch sehen«. Fotografisches aus zwei Städten von Horst Hinder und Philippe Saunier im Berliner Bayer-Haus.
Das Quadrat ist ein ganz besonderes Bildformat. Es ist ausgewogen und harmonisch, nimmt sich als Format stark zurück und rückt damit den Bildinhalt in den Vordergrund … Das Quadrat als mystische Beigabe im Bild oder als eigenständige Bildform besitzt in der Kunstgeschichte eine lange Tradition: angefangen mit Albrecht Dürers magischem Quadrat in seiner Melancolia I (1514), Kasimir Malewitschs ikonengleichem Schwarzen Quadrat (1915) und Josef Albers Serien Hommage to the Square (60er Jahre des 20. Jahrhunderts). [Dr. Simone Kindler)
Horst Hinder, der seit über 25 Jahren in Berlin lebt und arbeitet, hat die Stadt fotografisch auseinander genommen und Quadrat für Quadrat wieder neu zusammengesetzt. Das größte Bild „2880 Pixel“ befindet sich gleich in der zweiten Etage im Bayer-Haus am Kurfürstendamm: Es misst 300 x 60 Zentimeter und besteht aus 2880 kleinen Einzelaufnahmen in der Größe 2,5 x 2,5 cm. Wenn man das Bild mit großem Abstand betrachtet, wirkt das Ganze wie eine Landschaft mit dem darin „versteckten“ Schriftzug „Berlin“. Tritt man ganz nah an das Bild heran, so sind 2880 einzelne Stadtimpressionen wahrzunehmen. Nicht ganz zufällig hat Hinder auch ein Stück Pflaster mit den 3-linigen blauen Marathonstreifen mit eingebaut: Er ist aktiver Marathonläufer.
In der dritten Etage zeigt Hinder aus seiner Serie Berliner Pflaster die Arbeiten Der junge Herr Bergmann, Der rauchende Herr Bergmann und Der alte Herr Bergmann (100 x 100 cm). Sie sind aus jeweils 49 Aufnahmen des Bodenpflasters der Bergmannstraße in Kreuzberg zusammengesetzt – und wenn man den richtigen Abstand hat und genau hinsieht, wird Herr Bergmann auch jedes Mal sichtbar.
In den Collagen 5 x 5 der 4. Etage (siehe Foto) entstehen durch jeweils 25 Einzelaufnahmen neue architektonische Ansichten der Stadt auf 140 x 140 cm. Erwähnen möchte ich weitergehend die Arbeit Yak und Yeti in der 5. Etage. Hinder hat sie aus 784 Einzelaufnahmen zum Thema Dopplungen komponiert. Die Arbeit ist ein ›Suchbild‹ und hat man sich erst eingesehen, so springen dem Betrachter die einzelnen Dopplungen förmlich ins Auge.
Horst Hinder, der die Ausstellung selbst konzipiert hat, stellt darüber hinaus die Fotografien von Philippe Saunier seinen eigenen Arbeiten auf den jeweiligen Etagen gegenüber. Saunier zeigt eher kleinformatige Fotos in schwarz/weiß aus seiner Heimatstadt Paris und aus Berlin. Durch das Negativ-Mittelformat, die vorzüglich auf mattem Baryt-Papier abgezogenen schwarz-weiß-Fotos und die ohne störendes Glas präsentierten Bilder, bilden Sauniers Arbeiten einen guten Kontrast zu Hinders quadratischen Werken in Farbe.
Und so entstehen poetische Stadtansichten, getragen von einer ruhigen und ausgewogenen Komposition. Philippe Saunier sucht die einsamen Eindrücke in den Straßen der Metropolen, bewusst meidet er die Touristenströme. Saunier hat eine Vorstellung, eine konkrete Idee, wo er seine Aufnahmen in den Städten machen möchte, sei es im Osten Berlins wie zum Beispiel am Alexanderplatz. Es sind keine Aufnahmen, die en passant entstehen, sondern bewusste Kompositionen. [Dr. Simone Kindler]
Das siebengeschossige Bürogebäude Bayer-Haus mit dem Rasterfachwerk wurde 1951/52 errichtet und ist 1988 denkmalgerecht restauriert worden. Die Chemie-Firma Bayer hatte dort ihren Sitz. Das Haus war eines der ersten Neubauten in West-Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg und galt damals als das „schönste Haus Berlins“. Durch den Besuch der Ausstellung ergibt sich eine gute Gelegenheit, das Treppenhaus, das den Charme der 1950er Jahre wiederspiegelt und die auf jeder Etage befindlichen, großzügigen Foyers kennenzulernen (siehe Foto), die es heute ermöglichen dort Bilder zu zeigen. Die Ausstellung ist im Bayer-Haus am Olivaer Platz, Kurfürstendamm 179, 2. bis 5. Etage, 10707 Berlin, Mo-Fr 8-19 Uhr, noch bis Ende August 2012 zu sehen. www.horst-hinder.de, www.philippesaunier.org